Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

California Dreaming
California Dreaming
California Dreaming
eBook203 Seiten2 Stunden

California Dreaming

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Als Sheila erfährt, dass ihr Sohn bei einem Erdbeben ums Leben gekommen ist, fliegt sie nach San Francisco, um seine sterblichen Überreste zu identifizieren. Vier Jahre zuvor war er aus der erdrückenden Provinz-Idylle Virginias in die Metropole geflohen. Aus ihrem alten Leben herauskatapultiert begibt sich Sheila auf Spurensuche nach ihrem verlorenen Sohn.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpielberg Verlag
Erscheinungsdatum16. Feb. 2015
ISBN9783954520626
California Dreaming

Mehr von Angela Kreuz lesen

Ähnlich wie California Dreaming

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für California Dreaming

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    California Dreaming - Angela Kreuz

    war.

    Kapitel 1

    Sheila wanderte im Zimmer auf und ab. Irgendwann musste sie sich überwinden und zu der Adresse gehen. Bislang hatte sie sich nicht dazu in der Lage gefühlt; die Angst, beim Anblick von Jamies Sachen zusammenzubrechen, saß zu tief. Seit eineinhalb Wochen war sie nun schon in der Stadt. Sie nahm eine Beruhigungstablette und fingerte den Zettel mit seiner Anschrift aus ihrer Handtasche. Die schmalen Großbuchstaben standen wie Zaunlatten zusammen. Wie gerne hätte sie jetzt ihren Sohn besucht. Die immer wiederkehrende Frage, warum sie nicht schon früher ihrem Gefühl nachgegangen war, quälte Sheila. Joe hatte ihr zwar verboten, Jamie ausfindig zu machen, für ihn war er bereits gestorben, seit er sein Zuhause verlassen hatte. Aber vielleicht hätte sie ihrem Mann erzählen können, dass sie Verwandte besuchen würde. Sie wusste nicht, ob sie Jamie gefunden hätte. Nur, dass sie alles dafür gegeben hätte, die Zeit zurückzudrehen. Ihn nach Hause zu holen.

    Aus dem Wandspiegel blickte ihr ein schmaler gewordenes Gesicht entgegen. Die dunklen Locken waren mit einer Spange zusammengehalten, und das geblümte Kleid hing ein wenig an ihr herab. Sheila zog ihre Lippen nach.

    Sie verließ die Pension und machte sich auf den Weg. Vor dem Haus stritten zwei Autofahrer um einen Parkplatz. Sheila erschrak; der eine sah Joe von hinten ähnlich, er hatte den gleichen drahtigen Nacken und ebenfalls dunkelblondes Haar.

    »Verpiss dich, du Schwuchtel!«

    Ob ihr Mann sie ausfindig machen und hier aufkreuzen würde? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Joe die Tankstelle auch nur für einen Tag alleine lassen und die Kasse der Aushilfe anvertrauen würde. Der Gedanke beruhigte sie.

    Ein überfülltes Cable Car ratterte um die Ecke und klingelte.

    Sheila stieg aufs Trittbrett und hielt sich am Griff fest. Der Fahrtwind zerzauste ihr das Haar. Unweigerlich musste sie an den Film Hair denken, den sie am Vorabend im Fernsehen angeschaut hatte, um sich abzulenken. Sie konnte die Lebensfreude dieser Hippies nicht mehr nachvollziehen. Früher, da hatte Sheila auch wilde Träume gehabt. Doch mittlerweile bezweifelte sie, dass es noch irgendetwas auf der Welt gab, das ihr Leben lebenswert machen könnte. Die Sonne kam heraus und tauchte die Gegend in ein mildes Licht. Let the Sunshine in. Wenn alles nur so einfach wäre. Wie jeden Tag stieg Sheila am Fischerhafen aus; sie wollte etwas Kraft tanken, bevor sie sich überwand. Doch als sie vom Pier zurückkam, fühlte sie sich nicht sonderlich besser und machte einen Umweg über den Marina District. Überall lagen Trümmer herum, die Aufräumarbeiten waren noch lange nicht abgeschlossen. Sheila stolperte über den aufgebrochenen Asphalt, ihre Augen wanderten an der tiefen Spalte entlang, die sich quer über die Straße zog. Ein paar Häuser waren bei dem Beben kollabiert, andere standen unnatürlich schief, halb eingesunken da. In den Fassaden klafften Risse, da und dort waren Brandspuren erkennbar. Wie zerbrechlich doch alles ist, dachte Sheila, es gibt keine Sicherheit, nichts, auf das man sich verlassen könnte.

    Einige Teenager, die bunte Sweatshirts mit dem Aufdruck I Survived Quake ’89 trugen, kamen ihr entgegen. Geschmacklos. Sheila wollte nur noch weg von der Trümmerstätte und stieg ins nächste Cable Car.

    Am Wendepunkt auf der Market Street wartete eine Traube Touristen. Sheila stieg aus und ging Richtung U-Bahn. Sie drückte ihre Handtasche eng an sich. Menschenmassen machten Sheila nervös, sie gaben ihr das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und wie in einem Albtraum weiter geschoben zu werden an einen Ort, wo sie nicht hinwollte. Sheila stand vor den ausgehängten Plänen und hatte keine Ahnung, wie sie in den Castro District kommen sollte. Sie war es einfach nicht gewohnt, sich in einer Großstadt zurechtzufinden. Auf ihrer Hochzeitsreise in New York hatte sich selbstverständlich Joe um diese Dinge gekümmert. Während sie von der Größe der Bauten fasziniert war und sich treiben ließ, lotste er sie durchs Straßengewirr von Manhattan, als wäre er dort daheim, obwohl auch er nie zuvor aus Virginia herausgekommen war. Ich kenne die Stadt schon wie meine Hosentasche. Womit er sie zu jener Zeit noch hatte beeindrucken können – wie naiv sie doch gewesen war. Joe war so selbstständig, schon immer. Im Gegensatz zu ihr, die keine eigene Meinung hatte und immer auf jemanden angewiesen war, der ihr sagte, wo es lang ging. Allein, dass er sich unmittelbar nach der High School praktisch ohne Geld unabhängig gemacht hatte. Damals hatte er allerdings noch von einer Tankstelle auf Staten Island geträumt, die aber bald vergessen war, nachdem er die Zapfstelle im Ort gepachtet und auf Vordermann gebracht hatte. Über zwanzig Jahre war das schon her. Sie waren nur sehr selten weggefahren; er hatte nie das Bedürfnis nach Abwechslung gehabt und schien mit seinem Geschäft verheiratet zu sein. Wie oft hatte Sheila ihm das vorgeworfen, doch es nützte nichts. Und alleine wollte sie nicht fahren, nur ab und zu hatte sie mit dem Jungen Verwandte in der Umgebung besucht.

    Es machte keinen Sinn, weiter auf den Plan zu starren. Sie ging zum Informationshäuschen hinüber und fragte nach, wie sie zur Haltestelle Castro Street käme.

    Sheila lief die Hausnummern ab und sah an dem hellblauen Holzbau hoch. Aus dem zweiten Stock hing eine Regenbogenflagge. Die Haustüre war angelehnt. Im Eingang hingen ramponierte Briefkästen; auf einem stand Evans neben Copeland und drei weiteren Namen. Sheila stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Ihr war schwindelig, ein unwirkliches Gefühl drohte sie zu überwältigen, und sie hatte Angst, ohnmächtig zu werden. Vielleicht war Jamie gar nicht tot und alles nur ein böser Traum. Doch was machte sie dann hier? War sie gekommen, um zu sehen, wie es ihrem Sohn in seiner neuen Bleibe erging, von der sie nicht einmal wusste, wie lange er dort schon wohnte? Was, wenn Jamie gleich vor ihr stünde? Sheila drückte die Klingel und zupfte nervös an ihrem Kleid. Insgeheim hoffte sie, dass niemand da wäre und sie gleich wieder gehen könnte. Doch dann hörte sie innen Schritte; sie hielt den Atem an. Ein Mann Mitte zwanzig öffnete. Sein Gesicht wirkte ein wenig verquollen, wie nach einer langen, alkoholreichen Nacht. Die blonden Haare waren verstrubbelt, und das offene Hemd ließ seine Brusthaare sehen.

    »Ja?«

    Sheila trat einen Schritt zurück.

    »Mr. Copeland?«, fragte sie schnell und schluckte.

    Der Mann erstarrte für einen Moment, dann deutete er ein Nicken an.

    »Wir haben miteinander telefoniert. Ich bin Jamies Mutter.«

    »Steve.« Er senkte den Blick. »Kommen sie herein.«

    Sie trat in den Flur. Der Boden war mit Parkett ausgelegt. In der Wohnung roch es nach Räucherstäbchen, ein holziger, erdiger Duft. An den Wänden hingen Poster von Prince und Madonna. Steve ging an ihr vorbei in die Küche.

    »Wollen Sie was trinken?« Seine Stimme klang angespannt, fast unfreundlich.

    »Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten?«

    Sheila kam sich wie ein Eindringling vor. Sie hatte das Gefühl, betteln zu müssen, um das Wasser und um die Zeit, die Jamies Mitbewohner für sie erübrigte. Als wäre sie ein kleines Mädchen und von der Gunst dieses fremden Mannes abhängig – dabei hätte er ihr Sohn sein können.

    »Setzen Sie sich.«

    Steve holte Eiswürfel aus dem Kühlschrank, warf sie geräuschvoll in eine Plastikkanne und füllte sie mit Wasser auf. Er stellte zwei Gläser auf den Tisch.

    Sheila nahm auf einem der Regiestühle Platz, die unordentlich im Raum herumstanden.

    »Jamie sah Ihnen ähnlich«, sagte Steve, während er einschenkte. Sein Blick war verschleiert, wie wund. Sah, dachte Sheila verzweifelt, er ist tot, sie konnte es selbst nicht glauben.

    »Haben Sie schon länger mit ihm zusammengewohnt?«, brachte sie mühsam hervor. Sie starrte auf die Hängelampe.

    »Wir haben zusammengelebt. Er war mein Freund. Wir hatten Sex miteinander. Wir haben uns geliebt.«

    Sheila nippte an dem Glas, sie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Ihre Hände fingen zu zittern an, und sie verschüttete das Wasser, das ihr die Finger hinabrann und auf den Boden tropfte.

    Steves Stimme wurde eine Spur freundlicher. »Es ist sicherlich auch für Sie hart.«

    Was dachte er denn? Natürlich war es hart für sie – sie war Jamies Mutter! Sheila stellte das Glas ab, ihre Augen wurden nass. Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und schnäuzte sich.

    Steve musterte sie. »Ich habe Sie mir anders vorgestellt.«

    Es klang abschätzig, und Sheila glaubte einen stillen Vorwurf herauszuhören. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, es schien alles verkehrt zu sein, was sie sagte und machte. Eine unangenehme Stille breitete sich aus, die an den Rändern scharfe Kanten hatte. Sheila saß wie festgefroren auf ihrem Stuhl und strich, um irgendetwas zu machen, ihren Rock glatt. Sie fühlte sich diesem jungen Mann schutzlos ausgeliefert, der sich für Jamies Liebhaber ausgab. Absurd war das.

    »Entschuldigen Sie.« Steve räusperte sich. »Tut mir leid.«

    Sheila starrte auf ihre Tasche und überlegte fieberhaft, was sie als Nächstes sagen könnte; ihr Kopf fühlte sich so leer an.

    »Kann ich bitte Ihr Badezimmer benutzen?« Sie sprang von ihrem Stuhl auf.

    »Sicher«, sagte Steve betreten und wies ihr die Richtung.

    Sheila machte die Türe hinter sich zu und schob den Riegel vor. Über der Badewanne hing ein Duschvorhang mit psychedelischem Muster. Ihr wurde wieder schwindelig, wenn sie hinsah. Sie ging zum Waschbecken und drehte den Hahn auf. Auch ihre Hände waren dünner geworden. Der Ehering hing locker am Finger und rutschte hin und her, während sich ihre Handflächen füllten und sie mit dem Wasser spielte; es war eine Art Ritual, bei dem sie die Gedanken komplett ausblenden konnte. Dazu summte sie den Refrain von White Christmas. Sie drehte den Hahn wieder zu und griff nach dem Frotteetuch, um sich die Hände zu trocknen. Der Spiegelschrank stand einen Spalt offen, und sie guckte hinein. Er quoll mit Safer-Sex-Artikeln über, es kam ihr unanständig vor.

    Sheila hatte noch nie ein Kondom in der Hand gehabt. Sie überlegte. Es würde sicherlich nicht auffallen – sie fischte das Oberste heraus. Die grelle Verpackung fühlte sich merkwürdig an. Sheila setzte sich auf den Toilettendeckel und drückte geistesabwesend auf dem kleinen Päckchen herum. Ob Jamie diese Dinger benutzt und sich damit versündigt hatte? Sie stützte ihr Kinn in die Hände. Der Wasserhahn tropfte.

    Nach einer Weile klopfte es an der Badezimmertür.

    »Alles in Ordnung bei Ihnen?«

    »Ja«, sagte sie, »danke.«

    Sheila betätigte die Spülung. Sie steckte das Kondom ein und ging in die Küche zurück.

    Steve sah sie irritiert an.

    »Ich wollte nicht gemein sein.«

    »Das waren sie nicht«, sagte Sheila, »und wenn, hätte ich es verdient.«

    »Es geht nicht um Schuld«, sagte er, »darum geht es doch gar nicht.«

    Natürlich ging es um Schuld. Um die vielen Versäumnisse, die nie wieder gutzumachen waren. Ihre Feigheit, die sich für Jamie wie Gleichgültigkeit angefühlt haben musste. Sheila hatte ihn im Stich gelassen, immer wieder. Und sie hatte ihm nie gesagt, wie zerrissen sie innerlich war, wenn zu Hause Dinge passierten, die nicht hätten passieren dürfen. Sie war oft wie gelähmt gewesen und hatte sich nicht zu helfen gewusst.

    »Ich gehe jetzt besser.«

    »Möchten Sie nicht noch Jamies Zimmer sehen?«

    Sheila schüttelte den Kopf. »Das schaffe ich nicht.«

    »Wollen Sie ein anderes Mal wieder kommen?«

    In Steves Gesicht spiegelten sich Mitleid und Widerwille, als hoffte er, dass sie sein Angebot ablehnte. Doch Sheila griff nach jedem Strohhalm, den sie erreichen konnte.

    »Danke. Ich rufe Sie an.«

    Die Türe wurde schnell und mit Nachdruck geschlossen.

    Als Sheila aus dem Haus trat, kam ihr die Straße zwar bekannt vor, doch sie hatte die Orientierung verloren. Sie lief links am Castro-Kino vorbei, hätte aber genauso gut rechts laufen können. Überall, wo sie hinsah, schlenderten Männer Hand in Hand die Straßen entlang. Gab es nur noch Homos in dieser Stadt? Angst kroch in ihr hoch, Jamie könnte einer von denen gewesen sein, die in aller Öffentlichkeit ihre Neigung auslebten. Sheila wollte dem Anblick entfliehen, sie fühlte sich geradezu verfolgt von diesen merkwürdigen Paaren. Es waren auch Frauen darunter. Sheila wusste nicht mehr, was sie denken sollte; ihr Weltbild stand Kopf und tanzte einen wilden, schrecklichen Tanz. Alles drehte sich, und in ihrem Blickfeld erschien ein Schwarm schwarzer Punkte.

    »Sind Sie okay?«, fragte jemand neben ihr.

    Ehe sie antworten konnte, versagten ihre Beine. Sheila wurde links und rechts kräftig gestützt und auf eine Bank gesetzt.

    »Es geht mir gut. Lassen Sie mich.«

    Sie schaute in zwei besorgte Männergesichter. Der Blonde hatte einen gewaltigen Oberlippenbart und erinnerte sie an den Seelöwen, den sie Eddie getauft hatte. Ohne dass sie es wollte, lächelte sie schwach.

    »Sind Sie schwanger?«, fragte er.

    »Es gibt eine Klinik zum Nulltarif in der Nähe, falls Sie keine Krankenversicherung haben«, sagte sein Partner, der klein und drahtig war.

    »Danke, ich brauche nichts.«

    Sheila wollte nur, dass die Männer sie in Ruhe ließen. Sie lehnte sich zurück und schloss halb die Augen.

    Einer der beiden tippte sie an und drückte ihr ein Kärtchen in die Hand. Sie blinzelte. Ashbury Free Clinics. Gesundheitsfürsorge ist ein Recht, kein Privileg.

    »Sind Sie wirklich in Ordnung?«

    »Ja doch, danke.«

    Schwanger, dachte Sheila, ich bin doch schon über vierzig. Nach einer Weile raffte sie sich hoch. Ihre Beine waren noch ein wenig wackelig, aber sie schaffte es weiterzugehen, wenn sie nur stur geradeaus sah, den Hügel hinauf bis zur Ampel. Das Marschieren half, ihre düsteren Gedanken, die sich im Kopf drehten, in Schach zu halten. Oben an der

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1