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Stücke 5
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eBook653 Seiten8 Stunden

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Über dieses E-Book

DIE AKTUELLEN BÜHNENERFOLGE VON ÖSTERREICHS BELIEBTESTEM DRAMATIKER IN EINEM BAND

MITTERERS REALE PROTAGONISTEN: HELDEN UND ANTIHELDEN UNSERER GESCHICHTE
Felix Mitterers Stücke zählen zu den meistgespielten in Österreich. Mit dem fünften Band der Stücke-Ausgabe werden Mitterers Bühnenerfolge von 2007 bis 2013 versammelt. Die Protagonisten sind dabei allesamt Persönlichkeiten aus der Geschichte, mal Held, mal Antiheld. Mit "Der Patriot" etwa liefert Mitterer ein beklemmendes Ein-Mann-Stück über den Briefbomben-Attentäter Franz Fuchs, mit "Jägerstätter" ein Drama über einen mutigen Mann, der den Wehrdienst im Zweiten Weltkrieg verweigerte und damit seiner Hinrichtung sehenden Auges entgegenging.

WERKSAMMLUNG VON MITTERERS AKTUELLSTEN STÜCKEN - MIT VIELEN EXTRAS
Außerdem enthalten sind: "Der Panther", eine hinreißende Tragikomödie über das Altern, die Felix Mitterer dem großartigen österreichischen Schauspieler Fritz Muliar auf den Leib geschrieben hat. Es war dessen letzte große Rolle; "Franziskus - der Narr Gottes", das Porträt eines Aussteigers, der die Freiheit sucht; "1809 - Mein bestes Jahr", das historische Drama über Metzger Klaus, den Rebell, der wenig mit der überlieferten Geschichte von 1809 zu tun hat; mit "Speckbacher", ebenfalls einer wichtigen Figur 1809, widmet sich Mitterer der Frage, wie weit man im Kampf um die Freiheit gehen darf; "Du bleibst bei mir" - ein Stück über die Schauspielerin Dorothea Neff, die im Zweiten Weltkrieg ihre jüdische Freundin versteckt hielt - sowie "Passion Erl", eine einfühlsame und prägnante neue Fassung der Passionsgeschichte, die Mitterer den Passionsspielen Erl zu deren 400-jährigem Jubiläum geschrieben hat.
Alle Stücke werden von zahlreichen Zusatzmaterialien begleitet: Neben einem persönlichen Vorwort des Kult-Autors zu jedem Stück finden sich auch wundervolle Aufführungsfotos und ein umfassendes Werkverzeichnis.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum4. März 2016
ISBN9783709937075
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    Buchvorschau

    Stücke 5 - Felix Mitterer

    Felix Mitterer

    Stücke 5

    Inhalt

    Titel

    Der Panther

    Franziskus – Der Narr Gottes

    Der Patriot

    Speckbacher

    1809 – Mein bestes Jahr

    Du bleibst bei mir

    Passion Erl

    Jägerstätter

    Biographische Daten und Werkverzeichnis

    Felix Mitterer

    Zum Autor

    Impressum

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    Der Panther

    Theaterstück

    Auftragswerk für das Theater in der Josefstadt, Wien

    Am 15. Juli 1937 stand Fritz Muliar zum ersten Mal auf einer Bühne, und zwar im „Lieben Augustin", der Kleinkunstbühne im Keller des Wiener Cafés Prückel. Somit feiert der legendäre Schauspieler heuer, im Jahre 2007, sein 70-jähriges Bühnenjubiläum. Er feiert es mit einem Stück von mir, das hat er sich gewünscht, und ich fühle mich sehr geehrt.

    1990 verschaffte mir Fritz Muliar den größten Theatererfolg meines Lebens. Im Wiener Akademietheater spielte er „Sibirien", in der Regie von Franz Morak.

    Muliar verkörperte den alten Mann, der im Pflegeheim um einen würdigen Tod kämpft, derart eindrücklich und erschütternd, dass es zu einem überwältigenden Publikumsansturm kam. Der große Komiker, der „Darsteller des kleinen Mannes", hatte sich in den Charakterdarsteller verwandelt, der er immer schon gewesen war.

    Er widerlegte damit eindrucksvoll seine eigene Aussage, eine Rolle wie der „König Lear würde ihm ganz und gar nicht liegen, „höchstens in einer Musicalfassung.

    Denn natürlich spielte er einen König Lear, einen alten Mann, der abserviert und im Stich gelassen wird.

    Über 150 Mal trat Muliar in „Sibirien" auf, nicht nur am Akademietheater, sondern auch in Salzburg, in Berlin und Hamburg.

    Dies in kurzen Worten sein Lebensweg:

    Fritz Muliar wird als uneheliches Kind am 12. Dezember 1919 in Wien geboren. Sein leiblicher Vater, ein Tiroler k.u.k.-Offizier, kümmert sich nicht um ihn und wird später Nationalsozialist. Seine Mutter Leopoldine Stand dagegen, die als Sekretärin bei der Österreichischen Kontrollbank arbeitet, ist eine überzeugte Sozialdemokratin. 1924 lernt sie den russisch-jüdischen Juwelier Mischa Muliar kennen und heiratet ihn. Mischa adoptierte den kleinen Fritz und unterweist ihn im jüdischen Glauben und in der hebräischen Sprache. Das spätere Talent, auf unnachahmliche Weise jüdische Witze zu erzählen, hat Fritz Muliar also seinem Adoptivvater zu verdanken. Und das Beispiel seiner Mutter ist sicher ein Mitgrund, dass Fritz Muliar sein Leben lang bekennender Sozialdemokrat war und sich auch sonst kein Blatt vor den Mund nimmt.

    Im März 1938 flieht Mischa Muliar vor den Nazis in die USA.

    Fritz Muliar wird im April 1940 eingezogen, tingelt zwecks Truppenbetreuung mit einer Theatergruppe durch Frankreich und reißt dabei Witze über Hitler und Konsorten. Wegen „Wehrkraftzersetzung" und Betätigung zur Wiederherstellung eines freien Österreich verurteilt man ihn zum Tode. Nach sieben Monaten Haft wird er aber zu fünf Jahren Zuchthaus begnadigt. Um dieser langen Gefängnisstrafe zu entgehen, meldet er sich zu einer Strafkompanie nach Russland.

    Nach dem Krieg fängt Muliar als Sprecher bei Radio Klagenfurt an, geht dann als Schauspieler und Regisseur nach Graz und kehrt 1949 nach Wien zurück. Zuerst tritt er am Raimundtheater auf, von 1952 bis 1965 spielt er an der Seite von Karl Farkas und Ernst Waldbrunn im Kabarett „Simpl".

    Zu Beginn der 70-er Jahre kommt dann der große Durchbruch im Fernsehen: „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" von Jaroslav Hašek, in 13 Teilen verfilmt von ORF/ZDF in der Regie von Wolfgang Liebeneiner. Mehr als 100 Filme und Serien folgen nach.

    Fritz Muliar wird Mitglied des Burgtheaters, tritt aber ebenso am Volkstheater, in der Josefstadt und natürlich bei den Salzburger Festspielen auf.

    1990 geht der Professor und Kammerschauspieler höchst offiziell in Pension, kann es aber dennoch nicht lassen, wofür wir ihm sehr dankbar sind. Seit 1994 ist er wieder festes Ensemblemitglied der Josefstadt. Der Komödiendependance Kammerspiele beschert er mit seinem komischen Talent – wie auch schon in früheren Jahrzehnten – regelmäßig ein ausverkauftes Haus.

    Zahllos sind seine Rollen, keiner, der ihn sah, vergisst ihn zum Beispiel als „Sancho Pansa in „Der Mann von La Mancha in der Volksoper, als „Das Alter in „Der Bauer als Millionär im Volkstheater, als „Mr. Green in „Der Besuch bei Mr. Green in der Josefstadt, und, natürlich, als Papst in „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde" in den Kammerspielen.

    Ach, Fritz, siebzehn Jahre hat es nach „Sibirien" gebraucht, bis ich endlich wieder ein Stück für Dich zusammenbrachte, ich hoffe, Du verzeihst mir die lange Wartezeit.

    Dem Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger danke ich dafür, dass er mir mit dem Stückauftrag endlich den nötigen Tritt verpasste. Überhaupt: Fünf Uraufführungen in einer Saison (Turrini, Franzobel, Barylli, Vögel, Mitterer), das hat bisher noch kein Theaterdirektor zu Stande gebracht.

    Und glücklich macht es mich, dass eine zweite Wiener Theaterlegende beim „Panther" mit dabei ist: Elfriede Ott. Hans Weigel, ihr Lebensmensch, hat mich schon früh entdeckt und gefördert, mir auch manche Literaturpreise zugeschanzt. Lieber, verehrter Hans, der Du uns fehlst, halt uns die Daumen und schau bitte zu.

    PERSONEN

    Der Mann ohne Namen, alt

    Marion Liebherr, alt

    Heinz, im mittleren Alter

    SCHAUPLATZ

    Wohnzimmer in einem Gründerzeithaus. Zwei Fenster. Parkettboden, zum Teil aufgeworfen. Stehlampen. Pflanzen. Bücherregale mit vielen Büchern. Wanduhr. Garderobenschrank mit Spiegel, daneben Schirmständer mit Schirmen und einem Gehstock. Esstisch mit Stühlen. Auf dem Esstisch ein großes, kompliziertes Puzzle sowie eine schlanke, hohe Vase aus Glas. Couch, Couchtisch, Polstersessel. Mehrere Fernseher verschiedener Größe. Stereoanlage mit Plattenspieler und Schallplatten. Verschiedenste Waren von Versandhäusern, zum Teil noch in Kartons. Hohe Stapel von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und alten Schulheften am Boden. Irgendwo ein Strohhut, wie ihn Maurice Chevalier zu tragen pflegte.

    Als Bühnenmusik (Anfang, Übergänge, Ende) das Chevalier-Lied, das der Mann im Stück zusammen mit Marion singt:

    Paris je t’aime d’amour

    Ô mon Paris ville idéale

    Il faut te quitter dès ce soir

    Adieu, ma belle capitale,

    Adieu, non, au revoir!

    Paris je t’aime, je t’aime, je t’aime

    Avec ivresse,

    Comme une maîtresse!

    Tu m’oublieras bien vite et pourtant

    Mon cœur est tout chaviré en te quittant!

    Je peux te dire

    qu’avec ton sourire

    Tu m’as pris l’âme

    Ainsi qu’une femme

    Tout en moi est à toi pour toujours

    Paris je t’aime, oui! d’amour!

    Paris je t’aime, je t’aime, je t’aime, je t’aime mais voyons!

    puisque j’ te dis que je t’aime, allons!

    Pour les caresses

    De milles maîtresses

    Elles m’oublieront bien vite et pourtant

    Moi j’ leur faisais j’ me souviendrais bien longtemps

    L’une après et l’une

    La blonde et la brune

    M’ont fait sans phrase

    Goûter mille extases

    J’ te l’ jure que j’ t’appartiens pour toujours,

    Paris, je t’aime – et comment! – d’amour!

    1. BILD

    Später Nachmittag. Trübes Winterlicht durch die Fenster. Auf den Zeitungs- und Bücherstößen viele verschiedene brennende Kerzen – Teelichter, rote Grablichter, lange Kerzen in Haltern. Das Chevalier-Lied ist wie aus einem alten Grammophon zu hören. Als das Lied zu Ende ist, folgt eine kurze Stille.

    Dann führt Marion den Mann herein, vom Wohnungseingang kommend. Er humpelt, sie stützt ihn. Sie ist in Trauerkleidung, trägt Mantel, seine Kleidung ist abgetragen, kein Mantel.

    Marion: (ist vollkommen verstört) Es tut mir so leid, entschuldigen Sie, bitte! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ...

    Mann: Hören Sie endlich auf damit! Das hilft mir nichts. Sie haben mir das Schienbein zertrümmert!

    Sie setzt ihn in einen Sessel. Er betastet sein Schienbein, schreit auf.

    Marion: (legt ihre Handtasche weg) Darf ich nachsehen?

    Mann: Nein, dürfen Sie nicht!

    Marion: Soll ich einen Arzt holen? Oder die Rettung?

    Mann: Die Polizei können Sie holen. Ich zeig Sie an wegen schwerer Körperverletzung.

    Marion: Nein, bitte nicht. Ich hab keinen Führerschein mehr.

    Mann: Ach, so ist das? Ich bin wohl nicht der erste, den Sie niedergemäht haben?

    Marion: (zieht ihren Mantel aus, hängt ihn in den Garderobenschrank) Waren nur ein paar Blechschäden, wirklich!

    Mann: In Ihrem Alter fährt man nicht mehr Auto!

    Marion: Sie sind urplötzlich aufgetaucht. Wie ein Gespenst.

    Mann: Ein alter Mann taucht nicht urplötzlich auf.

    Marion: Tut mir leid, ich war in Gedanken. Ich komm gerade vom Begräbnis meines Mannes.

    Mann: Mein Beileid.

    Marion: Danke.

    Mann: Hauptsache, ich war’s nicht.

    Marion: Wie?

    Mann: Ich hab noch was zu erledigen, bevor ich abtrete. Genügt es Ihnen nicht, dass Sie Ihren Mann um die Ecke gebracht haben?

    Marion: Ich hab ihn nicht um die Ecke gebracht!

    Mann: Ja, ist ja gut. (Nimmt die Kerzen wahr.) Interessante Partybeleuchtung.

    Marion: Für ihn.

    Mann: Sie wollen ihm heimleuchten?

    Marion: Sozusagen. Viel Dunkelheit auf unserem Weg.

    Mann: Wohl wahr.

    Marion: Kann ich Ihnen was anbieten? (Nimmt eine Mineralwasserflasche.) Wasser?

    Mann: Ein Kognak wär mir lieber.

    Sie bringt ihm einen Kognak, er trinkt ihn in einem Zug aus. Sie schenkt sich Mineralwasser ein, setzt sich, trinkt. Er greift nach der Kognakflasche, schenkt sich nach, trinkt wieder.

    Mann: Haben Sie eine Zigarette für mich?

    Sie holt aus einer Schublade Zigaretten und Feuerzeug, gibt ihm eine, zündet sie ihm an, stellt ihm einen Aschenbecher hin, setzt sich wieder, schaut ihn an, als wäre er eine Erscheinung.

    Mann: Was schauen Sie mich denn so an? Das geht einem ja durch Mark und Bein.

    Marion: Entschuldigung. Das war ein Schock.

    Mann: Was soll ich da erst sagen? Ich bin das Opfer. Das ist wieder einmal typisch: Der Täter steht unter Schock und das Opfer soll sich womöglich noch entschuldigen.

    Marion: Ich hab mich doch entschuldigt!

    Mann: Davon wird mein Schienbein auch nicht heil.

    Marion: Wollen Sie Ihre Familie anrufen?

    Mann: Nein.

    Marion: Warum denn nicht? Die machen sich vielleicht Sorgen.

    Mann: Die machen sich keine Sorgen.

    Marion: Das kann ich nicht glauben.

    Mann: Es ist aber so.

    Marion: Haben Sie eine Frau?

    Mann: Natürlich hab ich eine Frau. Jeder hat eine Frau.

    Marion: Und die macht sich keine Sorgen?

    Mann: Nein. Im Gegenteil. Sie will mich loshaben.

    Marion: Warum das?

    Mann: Keine Ahnung. Ich bin ein umgänglicher Mensch. Außer man reizt mich. Und Ihr Gatte, was war das für einer?

    Marion: Wir waren über fünfzig Jahre verheiratet.

    Mann: Das war nicht meine Frage.

    Marion: Ich hab ihn heute begraben.

    Mann: Und da wollen Sie ihm nichts Schlechtes nachsagen. Zumindest heute nicht, was?

    Marion: Ich will nicht mit Ihnen über meinen Mann reden.

    Mann: Haben Sie Kinder?

    Marion: Einen Sohn.

    Mann: Nur ein Kind?

    Marion: Ich hatte viele Kinder. Viele wunderbare Kinder. Ich war Lehrerin. Was haben Sie so gemacht?

    Mann: Ich war ebenfalls berufstätig.

    Marion: Und welchen Beruf hatten Sie?

    Mann: Hören Sie, ich frage Sie nicht mehr nach Ihrem Mann und Sie fragen mich nicht nach meinem Beruf! Können wir uns darauf einigen?

    Marion: Natürlich.

    Mann: Wie schaut’s aus mit Schmerzensgeld?

    Marion: Wieviel wollen Sie denn?

    Mann: Wie viel geben Sie mir?

    Marion: Ist das Schienbein wirklich zertrümmert?

    Mann: (überprüft sein Schienbein, stöhnt dabei vor Schmerzen) Ich glaub, da stehen Knochensplitter heraus.

    Marion: Ich ruf lieber doch die Rettung, das kann ich nicht verantworten.

    Mann: (hört urplötzlich mit dem Gestöhne auf) Warten Sie. (Befühlt noch einmal.) Möglicherweise nur geprellt. Aber eine Prellung tut mehr weh als ein Beinbruch. Und von Prellungen kann ich Ihnen ein Lied singen.

    Marion öffnet ihre Handtasche, holt die Geldtasche hervor, schaut nach, zieht 50 Euro heraus, schaut den Mann fragend an, dieser verzieht empört das Gesicht. Sie schaut wieder in ihre Geldtasche, schaut auf die Zeitungsstapel, geht zwischen ihnen herum, deutet auf sie, schüttelt immer wieder den Kopf.

    Mann: Was soll das? Die Preisausschreiben gelten ja alle nicht mehr. – Hören Sie, ich will keine alte Zeitung, ich will Bargeld.

    Sie sieht einen bestimmten Zeitungsstapel, stellt die Kerze, die sich darauf befindet, auf den Boden, blättert in den Zeitungen, findet Geld, kommt mit vier 500-Euro-Scheinen zu ihm.

    Marion: Zweitausend. Reicht das?

    Mann: (steckt das Geld ein) Viel ist es nicht. Die Krankenkassen haben mich ja abgeschrieben, die öffentliche wie die private, muss alles selber blechen.

    Sie schaut auf die Wanduhr.

    Mann: Erwarten Sie Besuch?

    Marion: Ja. Meinen Neffen. Aber erst in einer halben Stunde.

    Mann: Sie haben einen Neffen?

    Marion: Eigentlich der Neffe meines Mannes. Ein Sohn seines Bruders.

    Mann: Der kümmert sich um Sie?

    Marion: Früher hat er sich nie blicken lassen. Ich hab gar nichts von ihm gewusst. Jetzt ist er ständig da, jeden Tag.

    Mann: Na, ist doch nett von ihm.

    Marion: Er bevormundet mich.

    Mann: Ist wahrscheinlich Auslegungssache. Manche Menschen brauchen Bevormundung.

    Marion: Ich nicht. Wenn mein Sohn noch leben würde, dann wär alles anders.

    Mann: Ihr Sohn ist tot?

    Marion: Ja. Autounfall.

    Mann: (erschrocken) Autounfall?

    Marion: Ja. Mit 19 schon.

    Mann: Furchtbar. Es ist furchtbar, wenn Kinder so jung sterben. Die sollen gefälligst warten, bis die Eltern tot sind. Man fühlt sich schuldig, den Rest seines Lebens.

    Marion: Sie haben recht. Den Tod eines Kindes verwindet man nicht.

    Er holt das Geld wieder hervor, legt es auf den Tisch.

    Mann: Ich will kein Geld.

    Marion: Nein?

    Mann: Ich will was anderes.

    Sie schaut ihn an.

    Mann: Ich bleib ein paar Tage bei Ihnen. Bis ich mich etwas erholt hab.

    Sie schaut ihn an, beginnt plötzlich zu weinen.

    Mann: Ja, was denn? Ist das so schlimm? Ich bin kein Unmensch! Ich esse kaum etwas! Zum Schlafen genügt mir eine Couch. (Prüft die Couch neben sich.) Nein, da bekomm ich Kreuzweh. Haben Sie kein Gästezimmer? Warum weinen Sie denn? Hören Sie auf damit! Ich mag das nicht, wenn jemand ohne Grund weint. Oder weinen Sie um Ihren Mann?

    Marion: Ja, ich weine um meinen Mann.

    Mann: Na gut, das ist ja in Ordnung. Weinen Sie nur. Meine Frau würde nicht weinen.

    Marion: Jede Witwe weint.

    Mann: Ja, Krokodilstränen. Die Pension des Gatten verjubeln. In den Senioren-Single-Club gehen und sich so schnell wie möglich einen anderen anlachen.

    Marion: Ich lach mir keinen anderen an! Niemals!

    Mann: Na, ich will ehrlich sein: Wenn ich Witwer wäre, ich würde mich sofort nach einer anderen Frau umschauen. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, allein zu sein.

    Marion: Nein, das ist er nicht. Manchmal hilft ein Hund, gegen die Einsamkeit. Aber mein Hund ist tot.

    Mann: Haben Sie jetzt ein Gästezimmer oder nicht?

    Marion: Ich hab eines.

    Mann: (schaut sich um, sieht die Fernseher) Sie schauen gerne in die Röhre?

    Marion: Auch ein Mittel gegen die Einsamkeit.

    Mann: So lange ich da bin, wird kein Fernseher eingeschaltet. Meine Augen halten diese grellen Farben nicht aus.

    Marion: Ich hab sie alle auf schwarz-weiß eingestellt.

    Mann: (erstaunt) Tatsächlich?

    Marion: Mein Mann hat die grellen Farben auch nicht ausstehen können.

    Mann: Sehr sympathisch. Mit Ihrem Mann hätte ich mich gut verstanden.

    Marion: Bestimmt. Er war genauso streitlustig wie Sie.

    Mann: Ich bin doch nicht streitlustig!

    Marion: Hat bestimmt was für sich. Am ältesten werden die Streitlustigen.

    Mann: Ich bin aufgebracht, das ist alles! Man wird ja nicht jeden Tag von einem Auto gerammt. Streitlustig! Also das muss ich mir von einer wildfremden Person nicht sagen lassen.

    Marion: (schnippisch) Entschuldigung.

    Mann: Apropos: Sie haben sich noch gar nicht vorgestellt.

    Marion: Ich heiße Marion Liebherr.

    Mann: (streckt ihr die Hand hin) Schön, Ihre Bekanntschaft zu machen, Frau Liebherr.

    Sie muss sich zu ihm bemühen, gibt ihm die Hand.

    Marion: Und Ihr Name?

    Mann: (schaut heimlich auf seine Handinnenfläche, wo er den Namen mit Kugelschreiber aufgeschrieben hat) Altmann.

    Marion: Haben Sie auch einen Vornamen?

    Mann: So lange bleib ich nicht.

    Es läutet an der Tür. Marion schaut auf die Uhr, gerät in Panik.

    Marion: Wieso kommt der jetzt schon? Bitte, er darf Sie hier nicht sehen!

    Mann: Wieso denn nicht?

    Marion: Los, kommen Sie! Schnell!

    Sie zerrt ihn hoch, führt ihn zum Garderobenschrank, öffnet diesen.

    Mann: Was soll das? Ich will ins Gästezimmer!

    Marion: (schiebt ihn in den Schrank) Still sein! (Macht die Tür zu.)

    Mann: Jetzt stellt die mich in den Kasten! Ich bin doch kein Liebhaber!

    Es hat inzwischen mehrmals geläutet, immer nachdrücklicher, nun kommt Heinz mit Gel im Haar und in einem modischen schwarzen Nadelstreifanzug herein. Er hält den Wohnungsschlüssel in der Hand, trägt eine Einkaufstasche vom Supermarkt.

    Heinz: (stellt die Einkaufstasche ab) Warum machst du denn nicht auf, Tante? Ich hab mir den Finger wundgedrückt an der Klingel.

    Marion: Entschuldige, ich war in Gedanken.

    Heinz: Ich hab dir eingekauft. Alles Super-Sonderangebote.

    Er gibt ihr die Rechnung, sie zahlt ihn aus ihrer Geldtasche.

    Marion: Stimmt schon, danke.

    Heinz: (schnuppert, sieht die Zigarette im Aschenbecher) Du rauchst? Seit wann rauchst du? Ich meine, es geht mich ja nichts an, aber das ist nicht ganz ungefährlich, mit all dem – (Will sagen „Papier", schaut zu den Zeitungsstößen, sieht die brennenden Kerzen.) Ich glaub es nicht! (Er bläst und löscht alle Kerzen aus.) Weißt du, wie viele alte Menschen in ihren Wohnungen verbrennen? Warum seid ihr wie die Kinder, ihr alten Leute? Vollkommen verantwortungslos! Das ganze Haus kann abbrennen!

    Marion: (hat sich gesetzt, legt verlegen ihr Puzzle) Entschuldigung.

    Heinz: Einmal ist es die Herdplatte, dann wieder das Bügeleisen, ständig muss man sich Sorgen machen um dich.

    Marion ärgert sich über die dauernden Vorwürfe.

    Heinz: Ich hab dir (deutet) so große Zettel ausgedruckt. „Herd abschalten! Bügeleisen ausschalten! Wasser bei der Waschmaschine abdrehen! Schlüssel nicht draußen an der Wohnungstür stecken lassen!" Und wo sind diese Zettel? Du wirfst sie weg. (Er ist fertig mit dem Kerzen­auslöschen, sieht die 2.000 Euro am Tisch.) Ich verwahr das für dich, es sind ausländische Banden unterwegs. (Steckt das Geld ein, sieht die Kognakflasche und das Glas.) Kognak? (Schaut Marion an.) Na ja, war kalt am Friedhof. Oder war das dieser Mann?

    Marion: Welcher Mann?

    Heinz: Die Hausmeisterin hat gesagt, du hättest beim Einparken einen Mann angefahren. Du kannst es nicht lassen, was?

    Marion: Ich hab ihn nur angestupst.

    Heinz: Die Hausmeisterin sagt, du hast ihn mitgenommen, in die Wohnung.

    Marion: Ja, er war hier. Ich wollte sichergehen, dass er nicht verletzt ist. Er hat eine Zigarette geraucht, einen Kognak getrunken und ist wieder gegangen.

    Heinz: Warum hast du uns denn angelogen, Tante Marion?

    Marion: Wieso angelogen?

    Heinz: Wir wollten dich abholen. Du hast gesagt, du kommst mit dem Taxi zum Begräbnis.

    Marion: Auto fahren ist meine Leidenschaft.

    Heinz: Du darfst nicht mehr Auto fahren, Tante, das weißt du. Und lügen darf man auch nicht. Lügen tun nur Kinder. Und die sind unmündig. Und die werden bestraft fürs Lügen. (Nimmt ihre Handtasche, holt den Autoschlüssel heraus, schüttelt lachend den Kopf.) Wie viele Reserveschlüssel hast du denn noch? (Steckt den Schlüssel ein.) Na, egal. Ich hab jetzt einen Käufer gefunden, für deinen Wagen.

    Marion: Ah, schon gefunden? Schon eine Probefahrt gemacht?

    Heinz: Alles erledigt. Er zahlt viertausend. Die leg ich für dich an.

    Marion legt gekränkt ihr Puzzle.

    Heinz: (gütlich) Tante Marion, du brauchst doch kein Auto mehr. Wo willst du denn hin?

    Sie antwortet nicht.

    Heinz: (setzt sich) Und jetzt zur Sache. Kein Aufschub mehr, keine Ausreden. Onkel Thomas ist unter der Erde und wir müssen die Dinge endlich ins Reine bringen. Also versuch dich bitte zu erinnern. Wo ist das Geld?

    Marion: Welches Geld?

    Heinz: Das nicht auf der Bank liegt.

    Marion: Du warst auf meiner Bank?

    Heinz: Natürlich war ich auf deiner Bank.

    Marion: Wer gibt dir das Recht, mein Konto anzuschauen?

    Heinz: (nachsichtig) Das Gericht. Ich bin dein Sachwalter. Hast du das schon wieder vergessen?

    Marion: Ungeheuerlich.

    Heinz: Und dabei hat sich Folgendes herausgestellt: Dein Mann, mein Onkel Thomas, ging jeden Fünften des Monats auf die Bank und hat alles abgehoben, deine Rente und auch die seine. Und du hast diese Tradition fortgesetzt, nachdem er weg war.

    Marion: Ich kann mich nicht erinnern.

    Heinz: Bei der Geldumstellung bist du mit einem Plastiksack voller Schillingscheine in der Bank aufgetaucht, hast alles in Euro umgewechselt und wieder mitgenommen.

    Marion antwortet nicht.

    Heinz: Tante! Es ist dein Geld. Niemand nimmt es dir weg. Du kannst damit machen, was du willst. Es soll nur nicht irgendwo verrotten. Geld muss arbeiten. Geld verdient neues Geld.

    Marion: Mein Geld braucht kein neues mehr zu verdienen. Mein Geld darf sich ausruhen.

    Heinz schaut sie konsterniert an.

    Marion: Ich hab kein Geld, Heinz, wirklich nicht. Also, nicht so viel, wie du anscheinend glaubst.

    Heinz: Ja, wo ist es denn? Hast du’s der Kirche gegeben? Oder dem Tierschutzverein? Den Hungernden in der Dürrezone?

    Marion: Ich hab bei den Versandhäusern einiges bestellt.

    Heinz: Das weiß ich. Deshalb bist du entmündigt worden.

    Marion: Ja, deshalb hast du mich entmündigen lassen.

    Heinz: Nicht ich, Tante. Ich wollte das nicht.

    Marion: Du hast mir den Amtsarzt geschickt.

    Heinz: Der Anwalt des Versandhauses hat dich angezeigt und der Richter hat den Amtsarzt geschickt. Du hast deine Einkäufe nicht bezahlt, Tante Marion. Trotz vieler Mahnungen.

    Marion: Ich hab den Überblick verloren. Außerdem ist mein Post­kasten mehrmals aufgebrochen worden.

    Heinz wühlt in einem Karton mit Briefsendungen, der neben ihm am Boden steht.

    Heinz: Da! Da! Mahnungen über Mahnungen! (Zeigt vor.) Du hast die meisten Briefe überhaupt nicht geöffnet!

    Marion antwortet nicht, legt ihr Puzzle.

    Heinz: Wie auch immer, dafür ist bestimmt nicht das ganze Geld draufgegangen, ich hab das nachgerechnet. (Deutet auf die im Raum verstreuten Sachen.) Dieser ganze Plunder ist doch nichts wert.

    Marion: Ich hab viel ins Pflegeheim getragen. Damit sie meinen Mann gut behandeln.

    Heinz: Dein Mann und du, ihr hebt seit 20 Jahren das ganze Geld ab! Wo ist es? Wo? Ich hab eine Engelsgeduld, das weißt du. Aber irgendwann platzt auch mir der Kragen. Wie komm ich denn dazu, hier Polizei zu spielen?

    Marion: Manchmal war ich ja auf Kur.

    Heinz: Hat die Krankenkasse bezahlt.

    Marion: Bücher hab ich mir gekauft, und Kaffee und Kuchen, mindestens dreimal in der Woche. Deiner Frau hab ich Geld gegeben, wenn die Haushaltskasse leer war. Und deinen Kindern hab ich Geschenke gemacht. Und heimlich Taschengeld zugesteckt.

    Heinz: Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig. (Schaut sich um.) Wir müssen die ganze Wohnung auf den Kopf stellen.

    Marion: Du würdest nichts finden.

    Heinz: Über eine Million hast du, Tante Marion. Mindestens über eine Million. Ich sag dir was: Einen Teil leg ich dir gewinnbringend an und mit dem Rest kannst du dich in eine komfortable Seniorenresidenz einkaufen. Dann bist du nicht mehr so einsam.

    Marion: Wenn ich zu euch ziehen dürfte, wär ich auch nicht einsam.

    Er schaut sie an.

    Marion: Ich hab lieber jüngere Leute um mich, weißt du.

    Heinz: Meine Frau will das nicht, Tante Marion.

    Marion: Ich könnte mich um die Kinder kümmern. Ihnen Nachhilfe geben.

    Heinz: Der Computer kümmert sich um sie. Die Spielkonsole. Die beiden haben eine Reaktionsschnelligkeit, die könnten sofort einen Kampfjet fliegen. Wenn Sie weiterhin so wenig Respekt mir gegenüber zeigen, schick ich Sie in den Krieg.

    Marion: Ich könnte für euch kochen.

    Heinz: Du kochst wie eine Bäuerin. Viel zu schwer, viel zu fett. Ich vertrag das nicht. Und die Kinder gehen sowieso auseinander wie Hefeteig.

    Marion: Meinem Mann hat mein Essen immer geschmeckt.

    Heinz: Du brauchst doch wirklich nicht mehr am Herd zu stehen, in deinem Alter. Mach dir eine schöne Zeit. Genieß die letzten Jahre.

    Marion schaut vor sich hin.

    Heinz: Allerdings – wenn du mir sagst, wo das Geld ist, dann könnte ich meine Frau vielleicht überzeugen. Ich könnte ihr sagen, du zahlst Miete und hilfst uns ein wenig bei der Hypothek fürs Haus.

    Marion: Ich weiß von keinem Geld, Heinz.

    Heinz: Dann gibt’s Probleme, Tante Marion, fürchte ich. Der Amtsarzt wollte dir schon bei der ersten Untersuchung eine Demenz anhängen.

    Marion: Ich bin nicht dement!

    Heinz: Natürlich nicht. Ich hab ihm das auch ausgeredet. Aber wenn er das mit dem Geld erfährt ... Ich sag’s ungern, aber der schickt dich ins Heim. Und bestimmt nicht in eine Seniorenresidenz.

    Marion: Was ist denn das für eine Zeit? Ein alter Mensch hat das Recht, etwas vergesslich zu werden! Deshalb kann man ihn doch nicht ins Heim stecken!

    Heinz: Hast du es bei Onkel Thomas anders gemacht?

    Marion: Das kann man nicht vergleichen!

    Heinz: Entzieht sich meiner Beurteilung, ich hab ihn zum letzten Mal als Kind gesehen. Ist mir damals schon uralt vorgekommen.

    Marion: Ich werd darüber nachdenken, wo das Geld sein könnte.

    Heinz: Bitte. Sei so gut. (Steht auf, geht weg, dreht sich um.) Möchtest du für ein paar Tage zu uns kommen? Würde dich ablenken.

    Marion: Nein, danke, geht schon. Ich hab meinen Mann schon lange begraben, nicht erst heute.

    Heinz: (geht weg, dreht sich um) Ich schick dir jemanden, der endlich das Altpapier entsorgt.

    Marion: Die Zeitungen bleiben da! Ich hab sie noch nicht alle gelesen!

    Heinz: Sei nicht kindisch, Tante. Der Kaminkehrer hat mir gesagt, er holt die Feuerpolizei, wenn das Papier nicht bald verschwindet. (Verlässt die Wohnung.)

    Marion starrt vor sich hin. Der Mann klopft ungeduldig an die Schranktür, sie hört es zuerst nicht, er trommelt ungeduldiger, sie geht hin, macht auf, hilft ihm aus dem Schrank. Er humpelt nicht mehr, es fällt ihr nicht auf.

    Mann: Darf ich jetzt bitte erfahren, warum Sie mich in den Schrank gesteckt haben?

    Marion: Ich weiß nicht, es war so ein Impuls.

    Mann: Komischer Impuls. Machen Sie das mit allen Besuchern?

    Marion: Ich hab keine Besucher. Außer meinem Neffen.

    Mann: Sagen Sie ihm ja nicht, wo das Geld ist. Sonst sind Sie ein paar Stunden später im Heim.

    Marion: Ich hab kein Geld. Ehrlich nicht.

    Mann: Gut so, immer bei diesem Standpunkt bleiben. Geben Sie ihm hin und wieder ein paar Scheine. Ohne die Quelle zu nennen. – So, im Kasten stehen macht hungrig. Kochen Sie uns was Gutes, Frau Liebherr?

    Marion: Aber gern. Vorausgesetzt, Sie mögen fette Kost.

    Mann: Immer!

    Marion: (nimmt die Einkaufstasche) Dann kommen Sie, ich steh so ungern allein in der Küche.

    Er geht zu ihr, sie sieht, dass er nicht humpelt, er humpelt gleich wieder, stöhnt dabei.

    Marion: (deutet zum Schirmständer) Schaun Sie, da ist ein Stock.

    Mann: Ich brauch keinen Stock. Ich hasse Stöcke. Nimmst du einen Stock, führt der dich nur einen Weg, den Weg zum Grab.

    Marion: Ein Bergwanderer hat auch einen Stock.

    Mann: Ich strebe nicht nach Höherem. Bin ich Zarathustra?

    Sie schaut seine Kleidung an.

    Marion: Aber Sie sollten sich was anderes anziehen, schaut aus, als hätten Sie in Ihren Kleidern geschlafen.

    Mann: Allerdings. Überstürzter Aufbruch. Keine Zeit zum Kofferpacken.

    Marion: Ich glaub, Sie haben dieselbe Größe wie mein Mann.

    Mann: Ich zieh mir doch nicht die Kleider eines Verstorbenen an.

    Marion: Wie Sie meinen. Aber ein Bad dürfte fällig sein.

    Mann: Ich nehm gern ein heißes Bad. Ich hab mir Frostbeulen zuge­zogen, da draußen, in der Eiseskälte.

    Die beiden verschwinden in die Küche.

    Das Chevalier-Lied ertönt.

    2. BILD

    Nacht. Licht von der Straßenbeleuchtung scheint durch das Fenster. Die Kerzen brennen alle wieder.

    Der Mann (angezogen wie vorhin) irrt zwischen den Zeitungs- und Bücher­stößen und Kartons herum.

    Mann: (murmelt, manchmal versteht man ihn gar nicht) Sein Blick, sein Blick, so müd geworden, dass er ..., vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden ... Ihm ist, als ob es, als ob es tausend Stäbe, tausend Stäbe ... dahinter keine Welt? Oder? Der weiche Gang, der weiche Gang! Der weiche Gang ... geschmeidig starker Schritte ...! (Lacht bitter.) ... der sich im, sich im Kreise dreht, verdammt! Ist wie, ist wie ein Tanz von Kraft ... Kraft ... Kraft ... Die Mitte, in der Mitte steht ... betäubt, betäubt, betäubt ... ein Wille, Wille ...! Der Vorhang ... Nur manchmal schiebt der Vorhang sich ... schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf ... (Schaut in den Spiegel am Garderobenschrank.) Dann geht ein Bild hinein ... (Gequält:) Dann geht ein Bild hinein ... dann geht ein Bild hinein ...! (Er zieht den Stock aus dem Schirmständer, zerschlägt damit den Spiegel, setzt sich auf einen Zeitungsstoß. Verzweifelt:) Ich halt das nicht mehr aus! Ich halt das nicht mehr aus!

    Marion ist bei den letzten Sätzen als dunkler Schatten erschienen, verharrte bewegungslos. Nun kommt sie zu ihm. Sie ist angezogen wie vorhin. Sie hilft ihm auf, führt ihn in sein Zimmer.

    Das Chevalier-Lied ertönt.

    3. BILD

    Morgen. Die Kerzen brennen.

    Marion führt den Mann herein, er humpelt nicht. Beide tragen dieselbe Kleidung wie vorhin.

    Mann: Was ist passiert?

    Marion: Sie sind mir ins Auto gelaufen.

    Mann: Na, dann wundert es mich nicht, dass es mir so miserabel geht. Als hätte man mich in einen Betonmischer gesteckt.

    Sie setzt ihn hin.

    Marion: Sie haben mich ausgesucht. Sie haben sich absichtlich anfahren lassen.

    Mann: Wie bitte? Wer lässt sich denn absichtlich von einem Auto anfahren? Seh ich aus wie ein Selbstmörder? Nur junge Menschen bringen sich um.

    Marion: (krempelt sein Hosenbein hoch) Da ist nichts! Nichts! Ich hab’s ja gewusst!

    Mann: Lassen Sie mein Bein in Ruhe! Haben Sie Röntgenaugen, oder was? Außerdem bin ich auf den Kopf gefallen. Ich hab ein Schädeltrauma!

    Marion: Sie sind gegen ein geparktes Auto getaumelt, das ist alles.

    Mann: Ich brauch jetzt einen Kognak.

    Marion: Es ist acht Uhr in der Früh.

    Mann: Es ist acht Uhr in der Früh?

    Marion: Und Sie haben nicht gefrühstückt. Man muss frühstücken.

    Mann: Na, entschuldigen Sie, ich hab einen Schock. Man wird ja nicht jeden Tag von einem Auto angefahren.

    Marion: Das war gestern. Der Schock könnte schön langsam nachlassen.

    Mann: Einen Saustall haben Sie hier, das ist ja unglaublich.

    Marion: Sie können ja den Saustall jederzeit verlassen.

    Mann: (starrt auf die Zeitungen) War ich schon einmal in dieser Wohnung?

    Marion: Sagen Sie es mir.

    Mann: Bestimmt nicht. In so einem Saustall würde ich es keine fünf Minuten aushalten. (Stößt mit dem Fuß einen Zeitungsstapel um.) Das ist ja alles längst nicht mehr wahr.

    Marion: Das ist unser Leben. Auch Deines.

    Mann: Duzen Sie mich gefälligst nicht. Mein Leben ist da ganz bestimmt nicht drin. Darf ich wenigstens eine rauchen?

    Marion: Nicht ohne Frühstück.

    Er schaut sich um, sieht die Zigarettenpackung, nimmt sie, Marion nimmt ihm die Packung weg.

    Marion: Nicht ohne Frühstück.

    Mann: Also, ich geh jetzt wieder.

    Er steht auf, geht zur Tür, sie geht ihm nach, gibt ihm ungehalten die Zigarettenpackung, er setzt sich, zündet sich eine Zigarette an.

    Mann: Pfui Teufel! (Macht die Zigarette aus.) Sie können einem auch alles verderben. Meine Frau hat das genauso gemacht. Ständig! Bin ich froh, dass ich Sie los bin.

    Marion: Lebt sie nicht mehr?

    Mann: Woher soll ich das wissen? Ich hab sie lange nicht mehr gesehen.

    Marion: Sie sind geschieden?

    Mann: Scheidung gibt’s nicht. Das gehört sich nicht.

    Marion: Dann leben Sie also getrennt?

    Mann: Wird wohl so sein.

    Marion: Es hapert mit Ihrem Gedächtnis, was?

    Mann: Seit Sie mich angefahren haben, bin ich nicht mehr derselbe.

    Eine Weile Schweigen. Sie legt das Puzzle.

    Mann: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

    Marion: Hervorragend.

    Mann: Hört man selten von alten Leuten.

    Marion: Na ja, die Knie, der Rücken, die Halswirbelsäule, die Hammerzehen ... Das Gedächtnis lässt nach ... Sonst bin ich kerngesund. Und Sie?

    Mann: Was soll einer sagen, der gerade von einem Auto gerammt wurde?

    Sie lächelt nachsichtig.

    Mann: Ist das fad, wenn man alt ist.

    Marion: Wir könnten ins Kaffeehaus gehen.

    Mann: Gute Idee. Könnte ich Frauen anschauen. Junge Frauen. Wenn man eine alte Haut hat, ist man verrückt nach samtiger, junger Haut. Nur schauen, das genügt schon. Im Sommer sind sie leicht bekleidet.

    Marion: Wir haben Winter.

    Mann: Dann bleib ich lieber zu Hause. Außerdem ertrag ich das Stimmengewirr nicht.

    Marion: Mit meinen Freundinnen war ich oft im Kaffeehaus. Es ist angenehm, einfach so zu plaudern. Über nichts.

    Mann: Ich weiß. Ihr plaudert über eure verstorbenen Ehemänner.

    Marion: Worüber auch immer. Jetzt geh ich kaum mehr ins Kaffeehaus. Allein ist die Einsamkeit dort noch unerträglicher als zu Hause. Man schaut sich selber beim Kuchenessen zu.

    Mann: Haben Sie sich zerstritten, mit Ihren Freundinnen?

    Marion: Sie sind tot oder im Altersheim.

    Mann: Meine leben bestimmt noch. Sind ja auch wesentlich jünger als ich. Aber ich weiß nicht, wo sie hingekommen sind.

    Marion: Ihre Freundinnen?

    Mann: Richtig.

    Marion: Sie waren ein untreuer Ehemann?

    Mann: Ziemlich untreu.

    Marion: Hat das Ihre Frau gewusst?

    Mann: Anzunehmen. Die Frauen wissen ja immer alles.

    Marion: Das war nicht nett von Ihnen.

    Mann: Ich bin nicht nett. Das heißt, wenn ich nach Hause gekommen bin, von der anderen Frau, da war ich sehr nett zu ihr. Vielleicht hat sie es deshalb hingenommen.

    Marion: Und sie? War sie treu?

    Mann: Ich glaub schon. Das möcht ich ihr geraten haben.

    Marion: Vielleicht ist es doch besser, wenn Sie jetzt gehen.

    Mann: Aber das schlechte Gewissen hat mich geplagt. Immer.

    Marion: Haben Sie gehört? Ich möchte, dass Sie gehen.

    Mann: Wohin soll ich denn gehen?

    Marion: Dorthin, wo Sie herkamen.

    Mann: Ich geh nicht hin, wo ich herkam. Das ist kein guter Ort.

    Marion: Sie haben über Ihre Frau nichts weiter zu sagen? Außer, dass Sie ihr raten, treu gewesen zu sein? Was sind Sie für ein Ehemann?

    Mann: (nach einer Weile) Ich befürchte, ich war kein guter Ehemann. Was soll ich mehr sagen? Aber sie kann sich beruhigen. Ich hab die schönen Momente alle vergessen. Alles weg.

    Sie schaut ihn an.

    Mann: Wissen Sie, mein Gedächtnis ... Es lässt mich immer öfter im Stich. Manchmal bin ich vollkommen klar ... Und dann auf einmal nur mehr Erinnerungsfetzen ... Bilder, gestörte Bilder ... Wie bei schlechtem Fernsehempfang. Und jemand schaltet ständig um, mit der Fernbedienung. Das bin aber nicht ich. Am schlimmsten ist es, wenn die Fernbedienung mich ausschaltet. Blackout, Mattscheibe ... Früher hab ich viele Gedichte auswendig aufsagen können. Jetzt auch nur mehr Fetzen davon.

    Marion: Das tut mir leid. Wird bestimmt wieder besser. Das menschliche Gehirn ist wie ein Regenwurm.

    Mann: Ich bin als Ganzes nur noch ein Wurm. Aber da regeneriert sich nichts mehr. Ich sterbe von beiden Enden her ab. Ich bin sehr müde. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geschlafen hab. Ist wohl eine Ewigkeit her.

    Marion: Sie waren die ganze Nacht unterwegs. Ich hab kein Auge zugetan.

    Mann: Möglicherweise bin ich Schlaftabletten gewöhnt. Haben Sie welche?

    Marion: Ja, ich hab welche.

    Mann: Kann ich eine oder zwei haben, wenn es Nacht wird?

    Marion: Sicher. Ich kann selber nicht schlafen ohne das Zeug.

    Mann: Wie war jetzt Ihr Name?

    Marion: Marion Liebherr.

    Mann: Danke, Frau Liebherr. Traumlos schlafen ... Sehr ungesund. Aber was soll man machen ...?

    Marion: Warum traumlos?

    Mann: Schlafmittel töten die Träume.

    Marion: Hab ich nicht gewusst, Herr Altmann.

    Mann: Wie bitte?

    Marion: Ich hab das nicht gewusst.

    Mann: Nein, wieso nennen Sie mich Altmann? Wollen Sie sich lustig machen über mich?

    Marion: Sie haben sich so vorgestellt, mit diesem Namen.

    Mann: Hab ich das?

    Marion: Allerdings.

    Mann: (schaut auf seine Handfläche, wo der Name geschrieben steht) Ich benutze verschiedene Namen. Manchmal komm ich durcheinander.

    Marion: Warum benutzen Sie falsche Namen?

    Mann: Ich werde verfolgt.

    Marion: Von wem?

    Mann: Das weiß ich nicht. Man versucht jedenfalls ständig, mich nieder­zufahren.

    Marion: Ich hab nicht versucht, Sie niederzufahren!

    Mann: Sie sind eine Ausnahme. Bei Ihnen war es keine Absicht, sondern mangelnde Konzentration auf Grund von Gehirnverkalkung. Wann kommt eigentlich Ihr Mann nach Hause? Ich will keine Probleme haben.

    Marion: Mein Mann ist vor einer Woche gestorben.

    Mann: Beileid.

    Marion: Danke.

    Mann: Haben Sie ihn noch einmal gesehen? Ich meine, als er tot war.

    Marion: Nein. Ich wollte das nicht.

    Mann: Warum nicht?

    Marion: Ich hab schon so viele leblose Hüllen gesehen ... Meinen Vater, meine Mutter, drei Geschwister, meinen Sohn ... Ich wollte meinen Mann als Lebenden in Erinnerung behalten. Er war so voller Energie. So voller Lebenskraft. Dabei so geschmeidig ... Wie ein Panther.

    Mann: Wie ein Panther! So was Blödes! Also einen blöderen Vergleich hab ich jetzt noch nie gehört!

    Marion: Wenn Sie ihn gekannt hätten, würden Sie mir zustimmen. Und er hat so viel Humor gehabt. Gott, was haben wir zusammen gelacht! Allerdings, je älter er geworden ist, umso spitzer ist sein Humor geworden. Zynisch. Manchmal verletzend. Da sind Sie ihm sehr ähnlich.

    Mann: Ich hab überhaupt keinen Humor. Nie gehabt. Kann mich jedenfalls nicht erinnern. Bitte, wann war ich zynisch Ihnen gegenüber?

    Marion: Es war ihm genauso wenig bewusst wie Ihnen, Herr Altmann.

    Mann: (will sich aufregen, besinnt sich; dann) Ist er lange krank gewesen?

    Marion: Sehr lange.

    Mann: Krankenhaus?

    Marion: Pflegeheim.

    Mann: Sie haben ihn abgeschoben?

    Marion: Woher nehmen Sie das Recht, so mit mir zu reden?

    Mann: Entschuldigung.

    Schweigen.

    Mann: Was hat er für einen Beruf gehabt?

    Marion: Er war ebenfalls Lehrer. Professor für Literatur. (Deutet auf die Zeitungs- und Bücherstöße.) Das ist alles von ihm.

    Mann: Das ist nicht von Ihnen?

    Marion: Nein, das ist alles von ihm.

    Mann: Wieso haben Sie den Krempel nicht weggeworfen?

    Marion: Das ist kein Krempel.

    Mann: Es ist Altpapier, das muss raus. (Er stößt mit dem Fuß einen Stapel um, bückt sich, hebt einen Geldschein auf.) Da ist Geld.

    Marion: Oh mein Gott, und er hat gesagt, er schickt mir jemanden, um das Papier zu entsorgen! (Sie kniet sich hin, löscht die Kerzen aus, beginnt in den Zeitungsstößen nach Geld zu suchen.)

    Mann: Wer hat das gesagt?

    Marion: Mein Neffe Heinz! (Sie findet Geld, legt die Scheine und Bündel auf den Boden.)

    Mann: Wieso legen Sie Ihr Geld zwischen Zeitungen?

    Marion: Ich hatte schon drei Trickbetrüger in der Wohnung. Und da hab ich hin und wieder ein paar Scheine ... (Sie findet immer mehr Geld, ganze Bündel davon.) Nein, so was! Wie ist das möglich?

    Mann: Mit der Zeit läppert sich das zusammen.

    Marion: Mein Mann! Das muss tatsächlich mein Mann gewesen sein! Bitte helfen Sie mir, Herr Altmann!

    Der Mann stellt die Kerze von einem Zeitungsstapel, setzt sich drauf, beginnt nachlässig Geld zu suchen, findet auch welches, wirft es achtlos zu Boden. Marion findet ganz unten in einem Zeitungsstoß ein Sparbuch, schaut es an.

    Marion: Oh, das ist aber lange her. Hat wohl mein Mann angelegt. (Sie legt es zu den Banknoten, sucht weiter.)

    Mann: Deshalb haben Sie die Zeitungen nicht weggeworfen. Das ist Ihr Tresor.

    Marion: Ich habe sie nicht weggeworfen, weil sie eine Erinnerung an meinen Mann sind.

    Mann: Sehr ehrenwert. Jetzt müssen Sie aber ein neues Versteck finden. Ich würde Ihnen raten, ein Bankkonto anzulegen.

    Marion: Das geht nicht! Ich bin entmündigt, mein Neffe ist mein Vormund. Bitte nehmen Sie es zu sich. Bitte!

    Mann: Warum vertrauen Sie mir? Ich bin ein Fremder mit einem falschen Namen.

    Sie rafft die Banknoten und das Sparbuch zusammen, geht zu ihm, steckt ihm alles in die Rock- und Hosentaschen, behält ein paar Scheine, steckt sie ein.

    Plötzlich kommt Heinz herein (modischer Geschäftsanzug), Wohnungsschlüssel in der einen, Aktenkoffer in der anderen Hand. Er schaut erstaunt auf den Mann.

    Heinz: Wer sind denn Sie?

    Marion: Ich glaube es nicht! Du hast gefälligst zu läuten!

    Heinz: Also, bitte, wer sind Sie?

    Der Mann starrt ihn an.

    Heinz: Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, oder was?

    Der Mann greift in die Innentasche seines Rocks, holt einen Ausweis hervor, zieht dabei ein paar der Banknoten mit heraus.

    Mann: Ich sollte mir wirklich wieder eine Brieftasche zulegen. Was ich schon Geld verloren hab ...

    Er reicht Heinz den Ausweis, dieser nimmt ihn erstaunt.

    Heinz: Na, so war das nicht gemeint, ich bin ja nicht von der Polizei.

    Mann: Ich verlange von jedem, den ich kennenlerne, den Ausweis. Prinzipiell! Heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein. Sind genug Schwindler und Hochstapler unterwegs.

    Heinz: Da haben Sie allerdings recht. (Liest im Ausweis:) Doktor Georg Altmann. (Schaut auf das Foto, schaut den Mann an.) Das Foto ist aber schon etwas sehr alt, was?

    Mann: Ich weiß, bei einer Einwanderungsbehörde würde ich damit nicht durchkommen. Aber ich verlasse das Land ja nicht mehr.

    Heinz: (gibt den Ausweis zurück) Sie besuchen meine Tante, Herr Doktor Altmann?

    Marion: Der Herr Doktor war ein Freund deines Onkels.

    Heinz: Ich versteh. Was sind Sie denn für ein Doktor?

    Mann: Psychiater.

    Heinz: Ah, Ödipuskomplex! Töte deinen Vater, heirate deine Mutter!

    Mann: Genau so.

    Heinz: Penisneid!

    Mann: Sie kennen sich ja wirklich aus. Arbeiten Sie auch in dieser Branche?

    Heinz: Nein, ich hab mit konkreten Dingen zu tun. Ich bin im Geld­geschäft. Anlageberater.

    Mann: Dann hantieren Sie oft mit Geldscheinen?

    Heinz: Doch nicht als Anlageberater.

    Mann: Was ist dann so konkret daran?

    Heinz: (sieht die herumliegenden Zeitungen) Wie schaut’s denn hier aus?

    Marion: Die zweitausend Euro, die du gestern sozusagen in Verwahrung genommen hast, die lagen in alten Zeitungen. Und ich hab mir gedacht, da ist vielleicht noch mehr. Ich werde wirklich etwas vergesslich.

    Heinz: Und?

    Marion: Leider nein.

    Heinz: Entschuldigen Sie, Herr Doktor Altmann, ich habe mit meiner Tante zu reden. Es ist wichtig.

    Mann: Bitte, reden Sie nur.

    Er setzt sich, Heinz schaut ihn verdutzt an.

    Marion: Ich glaub, es ist ganz gut, wenn ein Zeuge dabei ist, Heinz.

    Heinz: Wieso Zeuge?

    Marion deutet, er soll sich setzen, er tut es, sie setzt sich ebenfalls.

    Marion: Ich hab tatsächlich Geld, Heinz. Ziemlich viel.

    Heinz: (erfreut) Das hör ich aber jetzt gerne! Hast du dich doch erinnert! Und wo ist es?

    Marion: Ich hab es einer vertrauenswürdigen Person übergeben. Die verwaltet es für mich.

    Heinz: Ach, tatsächlich? Und wer ist diese Person?

    Marion: Das möcht ich lieber für mich behalten.

    Heinz: Ja, also, wie soll ich sagen ...? Es gibt ein Testament, Tante. Von Onkel Thomas. Bei einem Notar hinterlegt.

    Marion: Ja. Und?

    Heinz: Du bist die Alleinerbin. Aber ... ich bin sozusagen dein Vormund, Tante, so peinlich mir das ist. Ich verwalte dein Geld. Also nenn mir bitte deine Vertrauensperson. Sonst ... du weißt schon ... Ich könnte nichts mehr für dich tun, leider.

    Marion: Ein Vorschlag zur Güte. Du bekommst von mir 2.000 Euro im Monat. Und dafür lässt du mich in Ruhe.

    Heinz schaut sie an, ringt mit sich, beginnt zu weinen. Sie schauen ihn erstaunt an.

    Heinz: (weinend zum Mann) Gehen Sie weg, verlassen Sie sofort die Wohnung!

    Mann: Das kann ich nicht. Frau Liebherr braucht seelische Unterstützung, jetzt, nachdem ihr Ehemann verstorben ist.

    Heinz: Noch nie hab ich vor einem Mann geweint, noch nie! Ich schäm mich so!

    Mann:

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