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eBook346 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Der neue "Jedermann": Wie er wurde, was er ist

Mit 15 Jahren weiß er, dass er Schauspieler werden will, mit 17 geht er aufs Reinhardt Seminar, verlässt es aber nach einem Jahr und erlernt das Schauspielerhandwerk beim Kabarettisten Gerhard Bronner.

1989 hat Cornelius Obonya sein erstes Theaterengagement, es folgen Rollen in Film, Theater, Fernsehen und Hörfunk. Mit dem Einpersonenstück "Cordoba" und mit der Hauptrolle im Musical "The Producers" erreicht er große Popularität. In seinem Buch erzählt er offen von den Licht- und Schattenseiten seines Berufs, welche Persönlichkeiten ihn prägten, unter anderem am Volkstheater und am Burgtheater in Wien und an der Schaubühne Berlin, von den Vor- und Nachteilen, aus der Hörbiger-Familie zu stammen, die sich seit drei Generationen mit Leidenschaft dem Theater verschrieben hat, und wie er zum kritischen Geist wurde. Geschichten aus der Praxis des Theaters und aus einem Leben, das von Kindheit an mit der Welt der Bühne verbunden ist. Seinem Großvater Attila Hörbiger folgt er nun als "Jedermann" nach.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Nov. 2013
ISBN9783902862686
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    Buchvorschau

    Kommen Sie bitte weiter vor - Cornelius Obonya

    Cornelius Obonya

    Kommen Sie bitte weiter vor

    Cornelius Obonya

    Aufgezeichnet von Haide Tenner

    Kommen Sie bitte weiter vor

    Besuchen Sie uns im Internet unter: www.amalthea.at

    © 2013 by Amalthea Signum Verlag, Wien

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlaggestaltung: Silvia Wahrstätter, vielseitig.co.at

    Umschlagmotiv: © Marko Lipuš,

    Fotografie aus der Serie »Kratzungen Triptycha« (Cornelius Obonya)

    Herstellung und Satz: Gabi Adébisi-Schuster

    Gesetzt aus der Clara Serif 9,9/14,4

    Printed in the EU

    ISBN 978-3-85002-844-8

    eISBN: 978-3-902862-68-6

    Inhalt

    Prolog

    »Glaubt nicht alles!«

    Tradition und Familie

    Die Verkleidungskiste aus der Kindheit

    »Tritt nicht auf, sondern komm durch die Tür«

    Begegnungen mit Regisseurinnen und Regisseuren

    Kostüme, Requisiten und andere Geheimnisse

    Das Handwerk des Schauspielers

    Die Stimme ist das Schönste an mir

    Die Stimme als Instrument

    Der Körper als Instrument

    Der Knopf im Ohr

    Technische Hilfsmittel

    (Be)merkenswerte Stücke – und was ich nicht mag

    Raimund – Verschwender und Alpenkönig

    Der Kissenmann

    Liebe Jelena

    Heimfindevermögen

    Jugend ohne Gott

    Caligula

    Erlebnisse mit dem Publikum

    Die unsichtbare Angst

    Filmen: Eine Frage der Disziplin

    Die Mutprobe und die Angst um das eigene Kind

    Der Wettbewerb und der rot-grün bewegte Bürger

    Spanien und die Erfahrungen mit der Fremdenpolizei

    Mein Herz – niemandem!

    und der Bezug zwischen Kunst und Politik

    So wie du bist und der Umgang mit Behinderung

    Ein halbes Leben und der Umgang mit Rache und Gerechtigkeit

    Spuren des Bösen – Zauberberg und das Bild der anderen

    Meine Schwester – zwei Tanten und ein Cousin

    Die Heilerin – die Arbeit mit der Mutter

    Rien ne va plus – Kottan – die Großcousine

    TV-Serien

    Tatort/Granit und die wahren Geschichten

    Nur ein Schritt – eine wahre Geschichte im Kino

    Mein Mörder – eine weitere wahre Geschichte im Kino

    Man kann das alles wissen

    Der politisch interessierte Schauspieler

    Das Babyorakel

    Fortbewegungsmittel und Reisen

    Attila

    »Du kriegst deine Nackte«

    »Schau, der Jedermann!«

    So weit bin ich gekommen

    Der Blick in die Zukunft

    Epilog

    Rollenverzeichnis

    Theater

    Film

    Fernsehen

    Hörspiele

    Hörfunk (ORF/Ö1)

    Stammbaum der Familien Hörbiger und Wessely (Auswahl)

    Bildnachweis

    Personenregister

    Prolog

    »Für eine Biografie bin ich zu jung«, war die spontane Reaktion von Cornelius Obonya, als ich ihm in der Kantine des Burgtheaters ein gemeinsames Buch vorschlug. In einem meiner monatlichen Künstlergespräche am Wiener Burgtheater hatten wir einen äußerst angeregten Dialog geführt, und ich hatte dabei die große Bandbreite seiner Interessen und seines Wissens gespürt, ihn als besonders sympathische und nachdenkliche Persönlichkeit empfunden.

    Kommen Sie bitte weiter vor ist nun ein sehr persönliches Buch geworden über den Beruf des Schauspielers und die Leidenschaft für das Theater. In vielen Stunden Gespräch erlebte ich ihn als offenen, uneitlen und ehrlichen Menschen, fern jeder Selbstzufriedenheit und voller Neugier, auch auf politische und gesellschaftliche Fragen. Er erzählte mir von seiner Familie, von Begegnungen, vom Zauber und den Geheimnissen der Bühne.

    Den Sprachduktus und die Ausdrucksweise von Cornelius Obonya habe ich in diesem Buch nach Möglichkeit erhalten. Es blieben seine Erzählungen, die anhand persönlicher Erlebnisse besondere Einblicke in die Welt des Theaters ermöglichen. Der Redefluss wurde von mir dirigiert, und die Geschichten wurden geordnet. Meine Anmerkungen, Kommentare und Erläuterungen dienen als sachliche Ergänzungen. Die im Buch besprochenen Theaterstücke und Filme entsprechen der subjektiven Auswahl Cornelius Obonyas, Vollständigkeit ist dabei nicht angestrebt. Sie findet sich im Rollenverzeichnis im Anhang.

    »Kommen Sie bitte weiter vor« waren die ersten Worte, die jemals zu Cornelius Obonya auf einer Bühne gesagt wurden. Als sich der 17-Jährige am Max Reinhardt Seminar in Wien bewarb, wollte er für seinen Monolog vom Bühnenhintergrund nach vorne kommen, stand also nicht aus Schüchternheit, sondern aus Gespür für theatralische Effekte weit hinten. Im ersten Atemholen hörte er aus dem Zuschauerraum, wo die Professoren der Auswahljury saßen, diesen Satz. Es ist typisch für ihn, dass er der Aufforderung nicht Folge leistete. Und er ist dennoch weiter vorgekommen. So wurde er, was er ist.

    Cornelius Obonya gehört zu jenen Schauspielern, die sich nicht auf ein Genre festlegen lassen. Umso bunter ist die Palette seiner Tätigkeiten, umso vielschichtiger, was er über die Bühne zu sagen hat. Cabaret bei Gerhard Bronner, der Sensationserfolg Cordoba, in dem er als Solist 26 Rollen spielte, die Hauptrolle im Musical The Producers, Salzburgs Jedermann, Liederabende und Lesungen, Film- und Fernsehrollen von Literaturverfilmung bis Unterhaltungsserie, unzählige Radiosendungen und die unterschiedlichsten Theaterrollen in Deutschland und Österreich, berühmte Klassiker ebenso wie Uraufführungen ergeben ein spannendes Gesamtbild des Cornelius Obonya.

    Wien, im August 2013

    Haide Tenner

    »Glaubt nicht alles!«

    Meine Frau und ich haben vor ein paar Jahren im Orpheum einen sogenannten Terrorclown gesehen, den Italiener Leo Bassi. Das ist ein Clown, der ununterbrochen mit der Angst des Publikums spielt, plötzlich ausgewählt und auf die Bühne gezerrt zu werden. Er holt sich dann auch zwei Leute, aber bis dahin vergehen Stunden, denn das ist schon Teil des Ganzen. Er hat das als »stretto culo« bezeichnet, das »angespannte Popoloch« – die Angst, die man davor hat, geholt zu werden. Das Publikum zieht den Kopf ein: Gott sei Dank, vor mir sitzt ein Großer.

    Er holt sich dann tatsächlich zwei heraus und hypnotisiert sie. Und es funktioniert, die machen alles, was er sagt. Man denkt: Das ist fantastisch, ich wohne da wirklich einer Hypnose bei. Und am Ende erklärt er: Seid ihr alle irre geworden? Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass zwei frei gewählte Leute … Natürlich haben wir das vorher abgesprochen, was glaubt ihr denn? Wie vertrottelt könnt ihr sein? Die ganze Nummer hat nur den einen Sinn, dass ich euch zeigen wollte: Glaubt nicht alles, was ihr seht, hinterfragt die Dinge und denkt nach. Bevor ihr Angst habt, denkt nach. Denkt nach, bevor ihr etwas redet. Denkt, bevor ihr jubelt.

    Genau darum geht es auch bei Monty Python. Ein anderer Zugang, aber derselbe Effekt. Zum Beispiel in dem Film Life of Brian: die Angst weglachen, die einem von der Amtskirche gerne eingeredet wird. Da bin auch ich ein gebranntes Kind. Systeme grundsätzlich mit Humor zu hinterfragen, die Dinge hochzunehmen, nicht ernst zu nehmen, Bürgerlichkeiten, Spießigkeiten, Gewissheiten infrage zu stellen, das ist Monty Python. Und das ist auch ein Prinzip meines Lebens.

    Tradition und Familie

    Dass die Liebe zum Theater von Generation zu Generation weitergegeben werden kann, dafür ist die bedeutendste Schauspielerdynastie Österreichs ein eindrucksvolles Beispiel. Am Beginn steht Josephine Wessely, Ende des 19. Jahrhunderts Schauspielerin am k.u.k. Hofburgtheater. Sie wurde nur 27 Jahre alt.

    Die nahtlose Reihe beginnt jedoch mit ihrer Nichte Paula Wessely, verheiratet mit Attila Hörbiger, beide geliebt, bewundert und wegen ihrer Haltung in der Nazizeit kritisiert und angefeindet, und mit Paul Hörbiger, dem beliebten Volksschauspieler. Elisabeth Orth, eine der Töchter des Schauspielerehepaares (sie hat den Mädchennamen ihrer Großmutter als Künstlernamen gewählt) und selbst eine der herausragendsten Schauspielerinnen des deutschen Sprachraums, heiratet den Burgschauspieler Hanns Obonya. Ihr Sohn, Cornelius Obonya, wächst daher in einer Welt auf, in der das Theater Mittelpunkt und Selbstverständlichkeit ist. Eltern und Tanten (Christiane und Maresa Hörbiger) prägen sein Weltbild. Später werden auch seine Cousins Sascha Bigler und Manuel Witting Teil dieser Theaterwelt.

    Alle drei Hörbiger-Töchter haben jeweils einen Sohn, der in der Welt von Film und Theater arbeitet. Und alle drei Söhne haben wieder Söhne (sogar in der gleichen Altersreihenfolge), die noch sehr klein sind, aber auch mit der Selbstverständlichkeit des Theaters aufwachsen.

    Mein erster Theatereindruck, an den ich mich erinnern kann, war Der Verschwender im Burgtheater. Raimund mit meinem Großvater. Walther Reyer war Flottwell. Mein Großvater hat den Zauberer gespielt, der ihm sagt: Ich versteck dir dein Geld, ich vergrab das hier. Das war ein großer Eindruck vor allem deshalb, weil mein Vater damals für einen erkrankten Kollegen einen der beiden Baumeister am Anfang übernommen hat. Ich war sechs oder sieben Jahre alt und fürchtete mich nach der Vorstellung noch stundenlang. Im zweiten Teil gab es eine Szene mit einem Boot mit zerfetztem Segel, und in meiner Erinnerung verbindet sich das mit echtem Blitz-und-Donner-Ton. Als ich dann hinter die Bühne geführt wurde und ein paar Sachen anschauen durfte, habe ich mich, glaube ich, vor diesem zerfetzten Segelboot sehr gefürchtet.

    Das ist mein erster wirklicher Theatereindruck. Ansonsten habe ich Theater nur so mitbekommen, dass es das große Textlernen gab – hauptsächlich meiner Mutter. Verbunden mit einer gewissen Angst. Der Text war für meine Mutter immer das Allerwichtigste. Wenn ich später, nach diesem Verschwender, im Theater saß und meine Mutter auf der Bühne sah, dachte ich mir im Zuschauerraum immer: Hoffentlich kann sie den Text. Das habe ich von zu Hause mitbekommen, dass das offensichtlich eine Mühe bzw. ein Problem darstellt.

    Als ich dann selber diesen Beruf anfing, habe ich mir sofort eine Textangstlosigkeit antrainiert, denn dieses Problem wollte ich nicht haben und ich habe es auch nicht. Ich lerne vollständig anders Text als meine Mutter: Sie ist darauf angewiesen, abgehört zu werden. Das Abhören löst bei mir jedoch grundsätzliche Panik aus, vergleichbar der Prüfungsangst in der Schule. Ich bin in dieser Hinsicht absolut Solist oder Alleinlerner. Meine Frau sagt immer: Wir müssen das Parkett in der Küche bald auswechseln, weil du da einen Graben hineingegangen hast. Denn ich bin ein manischer Auf-und-ab-Geher.

    Die Disziplin habe ich von meiner Mutter gelernt, denn mein Vater hatte keine Disziplin. Er war ein purer Bauchmensch. Hanns Obonya war ein beliebter Einspringer, weil er aberwitzig schnell auswendig lernen konnte. Für ihn war alles spielerisch. Er kam aus einer anderen, anstrengungsloseren Ecke. Mein Vater las die Textseite und konnte sie, weil er im Kopf ein Foto davon machte. Das kann ich nicht. Aber ich habe mir sehr schnell angewöhnt, ganz streng nach Sinn zu lernen. Ich versuche Text so zu lernen, dass ich, wenn mir tatsächlich der Satz, wie er gehört, nicht einfallen sollte, problemlos einen Satz in der vorgegebenen Sprache erfinden könnte. So, dass es das Publikum nicht merkt.

    Auf dem Weg ins Leben

    Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht vorbereitet bin. Ohne Hausübung geht es nicht. Aber ich lerne sehr schnell.

    Ab dem Alter von fünf, sechs Jahren, wahrscheinlich schon seit ich gehen konnte, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern, wurde ich hinter die Bühne mitgenommen und durfte auch die Schwerter anfassen. Natürlich waren die Waffen damals das Interessanteste. Eine faszinierende Welt.

    Heute ist die Hinterbühne für mich ein heiliger Raum. Gewisse Dinge haben da zu passieren oder haben nicht zu passieren. Wenn man im Burgtheater hinaufschaut in die Schwärze, und man sieht vor lauter Größe die Decke schon kaum mehr – das ist mein Schutzraum. Das ist der Raum, in dem ich mich bewege. Da kenne ich alles.

    Ich bin nicht abergläubisch, aber es gibt im Zusammenhang mit der Bühne viele Gesetze. Zum Beispiel, dass man nicht mit einer Kopfbedeckung, auch nicht mit Essen und Trinken quer über die Bühne geht. Man pfeift nicht in einem Theater. Das sind alles Regeln, die langsam verschwinden.

    Auch meine Mutter hat darauf bestanden. Nicht auf dem Aberglauben, aber darauf, dass es gewisse Dinge gibt, die man nicht tut. Da kann sie richtig aggressiv werden. Es geht darum, etwas Besonderes aufrechtzuerhalten. Das Theater, die Bühne ist ein heiliger Raum. Man befindet sich eben nicht auf der Straße, nicht im Wohnzimmer, nicht in der Küche, sondern hier soll eine magische Welt entstehen für ein zahlendes Publikum.

    Es gab an der Schaubühne in Berlin, wo ich in den Neunzigerjahren engagiert war, einen klein gewachsenen Techniker, der hieß Ralph. Er nannte sich selber Ralpi und stellte sich immer vor mit den Worten: »Tach, ick bin der Ralpi aus’m Wedding.« Und Ralpi aus dem Wedding war eine Legende an der Schaubühne, weil er einen Sturz aus der Rasterdecke auf die offene Bühne überlebt hatte. Er war immer mit einem aberwitzigen Werkzeugwagen unterwegs, auf dem er alles peinlich genau eingeteilt hatte. Eine unglaubliche Ordnung. Auf diesem Werkzeugwagen befand sich eine funktionierende Kaffeemaschine mit frischer Milch und erstklassigem Kaffee. Es musste das Beste sein. Wenn man gefragt hat, ob man unter Umständen einmal den Kaffee zahlen dürfte, war dieser Mensch tödlich beleidigt. Die einzige Bedingung, und da wurde er ebenso ungehalten, wie wenn man ihm Bezahlung angeboten hat: Man hatte grundsätzlich Löffel, Milch, alles, was dazugehört, wieder so hinzulegen, wie es dagestanden hatte, ganz präzise.

    Eines Tages wollte ich meine Mutter besuchen, Hedda Gabler stand auf dem Programm. Die Türe zur Bühne stand offen, es war nicht viel Betrieb, und drinnen machte Ralpi mit einem jüngeren Kollegen gemeinsam das Bühnenbild sauber und richtete alles für die Vorstellung her. Ich gehe hinein und sage: Hallo Ralpi! Wo ist denn meine Mutter? … Und plötzlich sieht Ralpi, wie der jüngere Kollege den Staub, der da zusammengekehrt war, einfach unter das Sofa wischt. Worauf Ralpi dem auf gut Berlinerisch sagt: Was machst du da? Was soll denn das werden? Worauf der sagt: Na ja, ich schieb das halt drunter. Das ist ja nur das Bühnenbild. Da sagt Ralpi: Nee, mein Freund. Das hier ist keine Bühne. Das ist das Wohnzimmer von Hedda Gabler, und das ist sauber. Jetzt räum das bitte hier raus, aber flockig!

    Das sind Theaterfanatiker, die man nur lieben kann. Auch wenn das Publikum niemals sehen würde, wo der Staub ist, aber irgendwo daruntergekehrten Staub gibt es nicht.

    Als Kind war ich bei Proben nie dabei. Das hätten meine Eltern nicht gewollt. 1979/80 war ich im Halbinternat, bei den Schotten in der Nähe des Burgtheaters, und blieb nach der Schule, wenn ich auf meine Mutter wartete oder wenn sie eine Vorstellung spielte, gleich im Theater und machte in ihrer Garderobe meine Aufgaben. Alle waren sehr nett zu mir. Ich kann mich an Verhaltensweisen der Menschen von damals mir gegenüber erinnern, weil ich sie jetzt an meinem eigenen Sohn sehe. Er bekommt das Theater als einen Ort mit, an dem grundsätzlich gut miteinander umgegangen wird. Jetzt erinnere ich mich anhand seiner Kindheit an meine eigene.

    Vor Premieren wurde ich von meinem Kindermädchen sehr abgeschirmt. Später war mir dann klar, dass meine Mutter mehr oder minder nicht mehr auf diesem Planeten war, je näher die Premiere rückte. Wie wir alle, mir geht es heute genauso. Meine Mutter hat mir das auch erklärt und hat es offensichtlich besser gemacht als ihre Mutter. Die war einfach weg. Mir aber wurden die Gesetzmäßigkeiten erklärt, so wusste ich, in welchem Zustand sie ist bzw. sein muss.

    Mit Mutter Elisabeth Orth, 1971

    Ich habe auch die unendliche Bewunderung und Respektsbezeugung, wie man sie als Schauspieler wahrscheinlich nur in Österreich erfährt, mitbekommen und war maßlos stolz darauf. Aber ich habe relativ früh erkannt, dass Schauspieler kein Wohlfühlberuf und kein sozialer Beruf ist. Denn es ist im Grunde vollkommen uninteressant, wie wir uns fühlen. Als ich am Anfang meiner eigenen Bühnentätigkeit mit meiner Mutter darüber geredet habe, hat sie gesagt: Es ist egal, woran du auf der Bühne denkst, nur denken musst du. Es gibt Leute, die bringen ein Publikum zum Heulen, wenn sie an ein Wurstbrot denken. Das Denken allein, die Intensität nimmt der Zuschauer wahr, nicht wie ich mich fühle.

    Es ist auch kein sozialer Beruf im Sinne von »Wir haben uns lieb und fassen uns alle an den Händen und sind eine Gemeinschaft«. Denn jeder kämpft um die bessere Rolle. Konkurrenz gibt es immer. An der Schaubühne in Berlin war es eine merkwürdige Situation, ständig gesagt zu bekommen, dass es ein gemeinschaftlich geführtes Theater ist und dass alle gleich sind. Trotzdem haben immer nur diejenigen größere Rollen gespielt, die ein bisschen gleicher waren. Das ist an jedem Theater so, weil es hier um Talent und Könnerschaft geht.

    Diese altmodischen Kämpfe, wer hat die beste Pointe auf der Bühne – da gab es ja legendäre Auseinandersetzungen –, können ganz lustig sein. In Wirklichkeit ist dieses Verhalten stückstörend, teilweise gedanken- und textvernichtend, weil es dann um nichts anderes mehr geht. Ich weiß heute: Je mehr ich den Kollegen leben lasse, desto besser komme ich selbst heraus.

    In meinem Elternhaus gab es unendliche Gespräche über Theater. Es wurde natürlich auch über Kollegen geredet: was der wieder macht oder nicht, ob er es gut macht oder nicht. Bei den Telefongesprächen zwischen meiner Mutter und meiner Großmutter – der Rekord liegt bei drei Stunden – kamen sie vom Hundertsten ins Tausendste. Es gab kaum ein Gespräch, bei dem meine Großmutter nicht irgendwann einmal in den Zwanziger- und Dreißigerjahren gelandet ist mit ihren Erzählungen und meine Mutter sich nicht über die Nazizeit aufgeregt hat. Oder es ging um Tagespolitisches am Burgtheater.

    Es wurde so viel über Politik geredet, weil meine Mutter und auch mein Vater generell politisch hochinteressiert waren. Auch an Israel. Das kommt aus der grundsätzlichen Beschäftigung meiner Mutter mit der Nazizeit. Sie erzählte, dass sie einfach aus Respekt, aus Wiedergutmachungswunsch sehr pro-israelisch eingestellt war. Aber diese Einstellung hat sich mit den Jahren durch verschiedenste Begegnungen, die wir beide hatten, in eine objektivere Haltung gewandelt. Die Existenz dieses Staates hat die eigene Schuldfrage ein bisschen erleichtert. Das ändert sich dann, wenn man merkt, dass diese Legende auch negative Seiten hat.

    Ich bin nach wie vor ein großer Israel-Freund. Aber man muss sich daran gewöhnen, dass es ein normales Land geworden ist, das sich trotz alledem noch im Kriegszustand befindet. Ich habe dort unfassbar nette Menschen kennengelernt, aber man muss dem Staat Israel gegenüber kritisch sein dürfen, auch wenn man das Land liebt. Man kann viel Negatives über Israel sagen, aber die Haltung der Israelis muss allen klar sein: Wir sind genug geprügelt worden, wir gehen hier nicht mehr weg. Schluss.

    Ich war vor Kurzem mit meiner Familie wieder in Israel, und es war eine Riesenüberraschung zu sehen, dass die Orthodoxen und teilweise Ultraorthodoxen das Straßenbild von Jerusalem prägen, während sie früher eigentlich nur im Orthodoxen-Viertel Mea Shearim zu sehen waren. Die Stadt ist schön, und sie hat allein schon durch ihre Vielfältigkeit eine sehr starke Wirkung. Vor 20 Jahren war das anders. Jerusalem ist sehr konservativ geworden. Vor allem im Gegensatz zu Tel Aviv, das umso säkularer ist. Tel Aviv ist eine Stadt, in der ich zumindest für ein paar Jahre leben könnte, die offen und frei ist, die unglaublich viel bietet. Ich kann durch eine Allee gehen, da sieht es aus wie in Grinzing unter den Bäumen, und ich gehe um die Ecke und stehe in Ostberlin, weil die Bauten aus der gleichen Zeit stammen. Natürlich hat man auch den Strand, und es ist alles offen, weit und klar. Diese beiden Städte, Jerusalem und Tel Aviv, das sind zwei Welten, sie unterscheiden sich wie Feuer und Wasser.

    Die Freundlichkeit der Menschen ist nach wie vor groß. Erstaunlich, wie wenig an mögliche Bomben gedacht wird. Man lebt einfach und mit Lust. In Tel Aviv geht jede Nacht die Post ab. Natürlich haben die Menschen Angst. Aber sie können mit dieser Angst aus Gewohnheit ganz gut umgehen. Alle sind sofort vorsichtig und hellhörig, wenn irgendetwas passiert, die Bedrohung ist ständig da. Wenn Netanjahu argumentiert, wir haben die Mauer erfolgreich gegen palästinensische Übergriffe gebaut, dann ist es sehr schwer, sie als ein Unding zu bezeichnen.

    Ich habe einen wunderbaren, langjährigen Freund, den ehemaligen Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari Rath, der heute ein 87-jähriger Mann ist. Er ist 1938 als 13-Jähriger allein mit seinem Bruder nach Israel emigriert. Auch dieser Bruder, Meshulam, lebt noch, ich habe ihn kennengelernt, er ist heute 91. Die beiden Brüder hatten, als sie ankamen, beschlossen (und das war damals in Palästina, also noch nicht

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