antallagi
Von René Klammer, Johanna Schmidt und Verena Borm
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Über dieses E-Book
Es erwarten Sie: 9 Kurzgeschichten von René Klammer, 9 Kurzgeschichten und 1 Gedicht von Johanna Schmidt, dazu 17 Fotos von Verena Borm. Auf 88 Seiten, davon 11 in Farbe. In einer gebundenen Ausgabe mit Schutzumschlag.
René Klammer
René Klammer, Jahrgang 1979, geboren und aufgewachsen in Köln; seine Kurzgeschichten und Hörspiele sind mehrfach preisgekrönt, u.a. »Hauptsache gesund« (2008) und »Liebessalat mit Gurkeneinlage« (2009) als jeweils »Bestes Kurzhörspiel des Jahres«, prämiert von »Radio T« in Chemnitz. Einen Streifzug durch seine Arbeiten von 1997 bis 2007 bietet das Buch »Klammer auf«. 2012 erschien die Erzählung »Altenbrak« im Roland Reischl Verlag. Der erste Roman des in Bornheim bei Bonn lebenden Autors, »Wir kannten uns«, erschien im Frühjahr 2014.
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Buchvorschau
antallagi - René Klammer
Manchmal muss man tun, was man tun muss. Das gilt nicht nur für Cowboys, sondern auch für Beamte. Und was muss man tun? Zum Beispiel: den Mann in der Bahn bitten, seine Rammstein-Musik ein bisschen leiser zu drehen - auch wenn der Typ zwei Köpfe größer ist und offensichtlich schlechte Laune hat. Oder: dem Chef endlich mal erklären, dass jetzt langsam Schluss ist mit den unbezahlten Überstunden. Oder: in viertausend Metern Höhe aus einem Flugzeug springen.
Als Nele mich bei der letzten Betriebsweihnachtsfeier zu fortgeschrittener Stunde fragte, ob ich gerne einmal die Erfahrung des ultimativen Kontrollverlusts mit ihr teilen möchte, da habe ich etwas zu voreilig genickt.
Nele und ich werden einen Fallschirmsprung machen. Je näher der Termin rückt, desto unruhiger schlafe ich. Wieder und wieder träume ich, aus einem Flugzeug zu stürzen, wache auf und kapiere: Das war nicht bloß ein Alptraum - das wird bald Wirklichkeit! Ich setze mich an den Computer und schaue mir ein paar Online-Videos an: Ich spekuliere darauf, dass das Horrorszenario „Mann fällt aus Flugzeug" seinen Schrecken verliert, wenn ich mit eigenen Augen sehe, wie viel Spaß das macht. Aber was sehe ich? Menschen, die kopfüber aus Flugzeugen stürzen und dabei brüllen wie am Spieß!
Dennoch: den Termin platzen lassen, kommt nicht in Frage. Natürlich wäre mir ein etwas klassischeres Date - mit Kino und Sushi - deutlich lieber, aber mit Nele aus dem Himmel zu fallen ist immer noch besser als auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. „Hast du Angst?", fragt sie mich. Das kann ich guten Gewissens verneinen: nein, keine Angst - blanke Panik!
Erst am Tag vor dem Sprung sagt sogar Nele: „Du, wenn ich an morgen denke, kriege ich irgendwie schwitzige Hände. Ich bin mittlerweile vom Schlafentzug völlig abgestumpft: „Der freie Fall ist eine Urangst
, doziere ich. „Die Frage ist: Lieferst du dich dieser Angst aus wie ein hilfloses Kind, oder vertraust du deinem Verstand und besiegst endlich alles, was dich klein macht?"
An unserem Sprungtag scheint die Sonne - der Himmel ist strahlend blau, die Sicht makellos. Nele meint: „Das wird die Hölle. Da widerspreche ich nicht. Nachdem wir unsere Teilnahmegebühr berappt haben, bleiben uns noch volle drei Stunden, um uns verrückt zu machen. Um blöde Witze zu reißen über Organspenden, Lebensversicherungen und letzte Worte. Um Fritten zu essen und Kamillentee zu trinken. „Das hat nichts mit meiner Nervosität zu tun
, erklärt Nele, während sie ihren Teebeutel ausdrückt und sich die nächste Zigarette anzündet, „ich trinke immer Kamillentee." In dem Moment fällt wieder ein Fallschirmspringer aus dem blauen Himmel. Nele guckt sich das stirnrunzelnd an und wirft mir einen besorgten Blick zu.
Bevor wir endlich dran sind, gibt es eine zwanzigminütige Einweisung, bei der uns lauter wichtige Dinge erklärt werden, die ich sofort wieder vergesse. „Was bedeutet dieses Zeichen?, testet mich mein Sprungpartner und halt seine Hand hoch. „Hohlkreuz machen
, sage ich. „Falsch, sagt er, „Beine ausstrecken.
Unser Flugzeug ist winzig. Wir passen kaum rein: Nele und ich und unsere beiden Sprungpartner. Und der Pilot muss ja auch noch mit! Statt einer Tür gibt es einen Vorhang, der mit Karabinerhaken befestigt ist und heftig flattert. Ich sitze direkt neben dem Vorhang und kann durch einen schmalen Schlitz während des gesamten Flugs sehen, wie hoch wir gerade sind. Nele sitzt hinter mir - sie klingt so vergnügt, ais wäre das die reinste Kaffeefahrt. Derweil linse ich zwanghaft durch den Schlitz und sage mir immer wieder: Da musst du gleich rausspringen! Neles Strategie ist eindeutig die bessere.
Nach einer Viertelstunde haben wir unsere Sprunghöhe von dreieinhalbtausend Metern erreicht. Mein Sprungpartner brüllt: „So, dann mach mal den Vorhang auf und häng die Füße raus. OK?" Klar doch. Ich öffne also den Vorhang, hänge mich aus dem Flugzeug - und zwei Sekunden später fallen wir.
Mal ist der Himmel oben, mal unten. Der Luftdruck ist so stark, dass ich, um atmen zu können, die Luft mit aller Kraft einsaugen muss. Nach 45 Sekunden gibt es einen Ruck: Der Fallschirm hat sich geöffnet. Mein Sprungpartner lost zwei der vier Haken, damit’s bequemer wird. Tatsäch-lich