»Schau mir in die Augen, Kleines«: Die Kunst der Dialoggestaltung
Von Oliver Schütte
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Über dieses E-Book
Der erfahrene Autor und Dramaturg Oliver Schütte zeigt, wie Sie wirkungsvolle und spannende Dialoge schreiben – und wie Produzenten, Redakteure und Script Consultants effektiv mit Autoren an Dialogen arbeiten können. Ob 10-minütige Webserie oder 50-stündiges TV-Format: Jedes Werk bringt neue Figuren mit neuen Herausforderungen an die Art und Weise, wie die Dialoge gestaltet werden. Dieses Buch gibt für alle Projekte Hinweise, wie Sie sich den Dialogen nähern können.
Oliver Schütte
Oliver Schütte ist Spezialist für das Erzählen von Geschichten. Er studierte Film- und Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Seit 1986 arbeitet er als Autor für Film und Fernsehen und ab 1990 auch als Dramaturg. Für sein erstes Drehbuch KOAN erhielt er 1988 den Deutschen Drehbuchpreis. 1995 gründete er die Weiterbildungsinstitution Master School Drehbuch, die er bis Ende 2008 geleitet hat. Im Jahr 1995 beginnt auch seine umfangreiche Lehrtätigkeit im In- und Ausland. 2013 gründete er die Filmproduktion tellfilm Deutschland mit Sitz in Berlin. Heute ist er als Dramaturg, Dozent an internationalen Filmhochschulen, Publizist und als Produzent tätig. Er ist Autor von DIE KUNST DER DREHBUCHENTWICKLUNG. Im Jahr 2019 erschien DIE NETFLIX-REVOLUTION. Seine anderen Werke DIE KUNST DES DREHBUCHLESENS und SCHAU MIR IN DIE AUGEN, KLEINES sind mittlerweile in der 4. Auflage erschienen. Im Jahr 2015 wurde sein erster Roman DIE ROTE BURG und im Jahr 2019 TÖDLICHER SCHNITT veröffentlicht.
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»Schau mir in die Augen, Kleines« - Oliver Schütte
beschäftigen.
DIALOG VERSTEHEN
A1Eine kleine Einführung in die Theorie
A2Eine kleine Einführung in die Praxis
A3Eine kleine Einführung in die Geschichte
A4Aufgaben des Dialogs
A1 EINE KLEINE EINFÜHRUNG IN DIE THEORIE
Was ist ein Dialog? Diese kurze und einfache Frage findet zuerst einmal eine ebenso einfache Antwort: Es ist die Kommunikation von mindestens zwei Personen. Kommunikationstheoretiker haben auf Basis der Informationstheorie von Claude Shannon folgendes Modell entwickelt, um den Prozess zu verdeutlichen:
Eine Informationsquelle (der erste Kommunikationspartner) wählt eine Botschaft aus. Der Sender verwandelt diese Botschaft in ein Signal (wenn es um verbale Information geht, ist dies die Sprache), das über einen Kommunikationskanal zum Empfänger (sprich: zum Ohr) gelangt. Dieser wiederum verwandelt das Signal wieder in die Botschaft zurück.
Dabei spielt keine Rolle, wie diese Kommunikation durchgeführt wird. Obwohl sicherlich die Sprache das am häufigsten verwendete Medium darstellt, ist es durchaus möglich, auch ohne sie, also nonverbal, einen Austausch stattfinden zu lassen. Denn Kommunikation ist auch nur durch Gesten oder Blicke möglich. Entscheidender ist, dass die Partner interagieren, dass sie sich austauschen. Hierfür müssen sich die Partner eines Systems von Zeichen bedienen, das beide verstehen. Und um schließlich einen wirklichen Austausch stattfinden zu lassen, müssen die Parteien vom Gleichen sprechen; das heißt, es braucht etwas Drittes, die thematische Einheit, von der gesprochen wird.
Es müssen also drei Bedingungen für einen Dialog erfüllt sein:
» zwei oder mehr Partner;
» ein System von Zeichen;
» eine thematische Einheit.
Für Drehbuchautoren und professionelle Drehbuchleser ist der theoretische Ansatz von Jürgen Habermas interessant, der zwischen der verständigungsorientierten und der strategischen Kommunikation unterscheidet.
In der verständigungsorientierten Kommunikation beabsichtigen die Teilnehmer, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen Einverständnis herzustellen. Die strategische Kommunikation hat die Einflussnahme auf die Einstellungen des Gegenübers zum Ziel. In der offenen strategischen Kommunikation kann das durch Drohungen oder Lockungen geschehen. In der verdeckten strategischen Kommunikation wird im Fall der bewussten Täuschung ein Interesse an der gegenseitigen Verständigung nur vorgetäuscht, tatsächlich wird aber einer der Beteiligten unauffällig für die eigenen Zwecke eingespannt. Hier wird die Kommunikation zur Manipulation eines erwünschten Verhaltens eingesetzt.
Die unterschiedlichen Formen lassen sich im Schema darstellen:
Dabei handelt es sich um Kommunikationstypen und Handlungsmodelle, die in der Realität nicht in Reinform auftreten.
Der Dialog in einem Drehbuch wird hauptsächlich von der strategischen Kommunikation geprägt. Entweder offen oder verdeckt werden die Figuren versuchen, sich gegen Hindernisse und Widerstände durchzusetzen. Denn im Konflikt* liegt das Wesen des Dramas. Die Figuren eines Drehbuchs werden sich vor allem je einer der vier Formen der strategischen Kommunikation bedienen, können aber durchaus mehrere Strategien nach- und nebeneinander anwenden. Den Figuren wird der Autor die Entscheidung, welche der Kommunikationsformen sie anwenden, in den seltensten Fällen bewusst zuschreiben. Daher kann es für den Drehbuchautor eine Hilfe darstellen, falls z.B. eine Szene nicht funktioniert, die anderen Methoden zu kennen und auszuprobieren. Vielleicht ergibt die „unbewusste Täuschung eine interessantere Szene als die „offenen Drohungen
, mit denen die Figur in der ersten Fassung argumentierte?
A2 EINE KLEINE EINFÜHRUNG IN DIE PRAXIS
Wer einmal versucht hat, auf Tonband aufgenommene Gespräche aufzuschreiben und ihnen einen Sinn zu geben, wird wissen, wie schwierig es ist, das Gemeinte und das Gesagte in einen schriftlich verständlichen, also grammatikalisch richtigen Zusammenhang zu bringen. Im Alltag werden die Gedankengänge meist nicht nacheinander aufgebaut und dargelegt, sondern es ergibt sich ein allgemeines Stammeln und Suchen. Schon Kleist machte in einem Aufsatz darauf aufmerksam, dass die Gedanken beim Reden erst allmählich verfertigt werden: „Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die zugehörige Zeit zu gewinnen."³
Dies nimmt bei unterschiedlichen Menschen die verschiedensten Formen an, aber allen gemein ist, dass in einem alltäglichen Gespräch kaum mehr als drei bis vier Sätze grammatikalisch vollkommen richtig gesprochen werden.
Ein alltägliches Gespräch sieht dementsprechend folgendermaßen aus:
Alltägliche Gespräche sind spontane Dialoge, in denen die Sprechenden keine Zeit haben, lange darüber nachzudenken, was sie sagen werden. Oftmals weiß der Sprechende zu Beginn eines Satzes noch nicht mal, worüber er überhaupt reden wird. Darum treten oft Pausen auf, oder Sätze werden mit Partikeln gefüllt. Angefangene Gedankengänge werden wieder aufgegeben und durch andere ersetzt. Häufig übernimmt der Partner den eigenen Gedankengang oder widerspricht frühzeitig, sodass der Sprechende darauf reagieren muss. Dies führt zu grammatikalischen Fehlern und Ungenauigkeiten. Trotzdem scheint das Gebrummel und fragmentarische Gestammel bei dem Gesprächspartner durchaus verständlich anzukommen. Wir sind also im alltäglichen Leben nicht unbedingt auf die grammatikalisch korrekte Ausdrucksweise angewiesen.
A3 EINE KLEINE EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE
Dialoge im Theater
Stummfilm
Tonfilm
Dialoge im Theater
Dramen und Drehbücher teilen das gleiche Schicksal. Beide sind weniger Primärtexte, die zum Lesen gedacht sind. Sie dienen vielmehr als Vorlage für ein weiteres Kunstwerk, das von anderen ausgeführt wird. Gemeinsamkeiten gibt es auch bezüglich der narrativen Grundstruktur, d.h. in der Vermittlung von Geschichten durch den Dialog. Wobei sich aber die Vorlagen durch die Quantität des gesprochenen Wortes unterscheiden: Während die Vorlage für ein Theaterstück zu weiten Teilen aus Dialog besteht, macht er im Drehbuch lediglich die Hälfte aus.
In der europäischen Geschichte des Theaters war der Dialog nicht von Beginn an Bestandteil der Aufführung. Am Anfang standen die kultischen Festspiele, die sich in Griechenland entwickelten zu Ehren von Dionysos, dem Gott der Ekstase, des Rausches, der Verwandlung und des Weins. Während der ausschweifenden Festlichkeiten wurden allseits bekannte Legenden von einem durch Musik begleiteten Chor dargebracht. Im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung führte Thespis einen Chorführer als unabhängigen Sprecher ein: Der Dialog fand erstmals zwischen diesem Protagonisten und dem Chor (der aus 12 bis 15 Männern bestand) statt. Aus dem ursprünglichen Chorgesang entwickelte sich durch das Hinzutreten eines Schauspielers mit der Zeit die Urform der griechischen Tragödie. Es entstand ein Dialog, in dem der Chor eine warnende oder kommentierende Funktion einnahm.
Diese Form ist in Woody Allens Mighty Aphrodite treffend parodiert worden. Dort tritt im Laufe der Handlung immer wieder in einem antiken Amphitheater ein Chor auf, der die Handlung kommentiert.
CHOIR
Oh, my God. It’s more serious then we thought.
SPEAKER
It’s very serious. Her marriage with Lenny is in crisis.
CHOIR
With the passage of time, even the strongest bonds get broken.
SPEAKER
Great, fellows, that’s sounds like a fortune cookie.
CHOIR
Oh Zeus. Most important of gods. We need your help. Zeus, great Zeus, Hear us.
The voice of Zeus can be heard.
ZEUS’ VOICE
This is Zeus. I’m not home right now. You can leave a message. And I’ll get back to you. Please speak after the tone.
CHOIR
Call us when you get in! We need help!
Aischylos (525 bis 456 v. Chr.) hat als Erster die Zahl der Schauspieler von einem auf zwei erhöht, den Anteil des Chors verringert und den Dialog zum wichtigsten dramatischen Element gemacht. Dadurch schuf er die Voraussetzung für die dramatische Handlung. In Aischylos’ Agamemnon zeigt sich, dass der Chor der Greise wie eine Figur mit dem Protagonisten (in diesem Falle eine Protagonistin) agiert:
KLYTAIMNESTRA:
Ein Evangelium, wie’s im Sprichwort heißet, ward Das Morgenrot uns von der Mutter Nacht gesandt. Ja, Freude höret über alle Hoffnung groß: Die Achaier nahmen ein die Stadt des Priamos!
CHOR:
Was ist? Das Wort entging mir aus Unglaublichkeit!
KLYTAIMNESTRA:
In der Griechen Hand ist Troja! Sprach ich nun es klar?
CHOR:
Es ergreift mich Freude, Tränen ruft sie mir hervor!
KLYTAIMNESTRA:
Daß du es wohl meinst, zeigt dein Aug mir unverstellt.
CHOR:
Sprich, hast du Zeugnis dessen, sicher und gewiß?
KLYTAIMNESTRA:
Gewiß, was sonst denn? Wenn ein Gott mich nicht betrog.
Aischylos’ Schüler Sophokles fügte wenig später in seinen Stücken (Antigone, König Ödipus) eine dritte Figur hinzu, was schließlich auch von Aischylos übernommen wurde.
Aristoteles, der „Urvater" der Dramaturgie, schenkte dem Dialog in seinem Werk Poetik (ca. 335 v. Chr.) nicht viel Beachtung. Er machte allerdings den Unterschied zwischen dem Drama und der epischen Erzählung deutlich. Im Drama werden z.B., so Aristoteles, die Handlungen nachgeahmt, indem die Handelnden auftreten und miteinander direkt kommunizieren. Das Wesen des Dramas bestehe also im Vorhandensein von Dialog, von szenischer Darstellung. In den epischen Erzählungen, wie in denen Homers, werde hingegen über die Handlungen lediglich berichtet.
Auch Lessing widmet dem Dialog in seiner Schrift Hamburgische Dramaturgie (1767) wenig Aufmerksamkeit. Er erkennt zwar an, dass der Dialog als „äußere Form ein wichtiges konstituierendes Merkmal des Dramas ist, sieht diese Form aber getrennt von der inneren Form der Handlung. Die Gestaltung der Fabel (also das, was erzählt wird) ist für ihn in aristotelischer Tradition von größerer Relevanz. Für Lessing scheint es unstreitig, dass „man den Menschen mehr nach seinen Taten, als nach seinen Reden richten muß; daß ein rasches Wort, in der Hitze der Leidenschaft ausgestoßen, für seinen moralischen Charakter wenig, eine überlegte Handlung aber alles beweiset
⁴.
Die vielleicht wichtigste Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Dialog liefert August Wilhelm Schlegel in seinen Vorlesungen über die dramatische Kunst und Literatur aus dem Jahr 1845. Er führt dort aus, dass im Dialog „Gedanken und Gesinnungen „gegeneinander
geäußert werden, um bei den „Mitredenden Veränderungen hervorzurufen. Zum anderen, so Schlegel, vermittle das Gespräch den „dramatischen Wert
einer Handlung, weil sich nur durch das Gespräch die „Triebfedern" der verschiedenen Handlungen darlegen ließen. Mit anderen Worten: Der Dialog im Drama soll sowohl die Handlung vorantreiben als auch die Motive deutlich machen; er vermittelt die Handlung und stellt gleichzeitig die Umstände dar, aus denen die Handlungen der Figuren entspringen.
Viel später, Mitte des 20. Jahrhunderts, wird von Autoren wie Samuel Beckett und Eugène Ionesco zum ersten Mal die realistische Funktion des Dialogs im Theater aufgehoben. Die Figuren des Absurden Theaters reden aneinander vorbei, die Gespräche reduzieren sich auf Konventionen und verlieren sich im bloßen Geschwätz und Geräusch. Dadurch nutzen die Autoren den Dialog als Ausdruck der Absurdität der menschlichen Existenz.
Stummfilm
Natürlich hat der Dialog in Filmen eine historische Entwicklung durchlaufen. Mehr als 30 Jahre ist das Kino ohne den gesprochenen Dialog ausgekommen. Die Kinderjahre des Films waren stumm (bis auf die Musik). Kamen die allerersten Filme ganz ohne Sprache aus, so wurden ab 1904 die ersten Zwischentitel* benutzt – sowohl um erzählerische Kommentare als auch Dialog zu ermöglichen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, in denen auf Zwischentitel verzichtet wurde. Der bedeutendste Film ist Der letzte Mann (1924) von Drehbuchautor Carl Mayer. Unter der Regie von Friedrich Wilhelm Murnau erzählt der Film mit nur einem Titel am Schluss die Geschichte eines Hotelportiers, dem gekündigt wird und der ohne seinen ganzen Stolz, seine Uniform, nunmehr als Toilettenmann sein Dasein fristet.
Befreit von den Zwischentiteln, erfanden Murnau und sein Kameramann für die Geschichte eine neue visuelle Umsetzung. Die „entfesselte Kamera", die sich vollkommen frei im Raum bewegte, unterstützte Murnau dabei, die Gedanken der Figuren in Bilder umzusetzen. Der Film blieb jedoch ein Experiment, das keine nennenswerten Nachahmer fand.
Obwohl der Film selbst stumm war, gab es doch schon damals sogenannte Dialogautoren. Die Schauspieler, die anfangs oft unsinnige Sätze aufsagten, nur damit sie den Mund bewegten, bekamen durch die Texte der Autoren zunehmend ‚richtige’ Dialoge zu den Zwischentiteln zu sprechen – auch wenn sie niemand hörte.
Erst in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurden Geräte erfunden, die neben den Bildern auch den Ton aufzeichnen konnten. Der erste Ton-Spielfilm kam 1927 mit The Jazz Singer in die amerikanischen Kinos. In Deutschland stand für Atlantic der Untergang der Titanic Pate; ein allerdings nicht sehr erfolgreicher Katastrophenfilm. Der Siegeszug des Tonfilms ging schnell, nach drei Jahren hatte sich die neue Form etabliert, und der Stummfilm war aus den Kinos verschwunden.
Anfangs wurden die bereits etablierten Autoren der Zwischentitel engagiert, um die Dialoge der Figuren zu schreiben. Ein Experiment, das selten gelang. Die Qualität dieser Autoren lag darin, möglichst wenig Worte mit möglichst großer Wirkung zu schreiben. Oft genug bestand die Kompression darin, ein einziges Wort zu finden. Dies führte dazu, dass die Geschichte des Tonfilms mit nahezu unsprechoaren, häufig pathetischen Dialogen begann. Einige der alten Filmemacher wehrten sich zudem heftig gegen die neue Technologie. Viele, die mit dem Stummfilm groß geworden waren, unter anderem auch Kritiker und Filmtheoretiker, sahen im Tonfilm und damit auch im gesprochenen Dialog eine negative Entwicklung: „Filmemacher auf der ganzen Welt legten bald in einem solchen Ausmaß die Betonung auf den Dialog, daß die Bildspur fast zu einer bloßen Begleitung verfiel. Sicher, der neue Bereich des klaren Argumentierens bereicherte den Film, aber dieser Gewinn entschädigte kaum für die verminderte Bedeutung des Visuellen. Während der gesprochene Kommentar eher Absichten zum Ausdruck bringt, durchdringt die Kamera eher das Unbeabsichtigte. Genau darin liegt die Leistung der Stummfilme. Sie stießen auf Ebenen unterhalb des Bewußtseinsbereichs, und da das gesprochene Wort noch nicht beherrschend war, konnten sich unkonventionelle, ja subversive Bilder einschmuggeln. Als aber der Dialog an die Macht kam, verfiel die unauslotbare Bildersprache und beherrschte Eindeutigkeit das Bild"⁵, schreibt der deutsche Filmtheoretiker Siegfried Kracauer noch in den 1940er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Aus der Frühphase des Tonfilms stammen die ersten Hinweise, wie mit dem Dialog umzugehen sei. Interessanterweise von denen, die dem Tonfilm im Allgemeinen nicht viel abgewinnen konnten. So ist in einem 1931 erschienen Artikel zu lesen: „Bildlich ist die Filmhandlung verständlich zu machen. Die Dialoge müssen auf das äußerste beschränkt werden, schon wegen der Internationalität des Films. Lange Dialoge sind gegen seine Natur, erzeugen Langeweile und sind für den Zuschauer außerordentlich anstrengend zu hören. Selbst bei einem so hervorragenden Schauspieler und einzigartigen Sprecher wie [Heinrich] George sind dem Dialog engste Grenzen zu setzen. Monologe sind im Tonfilm überhaupt unmöglich. Es ist nicht zu glauben, ich habe mehrmals im Kino gesessen bei Tonfilmen, die ich zum ersten Male sah, ich schloß die