Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

11 Lichter
11 Lichter
11 Lichter
eBook149 Seiten1 Stunde

11 Lichter

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Am Tiefpunkt seines Lebens, eingeschlossen in seinen vier Wänden, lernt Frederique Martha kennen. Schnell entwickelt sich eine enge Freundschaft und beide erleben einen aufregenden Dezembermonat. Langsam findet Frederique zurück in sein Leben, mit der Hilfe von Martha, Mustafa und 11 Lichtern.

11 Klavierstücke von Johannes Vogt, Martin Kohlstedt und Sven Tasch begleiten diese Geschichte und lassen den Leser noch tiefer in das Geschehen eintauchen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Sept. 2015
ISBN9783739278537
11 Lichter
Autor

Sven Tasch

Sven Tasch ist Musiker, Autor und Blogger. Mit 13 Jahren lernte er seine Leidenschaft zum Klavier kennen, die bis heute anhält. Schon früh vereinte Sven Tasch in den Konzerten Kurzgeschichten mit seinen Klavierstücken. So entdeckte er die Freude am Schreiben. Es entstand sein Erstlingsroman Dreißig, die Fortsetzung 11 Lichter"und der neue Roman ALINA

Mehr von Sven Tasch lesen

Ähnlich wie 11 Lichter

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für 11 Lichter

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    11 Lichter - Sven Tasch

    )

    »Ich könnte dich töten!«, flüstere ich zu der Fliege an der Decke. Zum dritten Mal stehe ich auf und stelle mich ans Fenster. Das hellblau flackernde Licht der Araltankstelle wirkt sehr beruhigend auf mich, nur das Weiß der Straßenlaterne schmerzt ein wenig in meinen Augen. Das Fenster zur Straße hin steht immer offen. Meistens beobachte ich Erwachsene, die durch die Stadt hetzen, vereinzelnd auch Kinder, die verstecken spielen oder Rentner, die langsam ihre schweren Einkaufstaschen nach Hause tragen. Bei niedrigem Stand des Benzinpreises stapeln sich die Autos an der gegenüberliegenden Tankstelle. Tagsüber arbeiten Bauarbeiter mit ihren Presslufthämmern neue Schlaglöcher in die eh schon durchlöcherte Straße. Nachts sehe ich Besoffene den Gehweg entlang torkeln oder verstrahlte Jugendliche an der Tankstelle, die aus ihren vom Bass angetriebenen Autos fallen. In dieser kalten Dezembernacht passiert nicht sehr viel. Hypnotisiert blicke ich eine Weile in das unruhig flackernde Blau. Meine Gedanken sind irgendwo weit weg. Müde setze ich mich zurück auf das rote Sofa und lege mein Gesicht in die Hände. In dieser Position kann ich Stunden verharren. Das Sofa auf dem ich sitze, ist mir als Erinnerung geblieben. Die Erinnerung an eine bessere Zeit. Aber damit sind auch die Vorwürfe geblieben, dass Hugo nicht hätte sterben dürfen. Dieses mit Samt überzogene Sofa stand zuvor in Hugos Wohnung. Wie oft haben wir darauf gelacht, uns Geschichten erzählt oder einfach nur den Stimmen der Nacht gelauscht. Dieses Sofa durfte unsere Bandproben, Alkoholexzesse, Partys, tiefgründigen Gespräche oder unsere verbindende Stille erleben. Ich konnte es gerade noch rechtzeitig vor dem Sperrmüll bewahren und nun sitze ich allein auf diesem roten Samt. Mein gewaltiger Hintern berührt fast den Boden, ich weiß nicht ob es an meinem wieder zurückgewonnenen Körperfett liegt oder an den alten Polsterfedern. Dass ich noch lebe, zeigen mir meine Hungerattacken. Mit dem kleinsten Aufkommen eines Hungergefühls kann ich mir die Zeit ein wenig vertreiben. Fressen bis mir schlecht wird, hinlegen und warten bis die Übelkeit vorübergeht. Jeder Tag ähnelt sich, jeden Tag dasselbe Schema, jeden Tag warten auf den nächsten Tag und jeden Tag dieselben Gedanken. Sich gehen lassen ist doch so leicht.

    Ich ziehe meine Trainingshose aus meinem Hintern. Nachdem mir keine andere Hose mehr passte, ist dieses Kleidungsstück ein neuer Wegbegleiter und ergänzt sich optisch sehr gut zu meinem durchlöcherten Unterhemd. Ich zünde mir eine Zigarette an und ziehe mit einem Zug den halben Stängel weg. Wie gewohnt drücke ich die noch klimmende Kippe an der Tapete aus. Die Wand gegenüber dem Sofa besteht eh nur aus Rissen und Löchern, wie alle Wände in dieser Altbauwohnung. Mittlerweile habe ich ein riesiges E in die Tapete gebrannt, ein Werk aus ca. 400 Zigaretten. Dieses E steht für Einsamkeit. Vielleicht steht es auch für Emotionslosigkeit, Erbrechen oder Erektion, wer weiß das schon. Ich lasse mich zurück auf das Sofa fallen und betrachte mein E.

    »Eigentlich gar nicht so schlecht.« Darauf zünde ich mir die nächste Kippe an. Mein Blick wandert durch den Raum zu ein paar Wollmäusen auf dem Fußboden. Es ist schön ihnen beim Tanzen zuzusehen, sie tanzen so elegant. Nachts, bei voller Beleuchtung durch meine vielen Lampen, kommen sie aus ihren Ecken hervor, wie kleine Ballerinas und führen mir ihren Tanz vor.

    »Wir sind schon zwei Looser«, sage ich laut zu Onkel Einstein und öffne mein erstes Sternburger Nachtbier. Onkel Einstein, ein gelbgrüner Wellensittich, reagiert auf nichts. Was soll er auch sagen? Es tut mir leid, dass ich ihn mit in dieses triste Leben reingezogen habe. Doch ich sehnte mich so sehr nach jemanden, der mir Gesellschaft leistet. Unsere Gespräche verlaufen eher einseitig und ich kann ihn anstupsen, anschreien oder den Käfig schütteln. Onkel Einstein sitzt immer zusammengekauert auf seiner Stange und blickt völlig emotionslos zur zerbröckelten Tapete. Anfangs dachte ich, er sei ausgestopft, doch dieses Schlitzohr bewegt sich nur oder knabbert an seiner Stange, wenn ich den Raum verlasse.

    »Vielleicht sollte ich endlich mal meine Umzugskisten auspacken!« Diesen festen Vorsatz habe ich schon seit meinem Einzug. Doch ich besitze keine Schränke, in die ich das ganze Zeug hinein sortieren kann. Meine Möbel stehen alle noch in Erfurt. Ich baue mir einen Kleiderschrank aus Umzugskartons. Einfach übereinander stapeln und Öffnungen rein schneiden. Das ist billig und individuell. Auf diesen erfolgreichen Gedanken öffne ich mein zweites Sternburger Nachtbier. Der Anflug von Ehrgeiz verfliegt mit dem ersten Schluck und langsam fängt der Alkohol an zu wirken. Ich lasse mich erneut zurückfallen in die unendliche Tiefe meines Sofas. Da ist es wieder, mein Gewissen. Es klopft an, es will rein. So kann es nicht weiter gehen! Mein Gewissen ist ein treuer Wegbegleiter, auch in dieser Wohnung meldet es sich immer wieder. Noch nicht einmal mit Bier kann ich es vertreiben. Im Dialog mit mir selbst zähle ich Dinge auf, womit man diesen Raum verschönern könnte.

    »Bilder aufhängen! Doch welche?« Alle Bilder erinnern mich an meine Vergangenheit. Doch ich will jetzt nicht erinnert werden, nicht einmal an die schönen Zeiten meines Lebens! Mühevoll hieve ich mich vom Sofa hoch und krame in einer der vielen Umzugskisten. Sofort fällt mein Blick auf ein gerahmtes Bild, Ina! Ich nehme das Bild aus der Kiste und halte es fest in meinen Händen. Mein Daumen streift über ihren Mund, er wirkt zart und so vertraut. Die Szene auf dem Bild bringt mich zum Schmunzeln, Ina und ich sind auf der unteren linken Seite des Bildes abgelichtet, sie umarmt mich und wir beide schauen ziemlich erschrocken. Das Bild stammt aus unserem ersten Urlaub in Spanien und ein Typ hatte, kurz bevor er mit meiner neuen Kamera abhauen wollte, aus Versehen abgedrückt.

    »Das hättest du nicht gedacht, dass Dicke so schnell laufen können.« Ich knalle den Rahmen zurück in die Kiste.

    »Warum habe ich Ina nur aufgegeben, ich wäre nie hier gelandet.« Voller Wut trete ich gegen die Kiste, mein Fuß bleibt in der Pappe stecken. Na super, jetzt bin ich schon auf den besten Weg meine neue Einrichtung zu zerstören.

    »Ich will gar nichts an diesem Raum verändern, nichts in diesem verfickten Raum!« RUMMS, mein Schwergewicht lässt die Sofafedern wieder zu Boden gehen. Apathisch starre ich an die Wand und nun beginnt das ganze Spiel von vorn. Nicht schlafen, nur nicht einschlafen, Tapetenrisse zählen, die Fliege an der Wand verfolgen, Ablenkung suchen, rauchen. Doch trotz all dieser Manöver kommt auch in diese Nacht der Schlaf und mit ihm der ewig gleiche seltsame Traum zurück.

    Hugo sitzt auf der Fahrerseite. Wir fahren mit einem VW-Transporter über eine sehr steinige Straße und der Wagen wird durchgeschüttelt. Links und rechts tauchen vereinzelt ein paar Bäume auf, dann gibt es nichts als weit und breit meterhohe Sanddünen. Hugo sitzt konzentriert am Steuer und schaut nicht einmal zur Seite. Die Gegend ist mir fremd und so trist wie die bedrückende Stille in unserem Transporter. Ich öffne mein Feuerzeug und halte die viel zu hohe Flamme an zwei Zigaretten. Eine davon reiche ich Hugo. Er bremst plötzlich, der Wagen bleibt stehen. Ich inhaliere einen kräftigen Zug Nikotin, während Hugo aus dem Bus steigt. Ich folge ihm und werfe die noch klimmende Zigarette in die Dünen. Hier draußen weht der Wind den Sand in meine Augen, ich halte meinen Arm schützend vors Gesicht. Der Bus steht mit dem Vorderreifen an einem Abgrund, ich will etwas sagen, doch ich spüre, wie mein Mund langsam zuwächst. Hugo tritt gegen ein Stein, der geräuschlos in der Tiefe verschwindet. Danach drückt er seine Kippe am Lack des Busses aus und springt hinters Lenkrad. Es klackt und die Zentralverriegelung springt zu. Panisch, mit aller Gewalt, versuche ich die Tür zu öffnen. Der Griff reißt ab und ich fliege rückwärts in den Sand. Blitzschnell springe ich wieder auf und klopfe an die Scheibe des Busses. Hugo lässt den Motor an und würdigt mich dabei keines Blickes. Durchdrehende Reifen, der Bus rast zurück. Eine Weile sehe ich den Transporter verschwommen in der Hitze flimmern, doch Hugos Augen sind ganz nah bei mir. Schwarze Pupillen schauen tief in meine Augen, wie hypnotisiert. Langsam rollt das Gefährt auf mich zu, immer und immer näher. Ich stelle mich ihm in den Weg und breite meine Arme aus, als wolle ich dieses Monstrum aufhalten. In letzter Sekunde springe ich zur Seite, eine Wolke aus Staub nimmt mir die Sicht. Ein dumpfer Knall erklingt unten im Tal, ich schrecke hoch und befinde mich in meiner Wohnung.

    Nachdem sich Hugo im März 2003 in den Kopf geschossen hatte, versuchte ich alles, um mich abzulenken. Wie ein gehetzter Köter rannte ich von einem Ort zum anderen, von einer Party zur nächsten, doch kein Ort in Erfurt ließ mich zur Ruhe kommen. Ich hatte alle Szenen unserer gemeinsamen Zeit durchgespielt, doch ich fand keine Antwort auf die Frage nach dem Warum. Es änderte sich nichts, mein bester Freund war tot. Alkohol wurde mein neuer Begleiter, der Rausch sorgte für Ruhe in meinem Kopf und für Gleichgültigkeit. Doch jeden Morgen, wenn ich im aufgehenden Tageslicht nach Hause torkelte, packte mich immer wieder und wieder die Frage, ob ich etwas hätte ändern können. Mein Arbeitstag überstand ich nur Mithilfe eines beachtlichen Alkoholspiegels – der musste konstant gehalten werden, denn sonst bekam ich mich nicht mehr in den Griff und rastete bei dem kleinsten Hauch einer Kritik unbarmherzig aus. Das Kiffen war da ein besserer Wegbegleiter. Kiffen war diskreter und die Symptome konnten nicht so rasch zugeordnet werden. Wenn ich morgens meine Bong geraucht hatte, kam ich einigermaßen gut über den Tag. Nachmittags bis hin zum Abend rauchte ich drei bis vier Tütchen. Ich hing auf meiner Couch und verließ meine Wohnung nur, wenn ich musste. Viele meiner Freunde verlor ich in dieser Zeit. Sie versuchten mich aus meinem Loch heraus zu holen und mussten sich irgendwann eingestehen, dass es keinen Sinn hatte, sich weiter für mich einzusetzen. Auch ihre gutgemeinten Ratschläge erreichten mich nicht. Ich konnte keinen Menschen um mich herum ertragen, alles was mir früher wichtig war, Freundschaft, Zusammenhalt, menschlicher Kontakt, warf ich in die Tonne. Ina gab mich jedoch nicht auf, sie packte ein paar Sachen zusammen und zog ohne Bedingungen bei mir ein. Der nächste derbe Schlag ließ

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1