Jakob Wolff - Der Fluch: 1495
Von Tanja Kummer
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Über dieses E-Book
Der Beginn der "Jakob Wolff - Hexenmeister" Reihe mit dem Kurzroman "Der Fluch" von Tanja Kummer.
Die überarbeietete, zweite Auflage.
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Buchvorschau
Jakob Wolff - Der Fluch - Tanja Kummer
1.
Frühjahr 1472, in der Nähe von Speyer
Jakob schleppte den Wassereimer vom Brunnen zum Haus. Er war schwer und das grobe Seil schnitt in seine Hand. Doch er war es inzwischen gewohnt und schaffte den weiten Weg, ohne dabei die Hälfte des Wassers zu verlieren und seine Hose zu durchnässen. Sie waren zu zweit unterwegs. Sein älterer Bruder begleitete ihn. Heinz war doppelt so alt wie er und trug gleich zwei der schweren Eimer, was Jakob bewunderte.
Ein Fremder stand bei ihrer Hütte und unterhielt sich mit seiner Mutter. Sie schienen einander vertraut.
»Wer ist das?«, fragte er neugierig. Heinz zuckte mit den Schultern.
»Ein Fremder, der den Weg nicht kennt«, meinte Heinz. Jakob aber glaubte es nicht. Und als sie die Hütte erreichten, sah er, dass ihre Mutter weinte.
»Ist was geschehen?«, wollte Heinz herrisch in Erfahrung bringen. Der Fremde sah ihn verächtlich an, doch Heinz ließ sich von dem Blick nicht einschüchtern. Schließlich war er schon fast ein Mann, wie es ihr neuer Vater zu sagen pflegte.
»Nein!«, antwortete ihre Mutter und wischte ihre Tränen weg. »Heinz, sei ein braver Junge. Geh, hol Agnes und Mariel. Bring sie ins Dorf zu eurer Tante. Jakob, du bleibst bei mir.«
Heinz gehorchte. Er nahm seine Eimer mit ins Haus, holte die beiden Mädchen und machte sich mit ihnen auf den Weg.
Jakob sah den Dreien sehnsüchtig hinterher. Alle waren älter als er und jeder von ihnen hatte das rabenschwarze Haar der Mutter. Nicht er. Sein Schopf war dunkelblond und wellte sich leicht, wenn er länger wurde. Doch Jakob wusste, dass nicht nur seine Haare anders waren. Sein Körperbau war es auch. Genau wie sein Charakter. Er mochte es lieber ruhig und war schlau genug, Ärger aus dem Wege zu gehen. Zumindest in den meisten Fällen. Denn wenn er Menschen berührte, spürte er instinktiv, wie sie sich gerade fühlten. Und Jakob hatte früh begriffen, dass seine Geschwister das nicht konnten.
»Jakob! Begrüße bitte Herrn Markus Wolff.«
Wie befohlen verbeugte er sich tief. Er sah zu seiner Mutter und wartete darauf, dass sie ihm sagte, was er nun tun sollte. Aber sie sah ihn nicht an. Stattdessen spürte er den musternden Blick des Mannes auf sich. Dann kniete dieser nieder.
»Wie alt bist du, Jakob?«
»Sechs«, sagte er tapfer. Eigentlich hatte er keine Angst, doch er ahnte, dass hier Seltsames vor sich ging. Etwas, das mit ihm zu tun hatte.
Jakob sah den Fremden an. Er trug gutes Tuch und teuren Wollstoff. Ein Wanderstab lehnte neben ihm an der Hütte. Der Mann war älter als seine Mutter. Sein mittelblondes, langes Haar war im Nacken zusammengebunden, wo es sich in Wellen über seine Schultern legte. Seine rehbraunen Augen blitzten ihn an und das Gesicht lächelte ihm warm und freundlich entgegen.
»Kannst du zählen?«
»Bis zwanzig, Herr«, verkündete Jakob stolz.
»Und rechnen?«
»Ein wenig.« Beschämt versteckte er seine Hände hinter dem Rücken, weil er die Finger dazu benutzte. Seine Mutter schluchzte und wischte sich die Augen an ihrer Schürze ab.
»Und lesen?«
Jakob schüttelte verschüchtert den Kopf.
Das Lächeln des Mannes wurde breiter. »Das macht nichts. Das werde ich dir beibringen.«
Der Fremde griff nach Jakobs Haar und ließ eine der Locken durch seine Finger gleiten. Selbst als er nur das Haar berührte, war es wie ein Schock, denn er spürte die Freude des Mannes in einem solchen Maße, dass er diese kaum verarbeiten konnte. Zugleich fühlte er, dass der Fremde anders war. Genauso wie er. Jakob schluckte.
»Er sieht gesund aus. War er oft krank?«, fragte der Mann seine Mutter und stand auf.
»Nicht mehr als die anderen Bälger, mein Herr.«
»Ihr habt es gut gemacht, Marie. Es war sicher nicht leicht, wo er so eindeutig nicht wie die anderen Drei aussieht. Ich wäre eher gekommen, wenn ich es geahnt hätte.«
»Sie haben geredet, Herr. Aber das tun sie immer«, sagte sie abwehrend. »Mein neuer Mann weiß aber Bescheid.«
»Es ging wohl nicht anders. Sei’s drum. Jetzt bring seine Sachen, Frau. Ich nehme ihn gleich mit.«
Was? Jakob sah ängstlich zu seiner Mutter. Diese schluchzte erneut und eilte, ohne ihn anzusehen, gehorsam in die Hütte.
Starr vor Angst blickte Jakob flehend auf das Haus. Als seine Mutter wenige Minuten später zurückkehrte, trug sie Jakobs dünnen Reiseumhang und ein kleines Bündel.
Mama, gibst du mich weg? Liebst du mich nicht mehr?
Sie kniete vor ihm nieder und band ihm den Umhang um.
»Vergiss mich nicht«, bat sie ihn und küsste ihn auf die Stirn. Eine Berührung voller Schmerz und Trauer. »Jetzt sei ein artiger Junge und geh mit Markus. Er ist dein Vater.«
Erschrocken sah Jakob zu der fremden Gestalt.
»Aber ich will nicht mit ihm mit!«, rief Jakob verzweifelt. »Agnes hat mir versprochen, dass ich heute Abend …«
»Mein Sohn, als Erstes wirst du lernen, dass du meinen Anordnungen gehorchst!«, erklärte der Mann brüsk.
»Aber Ihr habt gar nichts zu mir gesagt!«, verteidigte sich Jakob. Geschickt wich er dem Mann aus, welcher versuchte, ihm am Ohr zu packen.
»Und dass du mir nicht widersprichst!«, sagte der Fremde nun schon weniger geduldig. Er bekam Jakobs Umhang zu fassen und zog ihn zu sich.
Ehe Jakob begriff, was mit ihm geschah, da hatte der Mann ihn über das Knie gelegt. Mit der flachen Hand schlug er Jakob drei Mal kräftig auf das Hinterteil.
»Einmal für deinen Ungehorsam. Einmal für die Widerworte. Und einmal, damit du es nicht vergisst.«
Jakob brüllte vor Wut und Schmerz. Tränen und Rotz liefen ihm aus den Augen und der Nase.
»Nicht, Herr!«, rief seine Mutter erschrocken. »Er ist ein guter Junge!«
»Das werden wir sehen«, sagte der Fremde. Er stellte Jakob wieder auf die Füße und reichte ihm ein Taschentuch. Verdutzt starrte er auf das Tüchlein in seinen Händen, viel zu benommen, um zu begreifen, was er damit tun sollte.
Nun griff der Fremde unter seinen Umhang, zog einen Beutel hervor und reichte ihn Jakobs Mutter.
»Was soll ich bloß seinen Geschwistern sagen?«
»Das ist mir gleich. Wegen mir sag ihnen, Jakob sei tot. So oder so, ihr werdet ihn niemals wiedersehen.«
Damit nahm der Fremde seinen Wanderstock in die Rechte, packte Jakobs Hand mit der Linken und zerrte ihn einfach mit sich.
»Mutter!«, brüllte er entsetzt. »Mutter!«
Doch diese drehte sich um und lief laut schluchzend ins Haus.
2.
Sommer 1486 in Speyer – vierzehn Jahre später
»Mutter!«, brüllte Jakob und erwachte aus seinem Albtraum.
Die Morgensonne eines neuen Tages erhellte die Kammer und ihre Strahlen fielen direkt auf sein Bett. Er keuchte und wischte sich mit der Hand über das Gesicht, das sich rau vom Bartwuchs anfühlte. Er hatte sich gestern nicht rasiert.
In seinem Schädel hämmerten Kopfschmerzen und Erinnerungsblitze der vergangenen Nacht suchten ihn heim. Ein fensterloser Raum. Erfüllt vom Qualm der Talgkerzen und brennender Kräuter im Kohlebecken. Mehrere Personen in dunklen Gewändern. Runen, gezeichnet mit weißer Kreide. Tanz. Blut. Wein.
Sommersonnenwenderitual!
Jakob keuchte erneut und setzte sich langsam auf. Der Raum um ihn herum drehte sich noch immer, als Jakob bereits saß.
»Weißt du eigentlich, wie neidisch ich auf dein lockiges Haar bin?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Jakob sprang erschrocken auf und drehte sich um. Eine Frau rekelte sich auf seiner Lagerstatt. Die Decke bedeckte nur den Teil von ihrer Hüfte abwärts, sodass es ihre festen, kleinen Brüste waren, auf denen Jakobs Blick als Erstes ruhte. Dann sah er in ihr ovales Gesicht, welches von blondem, dünnem Haar gerahmt wurde. Ihre blauen Augen wanderten tiefer und verweilten lüstern auf seiner nackten Männlichkeit.
»Und darauf, was du damit kannst!«, erklärte sie schamlos.
»Lina! Herrgott!«, rief Jakob entsetzt.
»Oh, der kann nichts dafür, dass ich hier bin«, lachte sie.
»Dein Mann wird mich umbringen!«
Ihr Lachen verklang. »Der nicht! Aber dein Vater schon.«
»Als ob das irgendeinen Unterschied machen würde. Du musst sofort gehen!«
»Dafür ist es längst zu spät«, erklärte sie schmollend. »Markus war vor einer Stunde da und wollte dich wecken.«
»Herr im Himmel!« Jakob griff nach seiner Hose und schlüpfte rasch hinein.
»Wo willst du hin?«
»Zum Treffen mit dem Bekannten meines Vaters.«
»Denkst du, es wäre klug, jetzt noch dort hinzugehen? Wenn er wirklich gewollt hätte, dass du ihn begleitest, dann hätte er dich wach gemacht. Komm zurück ins Bett!«, schnurrte Lina verführerisch.
»Du verstehst das nicht! Es ist wichtig.«
»Himmel! Männer und ihre Angelegenheiten.« Missmutig stand sie auf und ging zum Waschgestell. Sie schüttete Wasser in die Waschschale und tauchte das Tuch ein. So aufreizend wie möglich begann sie sich zu waschen.
Doch Jakob war es gleich, denn er empfand nichts für Lina. Sie war einfach zu haben. Und das, obwohl sie verheiratet war. Oder gerade deswegen? Ihr sehr viel älterer Mann wusste von ihrer kleinen Schwäche. Oder ihrer unbändigen Sucht? Man konnte es sehen, wie man wollte. Allerdings hatte ihn sein Vater vor Lina gewarnt. Sie würde wieder in sein Bett wollen und dieses Spiel konnte auf Dauer gefährlich werden. Denn ganz gleich, ob ihr Mann eine solche Schande gestattete: