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Control Freak
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eBook388 Seiten9 Stunden

Control Freak

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Über dieses E-Book

Die Spuren eines grausamen Verbrechens führen zu Absinthe, Chef des legendären Sadomaso-Klubs "Crypt". Vollkommen ahnungslos beginnt Caitlin McCullough dort zu ermitteln und entdeckt eine Welt aus lustvollem Schmerz und abgründigen Fetischen. Ein Tummelplatz der Reichen und Verdorbenen, wo alles möglich und nichts verboten ist. Sie lernt die devote Justine kennen, die sie in die Tiefen des Sadomaso einführt, und schon bald genießt Caitlin höchstes Ansehen in der SM-Szene. Tagsüber gibt sie als Domina Shows und nachts vergnügt sie sich im Bett; ihr eigentliches Ziel verliert sie immer mehr aus dem Blick. Doch nach und nach spitzen sich die Dinge zu und das Spiel gerät außer Kontrolle ... Als ihr klar wird, dass sie dem Killer näher ist, als es ratsam wäre, muss Caitlin alles riskieren, um nicht nur die Wahrheit über jene Mordnacht aufzudecken, sondern auch das dunkle Geheimnis tief in ihrem Innern.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotbuch Verlag
Erscheinungsdatum23. Jan. 2013
ISBN9783867895125
Control Freak
Autor

Christa Faust

Christa Faust grew up in the Bronx and Hell’s Kitchen, spending most of her teen years on endless subway rides, cutting school, and writing. She sold her first short story when she moved to Los Angeles in the early ‘90s, and still considers herself an expat rather than a native. She’s an avid reader of vintage paperbacks, a film noir enthusiast and a tattooed lady who writes hardboiled crime fiction.

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    Buchvorschau

    Control Freak - Christa Faust

    TEIL EINS

    FLUCHT

    1

    Fourteenth Street, so weit westlich, wie man kommt, ohne schwimmen zu müssen. Das heiße Herz des Schlachthofviertels. Schmieriges Kopfsteinpflaster und ätzende Dämpfe. Tote Dinge, die ge- und verkauft werden.

    Autos voll betrunkener Verbindungsstudenten aus guter Familie durchkämmten in langsamer Fahrt die Gegend nach Huren, Dreck unter den Fingernägeln und mit wilden, crackgeweiteten Augen. Lumpenmumien mit nackten Füßen wühlten in roten Plastiktonnen mit der Aufschrift nicht essbar – Schlachthofabfälle, Fleischfetzen, die selbst für die Leimherstellung zu verfault waren. Die Luft roch schwer nach Tod und Verzweiflung, nach kaltem Fleisch und lieblosen Herzen. Im Rinnstein floss Blut, gespickt mit abgebrochenen Kanülen.

    Die beiden Mädchen gingen händchenhaltend den fauligen, ölverschmierten Gehsteig entlang, nicht langsam wie ein Liebespaar im Frühling, sondern in kaum verhohlener Hast. Sie waren sauber und verängstigt und gehörten überall hin, nur nicht hierher, ganz wie ein handzahmes Finkenpärchen, das aus seinem teuren Käfig geflohen ist und sich im Gewirr dieser Stadtlandschaft verirrt hat. Über ihren Köpfen priesen grellrote und gelbe Schilder fröhlich ganze Kaninchen und frische Milchlämmer an.

    »Wo gehen wir hin?«, fragte Jez, durch deren Piepsstimmchen sich ein dünner Faden der Furcht wob.

    »Weg«, antwortete Eva und strich sich mit der freien Hand nervös über die blonden Stacheln auf ihrem Schädel, während sie einen Blick über ihre Schulter warf. Jez’ Puls flatterte in verführerischem Takt in Evas Hand. Ihre Finger fühlten sich ungeheuer zerbrechlich an.

    »Er findet uns«, flüsterte Jez, ihre grauen Augen beim Gehen starr auf die billigen neuen Sneakers gesenkt.

    »Nein.« Eva blieb stehen und packte Jez an den Schultern. Sie versuchte, streng zu blicken, fürchtete aber, die Kleine könnte recht haben. Paranoia zupfte an ihren Nerven wie ein hartnäckiger Harfenspieler und zwang sie, unablässig den leeren Straßenzug abzusuchen. War da jemand im Schatten dieses Hauseingangs? Wieso fuhr das Auto so langsam an ihnen vorüber? Sie stellte fest, dass sie sich selbst nicht mehr recht traute. Die Zukunft lag wie ein riesiger, von Möglichkeiten wimmelnder Ozean vor ihnen, und Eva fühlte sich verloren, verängstigt. Es gab einfach zu viele Wahlmöglichkeiten, und jede einzelne konnte katastrophale Folgen haben. Sie merkte, dass ihr die rituelle Vorhersagbarkeit des Sklavendaseins fehlte, und schämte sich sofort dafür. Sie durfte sich nicht gestatten, einen Blick zurückzuwerfen, ihn zu vermissen. Voll widerstreitender Sehnsüchte und schmerzhafter Bedürfnisse schmiegte sie ihre Hand um die sanfte Rundung von Jez’ Schädel. Sie waren schon beinahe frei.

    Eva schloss das Gesicht des Mädchens in ihre Hände. Verlangen und Furcht mischten sich in ihrem Unterleib, formten heiße Tentakel, die sich zwischen ihren Beinen wanden und schlängelten.

    »Wir sind sicher hier draußen«, sagte Eva zu ihr, stahl ihre Finger unter Jez’ T-Shirt und streichelte ihren Bauch, spielte an dem starren Lederriemen, der über dem tief sitzenden Bund ihrer nagelneuen Jeans zu sehen war. Jez’ Keuschheitsgürtel, die letzte Erinnerung an ihr beider altes Leben, an ihn. Voller Schrecken wurde Eva in diesem Augenblick bewusst, wie sehr sie ihn immer noch begehrte, seine erfahrenen Hände, seinen fordernden Mund. Er wusste immer genau, wie er sie berühren musste, wie er sie locken und heißmachen, an den rasiermesserscharfen Grat ihrer Leidensfähigkeit und darüber hinaus führen musste in die dämonischen Ekstasen, die dahinter lagen. Er hatte sie Dinge gelehrt und Türen geöffnet. Jetzt lief sie fort und nahm Jez mit, und es gab keinen Weg mehr zurück.

    »Wir sind schon weg«, sagte sie und zwang sich, tief durchzuatmen, nur an die Zukunft zu denken. »Nur eins noch.«

    Sie stieß das Mädchen in den finsteren Schlund einer Gasse und küsste es mit schmerzendem, wundem Mund, gefräßig wie eine Verhungernde. Das Herz hämmerte ihr gegen den Brustkorb, und eine schwelende Hitze köchelte zwischen ihren Beinen, die das Reiben der Naht ihrer Jeans schier unerträglich machte. Sie hatte das Gefühl zu fallen, zu sterben, geboren zu werden.

    Eva stieß Jez von sich und drückte sie gegen die Wand. Mit einem Griff in ihren Hosenbund zog sie ein Messer heraus und ließ es aufschnappen. Mit einer Hand knöpfte sie Jez die Jeans auf, schob sie ihr in die Knie und entblößte die raffiniert verschlungenen Nieten und Riemen des verhassten Keuschheitsgürtels.

    »Was hast du vor?« Jez’ Augen waren rund und voller Angst und glänzten wie Tropfen aus Quecksilber.

    »Ich nehm dir das Ding ab.« Eva hielt Jez das Messer vors Gesicht und fuhr mit dem Daumen über das breite, silberne Schloss.

    »Eva, da kommt jemand.« Jez war blass und zitterte.

    »Pssst.« Eva streichelte Jez mit der flachen Messerklinge die Wange. »Da ist niemand.«

    »Ich mein’s ernst.« Jez wand sich. »Ich hör’s doch.«

    »Sei still!« Eva schlug sie ins Gesicht, nicht sehr fest, aber dennoch schimmerten Jez’ Augen unter einem Tränenschleier.

    Ein seltsamer Rausch von Macht pulsierte unter Evas brennender Haut, und ihr wurde bewusst, dass sie die Kleine am liebsten gleich hier in der Gasse auf die Knie gestoßen, ihr das tränenverschmierte Gesicht zwischen ihre Beine gedrückt und sie gezwungen hätte, sich zu entschuldigen. Dieser jähe Wunsch, die Kontrolle an sich zu reißen, hatte ihr die Kraft verliehen, wegzugehen, aber sie bemerkte, dass sie sich dennoch vor seiner Heftigkeit, vor seinen unvorhersehbaren Forderungen fürchtete. Und sie wusste, dass nicht die Zeit für Spiele war, besonders wenn da wirklich jemand kam. Sie sog tief Luft ein, damit ihre Hand nicht zitterte, und flüsterte: »Halt still.«

    Sie bückte sich, setzte das Messer am dünnsten Lederriemen an und kniff die Augen zu, als würde ihr gleich in die eigene Haut geschnitten werden. In den überquellenden Mülltonnen gingen die Ratten ihren Geschäften nach, ohne sich um das lautstarke Drama zu scheren, das sich in der Gassenmündung abspielte. Über ihnen stand der Mond in einer scharfen Sichel am abendlichen Himmel. In der Ferne raunte die Stadt in ihrer eigenen Sprache.

    TEIL ZWEI

    INFILTRATION

    2

    Caitlin und Mike liebten sich in einem Teich aus nachmittäglichem Sonnenschein. Das schräg einfallende gelbe Licht, in dem ihre schweißnassen Leiber badeten, erweckte den verschwörerischen Eindruck einer verbotenen Affäre. Die Sonne liebkoste Caitlins Haar fast so sehr wie Mike selbst, drang weit in ihr Gold von der Farbe irischen Whiskeys und honiggelben Bernsteins vor. Normale Paare liebten sich träge am dämmrigblauen Abend, Mike jedoch liebte Caitlin am Nachmittag.

    Er hatte viele gutmütige Sticheleien seines Partners aushalten müssen, weil er sich um diese Tageszeit zu dieser Frau fortstahl. Sie erweckte Gier in ihm, und sein Leben war zu einer unerträglichen Wüste geworden, unterbrochen von üppigen Oasen wie dieser.

    Ihr Körper war geschmeidig wie der eines Rennpferds und fein gemeißelt, ihre buttermilchweiße Haut mit blassen Sommersprossen gesprenkelt. Atemberaubende Beine bis zum Hals und eine sengende Hitze in ihren flaschengrünen Augen. Ihre Brüste waren klein, doch die Brustwarzen hatten die Größe von Fingerspitzen und wirkten unendlich sexy unter den dünnen T-Shirts, die sie immer trug. Sie war die größte Frau, die er je kennengelernt hatte, eins fünfundachtzig in flachen Schuhen. Wenn sie sich küssten, befanden sich ihre Gesichter auf exakt derselben Höhe. Obwohl sie nicht die Schönheit eines Models besaß, waren ihre Gesichtszüge stark und überwältigend, ihr breiter Mund seltsam sexy.

    Ihre wahre Schönheit bildete ein Nebeneffekt von Form und Anmut, jede ihrer Bewegungen glich einem unbewussten Ballett. Anders als viele andere große Frauen, die sich im unterschwelligen Versuch, sich für ihre Größe zu entschuldigen, krümmen und in sich zusammenrollen, fühlte Caitlin sich in ihrem Körper nie unwohl. Ohne Furcht und ohne Kompromisse tanzte sie durch die Welt.

    Bei ihrer allerersten Begegnung kam sie wie eine Gangsterbraut aus einem Hardboiled-Krimi an seinen Schreibtisch stolziert und flüsterte mit heiserer, rohseidener Stimme direkt aus den Vierzigern.

    »Ich bin eine verzweifelte Frau, Detective. Ich kann mich an niemanden sonst wenden. Sie sind meine einzige Hoffnung.«

    Er saß nur mit offenem Mund da, während sie lachend ihr Haar zurückwarf, die Hand ausstreckte und sich vorstellte. Sie war Schriftstellerin, wie sie ihm mit einem Anflug von trockenem Sarkasmus mitteilte, und hatte mit seinem Partner gesprochen, sich durch die Revierhierarchie aufwärtsgeschlängelt. Ob er etwas dagegen habe, wenn sie ihm ein paar Fragen stelle? Wie hatte er da Nein sagen können?

    Jetzt fühlte er sich jedes Mal unbehaglich und hilflos wie ein übereifriges Kind, wenn sie ihren grün glühenden Blick auf ihn richtete. Wenn er auf eine Frau traf, die das gleiche Shampoo benutzte, bekam er von dem Geruch stundenlang einen Steifen, ohne damit etwas anfangen zu können. Er war hoffnungslos verliebt und ebenso hoffnungslos unvorbereitet auf die Konsequenzen dieser Liebe.

    Sie hielt ihm seine Hände über den Kopf und beherrschte ihn wie immer vollkommen mit den kraftvollen Stößen ihrer Hüften. Sein Orgasmus war furchterregend heftig, alles verschlingend.

    Das Gesicht an seinen Hals gepresst, erschauerte sie am ganzen Leib, und der feuchte Vorhang ihrer Haare breitete sich über sein Blickfeld. Er umschlang sie, unsicher, wo sein Fleisch endete und ihres begann. Er holte tief Atem und hielt ihn an, denn er wusste, wenn er ihn jetzt herausließe, würde er die Worte bilden, die nie auszusprechen er ihr hatte versprechen müssen.

    »Verlieb dich nicht in mich«, hatte sie ihm in der warmen Euphorie nach dem ersten Mal geraten. »Ich sag das nicht aus Koketterie oder weil ich auf ›schwer zu kriegen‹ machen will. Ich bin deine Freundin und dein Fickkumpel, solange du willst, aber weiter kann ich nicht gehen, okay?«

    Damals hatte es erfrischend aufrichtig gewirkt, genau das, was er nach dem düsteren, schuldbeladenen Labyrinth seiner gescheiterten Ehe gebraucht hatte. Aber jetzt quälte ihn diese Einschränkung, errichtete eine dichte, unüberwindliche Barriere zwischen seinem Mund und seinen Gefühlen. Selbst als es mit Maura gut gewesen war, war es nie so gut gewesen, wie einfach nur neben dieser Frau herzugehen.

    »Caitlin«, sagte er und schob eine schwere Handvoll Strähnen aus ihrem Gesicht. Ihre Augen hatten ein rauchiges Immergrün angenommen. Er streichelte ihre Wange und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, aber das spielte kaum eine Rolle. Allein ihren Namen auszusprechen war eine andere Art ›Ich liebe dich‹ zu sagen. Sie führte ihren Mund an seine Finger.

    »Was ist?«, fragte sie.

    Das Schweigen zwischen ihnen bildete eine Ursuppe subtiler Emotionen. Er hatte Angst zu atmen. Ihre Augen glichen durch die Tiefen eines grünen Ozeans gefiltertem Sonnenlicht, und er hätte schwören können, dass da etwas war, eine stumme Antwort auf seine stumme Liebeserklärung.

    Das schrille elektronische Grillenzirpen seines Beepers zerstörte die fragile Oberflächenspannung des Augenblicks, und das halb erhaschte Gefühl war weg und ließ Mike mit seiner unnennbaren Liebe allein. Er schloss die Augen, verbarg sich leise fluchend unter Caitlins Haar und presste die Lippen auf ihre Schläfe.

    »Ich muss mich nicht melden«, sagte er.

    Caitlin lachte, leise und voll, aber mit der unverkennbaren Kadenz eines Menschen, der lange angehaltenen Atem ausstößt. Sie entwand sich ihm, doch er widersprach wortlos und hielt sie an den Hüften fest. Sie aber tanzte sich aus seiner Umarmung und fischte das störende Gerät aus dem zerwühlten Haufen ihrer Kleider heraus.

    »Wahrscheinlich Eric«, sagte sie und warf ihm den Beeper zu.

    Nach einem Blick auf das Display stöhnte er und spürte, wie die Euphorie in einer heißen Woge aus Magensäure weggeätzt wurde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er pellte sich das feuchte, zerknitterte Kondom von seinem schlaffen Pimmel und warf es in den Abfall.

    Caitlin saß mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden und entwirrte ihre hüftlangen Haare, die sich beim Liebesspiel verknotet hatten, während sie Mike zusah, wie er am Telefon nickte und die Stirn runzelte. Als er auflegte, war seine Miene finster und ernst.

    Sie ging zu ihm hinüber und schlang die Arme um ihn. Ihr Körper war warm und ruhig und verständnisvoll. Er ließ sich eine stumme Minute lang von ihr halten, schöpfte Kraft aus ihrem vertrauten Duft. Ein wehmütiges Echo der gerade erlebten Intensität durchbebte ihn und war dann verschwunden. Er küsste sie auf den Mund und machte sich sachte von ihr los.

    »Eric hat gerade ’nen Fall unten in der Fourteenth reingekriegt«, sagte er und fuhr sich mit den Fingern durch die schweißnassen Haare. »Irgend ’ne Genitalverstümmelung oder so. Ich muss los.«

    Caitlins Augen funkelten. »Ruf mich später an«, sagte sie, was bedeutete, dass sie alle Einzelheiten wissen wollte. Er schüttelte den Kopf. »Manchmal denke ich, du fickst nur mit mir, um Material zu bekommen.«

    Er küsste sie auf die Stirn, hielt die Lippen daraufgepresst, die Hand um ihren Nacken geschlossen. Eigentlich erwartete er ihren Widerspruch: Nein, natürlich nicht, aber sie sagte nichts. Er seufzte.

    »Ich erzähl dir alles heute Abend, okay?«

    Sie lächelte.

    Caitlin schaute ihm beim Anziehen zu. Mit jeder Schicht, die sie voneinander trennte, fühlte sie sich weniger verletzlich. Er war ganz in Gedanken, als er sein Schulterhalfter umschnallte und sich mit der Hand übers Haar wischte. Ein kurzer Abschiedskuss und weg war er.

    Nackt setzte sie sich an den Schreibtisch, als sie allein war, und warf ihren Laptop an. Während das Gerät summte und klickte, türmte sie ihre verfilzten Haare auf den Kopf und steckte sie mit einem Bleistift fest.

    »Guten Tag, Lady Morrigan«, sagte der Computer mit tiefer, höflicher Stimme. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«

    »Lassen Sie mir ein Bad ein, James«, befahl sie in vor erzwungener Munterkeit scharfem Ton. Sie wühlte in einem Stapel CDs, wählte nach Laune eine aus und steckte sie in den Gettoblaster auf dem Schreibtisch. »Benutzen Sie dafür das Gardenienöl und bereiten Sie mir einen kalten Imbiss zu. Ich sterbe vor Hunger.«

    Der Computer verharrte im hilfsbereiten Schweigen eines ausländischen Verkäufers, der kein Englisch spricht. Mit dem Begrüßungsprogramm war das Repertoire seiner Sprachfähigkeit erschöpft.

    Caitlin schaukelte mit ihrem Stuhl zurück und drückte die Finger gegen die Lippen. Sie schloss die Augen und atmete den verbliebenen Duft von Mikes Körper ein. Sein unverkennbar maskuliner Geruch war das Erste gewesen, was ihr an ihm aufgefallen war, als sie im tristen Hühnerstall des 10. Reviers miteinander geflirtet hatten. Er war viel älter als sie, einundvierzig – sie dreiundzwanzig –, und kein Vergleich mit den blassen, arroganten Computerfreaks, mit denen sie sich normalerweise paarte. Vital und selbstsicher war er, ein Alphawolf, der ausnahmslos bei all ihren Freunden, verbitterten Strebern mit ihren traumatischen Erinnerungen an Misshandlungen auf der Highschool, geradezu instinktive Abwehrreaktionen auslöste.

    Eine ganze Weile war es ihr gelungen, sich einzureden, ihre Affäre mit Mike sei nichts weiter als ein Abschnitt auf ihrer endlosen Jagd nach Rohmaterial, um die knallharten Krimis zu unterfüttern, mit denen sie ihre Rechnungen bezahlte. Aber heute, kurz bevor der Pager losplärrte, hatte Caitlins Herz in ihrer Brust ausgesetzt, und sie war sich sicher, gleich würde er ihr gestehen, dass er sie liebte.

    Während ihrer Überlegungen hatte sich der Bildschirmschoner eingeschaltet, ein seltsames Muster aus fliegenden Würmern und Uhren. Ein Schauer durchfuhr sie, und sie rief ihr privates Tagebuch auf.

    Klischee Nr. 1: Bei all unseren oberflächlichen Unterschieden sind wir uns total ähnlich. Beide logisch. Beide sachlich. Vertrauen nicht leicht. Geben nicht leicht. Wir haben den gleichen düsteren Sinn für Humor, den gleichen Zynismus. Wir fallen uns gegenseitig auf die Nerven und wir bringen uns gegenseitig zum Nachdenken. Ich war noch nie mit einem Mann wie ihm zusammen.

    Klischee Nr. 2: Toller Sex. Alle neigen dazu, sich für den besten Liebhaber aller Zeiten zu halten, aber dieser Mann ist ihnen um Lichtjahre voraus. Er weiß nicht nur, wo er’s hat, er weiß auch was damit anzufangen. Er macht genau das, was ich will, als wäre es ihm eine Ehre, und das ohne den verzweifelten Drang der meisten Männer, es einem recht machen zu wollen. Wenn ich ihm sage, er soll runtergehen und mir die Muschi lecken, bekommt er einen fast ehrfürchtigen Blick. Er ist sehr respektvoll. Ritterlich sogar. Und ich liebe es, sein Gesicht zu sehen, wenn er die Beherrschung verliert, wenn seine ganze Härte von ihm abfällt und nichts mehr übrig bleibt als pure Empfindsamkeit und Verlangen. Ich weiß, dass ich alles von ihm kriegen könnte, was ich will. Er gibt mir das Gefühl, eine Göttin zu sein.

    Klischee Nr. 3: Das letzte und schlimmste. Wenn ich mit ihm zusammen bin, ist es, als würde alles andere verschwinden. Die Welt schrumpft zusammen bis auf die Größe unserer Haut. Er gibt mir das Gefühl, alles sei möglich.

    Sei logisch, Caitlin. Verknallst du dich etwa in den Kerl? Denn wenn ja, dann nimmst du’s besser mit hinters Haus und knallst es ab, bevor’s noch schlimmer wird. Es gibt wissenschaftliche Theorien, für die es weniger Belege gibt als für die These: Liebe = Leiden. Außerdem, wo soll das hinführen? Du und eine Bullenfrau?

    Caitlin legte eine Hand über die Augen. Im Hintergrund jammerte Billie Holiday und ließ ihre akrobatische Stimme, ganz süße Milch und Rasierklingen, steigen und fallen.

    Sie schloss die Datei, indem sie energisch ein paar Tasten drückte, holte dann tief Luft und ging auf die Homepage von TruthNet.

    Die Website begrüßte sie mit fröhlicher Herzlichkeit. Sie lud ihre E-Mails herunter und erwog, Wilson Bergin, Administrator bei TruthNet und ihr bester und ältester Freund, eine Nachricht zu schicken. Die Struktur der Website ähnelte stark einem Zauberkabinett voller Geheimfächer und Tricktüren, unsichtbaren Befehlen und versteckten Menüs, die ineinander verschachtelt waren wie russische Matroschkas. Caitlin kannte vielleicht ein Zehntel des gesamten Labyrinths und hatte wenig Lust, mehr zu wissen. Mit gebremster Neugier überflog sie die neuesten Einträge, den neuesten Tratsch. Eine Handvoll virtueller Bekannter debattierte heftig über ein Thema, das selbst ihr zu verwickelt und abstrus war, aber das Fehlen von Wilsons körperloser Meinung fiel deutlich auf. Sie beschloss, ihm einen physischen Besuch abzustatten.

    »Wilson«, tippte sie. »F2F @ 19:00«

    Es war immer klug, Wilson rechtzeitig im Voraus vor einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht zu warnen, und obgleich sie einer der wenigen Menschen auf Erden war, die es sich leisten konnten, unangemeldet bei ihm in Fleisch und Blut aufzukreuzen, vermied sie es für gewöhnlich, ihn aufzuregen.

    Sie loggte sich aus und schaltete den Computer ab, zog eine alte Jeans und ein weißes Männerunterhemd mit V-Kragen über und zwängte ihre Füße in ihre Stiefel, während sie zur Tür hüpfte. Von einer Stuhllehne packte sie ihre Lederjacke und kramte nach ihren Schlüsseln. Der Motorradhelm schlug ihr gegen die Hüfte, als sie in den Flur hinaustanzte.

    3

    Die uniformierten Polizisten hatten den Weg bereits abgesperrt, als Mike ankam. Juana Carrera und Ray Nolan flankierten das Opfer wie Hunde, die frisch erlegte Beute bewachen, während Eric zu Füßen Carreras auf einer der wenigen nicht blutbefleckten Stellen des Kopfsteinpflasters kniete.

    Er war ein stämmig gebauter Italiener mit einem breiten Grinsegesicht, hinter dem sich stets ein heimlicher Witz zu verbergen schien. Er trug einen perlgrauen Anzug und dazu ein dunkles Hemd mit einer schmalen schwarzen Seidenkrawatte. Seine schwarzen Kraushaare waren sorgfältig im Stil eines Drogenbarons gegelt, der fünf Jahren Arbeit bei der Sitte geschuldet war.

    »Juanacita«, sagte Eric herzlich und breitete weit die Arme aus, als wollte er ihr einen Heiratsantrag machen. »Du weißt doch, dass ich ohne dich nicht leben kann.«

    »Detective Antonucci«, sagte sie mit einseitig zur Andeutung eines Lächelns hochgezogenen Lippen. »Würden Sie bitte versuchen, sich einer gewissen Professionalität zu befleißigen?«

    »Siehst du, wie sie das macht?«, fragte Eric Mike, der sich unter dem gelben Absperrband hindurchduckte. »Frauen. Man schenkt ihnen sein Herz, und sie spucken es einem glatt zurück ins Gesicht.«

    Das Ritual war alt und vertraut. Eric warf sich Carrera zu Füßen, und Carrera ließ ihn abblitzen. Hätte sie je seinen Avancen einmal nachgegeben, hätte ihn wahrscheinlich der Schlag getroffen.

    »Erzähl«, forderte Mike ihn auf, während er sich ein Paar weißer Gummihandschuhe über die vernarbten Hände streifte.

    »Du siehst’s ja selbst.« Eric stand auf und wischte sich die Knie ab. »Weiß, weiblich, keine zwanzig. Keine Papiere. Ausgeprägte genitale Verstümmelung.«

    Mike ging neben der lang dahingestreckten Leiche in die Hocke und runzelte die Stirn angesichts der tiefen, klaffenden Stichwunden und der bogenförmigen Bissspuren unter dem aufgereckten Kinn des Mädchens. Überall war Blut, lange, verklumpte Spritzer auf und geronnene Bäche zwischen den unebenen Pflastersteinen. Nichts Außergewöhnliches. Aber die Schweinerei zwischen ihren Beinen ...

    »Wer hat sie gefunden?«, fragte Mike.

    »Ein Transvestitenstricher«, teilte Carrera ihm mit.

    »Na toll«, sagte er und verdrehte die Augen zum Himmel. »Noch irgendjemand was gesehen?«

    »Nee«, sagte Eric. »Kein Schwein.«

    »Und was ist mit der Transe?«

    »Davis quetscht sie grade aus, aber sie schwört rauf und runter, dass sie von nichts weiß.«

    »Passt«, sagte Mike. »Ich hab da ’n ganz mieses Gefühl.«

    »Nicht nur du.« Eric schüttelte den Kopf. »Ich könnte ’nen Scheißurlaub gebrauchen.«

    Zustimmendes Gemurmel und beifälliges Nicken.

    »Ich sag euch, das hier wird übel«, sagte Nolan, der angeekelt die Lippen verzog, nicht wegen des Zustands der Leiche mit ihren halb geschlossenen Augen, sondern weil der Fall so hoffnungslos war. »Ich kann’s riechen. Die Medien werden sich draufstürzen, da kannst du sicher sein. Mein Beileid, Antonucci.«

    »Scheiß auf dein Beileid«, erwiderte Eric. »Du kannst mir dein Beileid auf deinen Scheißknien spenden, wenn ich mit der Kacke aufgeräumt hab. Dann schüttle ich dem Bürgermeister die Hand, und du kannst mir einen blasen.«

    »Nun ja, Detective«, sagte Carrera, ohne ihr hübsches glattes Latinagesicht zu verziehen. »Ich schätze mal, jeder braucht einen Traum.«

    Mike schüttelte den Kopf und bückte sich, um das tote Mädchen genauer zu untersuchen. Sie musste mädchenhaft hübsch gewesen sein, schön sogar, bevor die leere Anonymität des Todes alle Spuren von Persönlichkeit ausgetilgt hatte. Lange helle Wimpern, sommersprossige Stupsnase. Volle Nuttenlippen und auf dem Kopf blonde Stoppeln. Sie trug einen Ring in der Nasenscheidewand und ein kompliziertes Tattoo auf dem rechten Oberarm, ein großes A aus ineinander verschlungenen organischen Formen, die sich wie gefoltertes Fleisch zu winden schienen. Ihre Jeans hing ihr in den Knien.

    Wer immer das getan hatte, musste sich Zeit genommen haben, um das, was einmal eine Vagina gewesen war, liebevoll zu einer entstellten Skulptur verstümmelten Gewebes zurechtzuschnitzen. Die Klitoris war dreimal eingeschnitten und wie widerspenstige Blütenblätter zurückgeschält worden, während die inneren Schamlippen in dünne Scheiben geschnitten und zu vier getrennten Zöpfen geflochten waren. Lange Fleischstreifen aus der Innenseite der Vagina waren fast völlig entfernt und nach außen gezogen worden, sodass sie nur noch an ganz dünnen Adern hingen.

    »Für so ’ne Scheiße braucht man Hingabe, so viel ist mal sicher«, sagte Eric, der neben seinem Partner auf die Knie ging.

    Mike nickte. Er fischte in der Jeanstasche des Mädchens und zog einen zerknitterten Zehndollarschein und ein Preisschild für die Jeans selbst heraus.

    »Musste wohl schnell arbeiten«, erwiderte grinsend Eric. »Muss den neuen Ronco Pocket Slicer-Dicer gehabt haben. Der verstümmelt, der amputiert ...«

    Die Detectives kicherten. Das Opfer starrte ausdruckslos in den leeren, weißen Himmel.

    Mike reichte Eric das Preisschild. »Überprüf das. Die Klamotten sind nagelneu.«

    Die Detectives hörten Sergeant DeSalvo, noch bevor sie ihn sahen, als seine alles andere als wohlklingende Stimme durch die Gasse hallte, wobei die Ratten die Köpfe wandten und aus respektvoller Entfernung zuschauten.

    »Verdammte Scheiße, so was kann ich brauchen wie ’n Loch im Kopf.«

    Er bog um die Ecke wie ein Highschool-Direktor, der drauf und dran ist, ein paar ungezogenen Schülern die Hölle heißzumachen.

    »Na schön, wer war zuerst dran an der beschissenen Sauerei hier?« Mit dramatisch finsterer Miene musterte er seine Untergebenen.

    »Ich, Sir.« Eric trat einen Schritt vor.

    »Sie?« Sein Gesicht wurde noch finsterer. »Ich dachte, Sie holen Sandwiches?«

    »Ich war in der Nähe.« Eric zuckte die Achseln. »Nennen Sie mich einfach Mister Glückspilz.«

    »Na schön, Detective Glückspilz, da haben Sie ja jetzt echt die Scheißmedien auf dem Hals. Wir haben die süße Kleine hier gerade identifiziert. Ein Streifenbeamter hat das Tattoo von ’ner alten Vermisstenmeldung wiedererkannt. Ihre Mom ist Ruth Eiseman, dieses Großmaul von Selbsthilfefotze, die den ganzen Scheißdreck über Männer schreibt, die Hunde quälen, und über die Frauen, die sie lieben. Wenn Sie das hier aufklären, dann werden alle Schlange stehen und Ihnen den Schwanz lutschen wollen. Wenn nicht, dann machen Sie sich besser schon mal drauf gefasst, mir einen zu blasen. Denn eins sag ich Ihnen ...«

    Genau wie Erics Anmache von Juana Carrera war die kleine Machonummer hier so absehbar gewesen, dass Mike sie kaum hörte. DeSalvo gab einfach nur den Anschiss weiter, den er von Lieutenant Leary bekommen hatte. Die Schwerkraft des Zorns in der guten alten Nahrungskette der Mordkommission. Immer dasselbe.

    Der dunkle Transporter der Gerichtsmedizin fuhr an der Gassenmündung vor und spuckte, einer intellektuellen Eingreiftruppe gleich, eine Meute emsiger Spurensicherer aus.

    Eine hübsche Schwarze kniete neben der Leiche nieder und suchte mit Fingern behutsam, aber vergeblich nach Anzeichen von Leben.

    »Tot«, verkündete sie.

    Eric kicherte. »Junge«, sagte er. »Meinen Sie wirklich?«

    Die Frau lächelte. »Sie gehört euch«, sagte sie zu den wartenden Technikern.

    Scheinwerfer flammten auf und jagten rote und gelbe Gespenster durch Mikes Blickfeld. Er schüttelte den Kopf, um sie loszuwerden, und verspürte den kindischen Wunsch, noch in Caitlins Bett zu sein und die Düfte ihrer Ekstasen zu atmen.

    Doch er wandte den Blick ab, als die Spurensicherer die Leiche umdrehten. Seit zehn Jahren schaute er sich nun schon Leichen an, und obwohl sie ihn selten störten, solange sie still dalagen, gab es etwas an der Art, mit der die Spurensicherung sie wie Ochsenhälften herumschleuderten, das seine sachliche Haltung untergrub. Er zwang sich zur Konzentration auf den Tatort selbst und dazu, das Pflaster nach etwas abzusuchen, was übersehen worden war.

    Die stille Gasse erzählte ihm die Geschichte eines Kampfes, von Blut, das davonfloss wie auf der Flucht und zu einem Ort zurückführte, wo das Messer zuerst auf Fleisch getroffen war. Vom Leben eines Mädchens, das herausströmte, und von ihrer leeren Hülle, die ins Dunkel der Gasse gezerrt und der Begutachtung durch einen Irren unterzogen wurde.

    Eine so tiefe Abartigkeit, die jemanden dazu brachte, einen Mitmenschen mit einem solchen Genuss und derartiger Kreativität zu verstümmeln, war selten. Töten an sich war leicht, und mit dem breiten Angebot an Feuerwaffen, das den Rachsüchtigen zur Verfügung stand, wurde es fast zum Videospiel. Mike bekam die Folgen dieser Peng!-Du-bist-tot-Mentalität täglich zu Gesicht, aber das hier war ungleich viel intimer. In seiner Laufbahn hatte er schon eine Menge Sexualstraftaten gesehen, aber an dem Kerl hier

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