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Der Winter tut den Fischen gut
Der Winter tut den Fischen gut
Der Winter tut den Fischen gut
eBook213 Seiten3 Stunden

Der Winter tut den Fischen gut

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Über dieses E-Book

Was haben Miranda July, Markus Werner und Wilhelm Genazino gemeinsam? Lesen Sie dieses Buch und Sie wissen es.

Maria hat Zeit. So sitzt sie tagsüber oft auf einer Bank am Platz vor der Kirche, beobachtet das Treiben dort, ein Kommen und Gehen, Leute, die Ziele haben und wenig Zeit. Die arbeitslose Textilfachverkäuferin kennt sich mit Stoffen aus, weiß, was zueinander passt, was Schwächen kaschiert und Vorzüge betont. In ihrem Fall ist das schwieriger: Welcher Vorzug macht ihr Alter vergessen für einen Markt, der sie nicht braucht? Alt ist sie nicht, aber ihr Leben läuft trotzdem rückwärts, an seinen Möglichkeiten, Träumen und Unfällen vorbei: Otto, den sie im Gemüsefach vergisst, Walter, den Elvis-Imitator von der traurigen Gestalt, der sie zur Witwe macht, Eduard, der mit einer anderen aus der Stadt zurückkehrt, ihre kleinere Schwester, die sosehr Mutter ist, dass sie Maria wie ein Kind behandelt.

In solchen Geschichten um solche Menschen, liebenswert in ihrer skurrilen Versponnenheit, entwirft Anna Weidenholzer ein Bild von einer Frau am Rande der Gesellschaft. Und das ist immer noch mitten im Leben.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum4. Sept. 2012
ISBN9783701742912
Der Winter tut den Fischen gut

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    4/5
    This is the story of a woman descending into depression: she loses her husband, loses her job, and stays away from family, friends and neighbours. A person succumbing to a lifelong sense of inadequacy. None of that is a spoiler, by the way: the novel is also told backwards. It starts at chapter 54 and ends with chapter 1, and so we find out she?s depressed and powerlessly alone in the first few pages. The rest of the book fleshes out individual humiliations, shortcomings, and episodes of inhibition. As the book progresses (regresses?), the chapters get shorter: we already know what is going to happen, and exposition can be done away with. Perhaps unexpectedly, the book gets more engrossing as it moves along and events hinted at or events surmisable from context are brought to the fore. This book, I think, did the reverse ordering right. In the past, I?ve criticized similarly structured books for mishandling that aspect, in particular Sarah Waters? WWII novel The night watch, which which treats all the things readers are able to figure out in the earlier (though chronologically later) portions as surprise revelations once we get to them in later (though chronologically earlier) chapters. Der Winter tut den Fischen gut has a little more respect for its readers: it fully expects us to keep track, and merely elaborates on what we have worked out on our own. Well-told, restrained, not overwritten. I recommend it (if you read German).

Buchvorschau

Der Winter tut den Fischen gut - Anna Weidenholzer

Anna Weidenholzer

Der Winter tut

den Fischen gut

Roman

Mit freundlicher Unterstützung des Landes Oberösterreich

Die Arbeit an diesem Buch wurde durch das Wiener Autorenstipendium und das österreichische Staatsstipendium für Literatur gefördert. Die Autorin bedankt sich bei den zuständigen Stellen der Kulturabteilung der Stadt Wien und des BMUK, Wien.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2012 Residenz Verlag

im Niederösterreichischen Pressehaus

Druck- und Verlagsgesellschaft mbH

St. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:

978-3-7017-4291-2

ISBN Printausgabe:

978-3-7017-1583-1

Inhalt

54 Der Spiegel

53 Der Markt

52 Ein Leben mit Eduard

51 Die Zukunft lesen

50 Das Universum

49 Rückwärts

48 Der Berater

47 Die Zärtlichkeit der Bärenmädchen

46 Die Hochzeit

45 Von vorn

44 Wer müde ist, hat kleine Augen

43 Das Schöne

42 Die Letzte macht das Licht aus

41 Apfelschlangen

40 Zwischen den Bäumen

39 Blumengewitter

38 Funkenschläge

37 Und jetzt

36 Raben oder Krähen

35 Dann und wann

34 Geisterbahn

33 Unter dem Schirm

32 Achtung

31 Ein Haustier

30 Brachland

29 Manchmal

28 Als ob

27 Ein Geschenk

26 Nachtbilder

25 Hinter den Bergen

24 Es ist

23 Auf Wiedersehen

22 Ein Mittwoch

21 Am See

20 Wann kommt der Regen

19 Blumen nicht vergessen

18 Das blühende Leben

17 Einsargen

16 Weltspartag

15 Unter Samthandschuhen

14 Barfuß im Regen

13 Unter Nachbarn

12 Auf der Bühne

11 Der Heilige Abend

10 Der gefallene König

9 Kronkorkenaugen

8 Alles wird leer

7 Ein Leben

6 Zuckerwatte

5 Flecken

4 Das himmlische Kind

3 Testbild

2 Wer auf Schnecken tritt, hat klebrige Füße

1 Ich bin

Material

WENN er die Tür öffnet, werde ich sagen, vielen Dank für die Einladung. Ich werde sagen, mein Name ist Maria Beerenberger, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Setzen Sie sich, wird er sagen und mir einen Platz anbieten. Ich werde gewusst haben, welche Kleidung ich anziehe. Ich werde mir überlegt haben, wie ich persönlich bin. Er wird eine Krawatte tragen und eine silberne Armbanduhr. Er wird sagen, Frau Beerenberger, erzählen Sie. Gern, werde ich sagen, gern. Ich kenne mich mit der Materie aus. Zumindest habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte. Jetzt müssen wir warten. Wovon sprechen Sie, wird er fragen, Frau Beerenberger, was erzählen Sie da. Nun, werde ich sagen, ich sitze Ihnen gegenüber, weil ich die Sätze der Menschen kenne, die im Leben stehen, weil ich eine von ihnen sein werde. Ich habe zu wenig an mich geglaubt, wissen Sie, ich habe zu wenig an meine Zukunft geglaubt. Warum, wird er fragen, bitte, erzählen Sie. Dann wird er schweigen, sich in den Sessel zurückfallen lassen. Gut, werde ich sagen, wenn Sie möchten. Der Tag vergeht, das Licht verbrennt, sagte meine Nachbarin. Fangen wir von hinten an.

54 Der Spiegel

Die Küchenuhr hängt links über dem Herd zwischen den Küchenkästen, der Zeiger gleitet die Zahlen entlang. Acht Uhr fünfundfünfzig, liest Maria, als sie an diesem Dienstagmorgen der Uhr gegenüber am Küchentisch sitzt. Maria trägt den hellblauen Frotteebademantel, den sie jeden Morgen trägt, außer im Sommer, wenn sie im Nachthemd frühstückt, weil es im Bademantel zu warm wäre, selbst an kalten Sommertagen. Am rechten Ellbogen ist der Stoff abgewetzt, auf die rechte Hand stützt Maria ihren Kopf, wenn sie nach dem Frühstücken Zeitung liest oder in die Luft schaut, Kaffee trinkt, frischem Kaffee beim Dampfen zusieht. Kaffee trinkt Maria mit Milch und ohne Zucker. Es ist einfacher, Kaffee ohne Milch zu trinken, sagte Herr Willert, wenn Maria in der Kaffeeküche Milch in ihre Tasse schüttete und beim Umrühren darauf achtete, ob die Milch zu Flocken wurde. Man braucht dann keine Milch zu kaufen, sagte er und verrührte die Milch langsam in seinem Kaffee, bevor er mit dem Daumen gegen den Süßstoffspender drückte und zwei Stück Süßstoff in die Tasse fielen. Maria denkt an Herrn Willert an diesem Dienstagmorgen in der Küche und trinkt einen kleinen Schluck, weil nicht mehr viel Kaffee in der Tasse ist und sie nicht möchte, dass die Tasse leer wird, dass sie aufstehen, dass sie neuen Kaffee holen muss, der immer drei Schlucke zu viel ist. Drei Schlucke, die Maria trotzdem trinkt, weil sie nicht möchte, dass etwas übrig bleibt.

Das Fenster ist nicht weit vom Tisch entfernt, durch das Fenster sieht Maria in den Innenhof, der groß ist. Größer als ein Fußballfeld, sagte Walter und streckte dazu die Arme zur Seite. Im vorderen Teil haben wir unseren Gemüsegarten, im hinteren Teil spielen die Kinder; wir haben keine Kinder, wissen Sie das nicht. Die Sandkästen müssen abends abgedeckt werden, wegen der Katzen, die Fichte ist höher geworden, die Fichte hat das ganze Licht genommen und lässt es auch im Winter nicht durch.

Unter ihrem Frotteebademantel trägt Maria ein Baumwollnachthemd. Baumwolle lässt die Haut gut atmen, etwas anderes würde Maria in der Nacht nicht tragen. An diesem Dienstagmorgen trinkt sie den letzten Schluck Kaffee, setzt die Tasse danach noch einmal an, bis ein kleiner Tropfen nachkommt. Dann geht sie ins Bad, das nur von der Küche aus zu erreichen ist, rosa Fliesen, eine Sitzbadewanne, das Waschbecken daneben. Das Badezimmer hat kein Fenster, Maria wechselt ab: Zuerst das Gesicht waschen, dann den Bademantel ausziehen. Sich kämmen, beim Scheitel die Haare auseinanderziehen, sich ärgern, dass sie schon wieder gefärbt werden müssen, das Nachthemd ausziehen, die Zähne putzen, die Unterhose ausziehen, das Gesicht eincremen, die Hausschuhe ausziehen, die Augen schminken, die Unterhose anziehen. Für weitere Kleidungsstücke fehlen die Zwischenschritte, und Maria zieht sich ohne Unterbrechung an. Machen Sie konsequent, systematisch, parallel, schnell und viel. Maria zieht an diesem Dienstagmorgen weiße Socken, weiße Unterwäsche, eine hellblaue Bluse und eine weiße Hose an.

Der Spiegel hängt links neben der Eingangstür, rechts wäre kein Platz dafür. Rechts ist die Wand mit einem Schrank verbaut, darin die Jacken, die Taschen, die Wintermäntel. Der Schrank schließt bis oben hin zur Decke ab. Stauraum, sagten Maria und Walter, als sie den Schrank aussuchten, Stauraum ist wichtig. Darin hat alles seinen Platz, sagte der Verkäufer, und Maria schaute auf sein Hemd, der zweite Knopf von oben hatte sich geöffnet, oder war er schon die ganze Zeit über offen gestanden, und nickte. So kann man doch nicht verkaufen, sagte Maria später im Auto, als sie mit Walter nach Hause fuhr. Da hat sich einer zum Linksabbiegen rechts eingereiht, antwortete Walter. Beim Verkaufen muss man auf sein Auftreten achten, sagte Maria. Wie lange es noch dauern wird, bis er begriffen hat, dass er auf der falschen Seite steht, antwortete Walter und hupte. So kann man doch nicht verkaufen, sagte Maria. Doch, antwortete Walter, also doch.

Der Rahmen des Spiegels ist golden, wie die Schlüssel, die in den Schranktüren stecken, nur dass bei den Schlüsseln das Gold an einigen Stellen abgegriffen ist. Maria schaut in den Spiegel, sie lächelt und ärgert sich über die Falten, die dabei entstehen, sie beschließt, nicht mehr zu lächeln, sie zieht die Bluse an den Oberarmen ein Stück hinunter. Kundinnen mit schlaffen Oberarmen ist von ärmelfreien Oberteilen abzuraten, sagte Herr Willert, die Kundinnen dürfen dabei nicht auf ihre Oberarme angesprochen werden. Drücken Sie Begeisterung aus, wenn Ihnen etwas an der Kundin gefällt. Weisen Sie auf andere Kleidungsstücke hin, sollte eines nicht geeignet sein. Sollte Ihnen an der Kundin etwas nicht gefallen, was der Kundin gefällt, schweigen Sie. Maria sieht im Spiegel ihre Augen, die an Vormittagen trüber sind als an Nachmittagen. Mit schwarzem Augenkonturenstift hat Maria sie umrandet, ihre grünen Augen, die nach dem Aufstehen eine Weile brauchen, bis sie klar werden, die Wimpern getuscht. Mit dem Zeigefinger wischt sie unter dem linken Auge eine Wimper weg, sie fährt mit der Hand durch ihre Haare, sie richtet sich auf.

Der Rahmen des Spiegels ist breit, er bietet genügend Platz für die Zettel. Maria befestigt sie mit Klebebandstreifen, die sie zuvor gegen ihren Handrücken drückt, damit sie nicht so stark haften und die Goldfarbe ablösen. Die Sätze sind in Großbuchstaben geschrieben, sonst müsste Maria zu nahe an den Spiegel heran, wenn sie lesen möchte, was auf den Zetteln steht. An diesem Novemberdienstagmorgen betrachtet sich Maria kurzärmelig vor dem Spiegel und bemerkt, dass sich auf ihren Unterarmen die Haare aufstellen. So nicht, sagt sie und geht hinüber ins Schlafzimmer, um eine Strickjacke zu holen. Weiß passt zu Blau und Blau nicht zu Schwarz. Achten Sie auf die Farben, sagte Herr Willert. Herr Willert trug Grau und manchmal auch Dunkelblau; gedeckte Farben, wie er sagte, Männer und Frauen wirken in gedeckten Farben seriös, Frauen auch in Pastell. Im Schlafzimmer streift Maria mit der Hand über das Leintuch, schüttelt den Polster auf, legt die Bettdecke gerade hin. Auf Walters Seite zieht sie an den Enden der Decke, damit die Falten verschwinden. Auf Walters Seite wird die Bettwäsche nur alle vier Wochen gewechselt, auf Marias Seite alle zwei. In geraden Monaten holt Maria die grünen Überzüge aus dem Schrank hervor, in ungeraden die gelben. Weil bei Walter nur alle vier Wochen gewechselt wird, bleibt immer eine Reservegarnitur, für Notfälle und für Gäste, würde Maria sagen, würde sie mit jemandem über ihre Bettwäsche sprechen. An diesem Dienstagmorgen nimmt sie eine weiße Strickweste aus dem Kleiderschrank und versperrt ihn, nachdem sie ihn geschlossen hat. Den Schlüssel lässt sie stecken, sie zieht ihn niemals ab.

Vom Schlafzimmer zum Spiegel sind es wenige Schritte, auf der Vorzimmerkommode liegen die Briefe, ungeöffnet, gesammelt von Dienstag bis Freitag, Montag ist keine Post gekommen. Der Tierschutzverein hat geschrieben, der Mobilfunkanbieter, der Vorteilsclub, das Arbeitsmarktservice, der Verein zur Hilfe für an Lepra erkrankte Kinder in Ostindien, eine Boutique, bei der sich Maria beworben hat. Maria hat die Briefe nach Themen geordnet: Tiere, Rechnungen, Werbungen, Möglichkeiten, Pflichten. Sie zerreißt die Rechnungen und versteckt den Brief vom Arbeitsmarktservice in der ersten Schublade unter dem Telefonbuch. Danach beißt sie auf ihre Unterlippe, atmet tief ein und aus. Sie geht hinüber zum Spiegel und setzt ein Lächeln auf. Sie liest von links nach rechts: Ich kenne mich mit der Materie aus. Ich habe ein schönes Foto, auf dem du Tauben fütterst. Zumindest habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte. Als es klingelt, erschrickt sie, sie dreht sich zur Seite und greift zum Telefon, das auf der Vorzimmerkommode zwischen den Briefen liegt, sie hält es zum Ohr, sagt: Beerenberger. Eine Frau ist am anderen Ende der Leitung, sie nennt ihren Namen, den Maria gleich wieder vergessen haben wird, sie sagt: Ich rufe im Auftrag Ihrer Bankfiliale an. Es ist uns wichtig, mit unseren Kunden guten Kontakt zu halten, deshalb möchte ich Sie fragen, wie Sie mit unseren Dienstleistungen zufrieden sind, Frau Beerenberger. Ich bin zufrieden, sagt Maria, es fehlt mir an nichts, bitte entschuldigen Sie, ich habe keine Zeit, ich bin beschäftigt. Darf ich Sie zu einem späteren Zeitpunkt anrufen, fragt die Frau, Ihre Meinung ist uns wichtig, Frau Beerenberger. Und darf ich Sie noch kurz fragen, ob sich Ihre Adresse geändert hat. Maria wartet, bis die Anruferin eine Pause macht. Dann legt sie auf. Es hat sich ohnehin nichts geändert, denkt sie. Sollte sie noch einmal anrufen, werde ich nicht abheben, und sollte ich versehentlich abheben, werde ich sagen: Entschuldigen Sie, der Empfang war weg, ich lebe in einem Funkloch. Vor fünfundzwanzig Jahren ist Maria mit Walter in die Wohnung gezogen. Eine Genossenschaftswohnung, Halbparterre, mit Blick in den Hof und Blick auf die Straße. Walters Mutter sagte: Wir haben genug Platz, bleibt doch.

Jetzt aber, sagt Maria und stellt sich aufrecht vor den Spiegel, sie zieht die Schulterblätter zurück und beginnt von vorn: Ich kenne mich mit der Materie aus. Ich habe ein schönes Foto, auf dem du Tauben fütterst. Zumindest habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte. Das ist nicht lustig. Jetzt müssen wir warten. Sie haben sich da falsch verhalten. Das wollen wir doch stark hoffen. Nein, die haben Geld über Geld. Es ist alles in Ordnung, gehen Sie weiter. Mein Herz, dich versteht niemand. Auf Wiedersehen und ein schönes Wochenende, auch Ihren Tieren. Nach dem letzten Satz schließt Maria die Augen, sie beginnt aufs Neue, spricht lauter, beim dritten Satz stoppt sie und öffnet ein Auge. Genau, sagt sie, ich weiß es doch, und schließt es wieder. Beim zweiten Versuch braucht Maria die Augen nicht mehr zu öffnen. Gut, sagt sie und geht zur Kommode, nimmt den Brieföffner aus der Lade. Den Brieföffner hat Maria von ihren Eltern zur Lehrabschlussprüfung bekommen. Jetzt stehst du auf eigenen Beinen, sagte ihr Vater, und Maria lachte und sagte, einen Brief kann ich auch mit den Fingern öffnen. Ihr Vater schüttelte den Kopf, du musst noch viel lernen, sagte er und setzte sich auf seinen Platz, wo er seit seiner Pensionierung immer saß, auf dem Platz in der Küche mit Blick auf das Fenster. Maria setzt die Klinge am Rand des Kuverts an. Wer Arbeit möchte, der findet welche, sagte ihr Vater, wenn er über den arbeitslosen Nachbarn sprach. Was ist das für ein Mensch, sagte er. Hubert, sagte Marias Mutter, sprich leise, das Fenster ist offen. Wie lange ist er schon arbeitslos, sagte Marias Vater, und die Mutter schloss das Fenster. Denk an deinen Schwager, sagte sie, die Vorhänge ließ sie offen.

Maria fährt mit dem Zeigefinger in das offene Kuvert, betastet das Papier. Weil ich vermute, dass Einladungen zu Vorstellungsgesprächen auf qualitativ hochwertiges Papier gedruckt sind, würde Maria sagen, um ihr Verhalten zu erklären, und dann: Ich erkenne bei diesem Brief die Papierqualität leider nicht ausreichend, es ist herkömmliches Papier, aber kein billiges. Maria lässt den Finger im Briefkuvert, sie blickt in den Spiegel. Notstandshilfe, so weit ist es also mit dir gekommen, würde ihr Vater sagen. Ja, würde Maria antworten, sie würde ihm nicht erzählen, dass ihr das Geld gestrichen wurde. Aber warte ab, bis ich den Brief geöffnet habe. Ich denke positiv, das Leben ist eine Herausforderung. Man muss nur stark genug wollen, dann wird alles gut. Maria nimmt den Finger aus dem Kuvert, sie legt den Brief zur Seite, sie sagt: Ich möchte noch ein wenig an meiner Visualisierung arbeiten, und geht hinüber in die Küche.

53 Der Markt

Die Stille der fehlenden Blätter ist unerträglich, finden Sie nicht, denkt Maria, als sie unter den kahlen Platanen zum Marktplatz geht. Im November sitzt es sich schlecht auf der Bank, auch wenn sie aus Holz ist und nicht aus Metall. Marias Bank steht gegenüber der Kirche, etwas abseits, aber dennoch so, dass genügend Menschen vorüberkommen. Kevin du Hurrenkind hat jemand über Nacht auf die Lehne geschrieben, und Maria setzt sich neben den Schriftzug, weil sie befürchtet, die Farbe könnte noch nicht trocken sein. Der Platz um die Kirche ist gesäumt von Lokalen, an Freitagen verkaufen die Marktfahrer hier ihre Waren. Nicht alle kommen im Winter, aber der Mann mit den Fischen ist immer da, auch die Frau mit dem Schweinefleisch, über deren Vitrine Fotos hängen: liegende Schweine im Stall, stehende Schweine im Stall, manchmal mit einer Katze dazwischen, einmal auch ein Knäuel Katzenkinder. Maria nickt, wenn sie an der Frau mit den Schweinen und dem Mann mit den Fischen vorübergeht, auch den anderen Verkäufern nickt sie zu, wenn diese in ihre Richtung schauen. Maria kauft nichts, sie probiert nicht, wenn ihr Ware angeboten wird. Wer probiert, hat verloren, würde sie sagen, würde sie jemand fragen, warum. Es ist wie mit den schönen Pullovern, wer einmal hineinschlüpft, kommt nicht mehr heraus. Am liebsten unterhält sich Maria mit dem Fischverkäufer, er ist ein junger Mann, dessen Hände im Winter gerötet sind. Du wirst dir noch etwas abfrieren, sagt Maria

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