Dem Vulkan-Magier auf der Spur
Von Ralf Kramp
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Über dieses E-Book
Ralf Kramp
Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren-Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimiszene« ausgezeichnet.
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Buchvorschau
Dem Vulkan-Magier auf der Spur - Ralf Kramp
Abschied
Begegnung am Abend
Jetzt mal ehrlich: Nachhilfestunden sind peinlich. Vor allem, wenn man sie nicht gibt, sondern nimmt.
Mathematik wurde von den alten Griechen oder den alten Ägyptern erfunden, weil sie sich dachten: Womit können wir in den kommenden zwei- bis dreitausend Jahren ungestraft Kinder quälen? Nun, in mir hatten sie jedenfalls ein dankbares Opfer gefunden. Alle anderen behaupten, es wäre ganz einfach. Da gibt es Zahlen, mit denen muss man nur allerlei Sachen anstellen, und dann entstehen andere Zahlen … Aber ich frage euch mal ganz ehrlich: Warum? Keiner kann mir richtige Gründe nennen, und da ich der Klügere bin, habe ich irgendwann nachgegeben, als meine Eltern sagten: »Tim, du musst Nachhilfestunden nehmen.« Und zwar bei Professor Sutorius, dem zerstreuten Wissenschaftler, der bei uns im Dorf wohnt, und dessen Leben erst vor Kurzem durch einen ziemlich abenteuerlichen Kriminalfall durcheinandergewirbelt worden war. Aber das ist eine andere Geschichte.
In den Stunden, in denen der Professor versucht, mir Geometrie und Algebra einzutrichtern, tut er mir fast mehr leid als ich mir selbst, weil doch alles so sinnlos ist.
Ich hatte mich an diesem Mittwochabend nach ein paar weiteren vergeudeten Stunden meiner Jugend auf den Nachhauseweg gemacht und bummelte noch ein bisschen herum. Paps war auf einer Geschäftsreise, und Mom veranstaltete heute eine Tupperparty, bei der sich etwa ein Dutzend Frauen aus dem Dorf stundenlang bunte Plastikdosen in allen Formen und Größen vorführen ließen. Da musste ich nicht unbedingt in der Nähe sein.
Es begann schon dunkel zu werden, da hörte ich plötzlich lautes Motorengeräusch und quietschende Reifen. Dass Reifen quietschen, passiert in unserem Dorf Buchscheid ungefähr so oft, wie Meteoriten in Gemüsebeete einschlagen oder wie eine vierzigköpfige Horde Indianer durch unsere kleinen Gassen galoppiert. Wir sind ja hier schließlich nicht in New York, wo es dauert quietscht und knallt. Ein kleiner Lieferwagen hielt am Straßenrand. Er wäre mir wahrscheinlich auch ohne das Reifenquietschen aufgefallen, denn er war von oben bis unten knallbunt bemalt. Selbst im Halbdunkel konnte ich die Worte Zirkus Tonelli lesen, was sich ein bisschen anhörte wie eine Nudelmarke.
Ein Mann mit T-Shirt und Jogginghose sprang heraus. Seine Haare waren stoppelkurz rasiert, er hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief: »Wo steckst du? Komm sofort zurück!«
Meinte der mich? Wohl kaum. Trotzdem drückte ich mich vorsichtshalber in eine Toreinfahrt und beobachtete aus sicherer Entfernung, was geschah.
Jetzt erschien im Halbdunkel vor unserem Lebensmittelgeschäft eine weitere Gestalt auf der Bildfläche. Gestalt? Der Begriff trifft es wohl kaum. Der Kerl war groß und dick wie ein Berg. Er überragte den anderen mindestens um zwei Köpfe und hatte ein Kreuz so breit wie ein Schlafzimmerschrank. Mit schleppenden Schritten überquerte er die Straße und trottete zu dem wartenden Mann hin.
Der empfing ihn mit einer Ohrfeige. Er musste sich ganz schön weit nach oben recken, um den Kopf des Riesen zu erreichen. Der machte keinerlei Anstalten sich zu wehren, als der Kleinere auf ihn einschimpfte. Dabei hätte er nur einmal zulangen müssen und hätte ihn sicherlich über die Kirchhofmauer befördert.
»Blödmann! Du sollst nicht immer abhauen, hörst du? Was wolltest du da bei dem Geschäft? Hä? Ich hab dich was gefragt!«
Der Riese senkte schuldbewusst den Kopf und sagte mit tiefem Brummbass: »Schinken. Oder Wurst! Da ist Wurst im Schaufenster.«
»Der Laden hat zu, du Trottel.« Der Kleinere wollte gerade zu einer weiteren Ohrfeige ausholen, als er auf ein paar Fußgänger aufmerksam wurde, die sich näherten. Er besann sich eines Besseren und ging zum Heck des Wagens, öffnete die Klappe und holte einen Stapel Papier hervor. »Und jetzt werden die Plakate geklebt, und wehe, du machst wieder Knicke rein oder klebst sie falsch rum wie vorige Woche. Dann gibt es eine Woche Diät!«
»Oh nein!«, jammerte der Riese. »Ich klebe, ich klebe! Und diesmal alle richtig rum. Bloß keine Diät, Rocco. Bitte, bitte keine Diät, Rocco!«
In diesem Augenblick klingelte ein Handy, und Rocco fummelte in der Tasche seiner Jogginghose herum, bis er das Gerät herausgefischt hatte. »Ja«, blaffte er hinein. »Ja, ja, hab ihn wiedergefunden … Ja, die Visitenkarte hab ich auch. Kann alles ablaufen wie geplant!« Er horchte in den Apparat. »Hetz mich nicht. Reicht schon, dass ich auf den blöden Trottel hier aufpassen muss!« Er beendete das Gespräch.
Und dann machten sich die beiden an die Arbeit. Ich beobachtete sie noch eine Weile, bis sie wegfuhren, und dann trat ich an eines der von ihnen geklebten Plakate heran. Zirkus Tonelli las ich wieder. Ein lachender Clown, ein sich aufbäumendes Pferd und ein Zauberer mit weitem Umhang warben für den Wanderzirkus, der in der nächsten Woche bei uns im Dorf gastieren würde. Zirkus. Na ja, wem’s gefällt. Ein tolles Musikkonzert oder ein Formel-Eins-Rennen hätten mir persönlich eher zugesagt. Oder ein großes Raumschiff-Enterprise-Festival! Aber solche Ereignisse verirren sich selten in unser kleines Dorf. Noch seltener als Meteoriten oder Indianerhorden.
Zu meinen Füßen entdeckte ich etwas Helles. Ein viereckiges Stückchen Pappe. Als ich mich bückte, erkannte ich, dass dies möglicherweise die Visitenkarte war, von der der Typ am Telefon gesprochen hatte.
Henk van Nijsters, Import/Export, Amsterdam, Niederlande.
Ich hatte an diesem Abend noch keine Ahnung, dass ich mir diese Firmenadresse besser hätte merken sollen.
Sägemehl und Lamaspucke
Habt ihr schon mal gesehen, wie ein Lama spuckt? Junge, das sieht vielleicht eklig aus. Vor allem, wenn es dabei ein Gesicht trifft. In diesem Fall war es das Gesicht von Steve, dem Möchtegern-Motorradrocker aus unserem Dorf. War ja klar, dass Steve derjenige sein würde, den das Lama trifft, denn er war der Einzige, der dumm genug war, das friedlich vor sich hinkauende Tier so lange zu reizen, bis ein Strahl glibbriger Rotze mitten in seinem Gesicht landete. Steve ist eben so.
Mann, was haben wir uns gekugelt! Steffi, Olli und ich hielten uns richtig die Bäuche vor Lachen. Steffi hatte sogar Geistesgegenwart genug, ein Foto zu schießen, während Steve hektisch versuchte, sich sauber zu wischen, bevor seine Motorradfreunde, die ein Stück abseits standen, etwas mitbekamen. Auch um uns herum lachten die Leute amüsiert. Wir befanden uns vor dem Zirkuszelt, das auf der großen Wiese am Sportplatz aufgebaut worden war. Hier draußen gab es ein paar Ponys, eine fröhlich kläffende Hundeschar und eben dieses Lama. Afrikanische Löwen oder Bengalische Tiger führte der kleine Wanderzirkus nicht mit sich.
»Das Lama spuckt, weil es sein Revier verteidigen will«, erklärte Olli glucksend. Er ist ein wandelndes Lexikon und weiß alle möglichen Sachen, die sonst keiner weiß. »Und was das Schlimmste ist: Es ist keine richtige Spucke, die da rauskommt, sondern hochgewürgter Mageninhalt.«
»Iiiih!« Steffi quiekte angeekelt auf.
»Na, Mahlzeit«, sagte ich. »Dann wollen wir mal lieber nicht drüber nachdenken, was es heute zum Mittag gefressen hat.«
Während wir in ausreichendem Abstand zu dem mittlerweile wieder zufrieden mit den Zähnen malmenden Tier zuguckten, wie Steve zu seinen Kumpels abzog, rief ich ihm übermütig hinterher: »Mannomann, Steve, vom Lama bespuckt! Was kommt denn als Nächstes? Vom Faultier geküsst? Vom Zebra abgelutscht?« Ich gebe zu, dass ich mich durch die Menschen um uns herum