Kriminalität in München: Verbrechen und Strafen im alten München (1180-1800)
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Buchvorschau
Kriminalität in München - Reinhard Heydenreuter
Zum Buch
Der wirtschaftliche Aufstieg Münchens zur mächtigsten Handelsstadt und schließlich zur Residenzstadt des Herzogtums Bayern ließ bald auch die Kriminalität ansteigen, und so hören wir schon im 13. Jahrhundert von Brandstiftungen, Morden, Aufständen und der entsprechenden Reaktion der Obrigkeit: Es wurde gehängt, geköpft und ertränkt. Auf dem Galgenplatz, auf der Köpfstätte und in den Gefängnissen der Stadt spielten sich die Dramen ab, die zeigen, wie sich seit dem Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Zahl der oft unschuldigen Opfer einer grausamen Strafjustiz ständig vermehrte.
Das Buch verdeutlicht aber auch den übermächtigen Schatten des Landesherrn, der zwar der Stadt die Blutgerichtsbarkeit überlässt, aber doch nach Belieben in diese eingreift, wann immer es ihm gefällt.
Zum Autor
Reinhard Heydenreuter,
Prof. Dr., geb. 1942, Jurist und Historiker, war bis Ende 2007 Archivdirektor am BayHStA und Leiter des Archivs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er lehrte Neuere und Neueste Geschichte sowie Bayerische Landesgeschichte.
REINHARD HEYDENREUTER
Kriminalität in München
Verbrechen und Strafen im alten München (1180–1800)
VERLAG FRIEDRICH PUSTET
REGENSBURG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6038-4 (epub)
© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2608-3
Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de
Kontakt und Bestellungen unter verlag@pustet.de
»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster" in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.
Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.
München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.
So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.
DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.
Einleitung oder: Ein Rückblick auf ungemütliche Zeiten
Mehr noch als viele andere große Städte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat München, Residenzstadt und größte Stadt des Herzog- und Kurfürstentums Bayern, ein beträchtliches Aufkommen an Kriminalität. Im Unterschied zu vielen Städten des Heiligen Römischen Reichs war München keine Reichsstadt, die sich ihre eigenen Gesetze geben konnte und nur dem fernen Kaiser unterworfen war, sondern eine Landstadt des bayerischen Regenten. In ihren Mauern residierte der Landesherr, der sehr energisch den Takt angab, auch in der Rechtsprechung. Die vergleichsweise geringe Autonomie, die die Stadt in der Rechtsprechung, insbesondere mit dem Erwerb der Blutgerichtsbarkeit gewonnen hatte, war immer gefährdet. In manchen Epochen der Münchner Geschichte war der städtische Rat nichts anderes als ein Befehlsempfänger des Landesherrn.
Das führte dazu, dass der Mechanismus der Strafrechtspflege in München weit ausgebildeter war als in anderen Städten Deutschlands: In München wurde auf Grund des landesherrlichen Diktats und aufgrund der Tatsache, dass man die wichtigsten Strafrechtsfälle des Landes in München konzentrierte, weit mehr gestraft als in vergleichbaren Städten. Die landesherrlichen Juristen, die am Hofe tätig waren, haben sich darüber hinaus nicht nur als eifrige Gesetzgeber in allen Strafrechtsbereichen betätigt, sie reagierten auch sehr genau auf die Entwicklungen im Lande und außerhalb. Insofern ist die Strafrechtspflege in München auch ein wichtiger Hinweis auf die Entwicklung im europäischen Kontext.
Die Münchner Kriminalfälle, die im Folgenden präsentiert werden, habe ich nur zum Teil aus den Quellen erarbeiten müssen. Die weitaus meisten Beispiele verdanke ich den Recherchen von Helmuth Stahleder, der in seiner voluminösen Chronik der Stadt München auch die wichtigsten Strafrechtsfälle aufgeführt hat. Die drei Bände seiner zwischen 1995 und 2006 erschienenen Chronik sind eine wahre Fundgrube auch für mich. Mit Hilfe der Jahresdaten können die jeweiligen archivalischen Belege dem Werk von Stahleder entnommen werden.
Warum endet diese Darstellung in der Zeit um 1800? In dieser Zeit endet eine wichtige Epoche der Strafrechtsgeschichte: Erst jetzt setzt sich die Aufklärung im Bereich des Strafvollzugs durch, erst jetzt verschwindet die Folter, erst jetzt werden die Galgenplätze vor den Toren der Städte beseitigt. In modernen Strafgesetzbüchern lesen wir nichts mehr von Hexerei oder „Leichtfertigkeit".
Das Strafrecht in der Zeit vor 1800 stellt für den Betrachter eine so fremde Welt dar, dass es nötig ist, zunächst einmal die Grundlagen des bis dahin geltenden „mittelalterlichen" Strafvollzugs zu erklären. Daher beginnt das vorliegende Buch zunächst mit der Vorstellung der Personen, die in München für die Strafrechtspflege zuständig waren, und mit einer Schilderung des Strafverfahrens sowie der Gerichtsorte.
Die Entwicklung des Strafverfahrens in München vom Mittelalter bis 1800
Münchner Zuständigkeiten über Leben und Tod: Landesherr, Stadtrat, Hofrat und Stadtoberrichter
Gerichtsherr in München und damit Herr über Leben und Tod waren zunächst der Landesherr oder die von ihm delegierten Richter. Schon sehr früh scheinen aber die bayerischen Herzöge die Blutgerichtsbarkeit den Bürgern überlassen zu haben, also die Befugnis, über Mitbürger bei schweren Delikten Gericht zu halten und sie zum Tode zu verurteilen. Die Blutgerichtsbarkeit in der Stadt München wurde durch den Stadtoberrichter ausgeübt, der seit dem Mittelalter durch die Stadt ernannt wurde, offensichtlich schon seit dem ersten großen Stadtprivileg, dem Rudolfinum von 1294. Da er die formelle Befugnis, die Blutgerichtsbarkeit auszuüben, vom Herzog empfing, blieb dessen Einfluss auf die Ernennung bestehen. Aus dem Stadtschreiber wurde ab 1391 ein Stadtunterrichter.
Selbstverständlich konnte der Landesherr jeden Prozess an sich ziehen. Am Ende des Mittelalters, als man daranging, die Kompetenzen juristisch klarer auszuformulieren, entstand in München Streit darüber, wem die Blutgerichtsbarkeit zustehe: Während sich etwa 1427 die Stadt für berechtigt hielt, einige zum Tod verurteilte Pferdediebe zu begnadigen, lesen wir 1488 in einem landesherrlichen Eidbuch, dass der Herzog die Blutgerichtsbarkeit in München ausübe.
Dagegen weist die Stadt in ihren Kammerrechnungen einen besoldeten Scharfrichter auf. Doch scheinen die teilweise recht gewaltsamen Eingriffe der jeweiligen Landesherrn in die städtische Gerichtsbarkeit weitgehend klaglos hingenommen worden zu sein. 1457 etwa befreite der junge Herzog Johann zwei Straßenräuber, die Augsburger Kaufleute überfallen hatten, gewaltsam vom Galgen. Wahrscheinlich hatte es ihn gestört, dass die Festnahme der Delinquenten in München durch Augsburger Schergen (im Zusammenwirken mit der Stadt) erfolgt war. 1467 holte Herzog Sigmund eigenmächtig aus der städtischen Fronveste (städtisches Gefängnis) im Rathaus, der sogenannten Schergenstube, einen Adeligen namens Pernrieder, weil dieser als Mitglied des Hofstaats seiner Meinung nach nicht in ein städtisches Gefängnis gehöre. Ein ähnlicher Eingriff ist für das Jahr 1482 überliefert, als Bürgermeister Schrenck einen Adeligen namens Rohrbeck in der Schergenstube inhaftierte. Erbost bestrafte Herzog Albrecht IV. den Bürgermeister mit kurzfristiger Stadtverweisung und einer Haft von drei Monaten im Rathausturm.
Abb. 1:
München von Osten. – Holzschnitt von Michael Wolgemut aus Hartmann Schedels „Liber cronicarum", Nürnberg 1493.
Dass sich der Landesherr, sehr gegen den Willen des Stadtrats, das Recht anmaßte, jedes Verfahren an sich zu ziehen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1652, als der landesherrliche Hofrat eine Baddirn aus der Schergenstube