Die Dringlichkeit und die Geduld
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Über dieses E-Book
Die literarischen Begegnungen mit Proust, Kafka und Dostojewski und die Erweckungserlebnisse, die diese Lektüren zur Folge hatten, runden das Bild ab. Und dann natürlich die folgenschwerste Begegnung, die Begegnung mit dem Werk Becketts, dem er dann eines Tages in einem dunklen Flur persönlich gegenübersteht. Jean-Philippe Toussaint lebt in Brüssel und auf Korsika. Zuletzt erschien in der FVA sein Roman Die Wahrheit über Marie.
Der 2012 erschienene Band "Die Dringlichkeit und die Geduld" erhielt begeisterte Kritiken und erreichte Platz 2 der Essay-Bestsellerliste von L'Express in Frankreich.
"Ich empfehle die Lektüre von Die Dringlichkeit und die Geduld allen, die davon träumen zu schreiben oder gerade damit angefangen haben." Bernard Pivot, Le Journal du Dimanche
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Buchvorschau
Die Dringlichkeit und die Geduld - Jean-Philippe Toussaint
JEAN-PHILIPPE
TOUSSAINT
DIE DRINGLICHKEIT
UND DIE GEDULD
Aus dem Französischen
von Joachim Unseld
fva_Logo_Schrift.tifMeinen Eltern,
die mir Lesen und Schreiben beigebracht haben
INHALTSVERZEICHNIS
Der Tag, an dem ich angefangen habe zu schreiben
Meine Arbeitszimmer
Die Dringlichkeit und die Geduld
Wie ich einige meiner Hotels konstruiert habe
Literatur und Film
Proust lesen
Ich, Rodion Romanowitsch Raskolnikow
Der Tag, an dem ich Jérôme Lindon begegnet bin
Für Samuel Beckett
Das Ravanastron
Im Autobus Nummer 63
Zitatverweise
DER TAG, AN DEM ICH ANGEFANGEN HABE ZU SCHREIBEN
Die genaue Stunde genau des Tages, an dem ich die Entscheidung getroffen habe, mit dem Schreiben zu beginnen, habe ich vergessen, aber es gibt diese Stunde, und es gibt diesen Tag und diese Entscheidung. Die Entscheidung, mit dem Schreiben zu beginnen, habe ich von einer Minute auf die andere getroffen, in einem Bus in Paris, zwischen der Place de la République und der Place de la Bastille.
Ich habe nicht mehr die geringste Idee, was ich an diesem Tag vorher gemacht hatte, weil in meiner Erinnerung dieser tatsächliche Tag des September oder Oktober 1979 von der Erinnerung an die ersten Zeilen des ersten Buches, das ich geschrieben habe, überlagert ist, die davon handeln, wie ein Mann durch eine sonnenbeschienene Straße spaziert und sich an den Tag erinnert, an dem er das Schachspiel entdeckt hat; das war der Anfang des Buches, ich erinnere mich sehr gut, es war der erste Satz, den ich jemals geschrieben habe: »Es geschah wohl aus Zufall, dass ich das Schachspiel entdeckt habe.« Was ich mit größerer Sicherheit weiß, meine Erinnerung daran verfestigt sich jetzt, ist, dass ich an diesem Montag nach Hause gekommen bin, ich weiß nicht, ob es wirklich ein Montag war, aber es gefällt mir jedenfalls, es zu glauben (ich habe mich schon immer ein wenig zu Montagen hingezogen gefühlt), und in meinem Zimmer in der Rue des Tournelles den ersten Satz meines ersten Buches geschrieben habe, mit dem Rücken zur Tür und dem Blick zur Wand. Die erste Fassung dieses Buches habe ich auf einer alten Schreibmaschine in einem Monat geschrieben, und weil ich noch nicht Schreibmaschine schreiben konnte, kam ich nur ziemlich unbeholfen mit zwei Fingern voran (in der Zeit, in der ich schrieb, lernte ich gleichzeitig tippen).
Die Entscheidung, die ich an diesem Tag getroffen habe, kam für mich eher unerwartet. Ich war zwanzig Jahre alt (oder einundzwanzig, es ist nicht wichtig, ein Jahr mehr oder weniger hat in meinem Leben nie eine Rolle gespielt), und ich wäre bis zu diesem Zeitpunkt nie auf den Gedanken gekommen, eines Tages zu schreiben. Ich hatte keineswegs bestimmte Vorlieben, was das Lesen betraf, ich las so gut wie nichts (einen Balzac, einen Zola, so was in der Art), dann Zeitungen, einige geisteswissenschaftliche Bücher für mein Studium der Geschichte und politischen Wissenschaften. Ich interessierte mich nicht groß für Sachen, ein bisschen für Fußball, fürs Kino. So viel ich auch als Heranwachsender immer und mit viel Spaß gezeichnet habe, so wenig habe ich geschrieben, keine Geschichten, keine Briefe, fast nichts, weniger als ein Dutzend dieser schlechten Gedichte, die jeder von uns in seinem Leben einmal schreibt. Das, was mich damals am meisten interessierte, war ohne Zweifel der Film, ich hätte, wenn das Unterfangen nicht so schwer auf die Beine zu stellen gewesen wäre, gerne einen Film gedreht, ich hätte mir in der Rolle des Filmemachers gefallen, ja (ich sah mich zum Beispiel überhaupt nie als Politiker). Also machte ich mich an die Arbeit und schrieb ein kleines Drehbuch zu einem kurzen Stummfilm in Schwarz-Weiß, über eine Schachweltmeisterschaft, bei der derjenige zum Gewinner erklärt werden würde, der zehntausend Partien gewonnen hatte, eine Meisterschaft, die das ganze Leben lang dauerte, das ganze Leben bestimmte, die das Leben selbst war und die mit dem Tod aller Protagonisten endete (der Tod interessierte mich damals sehr, er war einer meiner Lieblingsthemen).
Zugleich wurden zu eben jener Zeit zwei Leseerlebnisse für mich entscheidend. Das erste war ein Buch von François Truffaut, Die Filme meines Lebens, in dem Truffaut allen jungen Leuten, die davon träumten, einen Film zu drehen, aber nicht über die notwendigen Mittel verfügten, empfahl, ein Buch zu schreiben, ihr Drehbuch zu einem Buch umzuschreiben. Als Erklärung gab er an, dass der Film große Budgets voraussetze und man damit eine schwere Verantwortung übernehme, die Beschäftigung mit der Literatur dagegen harmlos und ohne Folgen sei, Vergnügen bereite und man herumspinnen könne (ich wandle seine Worte ein wenig ab), dass sie wenig koste (einen Stapel Papier und eine Schreibmaschine) und man sie in aller Freiheit ausüben