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Fernsehen
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eBook189 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

Sommer in Berlin. Ein Kunsthistoriker, der dank eines Stipendiums einige Monate in einer großen Berliner Wohnung verleben darf und dessen Familie ihren Urlaub in Italien verbringt, will die Gelegenheit nutzen, sich seiner lang aufgeschobenen Studie über Tizian zu widmen. Doch stattdessen verbringt er Stunden vor dem Fernseher. Als er seine innere Trägheit durchschaut, entschließt er sich schweren Herzens, den Fernsehapparat für immer abzuschalten. Eine harte Probe seiner Selbstdisziplin, denn er ist geradezu süchtig nach Sportsendungen aller Art. Die fernsehlose Zeit bekommt ihm gar nicht gut. Gefühle von Entbehrung bis hin zu diffusem Schmerz stellen sich ein. Statt fernzusehen gibt der Held sich nun bereitwillig und auf seine somnambule Art dem Müßiggang im sommerlichen Berlin hin, unternimmt Ausflüge an Badeseen, besucht Museen und Cafés. Und er verabredet sich, zum Beispiel mit dem Literaten und von ihm beneideten Frauenhelden John Dory, zu einem Ausflug in den tiefen Osten, der in einem Rundflug über ganz Berlin mündet. Sein Versagen an der Wirklichkeit kommt ihm schlagartig in den Sinn, als ihm einfällt, dass er völlig vergessen hat, die Blumen seiner Nachbarn, der Dreschers, den Sommer über wie versprochen zu gießen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Aug. 2008
ISBN9783627021511
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    Buchvorschau

    Fernsehen - Jean-Philippe Toussaint

    Ich habe aufgehört fernzusehen. Ich habe mit einem Schlag aufgehört, ein für allemal, keine Sendung mehr, nicht mal Sport. Ich habe vor etwas mehr als sechs Monaten aufgehört, Ende Juli, gleich nach der Tour de France. Ich habe mir wie alle Welt die Übertragung der letzten Etappe der Tour de France angeschaut, in meiner Wohnung in Berlin, ungestört, jene Etappe auf den Champs-Élysées, die mit einem Massenspurt endete, den der Usbeke Abdujaparov gewann, dann bin ich aufgestanden und habe den Fernseher ausgeschaltet. Mir steht noch deutlich die Geste von damals vor Augen, eine einfache, geschmeidige Geste, tausendfach wiederholt, mein Arm, der sich vorstreckt und auf den Knopf drückt, das Bild, das implodiert und vom Bildschirm verschwindet. Das war das Ende, ich habe nie mehr ferngesehen.

    Der Fernseher steht noch immer im Wohnzimmer, verlassen und ausgeschaltet, ich habe ihn seitdem nie mehr angerührt. Er müßte eigentlich noch betriebsbereit sein, ein Druck auf den Knopf genügte, um es herauszufinden. Es ist ein klassischer Fernseher, schwarz und quadratisch, der auf einem holzlackierten Untersatz aus zwei Elementen ruht, einer Platte und einem Fuß, der die Form eines winzigen, senkrecht geöffneten Buches hat, wie ein stummer Vorwurf. Der Schirm, von unbestimmbarer, tiefer und wenig verlockender Farbe, um nicht zu sagen: grün, ist leicht nach außen gewölbt. Das Gerät, das an der Seite einen Bereich für die diversen Knöpfe aufweist, wird von einer großen Antenne aus zwei Bügeln in V-Form überragt, die den zwei Fühlern einer Languste ziemlich ähnlich sehen und übrigens denselben Typ von Griff für den Fall bieten, daß man den Fernseher packen und in einen Topf mit kochendem Wasser schmeißen möchte, um ihn noch radikaler loszuwerden.

    Ich habe dieses Jahr den Sommer allein in Berlin verbracht. Delon, mit der ich zusammenlebe, war die Ferien über in Italien, mit den beiden Kindern, meinem Sohn und dem noch ungeborenen Baby, das wir erwarteten, ein Mädchen, meiner Meinung nach. Tatsächlich ging ich davon aus, daß es ein Mädchen ist, da der Gynäkologe kein männliches Glied beim Ultraschall gesehen hatte (und häufig, wenn kein männliches Glied da ist, ist es ein Mädchen, hatte ich erklärt).

    Das Fernsehen nahm keinen großen Platz in meinem Leben ein. Nein. Ich schaute im Durchschnitt ein oder zwei Stunden pro Tag (es könnten sogar weniger sein, aber ich übertreibe lieber, als daß ich mir mit einer untertreibenden Schätzung selbst schmeichle). Außer größeren Sportereignissen, die ich immer mit Vergnügen verfolgte, den Nachrichten und einigen Sendungen an Wahlabenden, die ich dann und wann ansah, habe ich mir nichts Größeres im Fernsehen angeschaut. Zum Beispiel schaute ich mir aus Prinzip und Bequemlichkeit nie Filme im Fernsehen an (so wie ich auch keine Bücher in Blindenschrift lese). In jener Zeit hatte ich sogar den Eindruck, ohne ihn freilich jemals überprüft zu haben, daß ich von heute auf morgen aufhören könnte fernzusehen, ohne daß es mir etwas ausmachen, ohne daß ich das geringste unangenehme Gefühl empfinden würde, mit anderen Worten, daß ich mitnichten davon abhängig war.

    Seit einigen Monaten war mir allerdings eine ganz leichte Veränderung in meinem Verhalten aufgefallen. Ich blieb fast alle Nachmittage zu Hause, unrasiert und mit einem superbequemen alten Wollpullover bekleidet, schaute drei oder vier Stunden lang ununterbrochen Fernsehen, halb auf ein Sofa gekuschelt, wie eine Katze in ihrem Korb, was die Vertraulichkeiten angeht, die ich mir herausnahm, Füße nackt und die Hand unterm Geschlechtsteil. Ich eben. Tatsächlich begab es sich in jenem Jahr, daß ich, anders als in den Jahren zuvor, von Anfang bis Ende die Internationalen Tennismeisterschaften von Frankreich im Fernsehen verfolgte. Am Anfang habe ich mir nur hin und wieder ein Spiel angeschaut, dann, während des Viertelfinales, hat mich der Ausgang des Turniers wirklich interessiert, oder so habe ich es zumindest Delon erzählt, um diese langen vor der Glotze verbrachten Nachmittage voller Untätigkeit zu rechtfertigen. Gewöhnlich war ich in jenen Tagen allein zu Hause, aber manchmal gab es da noch die Putzfrau, die neben mir im Wohnzimmer voll stummer Entrüstung meine Hemden bügelte. An den schlimmsten Tagen begannen die Übertragungen mittags und gingen bis Mitternacht. Aus diesen Übertragungen kam ich zerschlagen heraus, am Rande der Übelkeit, mit leerem Kopf, weichen Knien und stierem Blick. Ich nahm eine Dusche, hielt das Gesicht lange unter lauwarmes Wasser. Für den Rest des Abends war ich groggy, und obwohl ich noch einige Skrupel hatte, es mir einzugestehen, konnte ich nicht mehr die Augen vor der klaren Tatsache verschließen: Seitdem ich mich ganz sachte an die Vierzig heranzutasten begann, hielt ich, körperlich, ein Fünf-Satz-Tennismatch einfach nicht mehr durch.

    Ansonsten tat ich nichts. Nichts tun, damit meine ich, nichts Unüberlegtes oder Zwanghaftes tun, nichts durch Gewohnheit oder Trägheit Diktiertes tun. Nichts tun, damit meine ich, nur das Wesentliche tun, denken, lesen, Musik hören, sich mit jemandem lieben, spazierengehen, ins Schwimmbad gehen, Pilze sammeln. Nichts tun, das erfordert, anders als man sich’s auf die Schnelle vorstellen könnte, Methode und Disziplin, geistige Offenheit und Konzentration. Ich schwimme jetzt jeden Tag fünfhundert Meter, bei einem Stundenmittel von zwei Kilometern, kein sehr übermäßiges Tempo, geb ich zu, was genau zwanzigmal die Länge des Beckens pro Viertelstunde entspricht, das sind achtzig Bahnen in einer Stunde. Aber ich bin nicht auf Leistung aus. Ich schwimme bedächtig, wie eine alte Dame (allerdings ohne Häubchen), den Geist idealerweise leer, auf meine Gesten und meinen Körper achtend, auf meine Bewegungen und deren Regelmäßigkeit bedacht, den Mund halb geöffnet, der beim Ausatmen eine Garbe plätschernder Blasen vor sich auf die Oberfläche des Wassers zaubert. Behutsam strecke ich in dem bläulich schimmernden Schwimmbad, dessen klares Wasser von allen Seiten meine Glieder umhüllt, die Arme nach vorn, um mit langen Zügen die Wasseroberfläche zu teilen, während die Beine in Höhe der Knie einknicken und simultan dazu sich die Arme langsam aufs neue ausbreiten und gleichzeitig wieder die Beine in der gleichen koordinierten und synchronen Bewegung das Wasser hinter sich stoßen. Der Stellenwert des Schwimmens auf der Leiter der Vergnügen, die das Leben uns verschafft, lag bei mir sehr hoch, nachdem ich es zunächst etwas unterbewertet und ziemlich weit hinter die körperliche Liebe gereiht hatte, die bislang meine Lieblingstätigkeit gewesen war, vom Nachdenken einmal abgesehen, selbstredend. Tatsächlich mache ich sehr gern Liebe (in vielerlei Hinsicht), und ohne daß ich hier meinen diesbezüglichen Stil weiter ausbreiten möchte, der im übrigen eher der sinnlichen Seelenruhe von Langstreckenbrustschwimmen ähnelte als dem aufschneiderisch-virilen und chaotischen Schwung eines 400-m-Schmetterling-Stils, möchte ich doch vor allem festhalten, daß Sich-Lieben mir eine große innere Ausgeglichenheit verschafft und daß ich, ist der Akt einmal vorüber, während ich in der Sanftheit der Decke und auf dem Rücken liegend dahinträume und die schlichte Güte des Augenblicks genieße, eine unwiderstehliche gute Laune verspüre, die sich auf meinem Gesicht in Form eines unverhofften leichten Lächelns niederschlägt und in meinen Augen sich als etwas Glitzerndes zu erkennen gibt, als etwas Maliziöses und Komplizenhaftes. Nun ja, Schwimmen verschafft mir dieselbe Art von Befriedigung, dasselbe Gefühl körperlichen Erfülltseins, das sich langsam, nach und nach, wie eine Welle im Geist ausbreitet und zum Lächeln verleitet.

    So ist mir, der ich völlig damit beschäftigt war, nichts zu tun, aufgegangen, daß ich keine Zeit mehr hatte fernzusehen.

    Das Fernsehen bietet das Schauspiel nicht der Realität, auch wenn es sich diesen Anschein gibt (in Miniformat, möchte ich mal sagen, ich weiß nicht, ob Sie schon mal ferngesehen haben), sondern ihrer Darstellung. Es stimmt schon, die scheinbar neutrale Darstellung der Realität, die das Fernsehen in Farbe und zweidimensional vorlegt, wirkt auf den ersten Blick vertrauenswürdiger, authentischer und glaubwürdiger als jene raffiniertere und weitaus indirektere, zu der die Künstler greifen, um in ihren Werken ein Abbild der Realität zu vermitteln. Aber wenn die Künstler die Realität in ihren Werken darstellen, so, um die Welt zu umarmen und deren Wesen zu erfassen, wohingegen das Fernsehen, wenn es sie darstellt, dies nur an sich tut, aus Versehen sozusagen, aus einem bloßen technischen Determinismus heraus, aus Inkontinenz. Die bloße Tatsache, daß das Fernsehen ein vertrautes, sofort wiedererkennbares Abbild der Realität vorlegt, rechtfertigt indes nicht, das von ihm vorgelegte Bild und die Realität als gleichwertig anzusehen. Außer man glaubt, daß die Realität, um real zu sein, ihrer Darstellung gleichen muß, gibt es tatsächlich keinen Grund, das von einem Meister der Renaissance gemalte Porträt eines jungen Mannes für ein weniger realitätsgetreues Abbild zu halten als das scheinbar unanfechtbare Video-Bild eines in seinem Land weltweit bekannten Nachrichtensprechers, der gerade auf einem kleinen Bildschirm die Fernsehnachrichten verliest.

    Die Illusion der Realität in einem Renaissance-Gemälde, die Illusion, die von Farben und Pigmenten ausgeht, vom Öl und den Pinselstrichen auf der Leinwand, von den leichten Retuschen mit dem Pinsel oder selbst dem Daumen, vom einfachen Reiben mit der Daumenkante in der noch leicht feuchten Paste aus Leinöl, die Illusion, vor sich etwas Lebendiges zu haben, Fleisch oder Haare, Stoff oder einen Faltenwurf, einer vielschichtigen menschlichen Person gegenüberzustehen, mit ihren Fehlern und Schwächen, jemandem mit einer Geschichte, der ihm eigenen Würde, seiner Sensibilität, seinem Blick – wieviel Quadratmillimeter Farbe entsprechen eigentlich der Kraft dieses die Jahrhunderte durchdringenden Blicks? –, diese Illusion ist von ihrem Wesen her eine grundsätzlich andere als die Illusion, die das Fernsehen verschafft, wenn es die Realität darstellt, das bloße mechanische Ergebnis einer unbehausten Technik.

    In jenem Jahr hatte ich beschlossen, den Sommer allein in Berlin zu verbringen und mich der Abfassung meiner Studie über Tizian zu widmen. Seit einigen Jahren schon hatte ich den Plan, einen umfangreichen Essay über Kunst und politische Macht zu schreiben. Mein Projekt hatte sich nach und nach auf das sechzehnte Jahrhundert in Italien konzentriert, im besonderen auf Tiziano Vecellio und Karl V., bis ich jene apokryphe Pinsel-Episode, der zufolge Karl V. sich im Atelier Tizians gebückt hatte, um einen Pinsel aufzuheben, der aus der Hand des Malers gefallen war, zum emblematischen Zentrum meiner Studie nahm, die ihr denn auch den Titel gab: Der Pinsel. Anfang des Jahres hatte ich meinen Professorenposten an der Universität aufgegeben und ein Freijahr genommen, um mich der Vorbereitung dieser Studie zu widmen. Gleichzeitig hatte ich mich, als ich von der Existenz einer privaten Stiftung zur Förderung von Forschern meines Kalibers in Berlin hörte, dort um ein Stipendium beworben, unter Einreichung eines Antrags, in dem ich minutiös mein Vorhaben beschrieb, wobei ich insbesondere auf die Notwendigkeit abhob, mich meiner Studien wegen nach Augsburg zu begeben, der Stadt, wo Karl V. zwischen 1530 und ich weiß nicht mehr welchem Datum (ich und die Daten!) residiert und wo Tizian nicht zuletzt einige der berühmtesten Porträts von Karl V. gemalt hatte, z. B. das große Reiterporträt im Prato sowie den sitzenden Karl V. in der Münchner Pinakothek, mit blassem, pathetischem Gesicht und einem Handschuh in der Hand. Es steht außer Frage, daß ein Aufenthalt in Augsburg für mich ungemein wertvoll und produktiv hätte sein können, aber ich war doch auch bereit anzuerkennen, daß dieses Projekt zu Tizian nicht so spezifisch deutsch war, wie ich es in meinem glänzend formulierten Stipendienantrag hatte weismachen wollen, und daß es im Grunde nicht schwieriger war, Augsburg von Paris aus zu erreichen als von Berlin. Am idealsten wäre München gewesen. Nun hatte ich aber schließlich das Stipendium bekommen, und wir drei hatten uns aufgemacht, in Deutschland zu leben. Anfang Juli war Delon wieder abgereist, in die Ferien nach Italien, mit den zwei Kindern, das eine an der Hand, das andere im Bauch (was ungemein praktisch ist für jemand wie sie, die immer eine Unzahl von Koffern und Handgepäck mit sich schleppt), und ich hatte alle drei zum Flughafen begleitet; ich trug die Flugtickets. Ich sehe mich noch deutlich in der Flughafenhalle zur Anzeigetafel mit den Abflugzeiten gehen, hocherhobenen Kopfes, in der Hand die Tickets, und beide einen Moment lang verblüfft vergleichen. Dann war ich zu Delon zurückgegangen, die mich neben ihrem Gepäckwagen erwartete, und hatte gesagt – ich bin mir übrigens unschlüssig, ob alle Worte, die ich während des Aufenthalts in Berlin fallengelassen habe, hier wirklich haargenau wiedergegeben werden müssen –: Flugsteig 28. Bist du sicher? hatte Delon gesagt. Plötzlich stieg leiser Zweifel in mir auf. Flugsteig 28, ja (ich war noch mal hingegangen und hatte es nachgeprüft). Wir hatten uns vor dem Auseinandergehen lange geküßt, ich hatte vor dem Check-in-Schalter des Flugsteigs 28 von ihnen Abschied genommen, hatte sanft die Hand auf den Kopf meines Sohnes gelegt und unter den Pullover von Delon gegriffen, um zärtlich ihren Bauch zu streicheln, und hatte dann zugeschaut, wie sie sich unter den verkürzten Triumphbogen des Metalldetektors begaben. Tschüs, tschüs, machte mein Sohn mit der Hand (und jetzt hatte ich Lust zu weinen: so bin ich nun mal).

    Wieder zu Hause, brachte ich zunächst einmal etwas Ordnung in meine Sachen, räumte sorgfältig mein Arbeitszimmer auf, um alles mit Blick auf meine Arbeit vorzubereiten (ich hatte den Plan gefaßt, meine Studie sehr früh am nächsten Morgen in Angriff zu nehmen). Ich begann damit, die wuchtige schwarze Regalwand zu leeren, auf der sich seit meiner Ankunft in Berlin ein Haufen Papiere gestapelt hatten. Da lagen Briefe und Rechnungen, Visitenkarten, diverse, noch nicht abgelegte Dokumente zur Vorbereitung meiner Arbeit, Münzgeld und alte Konzertkarten sowie eine Unzahl von Zeitungsausschnitten auf französisch und deutsch, die ich gewissenhaft aufbewahrte, um sie mir später in einer ruhigen Minute zu Gemüte zu führen. Ich mußte all diese Artikel wohl im Laufe der Zeit sorgfältig ausgeschnitten haben, ich sehe mich noch, wie ich sie, in meinem Arbeitszimmer sitzend, sorgsam ausschneide, wie ich aufstehe und sie dann auf ein Regal lege zu weiteren Zeitungsausschnitten, ebenfalls bestimmt, später weggeworfen zu werden, wenn nicht doch der Tag kommen sollte, an dem sie gelesen werden. Nachdem die Regale völlig geleert waren, begann ich mit dem Aussortieren der Ausschnitte. Ich machte es mir in meinem Arbeitszimmer im Schneidersitz bequem, ich saß da in meinem alten Wollpullover mit den zu langen Ärmeln, die ich bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte, neben mir eine große Mülltüte aus schwarzem Plastik, und nahm nun einen Artikel nach dem anderen von den diversen Stößen, die mich umgaben, überflog ihn ein wenig, so wie’s gerade kam (manchmal trieb ich die Gewissenhaftigkeit des Archivars sogar so weit, daß ich aufstand und von meinem Schreibtisch einen Stift holte, um den einen oder anderen Absatz zu markieren, ganze Sätze zu unterstreichen, einige Ausschnitte mit Datum zu versehen), um ihn dann in die Mülltüte zu werfen, unter Bewahrung weniger, höchst ausgewählter Exemplare, deren Lektüre ich mir mit einem vorweggenommenen Wonnegefühl für später aufhob und die ich nach Beendigung der Aufräumaktion in meinem Arbeitszimmer auf den Nachttisch meines Schlafzimmers legen wollte. Danach kehrte ich kurz das Zimmer aus, öffnete die Balkontür, um mein Büro schön zu durchlüften, schüttelte den Bettvorleger an der frischen Luft aus und räumte mein Bett von dem Köfferchen und dem Malblock frei, die darauf lagen.

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