Antifaschismus für alle: Manifest, Essays und Gedichte
Von Kirill Medwedew
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Buchvorschau
Antifaschismus für alle - Kirill Medwedew
Nachbemerkungen
Gedichte aus dem
Almanach Awtornik
Wenn ich der alten Concierge die leeren Flaschen bringe,
ist sie gerührt und bietet mir an, ich könne die Gratiszeitung
mit TV-Programm mitnehmen,
aber ich sage ihr, dass ich so ein Heft nicht brauche,
weil ich keinen
Fernseher habe.
Ich sah das Gespenst eines Baums;
es ergab sich deshalb,
weil einer der Bäume, die etwas entfernt standen,
seinen Schatten auf eine Dampfsäule warf,
die aus der Erde aufstieg;
Trugbilder in der Wüste
entstehen nach demselben Prinzip.
Urgroßmutter kochte sich Lapscha, aß sie,
dann ging sie in ihr Zimmer
und starb;
als man sie nach etwa einer Stunde entdeckte,
war die Suppe noch verhältnismäßig warm;
ich spreche
von meiner Urgroßmutter zweiten Grades.
Es ist schön mit Menschen zu reden,
die an die Wissenschaft glauben.
Aber gibt es denn Menschen, die hundertprozentig begreifen,
dass sie restlos sterben und dass von ihnen nichts übrig bleibt?
Es gibt sie, aber es sind sehr wenige.
In der Regel haben sogar die, die sich für Materialisten halten,
die Hoffnung, dass sie irgendwohin fliegen
nach dem Tod.
Als ich mit Gelbsucht aus dem Krankenhaus kam,
hat man mir Buletten gemacht;
ich erinnere mich, als ich ein Kind war, machte Mama mir Quark:
Am Hahn hing so ein Beutel aus Mull
mit einer mürben weißen Masse drin;
letzten Sommer war ich in Istanbul,
und am allerbesten dort
war das Olivenbrot.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Mitja, meinem Freund,
ich sagte ihm, dass die Leute und alles andere nichts als
eine einzige Scheiße seien,
in der manchmal, ganz selten, sich winzige Inseln
von etwas Reinem und Echtem finden;
aber eigentlich habe ich das damals noch nicht begriffen,
das kam mir nur so wie eine plötzliche Ahnung,
jetzt aber begreife ich das wirklich,
und das heißt, jede Ahnung bestätigt sich
nach Jahren beharrlicher Arbeit.
Als ich gestern Brei kochte,
habe ich, um alles richtig zu bemessen,
zuerst Wasser in ein Glas gefüllt,
dann das Wasser aus dem Glas in den Topf gegossen,
dann das Glas innen abgetrocknet –
damit die Flocken nicht dran kleben bleiben,
und dann erst die Flocken in das Glas und dann
in den Topf geschüttet.
Ich spülte ein Glas, von vollendet regel- und ebenmäßiger Form,
an seinem Boden
spürte mein Finger eine Wölbung –
als ob das Glas anschwölle.
An der Kreuzung der Pretschistenka und der Deneschny-Gasse
steht ein rundes zweistöckiges Haus
und mir ist irgendwie immer sehr wohl zumute,
wenn ich an es denke;
in Moskau gibt es noch einige Orte,
an die ich immer sehr gern denke;
aber es kann ja schön sein,
an jeden beliebigen Ort zu denken.
Man hat mich einmal mit einem Mädchen
für Geld in ein geschlossenes Elefantenhaus gesteckt
und wir hatten nach vielleicht zehn Minuten
den Elefantengestank so aufgesogen,
dass wir noch noch zwei Tage lang nach ihnen gestunken haben;
ich übertreibe nicht.
Zwischen den Scheiben saß lange etwas
einem Falter Ähnliches,
schien zu schlafen,
und doch bewegten sich seine langen Fühler –
wohl vom Wind,
der durch die Fensterritzen drang.
Es kommt vor, dass du mir nichts dir nichts
mitten auf einer Seitenstraße stehen bleibst
in quälender Hitze,
wie nach einem Regen, und du erstarrst
und hast so ein Gefühl,
dass du mit Millionen Seelen verbunden bist,
und dazu noch das Gefühl,
dass jemand für dich betet
in diesem Moment.
Die Rote Bete gab
einen Teil ihrer satten Farbe dem Wasser ab
und nahm eine absolut einmalige Farbe
fast schon wie von Perlen an.
Von unserem Haus aus sieht man ein Haus,
das ganz genau dem gleicht,
in dem ich allein gewohnt habe
vor etwa acht Jahren;
ich verkaufte damals immer Bücher
vor der Metrostation »Baumanskaja«
und ernährte mich von Kartoffelpüree;
und wenn mein Freund mit seiner Freundin vorbeikam,
dann ging ich scheinbar »in ein Geschäft«.
Die Mango keimte, ein dünner Stängel
durchstieß von innen
den riesigen flauschigen Kern
und drang nach außen;
das war etwas,
das eine Zeitlang
alle anderen Freuden verdeckte.
Alles ist schlecht
ich bin es leid zu übersetzen
mit dem Übersetzen werde ich mich
wohl nicht mehr beschäftigen
mir scheint diese Beschäftigung lohnt sich
nur dann
wenn man ganz und gar
mit dem Autor
verschmelzen kann
jede seiner Zeilen
unterschreiben kann
seinen Schrei
auffangen und verstärken kann
so war es zum Beispiel
als ich einen Amerikaner
übersetzte
einen Charles Bukowski
Schriftsteller und Dichter
als ich ihn übersetzte
wollte ich unbedingt
dass ihn möglichst viele Menschen
kennen lernen
und ein wenig von dem verstehen
was er
wie mir schien
verstanden hatte
als ich ihn übersetzte
schien mir
dass niemand ihn so versteht
wie ich
obwohl es zwischen uns
nichts Gemeinsames
gibt und gab
weder äußerlich noch innerlich
auch biografisch nicht
und Charles Bukowski ist beileibe nicht mein Ideal
darum scheint mir
dass ich nicht mit
seiner Stimme sprach
und es war auch nicht so als würde da etwas untergeschoben
wie das oft bei Übersetzern der Fall ist
die mit fremdem Mund sprechen
mangels einer eigenen Stimme
mir scheint es gab
einen echten Kontakt zwischen uns –
wie wenn zwei völlig unterschiedliche Menschen
plötzlich einander zu verstehen beginnen
ein solcher Kontakt ist meiner Meinung nach
ein echtes Ereignis
in der Kunst und im Leben
ich habe einen Roman Bukowskis ganz übersetzt
und viele seiner Gedichte
mir scheint ich habe beides
sehr gut übersetzt
ich weiß nicht wie es mit dem Roman im Ganzen ist
aber da gibt es einfach einige geniale Stellen
davon bin ich überzeugt
das gilt finde ich auch für die Gedichte
als ich die Gedichte von Charles Bukowski
übersetzte
schien es mir
als ob ich die beste
zeitgenössische Dichtung in russischer Sprache mache
ehrlich gesagt scheint mir das
auch jetzt noch so
ich weiß leider nicht
wann das veröffentlicht wird
vielleicht sogar
niemals
und ich habe ehrlich gesagt
schon keine Hoffnung mehr
weil ich weiß
dass mir jemand mit dem Roman
zuvorkommen
und ihn in einer anderen Übersetzung veröffentlichen kann
und gar nicht unbedingt
in einer schlechten
doch ohne diese echten Durchbrüche
vielleicht aber auch
in einer blamablen;
ich übersetze jetzt einen Kriminalroman
für die Zeitschrift »Inostrannaja literatura«
das ist ein Roman für eine neue Serie
von Beilagen zu dieser Zeitschrift
die glaube ich
»Das Buch für die Reise« heißt
ich habe das Gefühl
dass ich jetzt
in Diensten der Bourgeoisie stehe
diesen Kriminalroman schrieb John Ridley
ein schwarzer amerikanischer Autor
er ist 32 Jahre alt
es ist ein sehr spannender Roman
er ähnelt irgendwie den Filmen Quentin Tarantinos
er enthält eine Satire auf Hollywood
und eine Kritik der Sitten des Establishments
von Hollywood
aber zugleich verwendet er
genau die alten Hollywood-Tricks,
trotzdem gibt es in diesem Roman
einige gute Stellen
aber im Großen und Ganzen ist er
glaube ich
schlicht eine gelungene Fälschung
ich glaube Übersetzer sind
mit wenigen Ausnahmen
Vampire
sie leben
von fremdem Blut
denn eine Übersetzung
ist ein süßer Traum
künstlerisches Schaffen aber
das ist eine Qual
und darum
werde ich mich wahrscheinlich nicht mehr
mit dem Übersetzen beschäftigen
ich glaube ich spürte
den Sinn der Leere,
als ich kürzlich
den Roschdestwenski-Boulevard entlangging
an den Häusern vorbei
und plötzlich spürte ich
so eine Leere,
die sich mir eröffnete
in den Lücken zwischen den Häusern;
ich spürte sofort,
dass es diese Leere an dieser Stelle
vorher nicht gegeben hatte,
doch ich konnte lange
nicht verstehen,
was vorher an dieser Stelle
gewesen war;
dann erinnerte ich mich
daran dass
hier
neben einem Kloster
vor zwei Tagen
Mönche Bäume gefällt hatten,
aber zunächst hatte ich dem keine Beachtung geschenkt
und war geradewegs
unter einem Baum hergegangen,
den sie schon angesägt hatten
und der
jeden Moment
auf den Bürgersteig fallen musste; und dann,
als ich schon fast vorbeigegangen war, schaute ein Mönch,
der ein wenig abseits stand,
mich an
und schüttelte den Kopf,
weil der Baum, den sie sägten, mich hätte
erschlagen können;
und nun
als ich an dieser Stelle
vorbeikam
spürte ich
diese Leere
die sich von dort auf mich zu bewegte,
ich spürte
so eine bannende Bresche
an der Stelle der Bäume,
und in dem Moment
hatte ich eine sehr klare Vorstellung von den Bäumen,
die dort gestanden hatten
und denen ich
keine Beachtung geschenkt hatte
als ich vorbeigegangen war,
und im selben Moment spürte ich
ihr Geräusch und ihren Geruch –
und ich dachte,
damit
sich etwas ereigne
(ein Erlebnis, eine innere
Erschütterung,
ein Bersten –
eine Schieflage,
ein seelischer Krampf,
ein Stoß,
vielleicht
ein Höllensprung),
müsse sich zuvor etwas anderes
ereignen –
offensichtlich muss zuerst eine Leere
aufblitzen
wie eine Halluzination,
mir scheint, dass sich zuerst
etwas öffnen
und schmerzend einbrechen muss
weil
der menschliche Geist
(die Maschinerie des menschlichen Geistes,
seine kapriziöse platzraubende
Maschinerie)
genau dort
zu arbeiten beginnt,
wo man dem Menschen
etwas genommen hat –
d. h., im Prinzip, an einem leeren
Ort
(es wäre zu wünschen, dass man ihm etwas,
dem er keinen Wert gab, genommen hat,
oder besser noch etwas
wovon er überhaupt
nichts wusste)
nach diesem Erlebnis,
das mit der Leere verbunden war,
die sich mir eröffnet hatte
an der Stelle der gefällten Bäume,
verstand ich, so scheint mir,
ziemlich gut
den Sinn der Leere
noch ein wenig über die Literatur:
mich hat immer ein bestimmter
Typ von Dichter sehr interessiert
das ist ein ziemlich bekannter Typ:
diese blonden Burschen
die nach Moskau kamen
schon seit den 1930er Jahren
am Literaturinstitut aufgenommen wurden
und im Wohnheim des Literaturinstituts
Krach schlugen
das waren
sehr harte Burschen aus der Peripherie
Meister der Nostalgie
und mysteriöse Laien
mir scheint dass
die Nachfrage nach ihnen gewaltig war
weil
sie etwas repräsentierten,
das lebende Gewissen
der in ihrem ewigen Komplex vor dem Volk
befangenen greisen Dichter der Hauptstadt;
mir scheint
dass sie unbedingt
die vakante Nische
des in der Stadt sich plagenden
Dorfsängers einnehmen wollten;
ich glaube,
dass sie auch sehr gern
Lels¹ Maske aus Gips anprobieren wollten
Dutzende von ihnen
verloren den Verstand
viele verwandelten sich
in Stadtstreicher
und betteln
bis heute
auf dem Strastnoj Boulevard
(ich habe dort zwei Mal
verwilderte Kerle gesehen
die die Bänke entlanggehen
Gedichte lesen
und sagen sie hätten
am Literaturinstitut studiert)
einige von ihnen
haben sich aufgehängt
die anderen verschwanden spurlos;
am berühmtesten von allen wurde
wie man weiß
Nikolai Rubzow
man weiß aber auch
dass Rubzow kein ganz einfacher Fall war
dass er eine Zeitlang in Pieter lebte
in der Gesellschaft Petersburger Ästheten
und dass er alle möglichen
formalistischen Dinge ausprobierte
dass ihm Brodski gefiel
und so weiter
ich glaube
allen ist bekannt
dass ihn nach seiner Ankunft in Moskau
diese Bienenzüchter
aus dem Literaturinstitut umgarnten
mir scheint
sie haben ihn
in ein Klischee
in einen Mythos des Verrufenen gepresst
und haben ihn ausgestellt
als Strohpuppe im Pantheon
dort gibt es
auch jetzt noch
solche Burschen
vorletzten Sommer
habe ich mich in Berlin verirrt
das geschah
im Bezirk Tiergarten
ich kam
auf einen absolut leeren Platz
der von Wald umstanden war
und er war menschenleer
da erblickte ich einen jungen Mann
auf seinem Fahrrad
und lief zu ihm
und fragte ihn auf Englisch –
wie ich zum Zentrum komme;
er freute sich sehr über mich
weil er wie sich herausstellte
ein russischer Emigrant war;
er stieg vom Fahrrad
und begann sehr ausführlich
den Weg zum Zentrum zu erklären;
die ganze Zeit während er es mir erklärte
benahm sich sein widerwärtiger Sohn
der vielleicht fünf Jahre alt war
und in einem am Gepäckträger festgemachten
Eisensitz saß
abscheulich –
er jammerte zappelte strampelte
und schrie
zog mich am Ärmel
warf den Kopf in den Nacken
und verdrehte
die Augen;
(ich dachte daran, dass man in Russland über solche Kinder sagt:
»den juckt’s im Arsch«)
dem Kleinen war sichtbar langweilig
er verstand nichts
von unserem Gespräch
und wiederholte die ganze Zeit bockig
einen Satz auf Deutsch
(immer diesen einen
Satz)
ich habe dann später verstanden
was das für ein Satz war
mir scheint
es war der Satz
»warum sprecht ihr nicht Deutsch?«
d. h.
»почему вы говорите не по-немецки?«
mich hat diese Geschichte
mit dem russischen Emigranten
sehr berührt
mir kam da der Gedanke: »dieser arme Emigrant
er kann mit niemandem auf Russisch reden
sein Sohn ist ein Deutscher!«
ich glaube
dass diese Geschichte
mich damals sogar mehr ergriffen hat
als die wilden Kaninchen
die ich einige Zeit später
im Zentrum Berlins sah
(und ich liebe
Kaninchen)
sie ergriff mich weit mehr
als das Mädchen Anna Hennig
das über mich in der Zeitung »Berliner Spiegel«
geschrieben hatte
und als das ganze großartige Berlin –
diese riesige ununterbrochene Baustelle
in einem Gespräch
hatte ich erwähnt,
dass ich mich ganz schön unsicher fühle
in dieser Welt,
und wir redeten dann über einen Menschen,
der wohl mit beiden Beinen im Leben steht
und sich ganz schön sicher fühlt
in dieser Welt;
es stellte sich heraus,
dass dieser
(noch ganz junge)
Mann
schon ungefähr 320 Liebhaber hatte,
und da dachte ich
(das war so eine Passage
im Geiste meines geliebten Dichters
Charles Bukowski)
da dachte ich: »also
stellt sich
heraus,
dass man mehr als dreihundert Leute vögeln muss
(oder es so einrichten muss,
dass sie einen nehmen),
um sich gut, sicher
zu fühlen, mit
beiden Beinen im Leben zu stehen« –
an so etwas hatte ich noch nie gedacht,
im Gegenteil, ich konnte
immer nur Mitleid empfinden,
ich konnte nie an etwas anderes
denken, mir scheint, dass du,
wenn einmal Schluss ist mit dem,
was zwischen euch lief,
dass du dann beginnst,
Mitleid für den betreffenden Menschen zu empfinden –
und es ist nicht wichtig, was genau
vorgefallen ist,
ich glaube, es hat absolut keine Bedeutung,
wer sich wie benommen hat
und wer und wie
mit wem
zu tun hatte
(und wer mit wem wie
letztendlich umgegangen ist) –
die Hauptsache ist, dass man danach,
wenn alles zu Ende ist,
es mit sich nimmt
(erst recht wenn du eine
solche Menge von Liebhabern hast –
man kann sich vorstellen,
wie unsäglich traurig
das in jedem einzelnen Fall
ist)
und man wird es in sich tragen bis zum Ende, wie eine Frucht
oder wie eine Strafe
oder wie sonst noch etwas;
vielleicht
kann man
alles vergessen;
es gelingt dir vielleicht sogar
sein Gesicht zu vergessen, und eventuell sogar seinen
(oder ihren) Namen,
doch das Mitleid mit ihm
wird wahrscheinlich doch
in dir bleiben;
ich weiß nicht,
in mir ist es jedenfalls
immer geblieben;
es war für mich immer
die stärkste Erschütterung
und übertraf
alle anderen
Eindrücke des Lebens,
darum kann ich,
ehrlich gesagt,
nicht verstehen,
wie man so viele
Liebhaber haben kann
oder Liebhaberinnen
und dabei nicht nur nicht verrückt werden,
sondern sich auch noch
ganz schön sicher fühlen kann
in dieser Welt,
mir scheint dass
wenn ich so viele Liebhaber hätte,
mich das Mitleid
schon längst zerstört hätte,
es hätte mich verwüstet, mich von innen ausgebrannt,
ich wäre an ihm erstickt
eine Zeitlang gingen
mein Freund Wanja und ich
gern in einem Bezirk Moskaus
spazieren;
es ist der Bezirk hinter
dem Theater der sowjetischen Armee;
dort ist ein Freiluftmuseum
für Militärtechnik
und ein Teich;
wir
trafen uns gewöhnlich auf dem Zwetnoi Boulevard
tranken Bier und rauchten Gras und liefen
lange in diesem Bezirk umher;
Iwan und ich konnten lange nicht begreifen
was uns
in diese Gegend zog;
schließlich fiel uns auf
dass diese Orte
keine Spur von Aktualität
besaßen:
es gab dort zum Beispiel
keine Reklameschilder
es gab keine Stände
man spürte dort überhaupt nicht diesen schweinischen
geschäftig-geilen Geist
an dem man im Zentrum Moskaus
manchmal fast erstickt
zum Beispiel
auf der Gorki-Straße
(obwohl es dort
auch ganz schön sein kann)
aber in dieser Gegend
war alles
wie vor zwanzig
oder fünfundzwanzig
Jahren –
in der Zeit als Iwan und ich gerade
geboren worden waren;
einmal lernten wir
im Zentrum Moskaus
zwei englische Mädchen kennen
die uns am nächsten Tag
in einem Club treffen wollten
aber wir sind nicht zu dem Treffen gegangen
und sind lieber in diese Gegend gegangen
um spazieren zu gehen;
einerseits war dort alles sehr bodenständig
alles war
durchdrungen
von Alltäglichkeit
weil es dort
diese fetten Tanten gab
in ihren bunten aufgeschlagenen Kitteln,
Männer in Trainingsanzügen
die unter Autos lagen
und immer war ein Radio eingeschaltet
oder ein Kassettenrekorder
meistens ein Radio
(übrigens
habe ich einen Nachbarn, der drei Jahre jünger ist als ich
er hat ein Auto
und er liegt jetzt auch
oft darunter
und repariert irgendetwas
und dabei hat er das Radio angestellt
oder ein Tonbandgerät –
es ist schon erstaunlich
wie sich all diese Gewohnheiten
fortsetzen)
einerseits also
war alles dort
sehr bodenständig
andererseits aber
spürten wir sehr deutlich
die starke
mystische Spannung
und dichte
metaphysische Gärung
dieser Gegend –
vielleicht lag es
daran
dass wir auch eine literarische
Wahrnehmung dieser Gegend hatten
(weil zum Beispiel
der Schriftsteller Mamlejew
den ich damals sehr gern las
dieses gesamte verkrüppelte Kolorit
sehr gut eingefangen hat
wie mir scheint)
mir kam es immer so vor dass
es eigentlich darum geht
dass eben in diesem –
fleischigen, zähflüssigen,
tierischen
(zähflüssigen,
fleischigen)
und gleichsam
von irgendwelchen Verdauungsgesetzen
begrenzten –
Dasein
ein gewaltiges
metaphysisches Potenzial liegt
weil das
etwas ist das
nicht verloren geht,
etwas das
da bleibt;
das ist so ein ewiger Nebel des Nirwana
der in dieser Gegend hängt;
die Menschen sterben
und an ihre Stelle
und auf eben diese Höfe
kommen neue
und wenn man in diese Gegend gerät
dann fällt man für eine gewisse Zeit
aus den gewohnten
Normen
und Rhythmen
des Daseins
und es kommt mir so vor
als könne man in diesen Bezirk
zum Beispiel
auch nach dem Tod geraten
ich erinnere mich
dass es mir oft so vorgekommen war
in dieser Gegend
ich glaube dass
in der Luft solcher Gegenden
ein süßlicher und beruhigender
Geist schwebt
(vielleicht ist das der Geist der Verdammnis,
des Misserfolgs)
der sich dort vermischt
mit dem Geruch der Kommunalküchen
und es hat uns aus irgendeinem Grund
immer dorthin gezogen
ich weiß nicht warum wir uns so wohlfühlten
in diesen Gegenden
1998
arbeitete bei der Zeitschrift »Medwed«
ein gewisser Waleri;
das war
ein ganz eigenartiger Mensch;
er war krank
ich glaube er hatte Zerebralparese
(oder wie heißt das
wenn man nur mit großer Anstrengung gehen kann
dauernd zuckt
und kaum sprechen kann?)
er gefiel
mir sehr;
er schien mir
die einzige