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Das zugemauerte Himmelstor
Das zugemauerte Himmelstor
Das zugemauerte Himmelstor
eBook394 Seiten5 Stunden

Das zugemauerte Himmelstor

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Über dieses E-Book

Der Autor legt eine sehr persönliche Arbeit vor, welche als Roman eher einer Biographie gleicht.
Er versucht, anhand persönlicher Erlebnisse etwas von der Zeit zu bewahren, welche man schlechthin als Deutsche Nachkriegszeit bezeichnet.
Das Buch zeichnet den Lebenslauf eines Jungen auf, dessen Schlüsselerlebnis der Bombenangriff auf Dresden ist. Er war gerade mal 8 Jahre, als das Kriegschaos zu Ende ging und schlimme Jahre der Entbehrung und des Hungers auf ihn warteten.
Ohne Vater, der im Krieg verschollen war, und dann noch von der Mutter für Tot erklärt werden musste, um eine kleine Halbwaisenrente zu ergattern, hatte es die kleine Familie besonders schwer, die schlimmen Hungerjahre zu überleben.
Mit 23 Jahren, als frisch gebackener Ingenieur, beginnt eine Zeit, in der er sich in der Praxis behaupten muss. Auch die Sehnsucht nach Zweisamkeit wird immer stärker. Bis er, mit Erschrecken bemerkt, dass er anders ist als die Anderen, er steht sich selbst im Weg. Mit aller Kraft stürzt er sich in die Arbeit, er weiß, dass er nur bestehen kann, wenn er immer besser ist als die Anderen.
Es kommt zu einer tiefen freundschaftlichen Beziehung zwischen einer jungen Frau, ihm und seinem befreundeten Arbeitskollegen.
Ihr Schicksal ist, dass sie nie zueinander finden, da jeder den falschen Partner in der kleinen Runde liebt.
So ist der Roman auch ein kleines Abbild der Sittengeschichte jener Zeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Juli 2015
ISBN9783739255712
Das zugemauerte Himmelstor
Autor

Manfred Nietzelt

Der Autor wurde im März 1937 an der Elbe, gegenüber des Pillnitzer Schlosses bei Dresden geboren. Für ihn war diese Stadt ob kaputt oder im Wiederaufbau begriffen, Heimat. Er schreibt seit seiner Kindheit sich das der Seele was ihn bedrückt, wütend macht und keine Ruhe lässt. Sein Brot verdient er schon mit 17 Jahren, als Schichtarbeiter, im Akkord, wird Technischer Zeichner und studiert später Maschinenbau. Beruflich kann er auf ein erfülltes Leben zurück blicken. Das Schreiben ist und bleibt sein Hobby. Als er endlich Zeit zu haben glaubt, um all das nieder zu schreiben, was er für überlieferungswürdig hält, erkrankt sein Partner schwer, und er pflegt diesen bis zu dessen Tode, nach 13 Jahren der Selbstaufopferung. Nun im Alter von 78 Jahren beginnt er endlich das zu tun, was er immer schon wollte, Schreiben um zu bewahren.

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    Buchvorschau

    Das zugemauerte Himmelstor - Manfred Nietzelt

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Halbstark

    Student

    Jungingenieur

    Kulissenwechsel

    Eindrücke

    Verwirrung

    Ines

    Alltägliches - Soll man oder soll man nicht?

    Ein Lump der schlechtes dabei denkt

    Epilog

    Literaturhinweis

    Und keiner weiß

    wie mir wirklich ist.

    Wenn ich ganz allein bin,

    und schäme mich,

    weil ich so erbärmlich bin.

    Und morgen?

    Geh ich morgen wieder hin?

    Volker Grillitsch

    Prolog

    Der gesunde Mensch hat tausend Wünsche, der Kranke nur den einen, gesund zu werden.

    Aus dem Krankenbett heraus erhält das Leben eine völlig neue Perspektive. Bisher gelebte Eitelkeiten erscheinen in ganz anderem Licht. Geld, Motorrad oder Auto, Mode, rote Haare oder Glatze - angesichts der Krankheit sind sie so unwesentlich wie die Tatsache, dass der Kranke jung und sportlich oder älter ist. Für alle gibt es das gleiche, hinten durchgeschlitzte, krankenhauseigene Nachthemd.

    So liegen sie aufgereiht in ihren Betten, neben dem Direktor der Lehrling, der Polizist auf der Fensterseite, der Rentner neben dem Kraftfahrer. Hier, angesichts ihrer gemeinsamen schwierigen Lage entwickeln sie sofort Solidarität, es trennt sie kein Standesdünkel oder Generationsproblem mehr. Plötzlich sprechen sie wieder die gleiche Sprache und finden das, was ihnen da draußen scheinbar abhanden gekommen war, zurück. Schließlich gibt es schon bald die Spritze, für alle in den selben nackten Arsch, ohne Gnade und Unterschied. Dieses wunderbare Gefühl der Zusammengehörigkeit erlebte ich selbst nach schwerer Operation.

    Mein Leben habe ich wohl der Aufmerksamkeit eines jungen Mannes zu danken, welcher die Ärzte und Schwestern alarmierte als er bemerkte, dass ich nicht mehr zu atmen schien.

    Sofort begann der Countdown zu meiner Rettung, in dessen Verlauf ich das medizinische Personal mit riesigen Kuhköpfen ausgestattet in einem unheimlichen Nebel zu erkennen glaubte. Als man mit meinem Krankenbett durch die Gänge zum Fahrstuhl rannte stand dieser - fast wie ein Wunder - geöffnet auf der Etage. Hätte man dieses alte schwerfällige Gefährt erst heraufholen müssen wäre es mit mir vorbei gewesen. Aber so ging die Hektik weiter bis ich, viel später, völlig erschöpft, unfähig mich zu bewegen, auf der Wachstation zu mir kam.

    Ich hatte das Gefühl, in einen endlos tiefen Brunnen gefallen zu sein, um aus diesem jetzt langsam aufzusteigen. Meine Umgebung erkannte ich nur schemenhaft.

    Ich erinnere mich im Nachhinein, das täglich eine weiße Gestalt an meinem Bett stand, sie schien mir aber völlig fremd. Später jedoch, als ich zurück verlegt wurde, erkannte ich die Person. Jeden Tag zur gleichen Zeit, stand er unter meinem Fenster, schaute herauf, grüßte und ging dann, um morgen wieder pünktlich da zu sein. Ein Glück wem dies passiert. Es gibt nichts schöneres im Leben, als die Gewissheit, das es einen Menschen auf dieser Welt gibt, der dich liebt und auf dich wartet.

    Halbstark

    Ich hatte das Glück, meine Jugend im Elbtal zwischen Meißen und der Sächsischen Schweiz zu verleben.

    In Söbringen, an den steil abfallenden Hängen zur Elbe, ließen wir uns als Kinder hinabrollen. Wir nannten es Kullermeckel. Hier im Fluss lernte ich schwimmen. ,zwisc Auch gefischt wurde noch im Strom. Herrliche Wanderungen am Borsberg, welcher sich hinter dem Pillnitzer Schloss zum Graupaer Wald hinzieht, waren voller Erlebnisse für mich.

    Auf dem Hochufer führt vom Ortseingang Söbringen zum Pillnitzer Schloss ein Fußweg direkt an der Elbe entlang. In der offenen Landschaft zeigt sich dem Wanderer das am rechten Elbufer liegende Schloss mit seinen grünen, nach chinesischem Vorbild gewölbten Dächern. Es übt einen nicht alltäglichen Reiz aus, wenn beim Näherkommen das Wasserpalais langsam aus dem Schatten der Bäume tritt. Noch wenige Schritte und man befindet sich auf den Stufen vor dem Palais, diese führen hinab zum Strom. Die Pillnitzer Insel mit ihren alten Bäumen und den Mistelzweigen im Geäst liegt gegenüber, zum Greifen nah.

    Oft saß ich hier, schaute in das silbern glänzende Wasser, welches die mit barockem Schwung in den Strom tauchenden Gondeltreppen weich umspülte, und sich kräuselnd flußab entfernte. Begrenzt werden die Treppen von zwei von oben herab ebenfalls auf den Fluss träumende, steinernen Sphinxe. Dachten sie so wie ich, wie weit es wohl bis zur Elbquelle sein würde? Für ein Kind unendlich auch der Weg bis Hamburg, wo sich der Fluss, dessen Wasser im Moment noch meine Hände umspülte, sich eines Tages mit dem endlosen Meer vereinen würde. Wie gerne wäre ich mitgefahren auf einer der großen Zillen, welche lautlos an mir vorbei ihrem fernen Ziel entgegen fuhren.

    Ich aber blieb zurück in einer zu Stein gewordenen Sinfonie, die sich in einen hinter dem Schloss liegenden Lustgarten schwang und gegen den Bordsberg in Richtung Graupa zog, dahin, wo Richard Wagner zu seinem Lohengrin die ersten Takte erklingen ließ. Mein Lieblingsplatz war im Lustgarten die von hohen streng geschnittenen Weißbuchenhecken umgebene rote Tritonengondel, die an ihrem Bug, in ein Muschelhorn blasende Meergottheit zeigte. Im Geist fuhr ich mit dieser farbenprächtigen, reich verzierten Staatsgondel elbabwärts. Vorbei an der Hosterwitzer Kirche Maria am Wasser, die in der Abendsonne liegend, wohl zu den unvergessendsten Eindrücken gehört, welche man hier erleben kann.

    Noch eine Schönheit von besonderem Reiz übte eine große Anziehung auf mich aus: jene 1770 aus Japan hier her gebrachte Kamelie. Sie war inzwischen zu einem stattlichen Baum, von acht Meter Höhe und 8 Meter Breite herangewachsen. Ihre Blüten, welche sie im Frühjahr mit exotischer Pracht entfaltet, ziehen immer wieder die Menschen in ihren Bann. Inzwischen wusste ich alles über diesen Baum und freute mich, dass er den Brand des ihn umgebenden Hauses im Winter 1905 überlebte. Bei minus 20 Grad Celsius gefror das Löschwasser. Der völlig vereiste Baum verlor seine Blätter und konnte, einem Wunder gleich, gerettet werden. Zusammen mit ihr kamen 1770 noch drei weitere Kamelien nach Europa nach Herrenhausen, Kew Garden und Schönbrunn. Doch nur diese in Pillnitz überlebte und blüht in jedem Jahr erneut.

    Eine heile Welt damals, 1947, so möchte man glauben. Zum Schwärmen war kein Anlass gegeben mit leerem Magen. Es ging uns allen schlecht, keine Kohle, kein Holz im Keller und nichts zu beißen. Das Glück, einmal satt zu sein, war mir fremd. Statt einer Scheibe Brot gab es Kunst, welche trotz des Bombenhagels auf Dresden hier im Umfeld der Stadt noch reichlich vorhanden war. Liebe und Aufgeschlossenheit für diese Dinge stammen bei mir aus dieser doch recht trostlosen Zeit. So wie sich dann das Lebensniveau langsam aber ständig verbesserte, verschwanden die Fische fast unbemerkt aus der Elbe, das Baden darin wollte keine Freude mehr machen und die Flößer blieben eines Tages ganz weg.

    Als ich 1950 das 13. Lebensjahr erreichte, zogen wir aus dem Elbtal auf den Berg hinauf nach Dohna in eine über 1000 Jahre alte Burggrafenstadt.

    Raubritter hausten hier vor langer Zeit und ließen meine kindliche Phantasie davonfliegen. Erst 1953 schüttete man unterhalb des Friedhofes, rechts an der Straße, die nach Heidenau hinunter führt, einen bis dahin sichtbaren Gang zu, von dem es hieß, dass hier der Graf Wetzel unter den Feldern hindurch bis an die an der Elbe gelegene Handelsstraße geritten sei.

    Das erzählten sich die alten Leute. In der Schule erfuhren wir nur, dass es ein Buch geben solle Raben flogen um Dohna. Es war leider nicht greifbar. Demzufolge sollte die stolze Burg Dohna wegen einer schönen indischen Kaufmannstochter, die gegen den Willen ihres Vaters hier bleiben wollte, vernichtet worden sein. Heute grüßen den Wanderer vom Berg herab ins Müglitztal noch die Reste der einst so stolzen Burg.

    Eine andere Geschichte berichtet über den jährlich im Rathaus zu Dresden stattfindenden Tanz des Adels. Im Jahre 1400 war zu diesem Fest auch der mächtige Dohnaer Burggraf Jeschko mit seiner wunderschönen Braut geladen. Die steinreichen Dohnas beherrschten Dresden und hatten hier die Elbbrücke gebaut. Der ebenso mächtige Markgraf zu Meißen tanzte mit der Schönen aus Dohna und gab ihr einen Kuss. Der Dohnaer, nicht verlegen, gibt dem Meißner eine Ohrfeige. Das Ende vom Lied, die Meißner erobern nach dem Fest die Burg der Dohnaer und brennen sie nieder. Der Burggraf flieht mit seiner Schönen nach Böhmen zu Kaiser Sigismund. Dieser, bekannt durch sein böses Weib, die berüchtigte Barbara, begehrte sofort was ihm nicht gehörte, die Schöne aus Dohna. Der Kaiser waltete seines Amtes: Jeschko wurde geköpft, und der Mörder hat was er begehrt, eine schöne Mätresse. Die Meißner ihrerseits belohnen den Mord mit Geld und Soldaten, die der Kaiser gegen die Husitten benötigte. Auf diese Weise kamen Dresden und ganz Sachsen unter die Herrschaft der Meißner.

    Diese geschichtsträchtige, heute zu unrecht fast vergessene Fleischerstadt, bot mir was ein junges Herz begehrte. In der Giebelwand des Hauses Otto-Kretzschmar-Straße 15, in welchem ich wohnte, und über dem Eingang zum Kino steckten noch die Kanonenkugeln von Napoleons Truppen, die im Jahre 1813, im September, von der böhmisch-sächsischen Grenze kommend, nach Dresden vorrückten. Ob Napoleon den herrlichen Rundblick vom Kahlbusch, einem Steinbruch, in welchem wir Seeigel und ähnliches Getier in versteinerter Form fanden, hinab ins Elbtal genauso genossen hat wie ich, wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls gewohnt hat er hier in der Nähe des Marktes, an welchem auch der Sohn Martin Luthers ein ansehnliches Anwesen einmal sein Eigen nannte. In der Weite der Landschaft rund um die kleine Stadt tobten wir Kinder uns kräftig aus, es bereitete mir auch Vergnügen, abends den Alten zuzuhören, wenn sie fast vollzählig im Hof versammelt waren. Ein kleiner Flecken, von einem Schuppenhaus, einer hohen Mauer, einem Holzhaufen und Kaninchenställen begrenzt. Eine riesige Bank bot vielen Hausbewohnern Platz. Waren es mehr, holten sie Stühle auf den kleinen Hof und saßen bis die Kälte sie ins Haus zurück trieb.

    Manchmal, aber das kam selten vor, gab es eine Kostprobe vom selbstgemachten Wein. Der Spender, Paul Hieckmann, bekam dann eine knallrote Glatze und wurde immer recht zutraulich zu meiner Mutter. Das konnte er sich aber abschminken, hatte er doch vorher noch damit geprahlt, noch nie im Leben seine Zähne geputzt zu haben. Als junger Kerl trat dieser als starker Mann auf dem Rummel auf, wer wollte, konnte gegen ihn kämpfen.

    Ein anderer Mann erzählte von seinen Wanderjahren, die ihn zu Fuß durch ganz Deutschland führten.

    Weitere Männer wohnten in diesem großen Haus nicht mehr. Väter und Söhne waren in diesem schrecklichen und sinnlosen Krieg geblieben, keiner wusste wo oder wie sie umgekommen waren.

    Gab es im Hof nichts aufzuschnappen, brauchte ich nur auf den Markt zu laufen, vor den Häusern standen die Menschen in Gruppen und erzählten. Auch die Bänke um den Fleischerbrunnen waren besetzt.

    Ich war gern hier, schien es mir doch als säße ich in einer Theaterkulisse. Hinter mir die Kirche mit ihrem 56 Meter hohen Turm und den zwei vergoldeten Hämmern, welche an den Absturz von Vater und Sohn bei Dachdeckungsarbeiten erinnerten. Rechts das Rathaus, Herrenhäuser, Fleischereien. Links ein über 400 Jahre altes Haus, die Sparkasse, die frühere Sieche mit Sonnenuhr und abgestuftem Giebel. Geradeaus der Ratskeller mit seinen alten Gewölben, der Apotheke und einem Herrenhaus.

    Der Fleischerbrunnen erinnerte an die Pest in Dresden, wohin die Dohnaer Fleischer ihre Ware noch lieferten als alle anderen der Zunft, ihre Dienste aus Angst vor der todbringenden Krankheit, eingestellt hatten.

    Rechts neben der Kirche führt ein steiler enger Weg hinunter ins Müglitztal, die Häuser hängen wie Vogelnester am Berg. Links daneben, am Rathaus vorbei, geht der Weg zur ehemaligen Burg. Das alte Winzerhaus erinnert daran, dass hier vor langer Zeit ein Weinberg ins Tal hinab führte. Dieser ist nicht mehr vorhanden. Riesige Gipshalden von nachhaltiger Hässlichkeit werden wohl die ehrwürdigen Reste der Burg um ein Vielfaches überdauern.

    Am 18. März 1951 war meine Konfirmation in der Dohnaer Kirche. Natürlich musste auch ein Foto sein. Mit der Bibel in der Hand, am Tisch sitzend, wurde ich fotografiert. So sah man nicht, dass ich die Sportschuhe meiner Mutter an den Füßen trug.

    Wir waren arm und immer noch froh, wenn genug zu essen auf den Tellern lag.

    Ich gehörte zu einer kleinen Gruppe von drei Kumpels, die wie Pech und Schwefel zusammenhielten. Doch das lockerte sich bald, da ich in einer Fabrik in Heidenau einen Metallberuf erlernte, in einer SDAG, einem Betrieb, welcher noch zu gleichen Teilen der Sowjetunion und der DDR gehörte.

    Einer der Freunde lernte Elektromaschinenbauer, der andere ging weiter zur Schule bis zum Abitur und studierte dann in Karl-Marx-Stadt, Maschinenbau. Abitur war bei mir nie in Erwägung gezogen worden.

    Da wir, also meine Familie, weder eine Bäckerei, Fleischerei, Tischlerei noch einen Vater besaßen, bekam ich von unserem Klassenlehrer Märbit die linke Sitzreihe zugewiesen. Rechts hingegen saßen alle förderungswürdigen Schüler, deren elterlicher Besitz dem Lehrer von Nutzen sein konnte.

    Diese Klassenkameraden waren sich ihrer Privilegien voll bewusst und nutzten sie auch dementsprechend aus. Für einen Spankorb mit verschiedenen Würsten steckte eine Lehrerin sogar die Ohrfeige eines Schülers weg.

    Gar nicht auszudenken, wenn ich armes Schwein ihr eine gekracht hätte. Den Arsch hätte man mir aufgerissen. Eine Frau ohne Mann war nichts wert, deren Kinder ohne Erziehung, also Grobzeug.

    Später, kurz vor dem Ende meiner dreijährigen Lehrzeit im Jahre 1953, berichteten mir einige ehemalige Mitschüler vom Tode unseres, in meinen Augen doch recht korrupten Klassenlehrers. Er hatte sich am Berg mit dem Fahrrad zu Tode gestürzt.

    Jeder bekommt im Leben seine Strafe, war meine Antwort. Ich hatte nichts mehr hinzuzufügen als ein lässiges Achselzucken.

    Für meine Altersgenossen war ich auf Grund dieser Äußerung das Letzte: Typisch Fabrikarbeiter! Erst jetzt war für mich die Ungerechtigkeit erledigt, hinaus geschrien. Für diesen tragischen Unfall war nicht ich verantwortlich.

    Immer wieder trat ich gehörig ins Fettnäpfchen.

    Es war üblich, dass einige meiner Lehrlingskollegen erst gegen halb zehn Uhr, also zur großen Pause, zum Unterricht in die Berufsschule kamen. An einem Dienstag probierte ich Gleiches.

    Als ich bewusst zu spät erschien, las ich zu meinem Entsetzen auf einem Schild an der Tür Wegen Grippe-Epidemie geschlossen!

    Das besagte, alle Lehrlinge muss ten sofort in ihre Betriebe zur Arbeit gehen. Spätestens um acht Uhr würden sie dort eingetroffen sein, nur ich nicht.

    Noch schaute ich ratlos auf das Schild.

    So ein Mist, entfuhr es mir.

    Wie ich die Truppe kannte war es aber auch möglich, dass sie sich auf den Elbwiesen herumtrieben. Würde ich jetzt zur Arbeit gehen, hieße dies Verrat und ich konnte mich auf etwas gefasst machen. Hätte ich aber erst die Elbwiesen nach ihnen abgesucht und wäre dann im Betrieb erschienen, brachte es mich an den Rand eines Rausschmisses.

    Noch nie verging die Zeit so schnell wie jetzt. Was sollte ich bloß tun?

    Mir kam die rettende Idee: Der Lehrling Lämm war ein christlicher Mensch und hielt sich aus derbem Unsinn heraus. Er wäre bestimmt nicht mit zu den Elbwiesen gelaufen. Nach Hause würde er gegangen sein, um zu lesen.

    Ich ging in seine Wohnung, die am Weg zur Fabrik lag, klingelte: niemand zu Hause. Also waren sie alle auf Arbeit.

    Ich lief rasch in die Firma, meldete meine Magenverstimmung, welche mein spätes Erscheinen rechtfertigen sollte, sah aber weit und breit keinen Lehrling.

    Was ich in den nächsten Wochen durchmachte war schlimm. Für den Meister war ich ein Arbeitsbummelant, für die Kumpels ein Verräter. Pech für mich!

    Mit der Zeit war auch das vergessen, der ganze Aufstand war auch mehr Schau von den Jungs.

    Ich hatte jetzt meine Freunde in der Fabrik. Es war normal, dass wir streng gescheiteltes Haar trugen, fiel es in die Stirn, reichten die längsten Haare bis zum Kinn. Als ich mir eines Tages einen kurzen Igel schneiden ließ war das der anlas dafür, dass meine Mutter fast aus dem Mieder sprang und ich vor den Lehrobermeister zitiert wurde. Für ihn verherrlichte ich die amerikanische Unkultur. Man sah die Dinge noch recht eng. An ordentliche Kleidung war überhaupt nicht zu denken. Ich trug eine Hose, die meine Mutter aus einer alten Militärdecke genäht hatte. Ein Sexidol war ich wirklich nicht, eher glich mein Äußeres einem Requisit der Geisterbahn.

    Mein Kumpel Rolf war schon moderner. Er klaute seinen Eltern ab und an Geld, sparte, fuhr nach Westberlin und kam als Stenz wieder: hohe Porokreppsohlen an den Schuhen, Ringelsocken an den dünnen Beinen und enge Hosen, die bis zu den Knöcheln reichten.

    Er gefiel mir und ich war stolz auf ihn.

    Eines Tages gab er mir zwei Kohlenkarten: Hier, du armes Schwein, die habe ich meinen Alten geklaut, die werden schon wieder Rat schaffen.

    Ich war froh darüber und sagte meiner Mutter, dass ich sie gefunden hätte.

    Als ich mir endlich meinen ersten Anzug gekauft hatte, einen schicken, stahlblauen Zweireiher, ging ich mit meinem Freund Rolf tanzen, natürlich auf die Burg nach Dohna. Auch viele andere Lehrlinge wollten kommen.

    An diesem Sonnabend, wir arbeiteten zu dieser Zeit noch am Wochenende, war eine tolle Stimmung im Duschraum. Das Gespräch drehte sich um die Mädchen, vor allem aber, wer wohl welche bekommt, nach Hause schafft und wer weiß noch was anstellt. Eine phantasiegeladene Stimmung. Wir spritzten und tobten unter den Duschen, dass es eine Freude war.

    Langsam leerte sich der Waschraum, nur wenige Duschen plätscherten noch. Neben mir in der Kabine wurde plötzlich der kunstlederne Vorhang zugezogen. Ich hörte zwar Stimmen, konnte aber nicht ausmachen wer sich da versteckte. Ich war ganz aufgeregt und konnte meine Erregung auch nicht verbergen. Plötzlich wurde ich beiseite geschoben, der Vorhang ratschte nun auch an meiner Kabine zu: Vor mir stand nackt und gut anzusehen mein Freund Rolf, dieser Weiberheld und Angeber. Ich war wie besinnungslos, zitterte am ganzen Körper und ergab mich immer freudiger der Situation, die ich mir ja eigentlich schon immer gewünscht hatte.

    Obwohl es nicht das letzte Mal geschah war es nie ein Gesprächsthema zwischen uns. Wir maßen unsere Kräfte nach Herzenslust und schossen uns im jugendlichen Übermut auf das Leben ein.

    Leider beendeten wir nun bald die Lehre, was den Berufsschullehrer, der für unsere Klasse verantwortlich war, veranlasste, uns noch etwas Gutes zu tun.

    Hört mal, ihr Saulackels! So sagte er immer, wenn er gute Laune hatte. Ich habe einen Freund, der arbeitet in einer Messerschmiede und könnte für euch alle ein schönes Taschenmesser besorgen, das braucht doch ein junger Mann.

    Da es keine zu kaufen gab waren wir von seinem Angebot scheinbar sichtlich erfreut, und bestellten beinahe dreißig solcher Messer. Unser Lehrer, Fritz John mit den kleinen Schweinsäugelein, trat dann auch bald vor uns hin, mit einer schweren Tasche, gefüllt mit Messern. Überglücklich leerte er diese und zeigte vor, was er für uns erstanden hatte.

    Mein Intimus Rolf war der erste, der sich meldete und sagte: Herr John, ich habe kein Messer bestellt, sah mich drohend an und sprach: Du vielleicht? Ich schüttelte sofort den Kopf.

    Fritz stand wie versteinert am Pult vor seinen Messern und begann zu kochen. Plötzlich war ein Lärm in der Klasse, alles bog sich vor Lachen, keiner konnte sich erinnern, jemals ein Taschenmesser gewollt zu haben.

    Er tat mir leid, der gute Fritz, als er seine Messer zusammenpackte und verschwand. Später, am Ende unserer Lehrzeit, schenkten wir ihm, zum Abschied eine geschnitzte Schreibtischgarnitur, ihm traten die Tränen in die Augen und wir schieden als Freunde.

    Ausgelernt!

    Nach der Freisprechung in Dresden tranken wir im Hexenhaus zwischen den Trümmern am Fucikplatz wie echte Männer Molke-Bier, ein scheußliches Gesöff aus den Rückständen der sauren Magermilch und aßen jeder eine Bockwurst. Ein Fest für uns.

    Die Wurst natürlich gegen Abgabe von Lebensmittelmarken. Reisemarken hatten wir uns besorgen müssen, diese hatten auch außerhalb des Wohnortes Gültigkeit.

    Das lang ersehnte Ziel war erreicht. Wir waren nun Gesellen, erwachsen.

    Aber wer ist das schon mit siebzehn Jahren? Eine gewisse Angst kam in mir manchmal hoch, welche mich darauf hinwies, dass alle Fehler, die ich ab jetzt machte, zu meinen Lasten gingen. Keiner würde sich mehr an meine Mutter wenden, wie bisher.

    Vor sich und der Gesellschaft zu bestehen, eine neue Herausforderung, der man sich stellen musste. Keine leichte Aufgabe. Plötzlich sah ich das Leben der älteren Kollegen, denen man bisher doch hin und wieder und vor allem hinter ihrem Rücken, einen Vogel gezeigt hatte, in einem völlig anderen Licht.

    Mit der erfolgten Freisprechung war auch der letzte Tag unseres Zusammenseins gekommen. Einige von uns gingen in die Flugzeugindustrie, andere wurden im Betrieb den Brigaden zugeteilt. Ich wurde ins Konstruktionsbüro übernommen.

    Es gab auch einige, die der Verlockung des goldenen Westens nicht widerstehen konnten und bei Nacht und Nebel ihre Heimat für immer verließen.

    Ich war Sachse, stolz darauf und sah, dass es bei uns hier genügend zu tun gab. Noch standen überall die gespenstig mahnenden Ruinen des letzten Krieges umher, was sollte ich woanders als in der Heimat? Marmeladenschnitten nahm man hin und wieder gezwungenermaßen immer noch mit auf Arbeit, aber das ging allen so.

    Trotzdem verspürten wir auf allen Gebieten des Lebens einen Ruck nach vorn. Es ging uns immer besser und das war doch etwas.

    In unserem Betrieb tat man für meine Begriffe das einzig Richtige, indem man gute Lehrlinge nach ihrer Ausbildung sofort weiter qualifizierte. So erhielt die Firma einen Intelligenzstamm, der von der pieke auf im Stoff stand, und nicht nur über theoretische Kenntnisse verfügte. Mancher in der Verantwortung stehende, hochgebildete Mensch unserer Zeit wird diese praktische Ausbildung schmerzlich vermissen. Es ist ein Unterschied ob man selbst im Schichtsystem als Leistungslöhner gearbeitet hat oder die Maschinen nur aus dem Technikum der Hochschule kennt.

    Die Menschen lernt man am besten kennen, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet und ihre Pausengespräche hört. Hier entwickeln sie ihre für sie reale Philosophie, die man ebenso gelebt haben muss, wie man auch ihren Dialekt sprechen sollte.

    Als ich es zum Teilkonstrukteur gebracht hatte, wechselte ich den Betrieb aus ganz privaten Gründen. Von einer Schulfreundin erfuhr ich, dass in ihrem Betrieb, den Fluorwerken in Dohna, ein bildhübsches Mädchen arbeite, bei der alle abblitzten.

    Genau das richtige für mich, sagte ich zu ihr und bewarb mich in der Projektierungsabteilung.

    Das alles ging derart schnell, dass ich schon beim nächsten Betriebsvergnügen dabei war: Eine riesige Faschingsfete, bei der zwei betriebseigene Schweine geschlachtet wurden.

    Damals durchaus üblich, Gärtnerei und Schweinezucht unterhielt fast jede Firma, wenn sie nur die geringste Möglichkeit dazu hatte. Heute unvorstellbar, aber eine gute Sache, welche einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Hebung des Betriebsklimas leistete.

    Auf diesem Ball hatte ich die erste Gelegenheit, die stolze Schöne in die Arme zu nehmen. Wir tanzten einige Male, wobei ich mir nichts anmerken ließ und sie auch am Abend nicht weiter bedrängte. Ich übte Zurückhaltung und das war gut so.

    Von meinem Arbeitsplatz aus konnte ich den gesamten Werkshof übersehen und wusste es täglich einzurichten, dass wir uns begegneten, wenn sie die Proben für das Labor aus der Produktion holte. Wir grüßten uns freundlich, blieben auch schon mal stehen, um uns kurze, belanglose Dinge zu sagen.

    Eines Morgens lachte sie über das ganze Gesicht und erklärte, ich solle doch schnell mal in die Natrium-Fluorid-Anlage gehen. Dort würde gerade der Deckel von einem Bottich entfernt, in welchem Herta die ganze Nacht zugebracht habe.

    Neugierig geworden sah ich, wie mit einem Kranauto der Riesenbottich geöffnet wurde. Von zwei Männern gestützt konnte Herta, ein großes dickes Frauenzimmer, ihr Gefängnis verlassen. Die Ärmste war einem Monteur in den Kessel gefolgt, ließ sich dort einen Liebesdienst erweisen, kam aber nicht wieder durch das enge Mannloch, den Einstieg, zurück, durch welches sie sich hineingezwängt hatte, sie war zu gepolstert. So mußte sie zum Gaudi aller Kollegen die Nacht in dem Kessel verbringen, da erst am Morgen mit ihrer Befreiung begonnen werden konnte.

    Für mich war es eine Freude, hier im neuen Betrieb zu arbeiten, traf ich doch jeden Tag meine Freundin.

    Die Dinge entwickelten sich gut zwischen uns, bald waren wir unzertrennlich. Als meine Mutter davon Wind bekam wurde sie teufelswild und sagte: Gib erst mal mehr Kostgeld, ehe du dich mit den Weibern herumtreibst!

    Dabei schaute ich einem Kerl lieber heimlich auf die enge Hose, die tolle Puppe befriedigte lediglich meine Eitelkeit. Diese Tatsache erschreckte mich.

    Wir beide waren noch unschuldig, was uns natürlich keiner glaubte.

    Geld hatte ich sehr wenig. In der Woche bekam ich vierzig Mark Abschlag ausgezahlt, immer donnerstags. Das war dann der Tag, an welchem wir Kollegen uns in der Todesschänke direkt am Friedhof mehrere Bierchen leisteten. Es war, wie man so sagt, eine reine Männerkneipe.

    Hier in der Gaststätte Erholung sorgte ein elektrisches Klavier für Stimmung. Steckte man einen Groschen in den Schlitz, der sich in der Wand neben der Theke befand, schon klimperte der Kasten los. Oben auf dem Klavier lagen so an die fünfzig Pappschachteln, welche die Rollen mit den gelochten Papierstreifen enthielten, über die das Instrument gesteuert wurde.

    Es kam vor, dass die Stimmung so hoch schlug, dass wir nach der Polizeistunde bei der Wirtin in der Küche weiter tranken und sangen. Das war gar nicht so einfach, denn wir mussten dann erst einmal die große Zinkbadewanne hinaustragen und den riesigen Wassertopf vom Herd nehmen, denn jeden Donnerstag war bei Mariechen Badetag. Böse und geil saß dann der Freund der Wirtin in der Ecke. Ihm hatten wir oftmals die Tour vermasselt. Er war schon Rentner und kam extra angeradelt zum Baden, da sie getrennt wohnten, wohl wegen der Leute.

    Ich hatte also zu tun, dass ich mit meinem Geld über die Woche hinkam. Zur Spitze, der Restzahlung, welche bei 200 Mark lag, gab ich meiner Mutter 60 Mark Kostgeld. Frühstück und Mittagessen nahm ich im Betrieb ein. Große Sprünge konnte ich nicht machen, Geld war immer knapp.

    Mein Chef war für mich schon alt, 31 Jahre, ich gerade 19. Natürlich waren wir per Sie. Gelernt habe ich von ihm viel, er achtete auch auf Manieren und forderte uns Kollegen auf, jederzeit Etikette zu wahren.

    Mit mir im Zimmer arbeitete noch ein Konstrukteur, eine Kapazität aber schwerfällig wie ein Bär. Wir beide saßen sozusagen im Vorzimmer des Chefs, dieser musste, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen, zwangsläufig an uns vorbei.

    Auf unserer Etage befanden sich noch die Investabteilung, die Lichtpauserei sowie das Fotolabor.

    War unser Chef nicht im Hause, gingen wir schnell mal auf ein Schwätzchen nach nebenan. Oder wir aßen, und das war das Schlimmste für ihn, Erdnüsse. Dann sah es auf unseren Schreibtischen, und darunter schweinig aus. Überall lagen die Hülsen herum.

    Für den heutigen Tag hatten wir Erdnussverbot und sollten uns nicht aus dem Zimmer wagen, da sich einige hohe Herren zu einer Beratung bei ihm angesagt hatten. Ich war beauftragt, auf seine Anweisungen hin, sofort die geforderten Projektmappen ins Zimmer zu bringen, höflich und korrekt.

    Die Besucher kamen aus Leipzig, waren aber um zehn Uhr noch nicht anwesend. Ich sagte zu Alfred, dem Bären: Wenn die nicht kommen hole ich eine Tüte, der Konsum hat noch auf.

    Zehn Minuten später knackten wir fröhlich Erdnüsse und die ersten Schalen zierten schon den Fußboden. Von unserem Chef keine Spur, wahrscheinlich wartete er am Werktor. Sollten sie kommen, sahen wir sie doch rechtzeitig von hier oben durchs Fenster.

    Das Telefon klingelte. Das Fotolabor ist dran, sagte Alfred, du kannst Passbilder machen lassen. Prima, dass es heute schon klappt, sagte ich und verschwand. Als ich dort eintraf lachten die Mädchen: Na hör mal, zieh doch ein Sakko an, im Hemd geht das nicht, wie du aussiehst!

    Kurz entschlossen rief ich Alfred an und der erschien mit dem Sakko unseres Chefs. Ich zog es über, Alfred blieb sitzen und poussierte mit den Mädchen.

    Gerade als ich in der fremden Jacke Pose vor einer weißen Leinwand einnahm, kam unser Chef, einer Furie gleich, ins Labor gestürmt. Schnell gab ich ihm die Jacke und er verschwand. Mit langen Gesichtern sahen wir ihm nach, keiner hatte mehr an die Besucher gedacht.

    Ich wusste Rat, rief Ingrid von Invest an, worauf sie unsere Nussschalen wegkehrte, Kaffee kochte, die Mappen ins Zimmer trug und so die Situation rettete. Sie war auch viel hübscher als Alfred und ich zusammen. Natürlich bekamen wir im Nachgang gehörig den Kopf gewaschen, wir nahmen es hin wie Sünder, arbeiteten sehr fleißig und waren bald wieder mit unserem Meister versöhnt.

    Bei uns im Haus wohnte ein fesches Weib, Lotti. Von ihr wusste ich, dass mein Chef hier oft Trost und Zuspruch suchte. So erfuhr ich schon vorher, wenn ein Schäferstündchen angesagt war. Da er zu Hause den biederen Ehemann spielte, fielen diese Abenteuer oft in die Arbeitsstunden, das ging gut, denn Lotti war Schichtarbeiterin. Er erzählte uns dann immer von dringenden Besprechungen in anderen Betrieben, ich solle nur sehen, dass hier alles gut ablief und alle Telefonate genau notieren.

    Manchmal rief er auch zwischendurch an und erkundigte sich ob alles in Ordnung sei. Ich beruhigte ihn und sagte: Bringen sie nur ihre Geschäfte in Ruhe zu Ende, hier läuft alles bestens.

    Mit der Zeit schien er an meinem Unterton etwas zu bemerken und fragte mich nach Lotti aus, die er angeblich durch seine Frau kennengelernt hatte. Ich gab mich gleichgültig und naiv, das beruhigte ihn.

    Trotzdem arbeitete Lotti im Bett eine kleine Gehaltserhöhung für mich heraus. Aber das blieb immer unser Geheimnis. Wir sprachen nie darüber, wussten aber beide Bescheid.

    Mein Chef setzte dafür alle Hebel in Bewegung, dass ich studieren konnte. Ich fuhr schließlich nach Bernburg an die Ingenieurschule, bestand bei einem Aufnahmegespräch und wurde vom Betrieb zum Studium delegiert. Ich war glücklich, hatte aber berechtigte Angst, da ich kein Abitur besaß. Immerhin bescheinigte man mir aber gute fachliche und gesellschaftliche Arbeit. Ob dies an der Schule zog glaube ich kaum.

    Eine Aufgabe, die ich beim Aufnahmegespräch in Mathematik zu lösen hatte, lautete:

    1 : x = 0 Wie groß ist x?

    Eine auf den ersten Blick einfache Sache, aber für einen Achtklassenschüler nicht so leicht lösbar, da x unendlich ist.

    Dass ich es geschafft hatte, gab mir Selbstvertrauen, ohne dem im Leben nichts läuft.

    Bevor ich in meinem Betrieb die Segel strich jagte ich meinem Chef noch einen gehörigen Schrecken ein, aber nicht etwa abt-sichtlich.

    Alles begann damit, dass mein Boss seit Tagen mit dem Autohaus telefonierte, um ein Moped zu ergattern und zwar den neuen Typ, das Modell mit den kleineren Rädern. Er beendete das Gespräch

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