Monsun und andere Ungewitter
Von Georg Felsberg
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Über dieses E-Book
Georg Felsberg, 40 Jahre TV-Reporter und Redakteur in der ARD, hat auf Reisen in asiatische Länder genau hingehört. Er reist allein mit einem Reisesack, der wenig wiegt. Er fährt mit Überlandbussen, Bahnen, geht oft zu Fuß. Er möchte neue Freunde treffen. Manchmal gelingt das. Seine Geschichten erzählen von dem, was sich miteinander verstrickt, aneinander schmiegt oder sich gegeneinander wehrt. Verstören und berühren wollen diese Erzählungen, die vor dem Einschlafen gelesen werden möchten.Manche sind gut für wunderliche Träume. Andere nicht.
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Buchvorschau
Monsun und andere Ungewitter - Georg Felsberg
Monsun und andere Ungewitter
Georg Felsberg
Mit Fotos des Autors
Verlag Klaus Laaser
Inhaltsverzeichnis
Indien Nordost
Der krumme Sadhu
Die kleine Schneiderin
Wo bitte gehts nach Nagaland?
Hotel Sunrise
Kostbare Zeit
Was daran hängt
Unter einer Decke
Männer
Nichts weiter
Neun Planeten
Wenn ich in Träumen träume
Indien Nordwest
Am See der Unsterblichkeit
Ich bin auf der Jagd
Der Alte mit der Kappe
Geklaut
Logik
Zufällig an einer Straßenecke
Eine Silberkanne
Der Herr des Hauses
Der Mann aus den Bergen
Das Wunder
Busstop vier
Löwe im Flammenkleid
Mönch und Hund
Kleine Verspätung
Im Heißen und im Kalten
Fieser Trick
Eine kleine Knopfgeschichte
Nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen
Wo sind die Alten?
Die Decke meines Zimmers
Georg Felsberg
Indien Nordost
Der krumme Sadhu
Am Ufer des Brahmaputra lagen im Morgengrauen fünf Kähne, vier davon halb abgesoffen und vom Schlick und Sand, den der Strom in der letzten Nacht mitgerissen hat, bis knapp unter den Rand gefüllt. Eines der Boote, das fünfte, war nur noch ein im Sand vergrabenes hölzernes Skelett. Immer und immer wieder wurden die obersten Planken der anderen Kähne von den reißenden braungrauen Fluten überspült. Ein Dutzend Männer hockt jetzt gegen neun Uhr auf den Spanten der Boote, der Sturm hat nachgelassen, und schöpft mit Dosen und aufgeschnittenen Blechkanistern das Wasser-Sand-Gemisch mühsam aus den Rümpfen. Wenn die Fischer nur eine Weile innehalten, läuft die trübe Brühe nach. Eine Sisyphusarbeit, die nach jedem Sturm, der oft die Kähne vollschlagen lässt, getan werden muss. Jetzt schwimmt eines der schweren Boote wieder. Es wird näher zum Ufer gezogen und von allen Männern gemeinsam umgedreht und ausgeleert.
Unter dem Wunderbaum, die Uferböschung weiter hinauf, einer Banjanfeige aus der Familie der Maulbeergewächse mit breit ausladenden Ästen, aus denen Luftwurzeln entspringen, die sich im Boden verankern und die Krone des Baumes stützen, unter diesem Heiligen Baum sitzt auf einer roten Bastmatte ein kleiner Prediger, der mit einer reinen Kopfstimme einen seltsam schwebenden Gesang anstimmt. Die Frauen der Fischer hocken um ihn im Kreis, wiegen die Oberkörper im Rhythmus des Gesangs, schaukeln ihre Babys auf den Knien und beobachten genau ihre älteren Kinder, die zwischen den Booten und dem mit rotgoldenen Fransen verzierten Baum herumtollen.
Der magere Heilige Mann, halbnackt, mit untergeschlagenen Beinen, hebt immer wieder feierlich die Arme, legt dann eine Hand auf seine Brust und besingt mit vibrierenden schwirrenden Tönen die Gewalt des Stroms, den Allesschöpfer Brahmaputra, der die Fruchtbarkeit bringt, und den Brahmaputra, den Alleszerstörer, der Sandbänke anschwemmt und wieder zerreißt, Inseln emporsteigen lässt und sie in einer Nacht, als seien sie nie bewohnt gewesen, verschlingt.
Der kleine Sadhu, der unter der Last seiner Jahre so krumm geworden ist, dass er ein Bogen sein könnte, dem nur die Sehne fehlt, dem aber mit seinem gespannten hohen Falsett jeder Ton wie ein Pfeil entfährt, er soll schon seit vielen Jahren nicht mehr versucht haben sich zu erheben. Als wäre er, wie eine der Luftwurzeln, tief in den Boden gewachsen. Mein Führer, ein alter Mann aus einem Dorf in der Nähe von Dibrugarh, der neben mir hockt, erzählt mir flüsternd von jungen Männern, die mehrfach versucht hätten den Sadhu fortzutragen, weil ihre Frauen so närrisch seien und den Heiligen immer wieder besuchten, obwohl sie wirklich Besseres zu tun hätten. Niemals sei es gelungen, ihn auch nur anzuheben. Er wäre in die Erde eingewachsen wie eine Wurzel, die bis in die Unterwelt reiche. Er wäre eben ein Teil des Weltenbaumes, das sei gewiss. Wer aber wisse schon, wohin die Vögel fliegen, die oben auf den Zweigen sitzen. Wer wisse schon, wohin der große Strom fließe. Der Brahmaputra stürze vielleicht hinab in ein unterirdisches Meer? Eines hänge immer mit dem anderen zusammen: Der Flug der Vögel, das Wasser des Lebens und des Todes, das komme und vergehe. Auch die Wurzeln des Baumes und seine Krone. Der Himmel dort oben und die Höhlenhölle tief dort unten, mit Tamas, dem schwarzen Chaos.
Der Sadhu hat seinen Sermon beendet. Die kleinen Kinder sind eingeschlafen, die größeren haben sich ruhig mit in die Runde gesetzt. Die Frauen wiegen sich immer noch, doch langsam taumeln ihre Bewegungen aus. Die Männer haben die Boote ausgeschöpft und an langen Stecken befestigt, die sie tief in den Sand gerammt haben. Jetzt kommen sie, um ihre Frauen zu holen.
Der Heilige Mann ist jetzt noch weiter nach vorne gebeugt und nach innen gekrümmt. Seinen Kopf hält er geneigt, seine Arme umfassen einen leeren Raum, nur seine Fingerspitzen berühren sich. Es wird ganz still in der Runde. Eine Frau nach der anderen erhebt sich und umarmt scheu den Heiligen Baum. Nach ihnen machen das die Männer auch. Sie tun das ruppiger und mit abgewendetem Kopf.
Die kleinen Kinder werden dann auf den Rücken der Frauen gebunden und in schweigender Prozession gehen alle über den Damm zurück zum Dorf. Mein Führer ist irgendwohin verschwunden. Ich wollte ihn noch so vieles fragen.
Als ich später von einer Anhöhe aus über die sanfte Flusslandschaft sehe, die Boote am Strom gerade noch erkennen kann und den Heiligen Banjanbaum mit den rotgoldenen Fransen, die in der Abendsonne glitzern, da kommt es mir vor, als sei der krumme Sadhu dort hinten wirklich zu einer Wurzel geworden, eine unter vielen, die unter der breiten Krone tief in den Boden wachsen.
Die kleine Schneiderin
Sie sitzt mit sorgfältig hochgestecktem Haar sehr aufrecht auf einer verschlissenen Binsenmatte. Vor ihr ein paar bunte Stoffreste, dazwischen eine alte Nähmaschine mit Handkurbelantrieb. Ein Bein hat sie untergeschlagen, das andere im Knie angewinkelt und aufgestellt. So sitzt sie stabil und kann ihren Oberkörper, Schultern und Arme, so wie sie es bei ihrer Arbeit braucht, rasch und elegant hin und her bewegen.
Ihr gegenüber hockt ein junger Mann auf einem Kissen, ein Kunde, der einen Jutebeutel reparieren lässt. Er beobachtet sie aus den Augenwinkeln. In diese Schneiderhütte mit nur drei Wänden und einem erhöhten Bodenbrett, zu dem drei Stufen von der Straße hinaufführen, kann jeder, der vorbeikommt,