In Liebe verzeihen
Von Ulrike Jansen
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Über dieses E-Book
Die Autorin schildert eindrucksvoll, sehr ehrlich und mit unglaublicher Offenheit, wie brutal und lieblos ihre Kindheit unter der Herrschaft einer Ordensschwester verlaufen ist.
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Buchvorschau
In Liebe verzeihen - Ulrike Jansen
Ulrike Jansen
In Liebe verzeihen
Copyright © Ulrike Jansen 2013
fluegelchen.buch@yahoo.de
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
ohne schriftliche Genehmigung
des Verlegers Ulrike Jansen
reproduziert oder vervielfältigt werden.
Kontakt: siehe Autorenporträt am Ende des Buchs
Cover: Ulrike Jansen
Korrektorat: Elsa Rieger
Satz: Elsa Rieger
Druck und Bindung: createspace.com
E-Book Distribution: XinXii
http://www.xinxii.com
Inhaltsverzeichnis
Ich widme dieses Buch
Einleitung
Die Familie meiner Mom
Erste Schwangerschaft mit 17 Jahren
Brutale Wegnahme ihres Wunschkindes
Zweite Schwangerschaft mit 18 Jahren
Mom muss ins Gefängnis (1963)
Dritte Schwangerschaft mit 25 Jahren
18 Jahre Heimaufenthalt
Badetag
Weihnachten
Beichttag
Kommunion
Karneval
Besuchszeit
Zwei Treffen mit meinem Vater
Rückgang der Nonnen ins Mutterhaus
Grundschule
Frau Schnelle
Realschule
Englischunterricht
Ramona Z.
Erzieherinnen
Wechsel der Erzieherinnen
Franz
Wolfgang
Patenonkel W.
Erster Besuch beim Gynäkologen
Brieffreundschaft mit Wien
Erster Skikontakt mit 16 Jahren
Segeltörn mit dem Segelschoner *Jachara*
Pflegevorschule von 1978–1979
Sozialpflegerisches Praktikum von 1979–1980
Erste Begegnung mit meiner Mom nach 18 Jahren Heimaufenthalt
Die erste Begegnung mit einem Patienten
Heizungskosten
Krankenpflegeausbildung von 1980–1983
Erster Stationseinsatz in der Lehre
Meine erste i.m. Spritze
Erster Einsatz auf der Gynäkologie
Erste Zwischenprüfung
Praktisches Examen
Schriftliche Prüfung
Mündliche Prüfung
Krankenhauswechsel
Erste Geburt im Kreißsaal
Außergewöhnliche Geschichten über Patientinnen
Geschichten über Geburtsereignisse
Führerschein
Mein erstes neues Auto
Orientierungslosigkeit
Wechsel zur Gynäkologie (1988)
Private Sterbebegleitungen
Ich bin deine Träne
Nils und Nina, meine Mäuse
25 Jahre Brieffreundschaft mit Wien
Reitunterricht mit 28 Jahren
Berührende Momente und Begegnungen
Matthias
Zwei Schmetterlinge
Baccararose
Goldenes Herz
Menschenwürde
Briefe
Zweites Treffen bzw. Annäherung mit meiner Mom nach 23 Jahren unserer Eiszeit
Gila van Delden
TATTOO
Liebe
Meine Wünsche
Appell
Wofür ich dankbar bin
Abschlussresümee
Danksagungen
Hallo all ihr „fluegelchen" da draußen auf der ganzen Welt
Ich widme dieses Buch
allen Kindern dieser Welt, die täglich hart um ihr Überleben kämpfen müssen, sei es durch:
Hunger
Durst
Armut
Gewalt
Missbrauch
Misshandlung
Verwahrlosung
Lieblosigkeit
Ablehnung
Rassismus
Hass
Kinderarbeit
Beschneidung
Naturkatastrophe
Krankheit
Einleitung
Seit Langem hege ich den sehnlichen Wunsch, mein Selbsterfahrungsbuch zu schreiben.
Warum fällt es mir so schwer, den Mut aufzubringen und einfach loszuschreiben? Weil sich jedes Mal mein verdammtes Ego meldet und mir einhämmert: „Dazu bist du nicht in der Lage!"
In der Schule hatte ich immer große Schwierigkeiten, Aufsätze zu schreiben, die zum größten Teil in einem Fiasko endeten. Nie kam ich über die Note 4 oder 5 hinaus. Und dennoch bin ich sehr wohl in der Lage, mich nach vielen Jahren der Dokumentationen von Patientenakten und Tagebucheintragungen auszudrücken und mein Buch niederzuschreiben, schließlich habe ich schon ganz andere Probleme auf meinem steinigen Lebensweg meistern müssen. Außerdem besteht schon lange eine tiefe Traurigkeit in mir, die meine Seele oft weinen lässt. Mit meinem Buch möchte ich die Vergangenheit endlich in Liebe loslassen, um mich auf neue, tolle Herausforderungen einlassen zu können. Außerdem möchte ich allen Menschen mit meiner Geschichte MUT machen, die noch einen weiten Weg vor sich haben!
Hier nun die prägnantesten Stationen meines bisherigen Lebens! Bin gespannt, was so alles aus mir heraussprudelt …
Die Familie meiner Mom
Vorab, weil mir Mutter zu hart klingt, habe ich mich für „Mom" entschieden.
Meine Mom wuchs mit einem leiblichen und drei Stiefbrüdern bei meiner Oma mit Stiefvater auf. Ihr Vater verließ die Familie, als sie drei Jahre alt war. Meine Oma bzw. ihre Mutter sagte irgendwann zu meiner Mom: „Dich als Tochter wollte ich nie haben, ich liebe nur meine Söhne."
Zum Glück lebte später auch ihre Oma mit im Haushalt, von der sie über alles geliebt wurde.
Uroma nannte sie immer ihr „Goldköpfchen", weil sie rote Haare hatte.
Mit 13 lernte Mom ihre erste große Liebe Peter kennen, der sie wohl auf Händen getragen haben muss. Sie spricht nämlich heute noch von ihm. Mit ihm war sie drei Jahre zusammen, als sie meinem Vater auf dem Weg zu Peter begegnete. Er war durch sein Verhalten als brutaler Schläger in ganz Wattenscheid bekannt; jeder hatte Angst vor ihm. Genau das imponierte wohl meiner Mom, weil jeder großen Respekt vor ihm hatte. Sie ließ den Termin mit Peter platzen und war fortan nur noch mit meinem Vater zusammen.
Sie fühlte sich durch seine Brutalität sehr sicher, weil sie dann von allen Menschen, besonders den Männern, in Ruhe gelassen wurde.
Angeblich wurde sie von ihm nie schlecht behandelt.
Erste Schwangerschaft mit 17 Jahren
Mit 17 Jahren wurde sie dann mit mir schwanger. Laut ihrer Erzählung war ich ihr einziges Wunschkind. Sie bekam danach noch vier Kinder. Da sie selbst nie geliebt wurde, freute sie sich riesig auf mich, wollte so ihre kleine, heile Welt aufbauen. Es gab keinerlei Probleme in der Schwangerschaft; Übelkeit und Erbrechen kannte sie auch nicht. Natürlich war ihre Mutter nicht gerade begeistert, als sie von der Schwangerschaft erfuhr. Meine Mom war sehr stolz auf ihren runden Bauch, fühlte sich total schön und stolzierte wie ein Gockel durch die Gegend. Jeder sollte ihr geliebtes Wunschkind sehen. Heute sehe ich noch den Glanz in ihren Augen, wenn sie erzählt, wie heiß der Sommer während der Schwangerschaft mit mir war und sie ihre Füße dann immer im kalten Wasser abkühlte.
Dann kam der Tag, an dem die Wehen einsetzten. Meine Oma brachte meine Mom nachts um 1:30 Uhr zu Fuß ins Krankenhaus. Und glaubt nicht, dass sie von ihr während der Geburt begleitet wurde, nein, sie wurde dort nur abgeliefert. Gerade erst 18 geworden, musste meine Mom alles allein durchstehen. Gott sei Dank wurde sie von einer liebevollen Hebamme durch das Geburtsgeschehen begleitet, welches 18 Stunden dauerte. Sie litt unsagbare Schmerzen, wollte, nach ihren eigenen Angaben, nur noch sterben. Ich muss dazu sagen, dass meine Mom nur 1,50 m groß ist und damals sehr schmächtig war, als sie mich, ihr 4750 g großes Wunschkind, in die Welt hinauspresste.
Wenn sie zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, welch eine Hölle danach auf sie zukommt, hätte sie wohl nie Kinder bekommen. Als ich, nach großer Geburtsanstrengung, meiner Mom auf die Brust gelegt wurde, waren alle Schmerzen vergessen, und von da ab wurde ich von ihr geliebt. Laut Mom war ich das schönste Baby, mit schwarzen, langen Haaren, auf der ganzen Entbindungsstation. Sie bekam mich kaum zu Gesicht, weil wohl jede Hebamme und Kinderkrankenschwester mit mir schmusen wollte. Leider gab es kein einziges Foto von mir als Neugeborenes, worüber ich heute noch traurig bin, wie schade aber auch! Der Krankenhausaufenthalt war für meine Mom sehr angenehm, weil alle sich dort sehr liebevoll um sie kümmerten.
Für meinen Vater existierte ich gar nicht. Er hat nie zu mir gestanden, weil er glaubte, ich sei nicht von ihm. Die Vaterschaft ergibt sich aus einem Randvermerk, so steht es auf meiner Abstammungsurkunde.
Viele Jahre später wurde er sogar für fünf Jahre „verknackt", weil er eine Nutte umgebracht hatte, die damals seine Geldbörse stahl. Unglaublich!
Meine Eltern hielten ihre Beziehung weiter aufrecht, woraus schließlich meine Schwester Anna hervorging.
Brutale Wegnahme ihres Wunschkindes
Als meine Mom mit mir nach Hause entlassen wurde, lebte sie mit ihrer Oma, meiner Uroma (die ich nie kennengelernt habe), in einem kleinen Zimmer. Wenn meine Mom tagsüber in einer kleinen Konditorei arbeitete, passte meine Uroma auf mich auf. Meine Oma schenkte mir zu keiner Sekunde Aufmerksamkeit, schließlich war ich ja nur ein Mädchen!
Meine Mom konnte es kaum abwarten, mich nach der Arbeit endlich in ihre Arme zu schließen und mich zu stillen. Vor lauter Schmusen, Knuddeln und Liebkosen kam ich als Neugeborenes kaum zum Schlafen, weil sie einfach nicht die Finger von mir lassen konnte. Sie wurde dann immer wieder von ihrer Oma ermahnt, mich doch endlich schlafen zu lassen. Es berührt mich tief, zu wissen, wie sehr meine Mom mich geliebt hat, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann.
Eines Tages kam sie freudestrahlend nach Hause, als ihre Oma weinend entgegenlief und rief: „Riekchen ist weg!" Sie glaubte, dass einer ihrer Brüder mit mir spazieren sei. Sie erfasste noch nicht das ganze Ausmaß. Meine Uroma erzählte ihr bis ins kleinste Detail, was geschehen war. Ich wurde von meiner Oma mit sechs Monaten ins nahe gelegene Sankt Elisabeth-Kinderheim in Wattenscheid bei den Nonnen abgegeben mit den Worten:
„Wenn Sie dieses Blag nicht sofort hierbehalten, dann fliegt meine Tochter gleich auch aus meiner Wohnung. Ich kann und will nicht mehr alle beherbergen, schließlich habe ich noch meine Mutter zu versorgen."
Die Nonnen erkannten sofort den Ernst der Lage und setzten sich mit dem Jugendamt in Verbindung, das dann der Aufnahme zustimmte.
Jeder kann sich vorstellen, dass in diesem Moment für meine Mom eine Welt zusammenbrach. Sie ging ab sofort nicht mehr zur Arbeit, fiel in ein tiefes schwarzes Loch und dämmerte so vor sich hin. Mit ihren gerade 18 Lenzen war sie nicht in der Lage, sich gegen ihre dominante Mutter zu wehren.
Außerdem gab es vor fast 50 Jahren noch kein Sozialamt, wo sie für sich und mich hätte finanzielle Unterstützung beantragen können. Sie war eben einfach noch zu jung und hatte keine Kraft, um mich zu kämpfen. Hinzu kam, dass es damals verpönt war, als alleinerziehende ledige Mutter in Deutschland zu leben. Man wurde dann als Abschaum abgestempelt.
Zweite Schwangerschaft mit 18 Jahren
Damals gab es noch keine Verhütungsmittel, somit wurde meine Mom mit Anna erneut schwanger. Ihr Stiefvater warf sie nach Bekanntgabe der 2. Schwangerschaft aus der Wohnung, wo sie dann zum Glück von der Schwester meines Vaters aufgenommen wurde. Nach drei Monaten ging sie wieder nach Hause zurück. Durch das Trauma mit mir blendete sie diese Schwangerschaft völlig aus. Sie setzte sich nicht eine Sekunde damit auseinander. Für sie existierte Anna einfach nicht.
Punkt! Schluss! Aus!
Drei Monate vor der Niederkunft entschied sie sich für das St. Vincenz Heim in Dortmund (Mutter-Kind-Heim), wo sie nach eigenen Angaben die schönste Zeit ihres Lebens verbrachte. Sie wurde von den Mitarbeitern endlich wahrgenommen, liebevoll betreut und führte dort nun ein geregeltes Leben. Nach der Geburt (wovon sie mir nie erzählte) kam Anna sofort zu mir in das Kinderheim. Sie wurde nicht gestillt, gekuschelt oder geliebt. Wie traurig!
Irgendwann hatte die schöne Zeit im MKH ein Ende, und der Weg führte sie notgedrungen wieder zu ihrer dominanten Mutter nach Hause zurück.
Danach trennten sich mein Vater und meine Mom für immer. Nach meiner Mom war er mit zwei Frauen verheiratet, mit denen er jeweils ein Mädchen und einen Sohn zeugte. Insgesamt habe ich noch sieben Halbgeschwister, wovon ich bis heute nur zwei kennengelernt habe.
Mom muss ins Gefängnis (1963)
Ein Jahr nach Annas Geburt wurde meine Mom bei Gericht vorgeladen, weil sie keinen Unterhalt für ihre beiden Kinder zahlen konnte. Da meine Eltern nicht verheiratet waren, kam der Staat wohl nicht mal auf die Idee, auch beim Vater anzufragen. Vielleicht war es damals so üblich. Sie fühlte sich vom Richter ungerecht behandelt, weil dieser ihr neun Monate Gefängnis aufbrummen wollte und sagte ganz erbost zu ihm: „Herr Richter, machen Sie mal das Fenster auf und lassen die Gerechtigkeit herein."
Worauf er den Knüppel (so die Formulierung meiner Mom) knallen ließ und die Strafe auf 18 Monate erhöhte. Als sie mir das Ereignis schilderte, bekam ich einen Lachkrampf. Ausgerechnet meine Mutter, die ihr ganzes Leben so voller Ängste steckt, hat so einen Satz geäußert? Ich konnte es kaum glauben. Die Gefängnisstrafe musste sie sofort für zehn Monate in Essen und acht Monate davon im „Klingelpütz" bei Köln antreten. Es war ein reines Frauengefängnis, wo es auch nur Wärterinnen gab. Jede Insassin kam in eine Einzelzelle; einen Gemeinschaftsraum oder sportliche Aktivitäten gab es zur damaligen Zeit noch nicht. Heute werden die Gefängnisinsassen fast mit einem roten Teppich empfangen, so human ist alles geworden.
Meine Mom wurde schon nach sehr kurzer Zeit zur Kalfaktorin ernannt, somit gab es Essen auf Rädern von ihr. Sie war unglaublich stolz, dass man ihr diese große Aufgabe anvertraute. Sie arbeitete von 8–16 Uhr täglich in der Heißmangel, wo sie mit großem Eifer besonders die Herrenhemden so zusammenlegte, dass man die Falten mit einem Metermaß hätte nachmessen können. Die Vorgesetzte lobte sie in den höchsten Tönen und ließ oft die anderen Insassen antanzen, damit sie es sich ansahen. Gegen 16 Uhr musste jeder wieder in seine Zelle zurück, wo dann schon um 19 Uhr das Licht ausgeschaltet wurde, egal, womit sie gerade beschäftigt waren.
Auf die Frage, wie sie das nur 18 Monate aushalten konnte, kam die Antwort von meiner Mom, dass es ihr nichts ausgemacht hat, weil sie sich trotz der Umstände dort sehr wohl fühlte. Ich glaube, sie war einfach nur froh, dass ihr Leben in geregelten Bahnen verlief und sie dadurch endlich mal zur Ruhe kam. Sie konnten alle nur über die Zellenwand miteinander kommunizieren oder schrieben sich Briefe, die sie dann unter die Zellentür schoben, wenn der halbstündige Hofausgang anstand, den jeder nur allein nutzen durfte. Eine junge Insassin hatte es ihr besonders angetan, die wegen Mordes an ihrer Schwiegermutter (übrigens mit Gift umgebracht) zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Sie bekam von dieser Person immer Liebesbriefe, was meiner Mom schmeichelte, weil sie so von ihr Zuneigung und Anerkennung bekam, die man ihr im Leben wenig entgegenbrachte.
Ein halbes Jahr vor ihrer Entlassung bekam sie einen Brief (wörtlich übernommen!) von ihrer Mutter mit dem Inhalt: „Leider kann ich dich nicht mit ‚Liebe Marlies‘ anreden, denn was du uns angetan hast ... (Sie meinte den Gefängnisaufenthalt). Oma ist im Februar gestorben."
Mehr war dort nicht zu lesen. Meine Mom klappte zusammen und schrie sich den Schmerz von der Seele. Sie konnte es nicht fassen, dass ihre geliebte Oma, die sie immer liebevoll ihr „Goldköpfchen" nannte, schon seit Monaten tot war, ohne sie zu informieren. Sie hatte keine Möglichkeit mehr, sich von ihr zu verabschieden, konnte so auch ihrer Oma nicht einmal mehr die Ehre auf der Beerdigung erweisen. Ausgerechnet ihre über alles geliebte Oma, von der sie als Einzige Liebe, Zuneigung und Herzenswärme bekam, sonst wäre sie schon vorher wie eine Blume eingegangen, weil man vergessen hatte, dass es sie überhaupt gab.
Der Brief erreichte sie im Juni an ihrem 20. Geburtstag. Sie konnte mit der schlimmen Nachricht überhaupt nicht umgehen und schrie ununterbrochen, ohne sich zu beruhigen. Zwei Wärterinnen kümmerten sich rührend um meine Mom und trösteten sie, so gut sie konnten. Ihr Lebenswille war gebrochen. Sie erinnerte sich daran, wie lieblos ihre Mutter oft mit ihrer Oma umging, verweigerte ihr häufig mal ein Bierchen oder Spiegeleier, die sie so sehr liebte. Meine Mom hat ihrer Oma dann immer alles heimlich besorgt, um ihr so ein wenig Liebe zurückzugeben, die sie von ihrer Oma so bedingungslos bekommen hatte. Schade, dass ich meine liebevolle Uroma nie kennengelernt habe!
Nach der Haftentlassung stand Mom ganz allein vor dem Gefängnistor, niemand war da, der sie in Empfang nahm. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als wieder zu ihrer lieblosen Mutter zurückzukehren.
Dritte Schwangerschaft mit 25 Jahren
Nach einigen Jahren lernte sie am Düsseldorfer Bahnhof einen gut aussehenden, südländischen Mann kennen, von dem sie sehr schnell schwanger wurde. Als sie im 5. Monat war, wurde sie von ihrer Mutter einfach auf die Straße gesetzt, nach dem Motto „friss oder stirb", mir egal, wie du zurechtkommst. Sie musste buchstäblich sechs Wochen um ihr Überleben kämpfen, und das im Winter bei minus 15 Grad. Tagsüber ging sie regelmäßig zur Bahnhofsmission, wo sie duschte und ihre Wäsche, die sie am Leibe trug, waschen konnte. Sie bekam dort wenigstens einmal am Tag ein warmes Mittagessen und das als Schwangere erleben zu müssen, unfassbar! Nachts schlief sie nur wenig, hielt sich in Hauseingängen und Kellern auf, wenn eine Haustür mal nicht abgeschlossen war, weil sie stets Angst vor Überfällen hatte. Es muss eine Tortur für sie als Schwangere gewesen sein. Nach sechs Wochen ging es ihr so schlecht, dass sie endlich allen Mut zusammennahm und ihre Tante Ziska (Schwester ihrer Mutter) anrief. Ihre Tante fiel aus allen Wolken, als sie die unglaubliche Geschichte mit dem Rauswurf hörte, und fragte meine Mom, warum sie sich nicht schon eher bei ihr gemeldet hätte? Zum Glück wurde sie einige Monate bei ihr aufgenommen und bekam so Obdach. Zwei Monate vor der Geburt nahm Ilse (Stiefmutter ihres Vaters) sie auf, die sich liebevoll um sie kümmerte und sogar bei der Geburt des Sohnes Karl-Heinz dabei war.
Um noch einmal auf den Vater des Kindes zurückzukommen: Mom erfuhr, dass er in der Türkei schon verheiratet war und trennte sich sofort von ihm. Ich fand es toll, dass er sich wenigstens bereit erklärte, für sein Kind bis zum 18. Lebensjahr die Alimente zu zahlen, die er stets pünktlich an jedem Ersten des Monats überwies. Immerhin ein kleiner Lichtblick.
Nach etlichen Jahren war es meiner Mom möglich, mit Karl-Heinz eine kleine Wohnung zu mieten, die sogar das Sozialamt bezahlte. Ihm blieb dadurch ein Heimaufenthalt erspart.
Als Kalle, so der Kosename, zwei Jahre alt war, lernte sie auf einer Geburtstagsparty von ihrer Cousine ihren heutigen Mann Heinrich kennen, der mit drei Kindern auch alleinerziehend war. Seine Frau war mit 32 Jahren an Diabetes gestorben. Von Anfang an empfand meine Mom keine Liebe für diesen Mann, und das gab sie ihm auch unmissverständlich zu verstehen. Die Idee von beiden war, sich gemeinsam eine Wohnung zu nehmen, damit Heinrich arbeiten gehen und sie dann als Hausfrau für die Kinder sorgen konnte. Sie bekam später noch zwei Kinder von ihm.
Zwischendurch hatte sie eine Fehlgeburt mit stärksten Blutungen, weshalb man ihr im Krankenhaus sogar zwei Blutkonserven verabreichen musste. Schlimm war, dass sie das Kind (ca. 8. SSW) aus der Toilette fischen musste.
Bevor sie mit 39 Jahren ihr letztes Kind bekam, hatte sie mit