Man muss auf dem Grund gewesen sein: Aufgezeichnet von Jacqueline Kornmüller
Von Cecily Corti und Jacqueline Kornmüller
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Über dieses E-Book
Die Heimat in sich selbst zu finden ist eines ihrer heilsamen Credos. Einen Schritt vor den anderen setzen, scheitern, hinfallen, wieder aufstehen, Hindernisse meistern, Umwege gehen - all das hat Cecily Corti immer wieder an sich und anderen erlebt.
Entlang ihrer eigenen wechselvollen Lebensgeschichte, die oft von Verlust und Scheitern, von Mut und Neubeginn geprägt war, geht sie dem Menschsein auf den Grund: Wer bin ich jenseits der Erziehung, der Tradition? Jenseits der gesellschaftlichen Normen und Strukturen?
In Zusammenarbeit mit Jacqueline Kornmüller ist ein Buch entstanden, in dem Cecily Corti nicht nur ihren ungewöhnlichen Lebensweg erzählt, sondern auch einen wichtigen Impuls setzt: Letztlich geht es um die Entscheidung nicht untätig bleiben zu wollen, Empathie zu leben, selbst einen Beitrag zu leisten für eine erneuerte Gesellschaft.
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Buchvorschau
Man muss auf dem Grund gewesen sein - Cecily Corti
CECILY
CORTI
–
MAN MUSS
AUF DEM
GRUND
GEWESEN
SEIN
–
AUFGEZEICHNET
VON
JACQUELINE
KORNMÜLLER
CECILY CORTI
–
MAN MUSS AUF DEM GRUND GEWESEN SEIN
–
AUFGEZEICHNET VON JACQUELINE KORNMÜLLER
Vorwort
Eine Autobiografie schreiben wollte ich nie. Wie soll man die Wahrheit erzählen, die Wahrheit des eigenen Lebens?
Kann ich einen Faden erkennen, der sich durch mein bisheriges Leben zieht, einen geheimen Faden? Geheim, weil er mir selbst vielleicht nur augenblicksweise zu Bewusstsein kommt – Augenblicke, in denen ich das Geheimnis meines Lebens berühre. Ahne ich es, lebe ich es? Bin ich diesem Geheimnis auf die Spur gekommen, um es in mein Leben zu integrieren? Was war, was ist die eigentliche Triebkraft in meinem Leben? Das hat mich interessiert.
So haben wir uns auf dieses Experiment eingelassen, Jacqueline und ich. Wir mochten uns seit unserer ersten Begegnung vor wenigen Jahren. Ich mochte sie als Mensch und ich mochte ihre Arbeiten. Da ist immer ihre Wertschätzung spürbar, ihre Phantasie und ihr untrügliches künstlerisches Gespür. Und Freiheit. Sie ließ mir Freiheit bis zum Schluss: Freiheit, ob ich dem Wagnis zustimme. Auch nachdem wir unsere gemeinsame Arbeit bereits abgeschlossen hatten.
Es bleibt ein Experiment. Einige wenige Stationen meines Lebens sind hier aufgezeichnet. Bruchstücke, die einen Lebensbogen zeichnen. Willkürlich entstanden in Gesprächen von vielen Stunden, die Jacqueline und ich mal da, mal dort verbrachten. Sie hat es mir leicht gemacht, mich zu erinnern und zu reflektieren. Es war die Leichtigkeit, die mich vergessen ließ, dass in Momenten auch sehr tief Empfundenes von mir erzählt und preisgegeben wurde. Immer meine Wahrheit. Ja, es braucht Mut, dies teilen zu wollen. Aber ist es nicht die innere Wahrheit, die uns Menschen verbindet?
Das Leben ist dem Menschen zumutbar, sagt Verena Kast. Es gab diesen Augenblick in meinem Leben, da ich mich sehr bewusst für das Leben entschied. Die Beharrlichkeit im Ringen um das, was wirklich zählt, habe ich nicht bereut. Jeder Tag zeigt mir aufs Neue, dass es weitergeht. Und immer geht es um die Liebe, die Liebe, die die Welt im Innersten zusammenhält. Davon bin ich überzeugt, darum bemühe ich mich.
Ich danke allen, die mir geholfen haben, das zu erkennen. Es gab viele Stationen, viele Menschen, die entscheidend dazu beigetragen haben, die hier nicht vorkommen. Es erscheint mir fast unzulässig, sie nicht zu erwähnen. Aber Vollständigkeit hatte ich nicht im Sinn. Vieles ist Zufall oder was ich dafür halte. So bleiben sie Teil des Geheimnisses.
Die Sehnsucht, dem tief in meinem Inneren liegenden Geheimnis näher zu kommen, die bleibt.
Jeder Mensch scheidet von dieser Erde mit einer unerfüllten Sehnsucht. Aber die Treue zu dieser Sehnsucht ist die Erfüllung unseres Lebens, lese ich bei Christine Busta.
Wenn dieser kleine Bericht Mut macht, dann freue ich mich. Mut machen will ich vor allem meinen Kindern, meinen Enkelkindern. Sie sind meinem Herzen am nächsten. Inzwischen ist eine zweite Familie dazu gewachsen, die große VinziRast-Familie, sie wächst und wächst. Die Verbundenheit zu den vielen Menschen, die in den letzten Jahren mein Leben bereichern, macht mich glücklich.
Cecily Corti
Da ist immer wieder das Gefühl von Paradies. Von Glück mit Geschwistern, den Eltern und von Geborgenheit.
Ich bin als drittes Kind meiner Eltern auf die Welt gekommen und war das erste Mädchen. Meine Mutter erzählte mir, dass mein Vater fassungslos war über dieses Mädchen, so zart, so zerbrechlich. Auf einem Foto sitze ich auf seinem Schoß, wir sind eine selbstverständliche Einheit. Dieses Bild hat sich mir tief eingeprägt. Es zeigt mir das Ideal eines Vaters mit seinem Kind: absolute Geborgenheit in absoluter Freiheit.
Wir haben in der Untersteiermark in Slowenien gelebt, das nach dem Ersten Weltkrieg zu Jugoslawien gehörte. Ich habe ein bisschen Slowenisch gesprochen, ich weiß noch, dass Kruh Brot heißt und bitte prosim.
Ich erinnere mich an ein Schwimmbad im Wald auf einer Lichtung: Alles war aus Holz. Wir Kinder sind mit Anlauf hineingesprungen und mein Vater steht im Wasser und hält die Arme auf. Da ist nicht eine Spur von Angst – ich laufe und spring in seine Arme. Ein friedliches Dasein, obwohl der Zweite Weltkrieg tobte.
Im Frühjahr 1945 wurde mein Vater nachts mit einem Lastauto abgeholt. Meine Mutter und meine beiden älteren Brüder wurden zwei Tage später geholt. Zufällig fanden sie sich alle in der gleichen Zelle wieder. Sie wurden in ein Lager gebracht. Kurz vor Kriegsende sollten alle Frauen in ein anderes Lager umgesiedelt werden. Meine Mutter war hochschwanger. Ein Soldat wies sie an, so schnell wie möglich zu verschwinden. An diesem Tag hat sie den Vater zum letzten Mal gesehen.
Unser Zuhause wurde von Brandbomben zerstört. Wir flüchteten zu Verwandten in der Steiermark. Es begann die Zeit der großen Not. Immer haben wir darauf gewartet, dass mein Vater wiederkommt. Meine Mutter wäre verrückt geworden, oder einfach gestorben, wäre sie nicht überzeugt gewesen, dass er gefunden wird. Weihnachten kann nicht vorbeigehen, ohne dass er kommt. Die Geburtstage können nicht vorbeigehen, ohne dass er kommt.
Im Waldbad
Ich hatte eine innige Verbindung zu meiner Mutter. Ich spürte ihre Not, ihre Verlassenheit und ihre Angst, dass der Vater nicht wiederkommt. Ich konnte nicht helfen. Ich erinnere mich an die täglichen Abendgebete. Wir fünf Kinder knieten vor einem kleinen Altar, die Knie taten weh, wir setzten uns auf die Hinterbeine, so hockten wir da. Unsere Mutter hat alle Lieder und Gebete abgewandelt in ein Flehen um die Wiederkehr des Vaters. Dass er kommt, dass er beschützt ist, dass er nicht Not leidet, dass er weiß, die Familie ist beieinander. Ich war mir sicher, die Gebete werden ihn zurückbringen, es heißt doch: Um was ihr mich bitten werdet, das wird euch gegeben werden.¹
Meine Mutter hatte eine unglaubliche Kraft, mit der Not und dem Schmerz zurechtzukommen. Sie