Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mieses Geld: Das perfide Spiel mit dem digitalen Euro | Ein alarmierendes und dystopisches Zukunftsbild
Mieses Geld: Das perfide Spiel mit dem digitalen Euro | Ein alarmierendes und dystopisches Zukunftsbild
Mieses Geld: Das perfide Spiel mit dem digitalen Euro | Ein alarmierendes und dystopisches Zukunftsbild
eBook450 Seiten5 Stunden

Mieses Geld: Das perfide Spiel mit dem digitalen Euro | Ein alarmierendes und dystopisches Zukunftsbild

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Geld wie wir es kennen gibt es bald nicht mehr. Der programmierbare E-Euro steht kurz vor der Einführung.

Marc Kröger beschäftigt sich intensiv mit der Geldtheorie. Bald erkennt er, die Menschen werden betrogen und Krisen vertuscht. Deshalb gründet Marc die Bitcoin-Bewegung. Gleichzeitig erhält ausgerechnet die machthungrige Hedgefonds-Managerin Katharina Heinicke den offiziellen Auftrag, den programmierbaren E-Euro einzuführen. Schnell zeigt das digitale Geld seine dunkle Seite. In Verbindung mit einem Sozialkreditsystem entsteht eine radikale Diktatur mit grausamen Konsequenzen. Denunziation und soziale Unruhen greifen um sich. Als die Gruppe um Marc gegen den digitalen Euro vorgeht, gerät sie ins Visier der Mächtigen.
SpracheDeutsch
HerausgeberAprycot Media
Erscheinungsdatum25. Juni 2024
ISBN9783949098482
Mieses Geld: Das perfide Spiel mit dem digitalen Euro | Ein alarmierendes und dystopisches Zukunftsbild

Ähnlich wie Mieses Geld

Ähnliche E-Books

Finanzen & Geldmanagement für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mieses Geld

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mieses Geld - Harald Betz

    PROLOG

    Das flackernde Licht des ‚Aladdin‘-Schriftzugs zauberte bläuliche Schatten auf Janus’ Gesicht. Die leise Klaviermusik im Hintergrund beruhigte ihn. Seit Stunden starrte er auf den Bildschirm und beobachtete den Chatverlauf. Doch bisher nichts Interessantes unter ‚Spezielle Dienstleistungen‘.

    Da, eine neue Nachricht blinkte auf. Lover_99 suchte jemanden für einen Denkzettel. Janus lächelte, das Warten hatte sich gelohnt! Er begann zu tippen, der Kopf mit den zwei Gesichtern an seinem Siegelring schimmerte bei jeder Bewegung des Mittelfingers.

    ‚Lover_99, komm in den private room, dann klären wir die Einzelheiten.‘

    Lover_99 ließ nicht lange auf sich warten.

    Worum geht’s?

    Vorlauter Typ, so Anfang 20, bräuchte eine Abreibung. Lässt sich da was machen?

    Benötige nähere Infos. Irgendeine Art von Kampfsport, dauerhafte Schäden gewünscht, genauer Termin?

    Null Kampfsporterfahrung, eher schmächtiger Typ, nichts Bleibendes, so bald wie möglich.

    Lässt sich einrichten, kostet 100 Bitcoin.

    Deal.

    Ich schicke dir einen Link, dort lädst du Foto, Name und Adresse des Klienten hoch. Auf der Seite findest du zwei Bitcoin-Adressen. Auf die eine überträgst du 90 Bitcoin, auf die andere die restlichen 10. 24 Stunden später kannst du mit dem Link nochmal reingehen und den Behandlungstermin abrufen. Danach wird der Link nicht mehr funktionieren.

    Ok.

    Vielen Dank für deinen Einkauf!

    Janus schickte den vorbereiteten Link und schloss das private Chatfenster. Einige Stunden später kündigte ein dezentes ‚Pling‘ eine neue Nachricht in seinem Shop an. Die Bitcoinzahlungen waren auf seine Wallets eingegangen. Er betrachtete das Foto des Klienten und die Adresse. Nach kurzem Überlegen griff er zu seinem Handy, einem anonym erworbenen Mobiltelefon mit Prepaidkarte. In der Kontaktliste scrollte er zu Cobra und wählte.

    „Ja?"

    „Ich habe einen Auftrag in deiner Gegend. Leichte Spezialbehandlung. Keine besonderen Schwierigkeiten, junger, harmloser Typ. Lass dir was Kreatives einfallen."

    „Bezahlung wie immer?"

    „Zehn Bitcoin."

    „Geht klar."

    „Gut. Informationen wie immer. Geld nach Durchführung und Hochladen des Belegs."

    „Gerne doch, stets zu Diensten."

    Janus legte auf. Er machte sich einen Kaffee, dann öffnete er seine Wallet. Die Transaktion war bereits ausgeführt. Der Preis für einen Bitcoin sprang gerade auf 223 US-Dollar! Er pfiff durch die Zähne und übertrug die Wallet-Datei für Cobras Honorar. Den digitalen Schlüssel würde Cobra erst nach Auftragsausführung bekommen.

      1  

    25. OKTOBER 2008

    ISMANING IN SÜDDEUTSCHLAND

    Die Kälte des Plastiks drang durch den dünnen Stoff seiner Hose. Marc fröstelte. Was wollte sein Alter von ihm? Sie müssten reden, hatte er angekündigt und ihn dabei mit kritischem Blick gemustert. Die Sorte Blick, bei der Marc schon im Vorhinein wusste, dass das Gespräch unangenehm werden würde. Wenn er es sich genau überlegte, waren die letzten Unterhaltungen mit ihm allesamt sehr unerfreulich verlaufen. Umso mehr, seit sein Bruder Jan die Ausbildung bei Vater in der Bank begonnen hatte.

    Schwere Schritte waren auf der Treppe zu hören, da wurde auch schon die Klinke mit einem Ruck heruntergedrückt. Das Gesicht seines Vaters war gerötet, er fuhr sich mit einer nervösen Geste durch das Haar, eine graue Strähne löste sich und fiel ihm in die tief zerfurchte Stirn. Er war leicht nach vorne gebeugt, als trüge er eine unsichtbare Last mit sich, die für seine schmalen Schultern viel zu schwer war. Seit wann ging sein Vater wie ein alter Mann? Jetzt nahm er umständlich auf der Eckbank Platz und legte den Packen Blätter vor sich auf den Tisch. Ein Anschreiben mit Briefkopf. Marc konnte nicht entziffern, was in dicken Lettern darunter stand. Sah aus wie etwas Amtliches. Das Schweigen war erdrückend.

    Endlich räusperte sich sein Vater und seine schneidende Stimme zerriss die Stille. „Sohnemann, es ist Zeit, die Weichen für deine Zukunft zu stellen. Jan ist bereits äußerst erfolgreich in der Sparkasse. Er lächelte, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Wenn du es nicht vergeigst, er machte eine Pause, sein vorwurfsvoller Blick traf Marc, „hast du nächstes Jahr im Juni die allgemeine Hochschulreife in der Tasche."

    Marc verdrehte innerlich die Augen. Dieses Thema hatten sie doch bereits durch! „Meine Meinung hat sich nicht geändert, falls du das meinst. Ich werde in Frankfurt Wirtschaftsinformatik studieren. Programmieren und Wirtschaft sind genau mein Ding. Mit Herrn Kuhn habe ich schon ausgesucht, welche Kurse für mich …"

    Marc hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, da wusste er, dass es ein Fehler gewesen war, Herrn Kuhn ins Spiel zu bringen. Unwillkürlich duckte er sich, da polterte sein Vater schon los.

    „Der Kuhn schon wieder! Der soll sich da mal raushalten! Der hat damals unser Engagement nicht zu würdigen gewusst."

    Es war so klar, dass sein Alter jetzt das Planspiel Börse brachte. Das war drei Jahre her. Dabei war es genau das Projekt gewesen, durch das er auf die Themen aufmerksam geworden war, die ihm wirklich Spaß machten. Bei dem Wirtschaftsprojekt mit dem Fonds hatte er mitgeholfen, das Verwaltungsprogramm zu schreiben. Aber das interessierte seinen Alten sowieso nicht.

    Die Ader an Vaters Stirn schwoll an. „Schlag dir das aus dem Kopf! Du kannst von Glück reden, dass ich über so gute Verbindungen verfüge. Sieh mal, was ich dir besorgt habe." Diese gönnerhafte Geste, mit der er ihm die Papiere rüberschob!

    ‚Ausbildungsvertrag‘, darunter sein Name ‚Marc Kröger‘ und die Adresse der örtlichen Bausparkasse. Wie kam sein Alter auf diese absurde Idee? Er atmete tief durch. „Was soll der Bullshit?"

    „Jetzt mal halblang! Damit helfe ich dir auf die Sprünge, alleine kriegst du das eh nicht hin. Dein Bruder Jan war da schon mehr auf Zack, erwiderte sein Vater scharf. „Mal ganz abgesehen davon, dass die dich bei der Sparkasse nicht mal nehmen würden. Sei froh, dass ich dich in der Agentur untergebracht habe.

    „Ich sag dir jetzt mal, was ich davon halte. Marc erhob sich halb, beugte sich über den Tisch und sah seinem Vater fest in die Augen. Es war, als ob alle Schleusen geöffnet wären, es sprudelte nur so aus ihm heraus. „Du hast zu Hause immer einen auf dicke Hose gemacht. Und dann … Wie war das mit deiner Chefin, die dich zusammengestaucht hat? Weißt du noch, im Praktikum? Ich habe damals an der Tür gelauscht. Zu Hause hast du dich wieder als der große Macker aufgespielt. Es war einfach erbärmlich. Du warst nur der kleine Banker und hast deinen Ärger in der Bank immer an mir rausgelassen. Du hast mir nichts mehr zu sagen. Auch wenn es dir nicht passt, ich werde Wirtschaftsinformatik studieren. In Frankfurt!

    Tränen brannten hinter seinen Augen. Warum? Hatte er insgeheim immer noch gehofft, seinen Vater zu überzeugen?

    Der Adamsapfel seines Vaters hüpfte auf und ab, seine Stimme klang mühsam beherrscht. „Schluss jetzt. Keinen Cent wirst du dafür von mir bekommen! Hier, seine Knöchel wurden weiß, als er den Zeigefinger förmlich in den Ausbildungsvertrag bohrte, „bau ich dir eine goldene Brücke.

    Goldene Brücke, dass er nicht lachte. Marc griff sich einige Blätter und schwenkte sie vor den Augen seines Vaters hin und her. „Und dann? Dann häng ich den Kunden an den Eiern und verkaufe alten Omis, die schon mit einem Fuß im Grab stehen, Bausparverträge?"

    Er nahm die Papierbögen zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, mit der Linken fasste er sie an der Oberseite und zog sie sanft nach hinten. Ein kleiner Widerstand, dann gab das Papier nach. Ein kurzes ‚Ratsch‘ und im oberen Rand der Blätter klaffte ein gezackter Riss.

    „Das wagst du nicht", flüsterte sein Vater tonlos.

    Millimeter um Millimeter glitt Marcs Hand nach unten. Da hatte sein Alter den Agenturleiter bekniet, um für seinen nutzlosen Sohn einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Und jetzt war der so undankbar! Mit jeder Bewegung, mit der seine Hand sich auf das Blattende zubewegte, vergrößerte sich der innere Abstand zu seinem Vater. Im Grunde war seine Beziehung zu ihm nie richtig eng gewesen. Seit dem Tod seiner Mutter hatten sie sich nichts mehr zu sagen gehabt. Ein letzter Ruck, dann war es vollbracht. Marc starrte auf die Ränder der Abrisskanten. Er legte die beiden Hälften des Vertrags vor seinem Vater auf den Tisch, strich sie fein säuberlich glatt und verließ mühsam beherrscht die Küche.

    Draußen schwang er sich auf sein Fahrrad. Die unterdrückte Wut bahnte sich ihren Weg an die Oberfläche. Was fiel seinem Vater ein, so über sein Leben zu bestimmen? Kraftvoll trat er in die Pedale, ließ das Ortsschild hinter sich und bog in einen Feldweg ein. Kieselsteine spritzten zur Seite. Links und rechts von ihm zogen Felder vorbei, auf denen noch der herbstliche Nebel stand. Die kalte Morgenluft brannte in seinen Lungen. Einfach nur weitertreten. Seine Mutter hätte ihn verstanden. Seit sie nicht mehr da war, fühlte er sich zu Hause wie ein ungebetener Gast. Vater war es immer nur um Jan gegangen. Jan hier, Jan dort, Jan, der tolle Banker. Was interessierte ihn sein Bruder? Und was interessierte ihn, was sein Alter von ihm wollte? In wenigen Wochen wäre er achtzehn, dann konnte der ihm sowieso keine Vorschriften mehr machen.

    Marc saß im Schneidersitz in seinem Zimmer und blätterte den letzten Zehn-Euro-Schein vor sich auf den Boden. Achthundertfünfzig Euro! Das reichte für die Fahrkarte in die Mainmetropole und die ersten beiden Monate. Vor seiner Abfahrt musste er sich noch bei Manfred bedanken, der ihm den Job an der Tankstelle beschafft hatte. Damit hatte er sich in den letzten Monaten genügend Kohle für den Neustart verdient. Sein Alter hatte ihn zu Hause eh nie vermisst. Falls sie sich abends doch mal über den Weg gelaufen waren, hatte sich sein Vater bestenfalls ein kurzes ‚Hallo‘ abgerungen, ihn ansonsten aber wie Luft behandelt. Ihm konnte es egal sein, seit gestern hatte er sein Abizeugnis, morgen konnte es endlich losgehen.

    Hatte er an alles gedacht? Laptop, einige Bücher, Klamotten und Schlafsack. Das Wichtigste fehlte noch. Er ging zu seinem Bett, hob die Matratze ein Stück an und zog sie zu sich nach vorne. Dann öffnete er den Reißverschluss des Schonbezugs und fasste mit seinem linken Arm durch den offenen Schlitz. Vorsichtig tastete er nach vorne. Hier war es! Mit Daumen und Zeigefinger zog er das schmale, in eine Plastikfolie eingewickelte Büchlein heraus und drückte es an sich. Seine Mutter. Warum tat es immer noch so weh, obwohl es schon so lange her war? Sein Blick fiel auf das Foto auf seinem Schreibtisch. Seine lachende Mutter auf einer Wiese, mit rosa Blüten im Haar und Kirschen als Ohrringe. Ihre ansteckende Lebensfreude fehlte ihm. Was sie wohl zu dieser Aktion gesagt hätte? Er schluckte, dann verstaute er das Foto und die Plastiktüte in seinem Rucksack. Nachdem er den Wecker auf vier Uhr gestellt hatte, legte er sich schlafen.

    Piep, piep, piep! Marc schreckte auf. Leise zog er sich an, nahm seinen Rucksack und schlich die Holztreppe hinunter. Er musste jetzt höllisch aufpassen, dass die Dielen nicht knarzten, sein Alter schlief gleich nebenan und hatte einen unruhigen Schlaf. Wenn der aufwachte, würde es ungemütlich werden. Noch zwei Treppen, geschafft! Er zog sich seine Turnschuhe an, sperrte die Haustür auf und ging nach draußen. Kurz verharrte er in der Bewegung. Nein, er würde nicht mehr zurückkommen, nie wieder! Er legte den Schlüssel deutlich sichtbar auf die Kommode. Nach einem letzten Blick zurück zog er die Haustür von außen hinter sich zu. Das war der Startschuss für sein neues Leben!

    Um diese Uhrzeit fuhren nicht viele Leute im Zug mit. Das traf sich gut, dann konnte er das Gefühl besser genießen, seiner strahlenden Zukunft entgegenzufahren. Er hatte seine eigene Bleibe, neun Quadratmeter unter dem Dach, Küchen- und Badbenutzung inklusive. Endlich weg aus dem miefigen Kaff, künftig würde er nicht mehr als der Sohn von Bürgermeister Kröger durchs Leben gehen, sondern konnte er selbst sein. Er drehte den Kopf zur Seite und versuchte, ein wenig zu schlafen.

    „Nächster Halt Frankfurt Hauptbahnhof", ertönte die blecherne Stimme aus dem Lautsprecher. Marc schreckte auf. Der Zug fuhr langsam durch den Bahnhof Hanau.

    Im Treppenhaus roch es nach einer Mischung aus Kohl und Bohnerwachs, die Holzstufen waren ausgetreten, das ehemals rote Geländer hatte einen Farbanstrich bitter nötig. Vierter Stock, kein Aufzug. Marc atmete tief durch und drückte die Klingel. Nach zigmaligem Läuten wurde die Tür geöffnet.

    „Ach, du?"

    „Hi Rainer, erster Juli, hatten wir doch besprochen." Marc streckte ihm die Hand entgegen.

    Der großgewachsene dunkelhaarige Student machte keine Anstalten, seine Hand zu ergreifen, sondern kratzte sich ausgiebig am Kopf. „Ah. Echt jetzt? Naja, wir kennen uns ja schon. Jedermann nennt mich Lenin, tritt ein. Ich zeig dir dein Reich. Übrigens, oberste Regel hier: Mein – dein – das nehmen wir nicht so ernst. Alles is für alle da."

    Er ging voran zu einer Zimmertür am anderen Ende des Gangs. ‚Eigentum ist Diebstahl‘ prangte in roten Lettern auf seiner Jeansjacke. War das von Marx?

    „Hier wären wir, Matratze musste dir besorgen, die hat Achim sich gekrallt."

    Marc schluckte. Das Zimmer passte zu dem Empfang. Einzige Einrichtungsgegenstände waren ein kleiner, mit orangener Folie beklebter Hängeschrank und ein klobiges Regal, übersät mit Aufklebern der Simpsons. Das, was Rainer beim Videocall als ‚Schreibtisch‘ bezeichnet hatte, war ein eichefarbener Teewagen mit orangener Fliesen-Auflage und abgebrochenem Griff. Da würde er sich schnell etwas organisieren müssen. Hell war es auch nicht gerade, durch ein winziges Dachfenster drang schummeriges Licht herein, an der Wand hing eine kahle Glühbirne.

    „Kannste happy sein, is eh das schönste Zimmer hier, merkte Rainer an. „Ach ja, hab ich vergessen: Bring dir `n Verlängerungskabel mit, so zwei Meter, Steckdose is nich, kannste aber in der Küche anstöpseln.

    Er drehte sich um und öffnete die Tür des Zimmers direkt gegenüber. „Okay, jetzt die Gemeinschaftsräume. Bad mit Dusche und Klo."

    Braune Fliesen mit Blumenmuster! Von der Decke hing ein blassrosa Duschvorhang, der die Schimmelflecken hinter der Badewanne nur mäßig verdeckte. Marc rümpfte die Nase.

    „Biste wohl was Feineres gewohnt, meinte Rainer. „Kannste ruhig aktiv werden, müsste eh mal wieder so’n bisschen aufgehübscht werden. Er machte eine unbestimmte Geste mit der Hand. „Ach ja, wart immer so `ne halbe Stunde, wenn einer geduscht hat, das Wasser is sonst eher fresh."

    „Oh, du bist der Neue? Ein dunkelhaariger Mittzwanziger in Boxershorts trat durch die Tür und durchquerte das Bad. „Moin, ich bin Karl. Ist gestern echt spät geworden. Er streckte sich, gähnte, steuerte Richtung Toilette und klappte den Deckel nach oben.

    Die beiden hier waren ihm etwas zu ungezwungen. Wie würde das erst werden, wenn er länger hier wohnte?

    Rainer hatte offensichtlich seinen Blick bemerkt. „Wir haben hier keine secrets, der Schlüssel is sowieso futsch."

    Die Küche war erstaunlich groß. Ein Resopaltisch, beladen mit Frühstücksresten, und vier bunt zusammengewürfelte Stühle standen mitten im Raum. An einem Hochschrank fehlte eine Tür, die andere hing schief in den Scharnieren. Wetten, dass hier einer Gras geraucht hatte? Marcs Sohlen quietschten, irgendein klebriger Belag hatte sich auf dem Linoleumboden abgesetzt.

    „Darfste nich so genau hinschaun. Achim, dein Vorgänger, hat immer reinegemacht. Aber der is ja jetzt weg, erklärte Rainer. „Bei uns funzt das so: Jeder organisiert was zu essen, und wer Hunger hat, isst, was da ist. Keiner bunkert hier seine Privatvorräte, klaro? Putzplan is hier. Er deutete auf einen fleckigen Zettel mit drei leeren Spalten.

    Marc nickte beklommen. „Gibt’s Internet?"

    „Der Typ unter uns hat `ne Flat, die nutzen wir. Dafür kommt er ab und zu bei uns auf `ne Bong vorbei."

    Da hatte er sich also nicht getäuscht. Das konnte ja lustig werden!

    „Fernseher?"

    Rainer winkte ab. „Wir sind hier eher auf Konversation. Weißte, philosophischer Austausch bildet."

    „Aha. Mein Fahrrad?"

    „Du hasts echt nicht geschnallt. Nicht ‚dein‘, ‚unser‘ Fahrrad. Kannste also gleich im Flur parken. Hier auf der Straße kommt eh viel weg."

    Lenin war schon am Hinausgehen, da drehte er sich noch einmal um. „Wär super, wenn du noch was shoppen gehst. Einkaufszettel is da drüben. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Hochschrank. „Bring `ne Pulle Bier und Knabberzeug mit, dann feiern wir heut’ Abend deinen Einzug. Aber bloß keine Erdnüsse, ich hab da ne Allergie.

    Weg war er. Marc inspizierte den Inhalt des Kühlschranks und fand eine halbe Packung Toast und ein fast leeres Glas Marmelade. Der Mülleimer war schon länger nicht mehr geleert worden, im Unterschrank roch es nach etwas Vergammeltem. Marc schlich in sein Zimmer. Er brauchte jetzt Frischluft! Schwarze Schmutzkrümel rieselten vom Dachfenster und der Gestank von Abgasen schlug ihm entgegen. Rasch schloss er das Fenster wieder.

    Bei der Suche nach einem Job wurde er schneller fündig als erwartet. In einer kleinen Karaoke-Bar zwei Straßen weiter konnte Marc sofort anfangen. Arbeitszeiten Freitag bis Sonntag von siebzehn bis dreiundzwanzig Uhr. Kellnern und Gläser spülen. Mit diesem Geld war zumindest die Miete gesichert. Zum Semesterbeginn in drei Monaten musste er dann sein Konto auffüllen.

    Für den Rest des Tages standen lästige bürokratische Pflichten auf dem Programm. Die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt, das Beschaffen unzähliger Unterlagen wie den Bafög-Antrag oder die beglaubigten Kopien für die Studieneinschreibung. Seine To-do-Liste war geistesgestört lang. Am späten Nachmittag sank er auf seine Isomatte, seine Füße brannten. Bis zu seiner Einstandsfeier in zwei Stunden würde er sich ein wenig ausruhen.

    „Hey, du verpennst deine Fete!"

    Marc schreckte hoch, er musste eingenickt sein. Lenin lehnte im Türrahmen, eine Bierflasche in der Hand. Verschlafen rappelte Marc sich auf und folgte seinem Mitbewohner in die Küche. Dort saßen bereits Karl, eine Frau Mitte zwanzig, die Lenin als Ruth vorstellte, und ein bärtiger Typ, der ihn mit stechendem Blick musterte. Sie waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft.

    „Auch ein Bier?" Karl prostete ihm zu und schob eine Flasche über den Tisch.

    „…nicht allein die Schuld der Kapitalisten. Der Kapitalist steht im Wettbewerb mit den anderen seiner Klasse, und wenn er die Arbeiter weniger ausbeutet, geht er im Konkurrenzkampf unter", echauffierte sich Ruth.

    „Genau darum geht es doch, entgegnete der Bärtige ungerührt. „Jede Form von Privateigentum führt letztlich zur Ausbeutung der Arbeiter. Eure Bude hier gehört dem Vermieter, und Lenin, Karl und, er blickte fragend in seine Richtung, „wie heißt du überhaupt?"

    „Marc."

    „Okay, Lenin, Karl und Marc. Was passiert wohl, wenn ihr keine Miete mehr zahlt?"

    „Na, dann kriegen wir ’nen Tritt in den Arsch", antwortete Lenin grinsend.

    „Siehst du. Der muss nichts für euch tun, der hat einfach Kapital und ihr müsst für ihn arbeiten, also beutet er euch aus." Der Bärtige machte eine ausladende Geste.

    Was redete der denn? Marc räusperte sich. „Also, so ganz richtig … Alle Augen waren jetzt auf ihn gerichtet. Sein Herz schlug schnell. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzusprechen. „Ich meine, der Vermieter hat die Wohnung hier doch auch gekauft und für das Geld gearbeitet.

    Stille. Eine unangenehme, quälende Stille. Hätte er nur den Mund gehalten.

    Der Bartträger sah ihn durchdringend an. „Das heißt, wenn ich dich kaufe und du für mich arbeiten musst, ist das in Ordnung?"

    „Nein, das geht natürlich nicht. Das wäre Sklaverei und somit verboten", erwiderte Marc.

    Sein Gegenüber grinste. „Bis zur Abschaffung der Sklaverei war es aber legal. Und ich sage dir: Privateigentum ist nichts anderes als Sklaverei, nur dass es eben noch erlaubt ist."

    Wieder wandten sich alle Blicke ihm zu. Er war wie gelähmt. Es fühlte sich an, wie all die Jahre zuvor beim Abendessen in Ismaning. Sein Vater und Jan diskutierten miteinander und nahmen das, was er sagte, nicht ernst. Er starrte auf die Tischplatte und murmelte leise „Also, ich … So hab ich das noch nie gesehen."

    Drei Monate später wuchtete Marc die schwere Tasche in den Kofferraum des Toyota. Sein letzter Koffer, sein letzter Tag als Gepäckträger am Frankfurter Flughafen. Sauer verdientes Geld, aber die Ausgaben bis Semesterende waren gerettet. Das Studentenleben konnte beginnen!

    Noch vor acht Uhr stand er am nächsten Morgen vor dem Hörsaal, Vorkurs Mathematik. Er atmete tief durch. Neben einem sympathisch aussehenden Mitstudenten in der hinteren Reihe war noch ein Platz frei. Okay, das war schon anspruchsvoller als in der Schule. Obwohl er in Mathe immer ganz gut gewesen war, würde er einige Nachtschichten einlegen müssen, um mithalten zu können. Als er seinen Kommilitonen nach einem zusammenfassenden Lehrwerk fragte, schüttelte dieser ebenfalls nur ratlos den Kopf.

    Im Anschluss fand die Orientierungsveranstaltung für die Erstsemester statt. Der Hörsaal füllte sich, bis rund dreihundert junge Studenten Platz genommen hatten. Aufgeregtes Stimmengewirr drang durch das Audimax. Erklärt wurde, was und wofür Credit-Points waren, welche Anforderungen in den angebotenen Lehrveranstaltungen vorausgesetzt wurden, wie man einen Stundenplan auf CampUAS erstellte, der Sinn von Tutorien, wie man Bücher in der Bib auslieh, was Modulhandbuch oder HISQiS waren. Wie sollte er da jemals durchblicken? Resigniert schlich er in Richtung Ausgang.

    „Hier, deine Ersti-Tüte, guten Start." Mit diesen Worten drückte ihm ein älterer Student am Ausgang eine prall gefüllte Geschenktüte in die Hand.

    Marc schluckte. Fast wie bei seiner Einschulung. Ein Getränkebecher, Süßkram, eine Dosensuppe, Kugelschreiber und Kondome. Und jetzt? Alle anderen standen in Grüppchen zusammen und schienen sich prächtig zu unterhalten.

    „Hi, auch Ersti?" Marc hatte nicht bemerkt, dass jemand neben ihn getreten war.

    „Ja, und du Hellseher?", konterte er.

    „Habe eben scharf kombiniert. Sein Gegenüber grinste. „Die Erstitüte ist nicht zu übersehen. Ich bin Daniel. Du siehst aus, als könntest du einen Happen zu essen gebrauchen. Willst du mit in die Mensa?

    „Ja, gern."

    „Okay, warte kurz, ich sag schnell Andi Bescheid, der kommt auch mit."

    Beim Essen erzählten die beiden von ihrem Studienstart.

    „Weißt du, dann stand ich um Punkt acht auf der Matte, kein Schwein da. Bis ich gecheckt hab, dass c.t. bedeutet, dass es um Viertel nach losgeht. Daniel wickelte Spaghetti auf seine Gabel. „Lauter so Kleinigkeiten. Aber mal im Ernst, der Studienbeginn war für mich trotz aller Hürden wie eine Erlösung. Endlich bin ich aus dem Kuhkaff raus, als Schwuler ist es da nicht so lustig. Mein Vater hatte volles Verständnis und hat mir eine Wohnung spendiert.

    Marc lachte. „Das glaube ich dir sofort! Ich bin auch aus einem Kuhkaff, mein Alter ist bei der Sparkasse, Bürgermeister und im Kirchenrat. Hey, ich bin so froh, hier in Frankfurt zu sein!"

    Sein erstes Mensaessen, bezahlt mit selbst verdientem Geld und zwei neue Freunde. Was wollte er mehr? Alles Weitere, etwa das mit seinen Mitbewohnern oder das Nachholen für den Mathekurs, würde sich finden.

    So verging das erste Semester wie im Flug und am Ende hatte sich Marc richtig eingelebt.

      2  

    31. MAI 2010

    FRANKFURT AM MAIN

    Noch fünf Minuten, dann würde er aufstehen. Seine Augenlider brannten, sein Kopf war bleischwer. Kein Wunder, nach drei Stunden Schlaf. Bis vier Uhr nachts hatte er für die Uni gebüffelt. Das hätte er gleich am Samstag machen sollen, aber da war er bei Daniels Geburtstagsfeier versumpft. Oder sollte er die Vorlesung sausen lassen? Nein, die erste VWL-Vorlesung durfte er nicht verpassen. Grünwald legte angeblich großen Wert darauf, dass die Studenten im neuen Kurs vollzählig erschienen. Marc rollte sich von seiner Matratze und schlurfte ins Bad.

    Zwei Minuten vor Vorlesungsbeginn ließ er sich auf seinen Sitz fallen. Was war noch mal Thema der heutigen Veranstaltung? ‚Geld im Wandel‘! Das klang so spannend wie ein Kaffeekränzchen mit dem schwerhörigen Onkel Horst.

    „Montag, acht Uhr morgens und alle Plätze belegt. Das lässt auf ein profundes Interesse an der Geschichte des Geldes schließen. Grünwald grinste breit. „Oder ist die Partyszene in Frankfurt mittlerweile ausgestorben?

    Seinen Prof hatte er sich ganz anders vorgestellt. Mit den zu einem Pferdeschwanz zusammengefassten grauen Haaren und den dunkelbraunen Biker-Boots wirkte er eher wie ein Streetworker.

    „Eine leichte Frage, die sicherlich auch die unter Ihnen beantworten können, bei denen es gestern spät oder feuchtfröhlich geworden ist. Er hielt einen Fünfzigeuroschein in die Höhe. „Wer denkt, dass dieser Geldschein wertvoll ist? Ich bitte um ein Handzeichen.

    Sofort schossen unzählige Hände nach oben.

    Scheiße Mann, dachte Marc, den hätte er gerne! Den würde er gleich in ein warmes Essen in der Mensa investieren. Heute war der Einunddreißigste. Das Geld hatte gerade noch für eine Tüte Semmeln gereicht, davon waren drei übrig. Damit musste er bis morgen über die Runden kommen. Es hatte sich noch immer keine neue Geldquelle aufgetan, seit die Karaoke-Bar letzten Monat dichtgemacht hatte.

    „Nun die Gegenprobe. Wer ist vom Gegenteil überzeugt?" Niemand meldete sich.

    „Sehr gut, dann können Sie mir sicher alle erklären, warum dieser Geldschein einen Wert hat. Wer möchte beginnen?"

    Ein braungebrannter Student mit zurückgegelten Haaren antwortete anzüglich grinsend: „Wenn ich mit diesem Fuffi in die Kaiserstraße gehe, bekomme ich dafür schon einiges an Gegenleistung, das für mich einen Wert hat." Er erntete spärliche Lacher. Der war doch auch in seinem Stochastik-Kurs. Wie hieß der Typ nochmal? Schleimiger Idiot!

    „Schön, dass Sie uns Einblicke in Ihr Liebesleben gewähren. Das führt uns gleich zur nächsten Frage. Was denken Sie, aus welchem Grund Ihre Geschäftspartnerin in der Kaiserstraße Ihrem Fuffi einen Wert beimisst?"

    Die hellgrünen Blätter der Linde im Hof bewegten sich sanft im Wind. Er brauchte dringend einen Job. Morgen bekam er BAföG, dann konnte er die Miete bezahlen. Wenn er nur jeden zweiten Tag in die Mensa ging, reichte das Geld bis zum Achtzehnten. Daniel war seit ein paar Wochen als Werkstudent bei einer IT-Firma. Aber die hatten ihn nur wegen seiner Kryptografie-Skills genommen. Ihn konnten die sicher nicht gebrauchen.

    „Für die Ureinwohner in Borneo ist das natürlich nur wertloses, bedrucktes Papier." Jetzt musste er aber aufpassen. Was faselte der Gelkopf da von Eingeborenen?

    Professor Grünwald griff die Antwort auf. „In der Tat ist dies eine wichtige Erkenntnis, die Sie bei sämtlichen weiteren Überlegungen mitbedenken sollten. Das, was wir als Geld nutzen, hat nur deshalb einen Wert, weil wir alle dem Geld einen Wert zuschreiben und darauf vertrauen, dass dieser beständig ist. Vertrauen in die Werthaltigkeit des Geldes spielte von Anbeginn an eine wesentliche Rolle."

    Reiß dich zusammen, sonst schaffst du die Prüfung am Ende nie, ermahnte sich Marc. Er schrieb die Daten von der Overhead-Folie ab, ‚US-Dollar – der Weg zur Weltwährung‘, und einen Zeitstrahl. ‚1792 Coinage Act Gold, Silber und Kupfermünzen, 1861 Papiergeld (Greenback) zur Finanzierung der Sezessionskriege, 1875 Wiedereinführung des Edelmetallstandards, 1900 Currency Act Goldstandard …‘

    Mist, jetzt hatte er nicht mehr gesehen, wie das Tauschverhältnis von Gold zu Dollar war. Er schielte zu seinem Sitznachbarn, der offensichtlich schneller beim Schreiben war. Eine Unze, also 31,1 Gramm, entsprachen 20,67 Dollar.

    Grünwald hatte inzwischen den Projektor abgeschaltet. „Noch vor weniger als einhundert Jahren wurden alle Preise in Gold denominiert. Das Papiergeld war nur dazu da, den Handel zu vereinfachen. Für jeden Geldschein, egal, ob Dollar, Pfund, Franc oder Mark, hatten die Zentralbanken eine entsprechende Menge an Gold eingelagert. Diese festgeschriebene Menge Gold konnte gegen Geldscheine zurückgetauscht werden. Das Ganze nannte man den Goldstandard."

    Langweiliges Auswendiglernen irgendwelcher Zahlen. Seine Mitstudenten hatten ihn bereits vorgewarnt, dass VWL-Vorlesungen nur mit reichlich Kaffee zu ertragen wären.

    „So, meine Herrschaften, jetzt wird es spannend. Die Weltwirtschaftskrise brachte die amerikanischen Banken in Schwierigkeiten. 1933 gingen in Michigan zwei systemrelevante Geldinstitute bankrott. Bankenretten war damals noch nicht so an der Tagesordnung wie heute. Der Professor erntete einige Lacher. „Anders als beim Platzen der Immobilienblase vor zwei Jahren ließ man dem freien Markt seinen Lauf. In Europa bekam man kalte Füße. Allen voran die Briten und die Holländer. Sie tauschten also ihre Dollarnoten zurück gegen Gold und die Goldvorräte der amerikanischen Zentralbank schrumpften. Daraufhin zog Präsident Roosevelt die Notbremse. Er verbot, Gold ins Ausland auszuführen, und ließ alle Banken vier Tage zusperren. Dann legte er fest, dass die Notenbank nicht nur gegen Gold, sondern auch für Bankguthaben neue Dollars drucken durfte. Mit dieser Maßnahme löste Roosevelt zwar die Vertrauenskrise der Banken, es gab aber schlagartig mehr Dollars als Gold. Als am 13. März 1933 die ersten Banken wieder aufsperren durften, was denken Sie, passierte dann?

    Niemand rührte sich. „Mitarbeit ist im Gegensatz zu manch anderem Kollegen in meiner Vorlesung durchaus erwünscht", durchbrach der Professor die Stille.

    Ein Student in der ersten Reihe hob die Hand. „Ein Bankrun, die Leute haben ihr Geld abgehoben."

    Grünwald grinste süffisant. „Naheliegend, aber nachdem zwei große Banken pleite gegangen waren, hatten viele Amerikaner die Sparkonten bereits geplündert und ihr Vermögen unter dem Kopfkissen deponiert. Der Präsident versprach also, die Banken verfügten über genügend Liquidität und es wäre viel sicherer, das Geld unter der Matratze hervorzuholen und wieder auf ein Konto einzuzahlen. Diese Empfehlung haben die Amerikaner dann auch befolgt."

    Wenn es plötzlich mehr Geld als Gold gab, musste man mehr Ocken für die gleiche Menge Edelmetall abdrücken, überlegte Marc. Aber war das nicht zu einfach?

    „Gold wurde teurer", meldete er sich zu Wort.

    Grünwald sah zu ihm hoch. „Interessant! Wie heißen Sie?"

    Es war absolut still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Zu allem Überfluss wandten auch noch einige Studenten aus den vorderen Reihen ihre Köpfe zu ihm um.

    „Kröger … Marc Kröger."

    „Herr Kröger. Wie begründen Sie Ihre Theorie?"

    Oh Mann, hätte er nur den Mund gehalten. „Na ja, begann er zögerlich, „ich dachte mir, wenn es mehr Geldscheine gibt und gleichviel Gold, dann … muss man mehr Scheine für die gleiche Menge Gold hergeben.

    Professor Grünwald lächelte. „Sie brauchen Ihre Theorie gar nicht so zaghaft vorstellen, genau das ist geschehen. Die Amerikaner erkannten das ebenfalls und innerhalb weniger Tage stieg der Goldpreis rasant an. Versetzen Sie sich einmal in die damalige Zeit. Papiergeld und Gold hatten sechzig Jahre lang einen festen Wechselkurs und auf einmal bekam man immer weniger Gold für die gleiche Menge Dollar. Die Amerikaner waren verunsichert und fingen an, das Gold dem Dollar vorzuziehen. In vielen Verträgen gab es seinerzeit eine Goldklausel, durch die der Zahlungsempfänger auf eine Zahlung in Gold bestehen konnte. Der Goldkurs stieg und stieg." Grünwald nickte ihm zu.

    Vielleicht war Volkswirtschaft doch gar nicht so öde! Der Professor projizierte ein altes Schriftstück an die Wand, eine Verfügung des Präsidenten vom 5. April 1933. Krass, da wurde der private Goldbesitz verboten! Die amerikanischen Bürger mussten alles Gold innerhalb von drei Wochen zu einem festen Kurs von 20,67 Dollar pro Feinunze abgeben. Wer dennoch damit erwischt wurde, zahlte bis zu zehntausend Dollar Strafe oder wanderte in den Knast!

    „Böse Zungen würden behaupten, der amerikanische Staat wollte hiermit verhindern, dass die Bürger sahen, wie die bedruckten Papierscheine immer weniger wert wurden. Der Staat nutzte die Möglichkeit, neue Dollars zu drucken, ohne dafür Gold hinterlegen zu müssen, und tilgte damit die Staatsschulden. Konsequenterweise wurde ab 1956 der Aufdruck, der Schein könne gegen Gold getauscht werden, durch ‚in god we trust‘ ersetzt. Bei diesem Geldkonstrukt war Gottvertrauen tatsächlich angebracht." Vereinzeltes

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1