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Alles auf Anfang: Märchenhafte Geschichten über das Leben
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Alles auf Anfang: Märchenhafte Geschichten über das Leben
eBook192 Seiten2 Stunden

Alles auf Anfang: Märchenhafte Geschichten über das Leben

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Über dieses E-Book

Märchen für große Kinder
Alles auf Anfang ist ein neues Märchen von Christian Mörsch, der uns tief in unsere eigene Seele blicken lässt. Seine Märchen sind leicht zu lesen und trotzdem tiefsinnig. Er erklärt uns in spielerischen Worten, wie das Leben funktioniert, ohne erhobenen Zeigefinger. Er ist ein Meister der Erzählkunst und verzaubert den Leser mit Bildern, die vor dem inneren Auge entstehen und seine Phantasie erblühen lässt.
Zusätzlich zu seinem neuen Märchen wurden die besten Geschichten aus allen seinen Werken in dieses Werk integriert.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Sept. 2017
ISBN9783863321666
Alles auf Anfang: Märchenhafte Geschichten über das Leben

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    Buchvorschau

    Alles auf Anfang - Christian Mörsch

    Christian Mörsch

    Alles auf Anfang

    Märchenhafte Geschichten über das Leben

    Alles auf Anfang

    Das krumme Weihnachtsbäumchen in der Ecke zwischen dem Wohnzimmerschrank und der Glastür war schon festlich geschmückt – wie in jedem Jahr am Tag vor Heilig Abend. Svenja saß mit roten Wangen und einer Wolldecke in gleicher Farbe auf der abgenutzten Couch und blickte zu ihrem Großvater, der es sich im Ohrensessel gegenüber bequem gemacht hatte. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kakaotasse, aus der ein hoher Berg süßer Sahne emporragte. «Bist du glücklich, Grandpa?»

    Großvater zuckte zusammen. «Ich schätze, das ist ziemlich schwer zu beantworten», antwortete er schließlich.

    «Ich meine, hast du immer alles richtig in deinem Leben gemacht? Dann müsstest du doch glücklich sein, oder?»

    «Du meinst, ob ich etwas anders machen würde, wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte?»

    «Genau!»

    «Keine Ahnung. Ich schätze, da gäbe es eine Menge Dinge, die ich anders machen würde.»

    «Also bist du nicht glücklich!», resümierte Svenja. «Wie wär´s, wenn du einen Wunschzettel schreibst – mit allem, was dich glücklicher machen würde?»

    Er seufzte und schüttelte langsam den Kopf. «Großväter schreiben keine Wunschzettel. Aber früher, als ich so alt war wie du, da habe ich auch einen Wunschzettel unter den Tannenbaum gelegt.»

    «Und warum tust du es nicht mehr?»

    «Ach weißt du, irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Christkind kein Interesse mehr an mir hatte. So ist es eben, wenn man erwachsen wird.»

    «Möchtest du denn nochmal Kind sein? So alt wie ich?»

    Großvater lachte – doch es klang eher wehmütig als fröhlich. «Na klar. Dann könnten wir den ganzen Tag zusammen Blödsinn machen, um die Wette laufen und die Welt auf den Kopf stellen!»

    «Dann wünsch es dir doch!»

    «Wenn das so einfach wäre, hätte ich es schon längst getan.»

    In diesem Moment klopfte es draußen am Fenster. Großvater zuckte erschrocken zusammen. Es war bereits dunkel, so dass er die Gestalt nicht erkennen konnte, die ihre gefrorene Nase an die Scheibe drückte. Schneeflocken dick wie Wattepads fielen vom Himmel und legten sich schützend über die kahlen Äste der Bäume.

    Es klopfte abermals, als Großvater zum Fenster hinüber schlurfte.

    Simon wunderte sich. Etwas hatte sich verändert. Der Raum erschien ihm vertraut und fremd zugleich.

    «Kannst du nicht einen Zahn zulegen? Mir ist kalt!», rief die Gestalt auf der anderen Seite des Fensters.

    «Schneller geht nicht, bin schließlich kein junger Spund mehr», gab Simon maulig zurück.

    «Ach ja? Versuchs doch mal!»

    Erst jetzt merkte er, dass sich seine Schmerzen im linken Knie in Luft aufgelöst hatten. Simon versuchte einen kurzen Spurt und stellte verdattert fest, dass es gelang. Er streckte sich nach dem Fenstergriff, doch es fehlten glatte 30 Zentimeter. Simon wusste zwar, dass man im Alter allmählich kleiner wurde, aber dieser beschleunigte Schrumpfungsprozess kam ihm mehr als seltsam vor.

    Er griff nach einem Stuhl und kletterte hinauf. Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Das ist nicht wahr!

    «Mach schon auf!»

    Er öffnete das Fenster mit offenem Mund und ließ die Gestalt hinein. Es war ein Mädchen, dessen blonden Haare zum großen Teil von einer hellblauen Mütze verborgen waren.

    «Danke!», sagte das Mädchen und schlüpfte hinein.

    «Wer bist du?»

    «Weißt du denn, wer du bist?», konterte sie.

    Ihre Frage traf ihn bis ins Mark. Er war noch er selbst, sah aber aus wie ein zehnjähriger Junge. Es war, als habe er sein ganzes Leben noch vor sich, und doch wusste ein Teil von ihm, dass er die Achtzig gerade überschritten hatte.

    «Ich bin da, um dir zu sagen, dass du noch einmal ganz von vorn anfangen kannst.»

    Sie klang ein wenig zu altklug für ihr Alter, aber das fiel ihm nur am Rande auf, denn er sah ja auch ein wenig zu jung aus.

    «Bist du bereit?»

    «Du meinst das wirklich ernst, ja?»

    «Klaro, sonst hätte ich mir den Weg durch die Kälte ja sparen können. Du kannst alle Entscheidungen in deinem Leben noch einmal treffen.»

    Simon starrte sie an, als hätte sie ihm gerade glaubhaft mitgeteilt, dass der Weihnachtsmann doch existiert.

    «Du hast schon richtig gehört: Du darfst dir dein Leben jetzt genauso wünschen, wie du es gern gehabt hättest.»

    «Bist du ´ne Zauberin oder sowas?»

    Sie antwortete nicht und zog stattdessen ein Blatt Papier und eine altertümlich wirkende Schreibfeder aus ihrer Manteltasche.

    «Beginnen wir mit deinen Eltern?»

    «Ich soll mir jetzt einfach die Eltern aussuchen, die ich mir gewünscht hätte?»

    «So ist es», bestätigte das Mädchen.

    Simon dachte nach. Er erinnerte sich an Tage, an denen er mit seinen Eltern gar nicht einverstanden gewesen war, an denen er sich über sie geärgert hatte, an denen es Streit gegeben hatte. Aber hätte er wirklich andere Eltern gewollt? Es hatte auch schöne Tage gegeben, Tage, an denen er sich geliebt gefühlt hatte, Tage, an denen er froh gewesen war, dass sie für ihn da waren. Und – das wusste er heute – aus eigener Erfahrung: Es gab keine perfekten Eltern. Jeder machte auch Fehler. Eltern gaben immer ihr Bestes, aber auch sie waren einmal Kinder gewesen und hatten vielleicht etwas erlebt, das sie nicht ausreichend verarbeitet hatten. Er erkannte, dass er an seinen Eltern gereift war, dass sie ihn geliebt hatten, so gut sie eben konnten.

    Simon winkte ab. «Lass mal.»

    Das Mädchen ließ den Stift sinken. «Wie du willst. Was ist mit deinem Beruf? Was möchtest du tun?»

    Genau diese Frage hatte er sich nach seinem Schulabschluss gestellt. War es richtig gewesen, eine Ausbildung zum Malermeister zu machen? Es war das, was er seiner Meinung nach am besten konnte. Natürlich hätte er auch andere Dinge gerne ausprobiert. Vielleicht hätte er mehr Geld verdient, wenn er einen anderen Beruf gewählt hätte. Aber der Malerpinsel lag ihm besser in der Hand als der Designerkuli eines Managers. Nichts gegen Manager. Jeder Beruf war richtig, solange er Spaß machte.

    Er zuckte mit den Schultern und bemerkte verwirrt, dass er das Mädchen um einen Kopf überragte. Während er nachgedacht hatte, musste er unerkannt gewachsen sein.

    «In Ordnung. Du bist der Boss. Wie sieht es aus? Mit welcher Frau möchtest du dein Leben verbringen?»

    Gab es eine Frau, die er lieber geheiratet hätte, im Nachhinein betrachtet? Er schüttelte vehement den Kopf. Auch wenn ihn an manchen Tagen Zweifel beschlichen hatten, Tage, an denen er nach einem heftigen Streit kurz davor gewesen war, aufzugeben, so hatte er sie doch in der Tiefe seines Herzens immer geliebt. Und wenn er sich andere Beziehungen angeschaut hatte, hatte er festgestellt, dass es überall ähnlich war. Jeder Mensch hatte Macken und Fehler, etwas, über das man sich aufregen, an dem man sich reiben konnte. Unterschiedliche Meinungen prallten in jeder Beziehung immer wieder aufeinander. Er dachte an seine Kinder. Sie wären nicht da, hätte er sich nicht genau für die Frau entschieden, die er geheiratet hatte. Und er liebte seine Kinder über alles. Auch Svenja gäbe es nicht. Sie wäre nie geboren worden.

    Simon begann zu zittern. Ein Schmerz fuhr durch sein Knie, als er einen Schritt zurückwich.

    «Alles in Ordnung, Grandpa?», fragte Svenja.

    Das Mädchen mit der blauen Mütze war verschwunden.

    «Yes, Sir!» Das Zittern ließ allmählich nach, als er sich zurück zu seinem Sessel schleppte.

    «Warum hast du das Fenster aufgemacht?»

    «Ich habe …» Er stockte. «Du hast sie nicht gesehen?»

    «Wen meinst du?»

    «Ach nichts.»

    Svenja blickte ihm lange in die Augen. «Du siehst glücklich aus, Grandpa», sagte sie schließlich.

    «Das bin ich auch!» Er nahm sie in die Arme und war einfach nur dankbar, dass es sie gab.

    Und, dass alles so war, wie es ist.

    Ein Weihnachtstraum

    Hicks!» Er setzte den Flaschenhals an den Mund und trank.

    «Hicks!»

    Verdammter Schluckauf!

    Vor ihm lag eine leere Weinflasche. Zwei Euro neunundfünfzig bei Aldi.

    Er fröstelte. Es war ein kalter Winterabend. Der Wind schlich durch die dunkle Straße und wirbelte ein paar braune Blätter auf, die vom Sommer übriggeblieben waren.

    «Hicks!»

    Er kicherte und nickte einer Schaufensterpuppe zu. «Prost!»

    Die Schaufensterpuppe trug einen kurzen Rock.

    «Komm raus und ... und leiste mir Gesellschaft!»

    Die Schaufensterpuppe rührte sich nicht vom Fleck.

    «Du solltest dir ... hicks ... einen längeren Rock anziehen. Es ist kalt hier draußen.»

    Ihre Augen schauten regungslos auf den breitschultrigen Mann.

    «Du bist dir wohl zu fein für mich! – Dann eben nicht!»

    Er nahm die Zeitung, mit der er sich in dieser Nacht zudecken wollte. Jemand hatte sie liegen gelassen. Er setzte sich so, dass das Licht der Straßenlaterne auf die Zeitung fiel. Er hatte nie gern gelesen. Es interessierte ihn nicht, was in der Welt passierte. Er schlug den Anzeigenteil auf. – Vielleicht gab es irgendwo etwas zu verschenken.

    Er fuhr mit dem Finger über die Seiten. «Gut erhaltener Computer. VB 1500 EURO», «Suche Briefmarken aus dem letzten Jahrtausend», «Weihnachtsbäume zu verkaufen!» So ging es weiter. Seite für Seite. Nichts zu verschenken. Er wollte die Zeitung gerade wieder zur Seite legen, als er stockte. Sein Finger war auf einer sonderbaren Anzeige liegengeblieben. Sie stand ganz unten rechts. Klein und unscheinbar, als gehörte sie nicht hierher.

    Tausche F gegen H - Chiffre 224337

    oder telefonisch unter 35661

    F gegen H. Was sollte das?

    Sein Blick fiel auf den Hut, der neben ihm lag. Manchmal träumte er, sein Hut sei bis zum Rand mit Einhundert-Euro-Scheinen gefüllt. Doch jedesmal, wenn er nachschaute, verwandelten sie sich in ein kleines Häufchen Zehncentstücke.

    Er nahm ein paar Zehncentstücke aus dem Hut und ließ sie durch die Finger gleiten.

    F ... F ... Fo ... Fl ... Er suchte nach einem Wort, das mit F begann. Flasche! ... Fuchs, ... Fisch. Er hasste Fisch. Fo ... Foto. Fa ... Fa ... Das Ganze erinnerte ihn an ein Spiel, das er als Kind gespielt hatte, wenn ihm auf Autofahrten langweilig geworden war. Er hatte versucht, aus den Buchstaben von Nummernschildern Wörter und Sätze zu bilden.

    35661. Ob ... ob er da anrufen sollte?

    Unsinn! Er hatte schließlich andere Probleme. Und wahrscheinlich war die Anzeige nichts weiter als ein alberner Scherz. Er nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.

    Er versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch er ertappte sich dabei, wie er weitere Wörter mit F bildete. Als ihm keine Wörter mehr einfielen, versuchte er es mit H. Ha ... Ha ... Haferflocken. Er schluckte. Als er klein war, gab es morgens immer Haferflocken. Doch er hatte sich stets geweigert, den Mund aufzumachen, egal ob der Löffel für Papa war, für Mama oder Tante Anna. Was würde er jetzt für einen Teller voll Haferflocken geben? Hi ... Hu ... Hund, ... Hut ... Honig.

    Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er die Nummer wählte.

    3 ... 5 ... Es war lange her, seit er zuletzt telefoniert hatte. Wen hätte er auch anrufen sollen? Wer auf der Straße lebte, hatte keine Freunde ... 6 ... 6 ... 1.

    Tüüüt. – Tüüüt. ... Vielleicht war niemand da ... Tüüüt ...

    «Hallo?»

    «Hallo ... ich ... ich rufe an auf Ihre Anzeige.»

    «Ja ...?»

    «Ich meine ... ich habe mich gefragt, was ...?»

    «Was die Buchstaben in meiner Anzeige bedeuten?»

    «Ja ...»

    «Suchen Sie sich etwas aus.»

    Ihre Stimme war angenehm.

    «Was? ... Was soll ich mir aussuchen?»

    «Was Sie von mir wollen ...»

    «Ein ... eine Decke?»

    «Habe ich mich etwa verschrieben? Es sollte heißen Tausche F ... gegen H.»

    «Ach so. Ja ... ich meine, nein! Sie haben sich nicht vertan! ... Eine ... eine F ... Flasche ... Schnaps?», fragte er vorsichtig.

    «Und was würden Sie mir dafür geben?»

    «Ich ...ich habe nichts, das ich Ihnen geben könnte.»

    «Jeder Mensch hat etwas, das er geben kann. Sagen Sie schon, was würden Sie mir geben?»

    «Meine ... meine Socken?»

    «Ein Wort mit H!

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