Enda Blue
Von Michael Pick
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Buchvorschau
Enda Blue - Michael Pick
I
Berry war vor wenigen Tagen einundzwanzig Jahre alt geworden, als er zum ersten Mal seinen Fuß auf einen der abschüssigen Bürgersteige von New Moon City setzte. Der Himmel über dem East End schimmerte silbergrau. Ein Haufen graubrauner Sperlinge schoss in alle Richtungen davon, als sich die Tür des kanariengelben Transporters zischend öffnete. Berry schlüpfte aus der Kabine, zupfte an dem T-Shirt, bis es glatt an seinem schlanken Oberkörper hinab fiel und fühlte in der Hosentasche nach dem PersonaDesk. Zufrieden grinste er, als er das viereckige Gerät unter dem Stoff ertastete.
Über dem Zugang zum Haus 23 in der Burnsroad wölbte sich ein automatisches Lesegerät wie ein Vordach. Darunter war ein gelbes Schild mit der Aufschrift „Zugang nur für autorisierte Personen" an die Wand geschraubt. Die rote Abtastlinie strich über Berrys Schädel, verhielt auf der Höhe seiner Brust, um den Herzchip zu scannen, lief weiter, die Beine entlang bis zu seinen Schuhen. Hinter ihm fuhr die Transportkabine ab, als sich der Zugang zu seiner neuen Wohnung öffnete. Berry war autorisiert.
Das half nicht dagegen, dass ihn in diesem Augenblick ein Schauer überlief. Ein unbekanntes flaues Gefühl in seinem Magen, so, als müsse er sich übergeben. Sein Herz flimmerte; die Handinnenflächen wurden feucht. Es gab keinen Weg zurück.
Als die Mutter ihm prophezeite, dass er aufgeregt sein würde, hatte er sie in den Arm genommen und geküsst. Einundzwanzig Jahre war er jetzt alt und nein, er würde ganz ruhig bleiben. Mutter weinte und Berry hatte zugesehen, dass er die Transportkapsel bestieg. Im Transporter erinnerte ihn eine Videobotschaft seines Vaters daran, wem er den Job bei SecuDat zu verdanken hatte. Berry sollte sich smart anstellen, alles andere würde auf seinen alten Herrn zurückfallen. An dieser Stelle hatte Berry das Video abgeschaltet; es war ohnehin nichts mehr zu erwarten gewesen. Bis dahin hatte sein Vater ihm siebzehn Worte gewidmet, was den Stellenwert von seinem achtzehnten Geburtstag und dem ersten Weihnachten ohne seinen Erzeuger entsprach.
Der Zugang entpuppte sich als Fahrstuhl, in dessen Kabine der Song der Gruppe JuTu „Beautiful Day" dudelte. Die Wohnung, zu der Berry auf dem Weg war, lag im dreiundzwanzigsten Stock. Als er den Aufzug verließ, fand er sich in einem niedrigen Flur wieder. Wände, Boden und Decke waren mit Plasma beschichtet. Im Umkreis von fünf Metern verwandelten sie sich bei jedem seiner Schritte in einen Dschungel aus Lianen, großen grünen fleischigen Blättern, Schimpansen, Schlangen ... Berrys Augen konnten nicht alles schnell genug erfassen. Als er bemerkte, dass er auf einem Termitenhaufen stand, sprang er zur Seite. Natürlich war der nicht echt und Berry schüttelte den Kopf über sich selbst. Er holte den PersonaDesk heraus. Das Gerät war hellblau (etwas günstiger als das nachtschwarze) und passte sich automatisch seiner Hand an. Der neueste Schrei; Berry hatte seine gesamten Ersparnisse dafür hingelegt. Irgendwie hatte er gefühlt, dass er zu diesem neuen Lebenspunkt etwas Eigenes beisteuern musste. Mutter hatte ihm angeboten, den PersonaDesk zu bezahlen, doch Berry hatte abgelehnt. Er wusste die Nummer der Wohnung auswendig, natürlich, er hatte die Adresse wohl hundert Mal studiert. Trotzdem rief er sie auf dem Desk auf. Burnsroad 23, Stockwerk zwölf, Wohnung Sieben.
Als er sich der Tür mit der schlichten granitgrauen Sieben darüber näherte, verwandelte sie sich in die Bretterwand eines Baumhauses. Die Wohnung war von SecuDat gemietet, diese Verkleidung passte so gar nicht. Noch ehe Berry mit dem Herzchip vor den Scanner treten konnte, wurde die Tür aufgestoßen und das spitze Gesicht einer Frau um die Dreißig erschien in dem Spalt zwischen Tür und Wand, genau in der