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Eine Art Testament: Gespräche mit Dominique de Roux
Eine Art Testament: Gespräche mit Dominique de Roux
Eine Art Testament: Gespräche mit Dominique de Roux
eBook211 Seiten2 Stunden

Eine Art Testament: Gespräche mit Dominique de Roux

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Über dieses E-Book

Die Gespräche, die Witold Gombrowicz im Jahr 1968, ein Jahr vor seinem Tod, mit dem französischen Schriftsteller Dominique de Roux führte, wurden als »Eine Art Testament« berühmt. Auf der Höhe seines späten Ruhmes gibt Gombrowicz Auskunft über seinen Weg als Schriftsteller, der ihn aus der snobistischen Welt polnischer Landadliger und Warschauer Caféhäuser in elende Hotels von Buenos Aires und bittere Anonymität geführt hat. Erst 1963 kam er wieder nach Europa, aber nie mehr in seine polnische Heimat. Über zwanzig Jahre hatte er in Argentinien als Autor ohne Publikum gelebt – und die Romane und Theaterstücke geschrieben, die ihm Weltruhm einbrachten. Mit Dominique de Roux spricht Gombrowicz über die Entstehung und Interpretation seines Lebenswerks und bezieht Stellung zu literarischen, philosophischen und politischen Fragen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum25. Mai 2023
ISBN9783311704157
Eine Art Testament: Gespräche mit Dominique de Roux
Autor

Witold Gombrowicz

Witold Gombrowicz wurde 1904 als Sohn eines Landadeligen in Małoszyce in Polen geboren. 1915 übersiedelte die Familie nach Warschau, wo Gombrowicz nach Abschluss der Schule Jura studierte. Von 1928 bis 1934 arbeitete er an einem Warschauer Gericht, widmete sich jedoch bald ausschließlich der Literatur. 1933 veröffentlichte er den Erzählungsband Memoiren aus der Epoche des Reifens. 1938 erschien Ferdydurke und löste eine heftige literarische Debatte aus. Im Sommer 1939 wurde Gombrowicz auf einer Reise in Buenos Aires vom Ausbruch des Krieges überrascht. Er blieb 24 Jahre lang in Argentinien, das für ihn zur zweiten Heimat wurde. In dieser Zeit entstanden fast alle seine Werke, die ab 1950 auf Polnisch in Paris und später auch in Warschau veröffentlicht wurden. 1963 kehrte Gombrowicz nach Europa zurück. 1964 ließ er sich, mit Unterbrechung durch einen einjährigen Aufenthalt in Berlin, im französischen Vence nieder, wo er 1969 starb.

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    Buchvorschau

    Eine Art Testament - Witold Gombrowicz

    Herkunft

    Können Sie mir Ihr Leben erzählen in Verbindung mit Ihrem Werk?

    Ich kenne weder mein Leben noch mein Werk. Ich schleppe die Vergangenheit hinter mir her wie einen nebelhaften Kometenschweif, und was das Werk anbelangt, so weiß ich auch nicht viel, sehr wenig nur.

    Finsternis und Magie.

    Sehen Sie, ich muss mich von vornherein entschuldigen, dass ich in diesen übrigens recht beiläufigen Bekenntnissen solche starken Worte nicht werde vermeiden können wie zum Beispiel Magie. Oder Finsternis. Ich habe irgendeinmal die Erinnerungen eines Alpinisten gelesen von einer Klettertour auf einen schwierigen und hohen Berg. Nun, diese Beschreibung war vollkommen verfälscht, denn der Autor, der sich zu sportlicher Bescheidenheit verpflichtet fühlte, schrieb: »Der linke Fuß war mir abgerutscht, und ich hing zehn Sekunden lang über dem Abgrund, bis ich mit dem rechten Fuß ein vorstehendes Stück Felsen ertastet hatte.« Sportliche Bescheidenheit erlaubte ihm nicht, diesen Satz zu ergänzen mit der Riesenhaftigkeit des Abgrunds, der Riesenhaftigkeit der Anstrengung und der Riesenhaftigkeit des Schreckens.

    Zum Trost füge ich hinzu, dass in meinem Leben und Werk das Drama und das Antidrama sich unzertrennlich verflechten, dass also die großen Worte durch kleine Worte ausgewogen werden.

    Zuerst über meine Familie, das hat seine Bedeutung. Ich stamme aus einer adligen Familie, die vier Jahrhunderte hindurch Besitzungen in Samogitien hatte, unweit von Wilna und Kowno. Diese meine Familie war etwas besser hinsichtlich des Besitzstandes, der Ämter, Verschwägerungen als der durchschnittliche polnische Adel, doch gehörte sie nicht zur Aristokratie. Ohne ein Graf zu sein, hatte ich eine gewisse Anzahl von gräflichen Tanten, doch die Gräfinnen waren auch nicht von der besten Sorte, sie waren so lala.

    Im Jahr 1863 konfiszierte der russische Zar die Güter Lenogiry, Mingayłów und Wysoki Dwór meines Großvaters Onufry Gombrowicz wegen dessen angeblicher Teilnahme am polnischen Aufstand. Der Großvater zog in das Gebiet von Sandomierz (200 Kilometer südlich von Warschau), wo er mit dem Rest des Geldes ein kleines Landgut kaufte. Sein Sohn Jan, mein Vater, heiratete die mit einer reichen Mitgift bedachte Tochter des Ignac Kotkowski, des Besitzers der Güter Bodzechów, und kaufte das Gut Małoszyce, wo ich geboren wurde.

    Mein Vater war nicht nur Gutsbesitzer, er arbeitete auch in der Industrie. Er begann diese Arbeit als Direktor der Papierfabrik in Bodzechów, die meinem Großvater Kotkowski gehörte, und später hatte er verschiedene Posten in der Verwaltung großer Industrieunternehmungen inne.

    So also waren wir in jener proustischen Epoche, am Beginn des Jahrhunderts, eine entwurzelte Familie in einer nicht sehr klaren gesellschaftlichen Situation zwischen Litauen und Kongresspolen, zwischen Dorf und Industrie, zwischen der sogenannten besseren und der mittleren Schicht. Dies ist nur das erste von diesen »Zwischen«, die sich im weiteren Verlauf rings um mich vermehren werden bis zu dem Grade, dass sie beinah zu meinem Wohnort werden, zu meiner eigentlichen Heimat.

    Mein Vater? Ein prächtiger Mann, von Rasse, stattlich und auch vorbildlich, pünktlich, pflichtgetreu, systematisch, von nicht allzu weiten Horizonten, mäßiger Sensibilität in Dingen der Kunst, ein Katholik, doch ohne Übertreibung. Und meine Mutter war lebhaft, empfindlich, von großer Einbildungskraft, faul, ungeschickt, nervös (und das sehr), voller Verletzlichkeiten, Phobien, Illusionen. (In der Familie Kotkowski gab es viele Geisteskrankheiten; wenn ich zu meiner Großmutter aufs Land fuhr, fürchtete ich mich schrecklich: ein großes Parterrehaus, das in zwei Teile geteilt war, in dem einen wohnte meine Großmutter, in dem anderen ihr Sohn, der Bruder meiner Mutter, ein unheilbarer Irrer, der nächtens durch die leeren Zimmer ging und seine Furcht mit wunderlichen Gesprächen zu betäuben suchte, die in sonderbares Krähen übergingen und mit einem unmenschlichen Geschrei endeten; die ganze Nacht dauerte das; ich atmete Wahnsinn ein.) Ich bin ein Künstler von mütterlicher Seite her, und von der väterlichen her bin ich nüchtern, ruhig, beherrscht. Doch meine Mutter hatte ein noch höchst irritierendes Merkmal, sie gehörte nämlich zu den Personen, die sich nicht so zu sehen vermögen, wie sie sind. Mehr noch: Sie sah sich genau umgekehrt – und das hatte schon Anzeichen von Provokation.

    Von Natur aus war sie, wie gesagt, faul und ungeschickt, und da es in jenen proustischen Zeiten viel Gesinde gab, so nahm sich der Kinder eine französische Gouvernante an, während die Rolle der Mutter darin bestand, dem Koch, dem Stubenmädchen oder dem Gärtner Aufträge zu erteilen. Das hinderte sie nicht, zu sagen, dass sie »alles am Halse« habe, dass »Arbeit adelt«, dass »der Garten in Małoszyce ihr Werk« sei, dass sie »glücklicherweise ziemlich praktisch« sei. »Ich liebe es, in freien Momenten Spencer oder Fichte zu lesen«, sagte sie vollkommen aufrichtig, obgleich die Werke dieser Philosophen in den unteren Fächern der Bibliothek mit unaufgeschnittenen Seiten glänzten.

    Sehen Sie, Monsieur Dominique, sie

    Ihr imponierte das, was sie nicht war. Sie bewunderte hervorragende Ärzte, Professoren, große Denker und überhaupt »gewichtige Leute«. Ihr Ideal war der Typ einer Matrone von unverbrüchlichen Idealen und Prinzipien (katholischen), die sich der Pflicht hingab, sich der Familie opferte. Und mit welch einer heiligen Naivität identifizierte sie sich mit dem, was sie bewunderte!

    Sie war es, die mich ins Absurdum stieß, das später zu einem der wichtigsten Elemente meiner Kunst wurde.

    Wir, die Buben (wir waren drei, zwei ältere Brüder und ich, der jüngste) entdeckten frühzeitig diese ideale Gelegenheit, einander zu necken und zu reizen. Das bestand im Widersprechen, absolut allem zu widersprechen, was sie auch sagen mochte, und, natürlich, besonders mein Bruder Jerzy und ich gelangten darin zu einem außergewöhnlichen Zusammenspiel. Es genügte, dass meine Mutter sagte: »Die Sonne scheint«, und wir erwiderten mit größter Verwunderung: »Wieso, es regnet doch!«

    »Welch eine Manie, Dummheiten zu sagen!« entrüstete sie sich, doch Jerzy sagte begütigend: »Sagen wir, dass es nicht regnet, aber es könnte regnen«, und ich fügte nach einigem Nachdenken hinzu: »Nehmen wir an, dass es nicht regnet, aber wenn es anfinge zu regnen, so würde es dennoch regnen.«

    Der Sport, meine Mutter in absurde Diskussionen zu ziehen, war eine der ersten meiner künstlerischen (und dialektischen) Initiationen. Sie, meine Mutter, von tiefen und leidenschaftlichen Empfindungen, Hüterin der »Heiligkeit« sowie der »Familie, dieser Zelle der Gesellschaft«, missbilligte streng die Scheidungen, die sich wie zum Trotz in unserem Milieu häuften. Also natürlich: »Eine neue Scheidung in der Familie!« verkündigte mit Stentorstimme Jerzy, noch im Vorzimmer den Mantel ablegend. Sie antwortete nicht, einen Hinterhalt witternd. Ich ließ mich aus einem anderen Zimmer vernehmen: »Was sagst du?! Eine neue Scheidung in der Familie?! Unmöglich!« – »Aber ja, eben bin ich Tante Rosa begegnet, die mir unter strengster Diskretion gestand, dass die Henryks sich scheiden lassen werden, weil sie sich in ihren Friseur verliebt hat.« – Ich: »Na, das ist ja eine schöne Hetz!« und so weiter. Schließlich zeigte sich meine Mutter zermürbt: »Wenn die Henryksche derart zynisch ist, so wird man sie nicht mehr empfangen können!«

    »Aber warum denn?«, erwiderten wir. »Tante Elsa ist ja schon zweimal geschieden und spielt mit ihren drei Männern Bridge, sie sagt, sie bildeten eine ausgezeichnete Partie. Scheidungen haben dennoch viele gute Seiten, sie sagt, sie hätten ihren Kindern die doppelte Anzahl von Eltern gesichert …«

    Eine Diskussion über Scheidungen war mehrjährig, unaufhörlich, sie wuchs ins Riesenhafte. O göttliches Absurdum! In dieser Schule lernte ich heroische Selbstvergessenheit im Nonsens, feierliche Verbissenheit in den Unsinn, fromme Zelebrierung des Blödsinns … o Form! Die göttlichen Idiotismen meiner Kunst, die nie aufhören werden, mich zu entzücken, diese ihre Fähigkeit, Unsinnigkeiten zu einer Kette unerbittlicher Logik zu verflechten, von dorther nehmen sie in großem Maße ihren Impuls.

    Doch sie wusste nicht, welch eine ausgezeichnete Pädagogin sie war. Nichts Gesünderes, Belehrenderes, den Charakter und den Verstand Bildenderes als ihre schrecklichen Fehler. Sie war mir eine Schule der Werte. Bis zum Wahnsinn getrieben durch ihren Selbstbetrug, schärfte ich in mir das Empfinden von qualitas, der Qualität, was das Fundament jeglicher künstlerischer Arbeit ist. Die Kunst ist eben dieses: ein Auswählen der besseren Qualität, ein Wegwerfen dessen, was schlechter ist – sie stützt sich auf die strengste Hierarchie der Werte, auf eine fortwährende Wertung. Ich begann zu verstehen, was Kritizismus ist, Kühle, Distanz, Widerstand gegen die schlechten, bequemen Illusionen. Ohne eine Spur von Mitleid, ohne Liebe, mit kalter Ironie trieb ich mein Spiel mit ihr, viele Jahre hindurch.

    Sie liebte mich sehr.

    Von ihr her kommt mein Kult der Wirklichkeit. Ich halte mich für einen extremen Realisten. Eine der Hauptaufgaben meines Schreibens ist, durch die Unwirklichkeit hindurch zur Wirklichkeit zu dringen. Sie war wohl die erste Schimäre, auf die ich losstürmte.

    Zweifellos, meine Mutter war ein Produkt der Verhältnisse, die, wie die Marxisten sagen, ihr Dasein bestimmten. Und kein Wunder, dass ich durch sie ziemlich frühzeitig zu der größten Schande meiner Familie hindurchdrang: Unser Leben wurde uns erleichtert. Das Gesinde! Das Gesinde! Sie waren es, die sich am Leben rieben – uns wurden die Frikassees auf Bratenplatten serviert, wir waren Konsumenten. Die Verweichlichung der »höheren« Schicht, ihre Feinschmeckerei, Bequemlichkeit, ihr Sybaritentum, ihre Faulheit sprangen mir in die Augen wohl schon um mein zehntes Lebensjahr.

    Ein Bild, das mir in der Erinnerung blieb und immer wieder auftauchte, war dieses: ein Knecht in einer Joppe, ohne Mütze, im Regen mit meinem Bruder Janusz sprechend, der einen Mantel umhatte und unter einem Schirm stand. Prächtige Schärfe der Augen, der Wangen, des Mundes dieses Knechtes im peitschenden Regen. Schönheit.

    Doch wäre nicht »die Garde« gewesen, so wäre ich vielleicht nicht im späteren Alter derart im Niedereren versunken. Diese Garde, das waren meine Altersgenossen, Söhne von Knechten, eine Art Heer, das ich anführte. Aber sie hielten sich besser zu Pferde, sprangen besser und kletterten besser auf Bäume – ich, der Anführer, war eben der Schlechteste. Hier, bitte, ein solcher Traum aus jenen Zeiten: Małoszyce, sie, auf dem Rasen vor dem Haus, erwarten mein Erscheinen, ich aber irre im Hause umher, trete an die Fenster, betrachte sie heimlich, trete hinter die Gardine zurück, gehe von einem Zimmer ins andere, nähere mich den Fenstern, schaue … doch zu ihnen hinauszugehen vermag ich nicht!

    Das war im Ersten Weltkrieg, die Front war viermal über uns hinweggerollt, hin und zurück, ferner Geschützdonner, immer näher kommend, Feuersbrünste, fliehende Truppen, angreifende Truppen, Schießerei, Leichen am Teich – aber auch längere Standquartiere von russischen, österreichischen, deutschen Abteilungen – wir, die Buben, amüsierten uns mit dem Aufsammeln von Patronen, Bajonetten, Koppeln und Patronentaschen. Brodem von Brutalität drang aufreizend herein, obwohl mein herrschaftlicher Stand mich vor dem unmittelbaren Kontakt mit dem Kriege bewahrte.

    Ja, ich verabscheute den Salon, verehrte im Stillen die Anrichte, die Küche, den Stall, die Knechte und Mägde – welch ein Marxist war ich doch damals –, und meine frühzeitig erwachte Erotik, genährt durch den Krieg, die Gewalttätigkeit, den Soldatengesang und den Schweiß, fesselte mich an diese an harte Arbeit gewohnten und schmutzigen Körper. Das Niederere wurde für immer zu meinem Ideal. Wenn ich jemand verehrte, so war es der Geknechtete. Doch wusste ich nicht, dass ich, einen Geknechteten verehrend, zu einem Aristokraten wurde.

    Noch eine Weile werde ich reden, dann gehen wir zu einem Dialog über. Wie Sie sehen, kann ich, indem ich meine Kindheit aus der Vogelschau betrachte, in groben Umrissen gewisse Anfänge unterscheiden, sogar ein gewisses Gebiet umreißen, auf dem sich mein ganzes Leben abspielen wird. Der Kult des Absurden: Wirklichkeit – Unwirklichkeit, Niederes – Höheres, Herrschaft – Gesinde, hat sich schon damals meiner bemächtigt. Noch eines: schon damals hatte ich ein doppeltes Leben. Niemanden ließ ich an dieses Etwas in mir heran, das unklar, sonderlich war und um nichts in der Welt ans Tageslicht herauswollte. Und noch etwas: Vollkommen unfähig war ich zur Liebe. Liebe war mir für immer genommen worden, schon in aller Frühe, doch weiß ich nicht, ob deswegen, weil ich keine Form für sie zu finden vermochte, keinen eigentlichen Ausdruck, oder auch, weil ich sie nicht in mir hatte. Gab es sie nicht, oder hatte ich sie in mir erstickt? Oder hatte vielleicht die Mutter sie mir getötet?

    Auch muss man in Erwägung ziehen … denn es ist ja nicht so, dass wir uns der Vergangenheit geruhsam erinnern, in ihr herumspazieren, sie leidenschaftslos erwägen. Nein, das Jetzt, die Gegenwart ist immer aggressiv, sogar an der Neige des Lebens, und dieses jetzige Leben, umso ausgebildeter, ausgeschmiedeter, schärfer, umrissener es ist in der Fülle seiner Expression, taucht in uralte trübe Gründe, um nur das herauszufischen, was es benötigt zu einer noch besseren Vervollständigung der jetzigen Gestalt. Ich bringe mir die Vergangenheit vielleicht nicht so sehr in Erinnerung, als ich sie vielmehr verschlinge, sie mir – so, wie ich heute bin – zu eigen mache. Genug. Jetzt haben Sie das Wort. Bitte, stellen Sie Fragen.

    Tagebuch aus der Periode des Reifens

    Welche Werke sind Ihre ersten?

    Die ersten, die mich einigermaßen befriedigten, das sind Erzählungen:

    Der Tänzer des Rechtsanwalts Landt

    Memoiren des Stefan Czarniecki

    Jungfräulichkeit

    Ein Verbrechen mit Vorbedacht.

    Ich hatte sie geschrieben, als ich vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt war. Sie sind in einer Gesamtausgabe meiner Erzählungen unter dem Titel Bakakai zu finden.

    Zu schreiben versuchte ich schon von etwa dem sechzehnten Lebensjahr an. Eine quälende Disparität der Niveaus kennzeichnet diese meine Anfänge, naiv war das, ungeschickt – während ich selber schon weder naiv noch ungeschickt war. Die Feder übte Verrat an mir. Ich litt. Zur Verzweiflung gebracht, beschloss ich, etwa im zwanzigsten Lebensjahr, einen Roman zu schreiben, der bewusst »schlecht« sein sollte, ihn mit ebendem zu schreiben, was in mir schlecht, beschämend, ständig verheimlicht war. Wer weiß, ob dies nicht die kühnste von allen meinen Sachen war … und vielleicht eine wichtige. Aber ich gab sie in Maschinenschrift einer Dame zu lesen, zu der ich Vertrauen hatte, die an mich glaubte. Sie las es durch, gab mir das Maschinenmanuskript ohne ein Wort zurück und wollte mich seitdem nicht mehr sehen. Vor Bestürzung verbrannte ich das Werk. Nichts blieb davon.

    Es vergingen ein paar Jahre, und ich schrieb den Tänzer. Das schien gut zu sein, das war schon – wie ich sah – Literatur. Von da an begann ich wirklich das Schreiben zu betreiben.

    Warum ist gerade diese Art zu schreiben und nicht eine andere die Ihre geworden?

    Manchmal habe

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