Das Ziel ist Rotterdam: Mein Weg zurück nach einem Schlaganfall
Von Jürgen Lippert
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Über dieses E-Book
Der Autor schreibt sehr eindrücklich über seine Erfahrungen mit dem Schlaganfall und darüber, wie er es schaffte, ins Leben zurückzukehren. Eine wesentliche Rolle spielte dabei ein Wunschtraum: eine Radtour entlang dem Rhein nach Rotterdam.
Jürgen Lippert ist in einer Art und Weise zurückgekommen, wie es kein Arzt erwartet hätte. Er will deshalb anderen Betroffenen und deren Angehörigen an seinem Beispiel Mut machen gegen die Folgen dieser Krankheit zu kämpfen, trotz Rückschlägen nie aufzugeben und mit Hilfe einiger seiner Anregungen ein Leben mit ansprechender Qualität anzustreben.
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Buchvorschau
Das Ziel ist Rotterdam - Jürgen Lippert
Vorwort
Er kommt plötzlich, ist schmerzlos und verändert das Leben grundlegend: ein Schlaganfall. Für den Betroffenen wie auch für das nähere familiäre Umfeld. Mir und meinen Angehörigen widerfuhr dieses Ereignis gleich zweimal im Oktober 2009.
Was zunächst fast harmlos ausgesehen hatte, entpuppte sich bald als folgenschwere Krankheit. Vor allem der Schritt zurück in den Alltag erwies sich als schwierig. Nach der Reha etwa konnte mir niemand sagen, wie es mit meiner Gesundung weitergehen sollte. Die medizinische Grundversorgung reichte bei Weitem nicht aus, um wieder ins normale Leben zurückkehren zu können. Anderen Schlaganfall-Patienten erging es ähnlich. Deshalb musste ich eigene Wege suchen und finden, um meinen weiteren Genesungsprozess anzustoßen.
Mit eisernem Willen und viel Eigeninitiative ist mir dieses Vorhaben gelungen. Stück für Stück habe ich mich zurückgekämpft. Stets angetrieben von meinem noch auf der Schlaganfall-Station geäußerten Ziel, die vor meiner Krankheit unterbrochene Radtour entlang des Rheins zu Ende zu bringen. Was damals völlig unrealistisch erschien, traute ich mir schließlich knapp vier Jahre später zu: Anfang September 2013 startete ich mit meiner Frau Gitta am Kölner Dom in Richtung Rotterdam …
Die nachhaltigen Erfahrungen auf meinem Weg „zurück" lasse ich gern anderen Schlaganfall-Patienten zukommen. Ihnen will ich mit diesem Buch Mut machen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, trotz mancher Rückschläge niemals aufzugeben und möglicherweise mit Hilfe einiger meiner Anregungen ein Leben mit ansprechender Qualität anzustreben.
Mein Plan
Das Jahr 2009 sollte ein gutes Jahr für meine Familie und mich werden. So war es jedenfalls geplant. Im März wurde ich zweiundsechzig, meine Karriere als selbstständiger Projekt-Ingenieur sollte im Laufe des Jahres ausklingen. „The party is over", war ein häufiges Bonmot meines amerikanischen Kollegen Jim. So fühlte ich mich auch. Es war genug der Anstrengung. Endlich Zeit für die Familie und für mich zu haben – ein Luxus, auf den ich mich freute.
Ich war jahrelang unterwegs gewesen, oft auch im Ausland, per Flieger oder im Mietwagen. In einem Rhythmus, der mich aus heutiger Sicht schaudern lässt: Freitagabends zurück zur Familie, oft sonntags schon wieder nach Ingolstadt oder an einen anderen Ort.
Trotz all der Stressfaktoren machte mir die Arbeit stets Spaß. Nur selten fühlte ich mich ausgepowert. Bei erfolgreichen Einsätzen floss die zuvor verbrauchte Energie meist zurück, Kollegen wurden zu Freunden. Und auch körperlich befand ich mich noch in guter Form. Als Ausgleich zum Stressjob trainierte ich regelmäßig im Fitness-Studio. Meistens zweimal die Woche, ganz gleich in welchem Ort ich gerade arbeitete. Zudem ergaben die jährlichen Vorsorgeuntersuchungen nichts Beunruhigendes. Die Cholesterin-, Zucker- und Harnstoffwerte waren stets unauffällig.
Meine Frau Gitta, mit der ich seit fünfunddreißig Jahren verheiratet bin, stand stets hinter mir. Sie managte die Familie und erledigte den kaufmännischen Part in meinem kleinen Unternehmen. Die finanzielle Sicherheit, um aussteigen zu können, war unter anderem auch ihr Verdienst.
Sohn Peter lebte in Schweden, Nesthäkchen Nadja hatte nach dem Abitur mit dem Lehramts-Studium in München begonnen. Mein berufliches Karriereende schien ebenfalls wie gewünscht zu gelingen: Ein Verlag in Mainz gab mir den Auftrag, seine Logistik zu organisieren. Mit monatlich nur wenigen Tagen Einsatz in einem angenehmen Arbeitsumfeld unweit des Domes mitten in der Mainzer Altstadt. Ich war zufrieden. Mein Leben nach der Arbeit konnte im neuen Jahr beginnen. Ich freute mich darauf.
Vorboten und Warnsignale
Aber das Jahr 2009 startete, gesundheitlich gesehen, alles andere als vielversprechend. Ende Januar bekam ich Schmerzen in meinem Nacken- und Schulterbereich, die sich einfach nicht besserten. Bald konnte ich den rechten Arm nur noch mit Mühe heben. War es eine unachtsame Bewegung beim Skifahren im Spessart gewesen? Oder hatte ich mich beim Schneiden der Sträucher im Garten überanstrengt?
Unsere Freunde frotzelten: „Endlich ist es bei dir auch so weit. Wenn man in deinem Alter morgens aufsteht und es fehlt einem nichts, ist das ganz ungewöhnlich." Jeder von ihnen hatte seine Probleme. Sei es die Bandscheibe, das Knie oder eine Verspannung im Nacken. Nun hat es mich halt auch erwischt, dachte ich. Doch später war ich mir sicher, dass diese Schmerzen die ersten Vorboten gewesen waren für das, was noch kommen sollte.
Das Projekt in Mainz machte Spaß, es lief gut. Die Verlags-Mitarbeiter unterstützten mich nach Kräften. Doch die 80 Kilometer Fahrt dorthin über die viel befahrene A 3 wurde immer öfter zur Tortur: Selbst das Einlegen der Gänge bereitete mir teils erhebliche Schmerzen. Die an und für sich übliche Therapie meines Hausarztes: Quaddeln, Reizstrom sowie Diclofenac in Tablettenform – ein starkes Antirheumatikum, das bei fortschreitender Einnahme die Magenschleimhaut angreift. Mit der Anwendung von Diclofenac waren die Schmerzen für jeweils zwölf bis sechzehn Stunden erträglich. Mir ging es nicht wirklich gut.
Die Schmerzen – vor allem die Verspannung im Nacken – verschlimmerten sich zusehends. Schließlich ließ ich mich von meinem Hausarzt zum Internisten überweisen, um meinen gesundheitlichen Beschwerden endlich auf die Spur zu kommen. Dieser Internist hatte mein volles Vertrauen, denn er führte meine alljährlichen Vorsorgeuntersuchungen durch, kannte also mich und meinen Körper.
Eine Arzthelferin entnahm Blut. Dann spritzte mir der Arzt zum Lösen der Verspannungen ein Mittel in den Allerwertesten. Was mich prompt in die Knie, d. h. auf eine Behandlungsliege zwang.
Der Doktor nahm es gelassen. „Dieses Problem habe ich auch", bedauerte er, legte flugs eine Infusion aus Kochsalz und brachte eine Tasse Kaffee. Beides half mir wieder auf die Beine. Schließlich erhielt ich eine Überweisung zu einem weithin bekannten Orthopäden.
Die Besprechung des Blutbildes einige Tage später hätte mich stutzig machen sollen. „Die Auswertung des Blutzuckerwertes kann nicht stimmen, und auch die Blutsenkung hat nicht richtig funktioniert. So wurde es mir ärztlich beschieden. „Wir machen das Ganze noch einmal.
Die neuerlichen Blutwerte gab mir dann eine Arzthelferin telefonisch durch. „Blutzucker ist okay. Sie haben einen achtfachen Entzündungswert. Das ist kein Problem. Wir haben Patienten mit dem zweihundertfachen Wert. Die sind richtig krank."
Ich war also internistisch abgehandelt.
Das Jahr war bislang ganz anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt hatte. Mein Projekt in Mainz kam zwar gut voran, die gesundheitlichen Probleme sowie private Verpflichtungen wie etwa Renovierungen am Haus usw. gingen jedoch allmählich über meine Kräfte. Gitta hatte sich mit Buchhaltungskursen weitergebildet und mittlerweile eine Ganztagsbeschäftigung begonnen. Fehlte mir ihre bisherige Unterstützung? Ich wollte ihr den Spaß an der Arbeit nicht verderben und entschied mich für verstärkten Einsatz. Also optimierte ich meine Tagesabläufe. Es musste doch ein Weg aus der Misere zu finden sein. Ich musste mich einfach weniger verkrampfen.
Der empfohlene Orthopäde war recht freundlich. Er bat mich auf eine Liege, auf die ich mich nur unter Schmerzen legen konnte. Ich berichtete ihm von den langwierigen Nacken- und Schulterschmerzen sowie von undefinierbaren Beckenschmerzen, die sich in den letzten Tagen eingestellt hatten.
Er zog, drückte, drehte mich und sagte zu guter Letzt: „So einen steifen Patienten wie Sie habe ich schon lange nicht mehr gehabt."
Die Röntgenaufnahmen des Beckens ergaben nichts Auffälliges, so dass mir der Arzt empfahl: „Nehmen Sie weiter bei Bedarf die Diclofenac-Tabletten sowie zur Schonung des Magens Omeprazol. Zudem verschreibe ich Ihnen Krankengymnastik, Akupunktur sowie insgesamt sechs Infusionen."
„Was sind das für Infusionen?" Ich war skeptisch.
„Das sind Infusionen aus Cortison, Vitaminen und Entzündungshemmern, die Ihnen einmal pro Woche in meiner Praxis zugeführt werden. Ebenso die Akupunktur. Beide Behandlungen werden aber nicht von Ihrer Krankenkasse übernommen. Die müssen Sie leider selbst bezahlen. Danach dürfte es Ihnen aber wesentlich besser gehen."
Und tatsächlich: Die Akupunkturnadeln schienen die verspannten Nackenmuskeln zumindest kurzzeitig zu lockern und die wöchentlichen Infusionen versetzten mich zunächst in Hochstimmung. Die Schmerzen waren für zwei, drei Tage erträglicher geworden. Danach allerdings half mir wieder nur die Einnahme von Diclofenac, um über die Runden zu kommen. Leider verschafften mir auch die krankengymnastischen Übungen so gut wie keine Linderung.
Dann Mitte Juli eine Schrecksekunde. Ich bediente gerade den Kaffeeautomaten in der Küche, als ich plötzlich alles doppelt sah. Ich rettete mich auf die Couch im Wohnzimmer, blickte aus dem Fenster und versuchte den gegenüberliegenden Wald zu fixieren. Doch vergeblich. Die Bäume schienen in sich zusammenzustürzen. Ich schloss die Augen. Was sollte ich tun? Ich überlegte fieberhaft. Konnte ich telefonieren? Ich wartete ab. Und siehe da – nach etwa 10 Minuten war der Spuk vorüber.
Ich rief sofort meinen Internisten an und berichtete ihm von den Doppelbildern.
„Und nach 10 Minuten war alles vorbei?", fragte er.
„Ja, es dauerte ungefähr 10 Minuten."
„Sie hatten eine Migräne mit Aura. Ich überweise Sie aber trotzdem mal zum Neurologen."
Die Dame an der Rezeption des vorgeschlagenen Neurologen nannte mir einen Termin vier Monate später. Mein Internist setzte sich für mich ein und erreichte, dass ich bereits Ende August kommen durfte.
Mitte August besuchten Gitta und ich unseren Sohn Peter im schwedischen Karlstad, etwa drei Bahnstunden nördlich von Göteborg gelegen. Karlstad, das Zentrum des Värmlandes, ist nicht nur wegen seiner historischen Gebäude sehenswert, vor allem die ringsum reizvolle Seen-