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Meine persönliche Halbzeitpause: in vier Wochen zu mir selbst
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Meine persönliche Halbzeitpause: in vier Wochen zu mir selbst
eBook256 Seiten3 Stunden

Meine persönliche Halbzeitpause: in vier Wochen zu mir selbst

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Über dieses E-Book

Viele feiern ihren 40. Geburtstag ganz groß oder machen eine große Reise. Die gleiche Frage stellte ich mir 2019 im Alter von 37 Jahren ebenfalls. Meine Familie wollte mir die Entscheidung nicht abnehmen. Daher entschloss ich mich, eine bislang nie in die Tat umgesetzte Reise anzutreten. Nur mit viel mehr Lebenserfahrung und vielleicht nicht mehr ganz so viel Naivität wie in jungen Jahren.
So fand ich in vier Wochen die grundlegenden Dinge wieder in einer Reise zu mir selbst.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum25. März 2024
ISBN9783758339240
Meine persönliche Halbzeitpause: in vier Wochen zu mir selbst
Autor

Sebastian Friedlin

Sebastian Friedlin, geboren am 05.06.1982 in Tuttlingen. Er ist aufgewachsen im kleinen und beschaulichen Geisingen. 2011 zog es ihn dann der Liebe wegen nach Norddeutschland. Genauer gesagt nach Hemslingen. Dort lebt er nun mit seiner Frau und seiner 9-jährigen Tochter. Im richtigen Leben arbeitet er in Bremen als Projektleiter im Container- Handel. Seine Freizeit gehört überwiegend seiner Familie. Außerdem postet er bei Instagram unter dem Pseudonym #thekitchenofsebo allerlei Kochkünste, den er liebevoll #foodporn nennt. Nebenbei und das wissen die wenigsten, spielt er seit Kindesbeinen an Tenorhorn und ist auch in einer zusammengewürfelten Truppe immer wieder aktiv.

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    Buchvorschau

    Meine persönliche Halbzeitpause - Sebastian Friedlin

    1

    Freitag, 01.07.2022

    ca. 12 Stunden vor Abfahrt

    Was für ein Stress. Heute erst auf der Arbeit gewesen, dann einkaufen und nun packen. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mir das nicht aufgeladen. Aber nun von vorne. Der letzte Arbeitstag eines jeden ist immer nochmal stressig. Alles abarbeiten, Übergabe machen, jeden verabschieden und dann ab nach Hause. So war es auch bei mir heute. Erst noch einen Außentermin gehabt, dann im Büro alles auf Stand bringen und hoffen, dass es nicht zu spät wird. Ich habe heute vor Feierabend noch lange mit meinem Chef Frank gesprochen. Er hat mir einen schönen Urlaub gewünscht und mich für diesen Trip nochmal zusätzlich motiviert. Und ich kann mich jederzeit melden, wenn ich unterwegs Probleme bekomme oder habe. Mal sehen, ob ich das in Anspruch nehmen muss. Ich hoffe ja mal nicht. Falls doch, ist es ein sehr beruhigendes Gefühl, das zu wissen. Er meinte, dass er so einen Trip mit seinem Oldtimer machen würde. Auch eine „geile Idee. Sollten sich die Spritpreise jemals wieder in eine Richtung entwickeln, die sich auch Normalsterbliche leisten können, könnte ich mir das auch sehr gut vorstellen. Mit wem ich fahren würde, weiß ich nicht. Das große „aber an der ganzen Geschichte ist, dass ich mir sowas auch nicht leisten kann und auch nicht darf. Meine Frau hatte nämlich meine Idee, einen Opel Manta oder einen Ford Granada zu kaufen, mit ihren Argumenten genauso schnell verworfen, wie sie mir in den Sinn kam. Ich konnte seinerzeit alle Argumente, die gegen mich verwendet wurden, abschmettern. So zum Beispiel, dass das zu teuer ist, der zu viel Sprit verbraucht, die Umwelt belastet wird, zu wenig Sicherheit in dem Auto herrscht, kein Comfort, ich hätte keine Zeit mich darum zu kümmern und, und, und. Ich konnte dagegen halten, bis dann das Ass von ihr ausgespielt wurde. „Herr Friedlin (wenn sie das sagt, ist das immer kurz vor einer nicht atomaren Sprengung der Gefühlswelt), ich will keinen Autofriedhof zuhause". Schlagfertig wie ich bin, konterte ich damals, dass ich das nicht machen würde, wohlweislich, dass sie damit aber sicher Recht hätte. Wahrscheinlich würde unser Grundstück in kürzester Zeit aussehen, wie das der Ludolf-Brüder. Fazit: Idee verworfen!

    Ich fahre gerade den PC auf der Arbeit runter und bekomme dabei eine Sprachnachricht meines Kollegen Kevin. Er ist freitags nie da, weil er nebenbei noch ein Studium macht. Deshalb konnten wir uns auch nicht mehr voneinander verabschieden. Ich habe mich sehr über seine Worte gefreut, denn ich schätze ihn sehr. Wie eigentlich alle Kollegen in der Firma. Kevin ist ein sehr ruhiger Typ. Ihn sollte ich mir mal zum Vorbild nehmen und ein wenig ruhiger werden. Vielleicht bringt es ja die Reise mit sich. Er meinte in seiner Message, dass er mir viel Spass bei der Reise wünscht und ich gerne Bilder schicken kann. Er spricht da für viele, denn das haben mir Einige jetzt gesagt. Eigentlich wollte ich ein Social-distancing machen, aber ich stellte mir auf dem Heimweg die Frage, ob ich das wirklich möchte. Und genau deswegen, weil ich meinen Gedanken so nachgehangen habe, hätte ich doch fast vergessen, die letzten Besorgungen zu machen. Dazu hatte ich auch nicht wirklich Lust, aber schlussendlich müssen sie gemacht werden. Nun bin ich ja so ein Typ, der immer alles auf den letzten Drücker macht. So auch jetzt. „Wieder mal toll. Den Stress habe ich mir wieder selbst gemacht denke ich mir und biege in Sottrum auf den Parkplatz beim Edeka ein. Hier hat meine Frau mal gearbeitet. Vor 10 Jahren. So schnell vergeht die Zeit. Nix wie rein und die letzten Einkäufe erledigen. Rei in der Tube muss mit, Mundschutz, denn wir haben ja Corona. Corona! Genau das will ich bei meiner Fahrt auch ausblenden, denn man hat ja jetzt zwei Jahre lang nichts Anderes mehr gehört. Und ich will hier kein Buch darüber schreiben, sondern unbeschwert eine Reise genießen, sofern das überhaupt möglich ist. Wir werden sehen. Natürlich vergesse ich noch Zigaretten zu kaufen. Also just noch eben in den Dorfladen, in dem meine Frau arbeitet, um ihr auch prompt in die Arme zu laufen. Rei in der Tube hatte sie schon bereit gestellt. Sie denkt einfach an alles. Nach dem Kauf einer Schachtel „Reval, kommen mir wieder zwei Dinge in den Sinn. Erstens, sind die Zigaretten im Ausland natürlich günstiger als in Deutschland, zweitens wollte ich sowieso mit dem Rauchen aufhören. Mal schauen, ob mir das gelingt.

    Zuhause angekommen, werde ich schon von einem kranken Kind erwartet. Liah hat sich eine Erkältung zugezogen. Auch das noch. Und ich lasse meine Frau damit alleine. Jetzt muss ich mir jedoch selbst eingestehen, dass ich das immer getan habe all die Jahre. Bin ich ein Egoist? Sehe ich das Wesentliche nicht? Ich habe keine Ahnung. Wenn ich aber wieder nach Hause komme, werde ich mir künftig die Zeit für meine Familie nehmen, die wir brauchen. Das habe ich heute schon erkannt.

    Dann noch eben den Geschirrspüler ausgeräumt, ein paar andere Dinge erledigt und nun richte ich alles so hin, wie ich es brauche. Kulturbeutel, Rei in der Tube, Klamotten und allen möglichen Kram. Das passt ja sicher alles in den riesigen Rucksack. Ernüchterung macht sich breit, als ich merke, dass es nicht so ist. Nur, was bleibt alles zuhause? Ich beschließe, die dicke Jacke zuhause zu lassen. Es ist ja Juli und wird sicher nicht so kalt. Und schon hat alles Platz und das Ding geht zu. Es wird jetzt aber auf der Reise wohl so kommen, dass ich mit einem viel zu schweren Rucksack, ohne dicke Jacke irgendwo am Nordpol lande, dann nach hinten umfalle und wie ein Käfer auf dem Rücken liege und nicht mehr auf die Beine komme. Jeder würde das mit einer dicken Jacke überleben. Aber ich habe diese zuhause liegen lassen und erfriere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. „Die Voraussetzungen dafür habe ich ja selbst geschaffen" geht es mir durch den Kopf und ich kämpfe mit dem abnehmbaren Deckelfach, das ich gerne als Handgepäck mit in den Bus nehmen möchte. Es gibt hier auch keine Alternative und auch keinen Kompromiss. Das Ding muss ab. Aber es geht nicht. Der Verkäufer ist bewundernswert. Hatte sich beim Kauf dieses Teils enorm Zeit genommen für meine Fragen und Sprüche. Jeder andere hätte mir den Rucksack um die Ohren gehauen, dann wäre diese Reise vorbei, bevor sie angefangen hat. Er jedoch brachte eine Geduld auf, wie ich sie noch nie erlebt habe. Und er wusste genau, was ich brauche. Und nimmt auch noch ruckzuck das Deckelfach ab, das man auch als Tagesrucksack dann nehmen kann. Ich war beeindruckt. So ein Teil brauche ich und habe es dann ja auch gekauft. Und warum geht das nicht? Hat er es kaputt gemacht und mir dann verkauft? Jetzt hat der Laden allerdings schon geschlossen und ich habe nicht mal mehr die Chance mich zu beschweren oder es mir zeigen zu lassen. Ich versuche es noch ein paar Mal, um dann ernüchtert aufzugeben. Wenn man mich allerdings kennt, weiß man, dass ich nicht so schnell aufgebe. Ich hole erst mal eine Schere, zur Not schneide ich die Bänder ab, dann hab ich das Ding ab. So wird es getan. Wobei, wenn ich das tue, ist das sündhaft teure Ding kaputt.

    Also versuche ich wieder durch die mentale Hölle zu gehen und schon habe ich das Ding in der Hand. Die erste Frage, die ich mir daraufhin stelle ist, ob ich das Teil nun kaputt gemacht habe. Aber nach einer kurzen Kontrolle stelle ich fest, es ist nicht kaputt. Da habe ich ja mal wieder mehr Glück als Verstand gehabt. Nach einer weiteren Ewigkeit habe ich kapiert, wie man es wieder ran macht und auch wieder abnimmt. Ich bin ein cleveres Kerlchen. Dann ist auch mein Seelenfrieden wiederhergestellt und ich verstaue alles, um dann noch mit meiner Familie ein schnelles Abendbrot zu mir zu nehmen. Da das Kind ja kränklich ist und es die letzte Nacht zuhause ist, genehmigen wir Liah, dass sie bei uns im Bett schlafen kann. Die beiden sind schon eingeschlummert und ich hänge wieder mal meinen Gedanken nach. Mich beschleicht ein Gefühl der Zufriedenheit, meine beiden Liebsten neben mir zu haben und schlafe dann auch tief und fest ein.

    2

    Samstag, 02.07.2022

    Reisetag: Bremen-Amsterdam

    Um 3:30 Uhr klingelt der Wecker. Echt ätzend. Es ist mitten in der Nacht. Mein erster Gedanke: „Sebo, warum tust Du Dir das an?" Weil ich es so wollte und mein Traum heute losgeht. Genau deswegen.

    Also schält man sich als 40-jähriger aus dem Bett und sortiert erst mal alle Knochen. Danach geht es ins Bad. Details erspare ich mir, denn das sollte jeder selbst wissen, was man da morgens macht. Nur soviel, dass ich mir gerade die Frage stelle, warum ich gestern alles gepackt habe? Beziehungsweise den Kulturbeutel. Denn der ist ja schon im fertig gepackten Rucksack. Genau an der Stelle, wo das Schwerste hin soll. In der Mitte am Rücken. Dem Himmel sei Dank, hat das Teil so viele Öffnungen und Reißverschlüsse, dass man aus jeder Position in jeder Lebenslage an alles herankommt. Nun geht die Prozedur los. Nach einer halben Stunde bin ich fertig, trinke ein Glas lauwarmes Wasser und genieße meinen Aufwach-Tee. Es ist ein Darjeeling. Den liebe ich total. Lauwarmes Wasser regt den Kreislauf an, rede ich mir jedenfalls ein und fühle mich gut dabei. Das ist die Hauptsache.

    Mit Schwarztee habe ich mal vor geraumer Zeit angefangen, da ich wegen einer Darmerkrankung mal eine Zeit lang keinen Kaffee mehr trinken durfte. Es hat sich dann so eingebürgert und nun trinke ich jeden Morgen einen Schwarztee. Irgendwann habe ich mich für Darjeeling entschieden. Und gerade ich als Kaffee-Junkie muss sagen, das ist eine echte Alternative. Um aber vollständig aufzuwachen, brauche ich meinen morgendlichen Café Crema. Andere kippen da Milch rein, ich nehme noch einen doppelten Ristretto obendrauf. Das schockt und macht mich wach für den Tag. Ich bringe nun, bis meine Familie fertig ist und mich nach Bremen fährt, den Rucksack ins Auto. Als ich den Kofferraumdeckel schließe, erinnere ich mich wieder kurz daran, dass ich die elektrische Heckklappe damals vergessen habe zu bestellen. Da denke ich irgendwie jedes Mal daran. Kaum den Gedanken zu Ende gedacht, schießen mir gefühlte tausend Gedanken durch den Kopf. Diese reichen von „habe ich an alles gedacht über „Sebo, was machst Du hier mit der Reise bis hin zu „genau das ist das, was Du immer schon mal machen wolltest". Ich bin überwältigt, wie viele Gedanken man auf einmal haben kann. Ein bis zwei Stunden muss ich aber noch Ehemann und Vater sein, bevor ich das alles sortieren und einordnen kann. Ob ich ein guter Ehemann und Vater bin, müssen andere beurteilen. Ich hoffe es. Meine Familie kommt und die Reise geht los. Ich freue mich, dass mich die beiden nach Bremen fahren. Denn sie sind mir schon sehr wichtig.

    Die Fahrt dauert heute so ca. 50 Minuten. Meine Frau meinte gestern: „Du fährst hin, dann habe ich noch Zeit aufzuwachen". Okay. Mache ich. Wir sind alle drei keine Morgenmenschen und genießen es, am Wochenende auch mal auszuschlafen. Das hat unsere Tochter definitiv von meiner Frau und mir. Da sie ja aber noch ein wenig erkältet ist, ist sie sowieso nicht so gesprächig. Daher entwickelt sich die Autofahrt eher zu einem Monolog. Komischerweise, wie sonst üblich, nicht von mir. Nein, diesmal ist es meine Frau. Vielleicht redet sie schon für die nächsten Wochen vor, weil sie ja jetzt auf mich verzichten muss. Ich weiß es nicht. Morgens bin ich normalerweise auch nicht sonderlich gesprächig, aber durch die Tatsache, dass ich mein Morgenritual mit Wasser, Schwarztee, Kaffee und doppeltem Ristretto schon hatte, wäre ich durchaus in der Lage eine vernünftige Konversation zu führen. Aber irgendwie sehe ich mich gerade aufgrund meines Gefühlschaos nicht in der Lage eine vernünftiges Gespräch zustande zu bringen. Deshalb höre ich brav zu, was meine Frau alles bei ihrem Monolog von sich gibt. Er handelt von der Arbeit, von der Schule und allen möglichen weltpolitischen Dingen. Irgendwie kann ich sie jetzt verstehen, warum sie manchmal so genervt von mir ist. Man bekommt halt im Leben immer wieder den Spiegel vorgehalten.

    Knappe 50 Minuten und 3.472 Wörter meiner Frau später erreichen wir den Breitenweg in Bremen. Nun heißt es Abschied nehmen. Ein Abschied auf Zeit. Normalerweise sind wir es gewohnt, da ich beruflich ab und an mal unterwegs bin. Heute ist es jedoch irgendwie etwas Anderes. Was genau, kann ich, zumindest noch nicht definieren und gedanklich greifen. Jedenfalls ist es sehr emotional. Ich schnalle mir meinen viel zu großen und viel zu schweren Rucksack um und meine Frau und ich umarmen uns innig. Mich überkommt das Gefühl, ich nehme sie viel zu selten in die Arme. Vielleicht, weil ich mir einrede, sie möchte das nicht. Ich werde sie genau das fragen, wenn ich wieder zurück bin. Dann kommt ein noch emotionalerer Moment. Ich umarme meine Tochter gebe ihr auch den Abschiedkuss und habe Tränen in den Augen. Ich werde sie definitiv vermissen. Alle beide. Wenn es nicht so wäre, müsste ich lügen und es wäre definitiv falsch. Die beiden sitzen im Auto und brausen davon. Wow! Was für eine Menge an Gefühlen und Eindrücken die letzten zwei Stunden auf mich herniedergingen, ist wahnsinnig. Normalerweise heißt es, dass jeder auf so einer Reise mindestens einmal in Tränen ausbricht. Ich stehe hier im Breitenweg in Bremen unter der Brücke und mache genau das. Nicht nur, weil mir die beiden fehlen, sondern weil ich das genau jetzt brauche. Nebenbei warte ich auf meinen Bus. Als ich meine Tränen dann getrocknet habe, beschleicht mich wieder ein neues Gefühl. Ich kann es noch nicht so richtig einordnen, würde es aber als eine Mischung aus Skepsis und Vorfreude beschreiben. Genauer kann ich das leider nicht. Aber es fühlt sich gut und richtig an. Nun brauche ich erst mal eine Zigarette. Ich wollte ja mit dem Rauchen aufhören, aber definitiv nicht jetzt. Ich genieße die Zigarette irgendwie anders als sonst. Danach denke ich erst mal an nichts. Mein Bus sollte mittlerweile auch schon angekommen sein, aber lässt auf sich warten. Mittlerweile sind auch weitere Fahrgäste angekommen und wir warten gemeinsam auf die Fahrt. Nach kurzem Smalltalk mit einigen, stelle ich fest, dass viele nach Groningen wollen. Eine Station auf der Tour nach Amsterdam. Es ist schön, mit fremden Menschen zu reden. Weitere 20 Minuten und 4 Zigaretten später kommt dann auch endlich der Bus. Der Fahrer organisiert die Anmeldung mit seinem Kollegen. Alles geht recht unkompliziert. Mein Gepäck nach Amsterdam muss auf die Fahrerseite gepackt werden. Also schmeiße ich den viel zu schweren Rucksack dort rein und es fällt gefühlt wieder eine Last ab. Mein Rucksack und eine weitere Tasche liegen auf der „Amsterdam-Seite. Die anderen auf der „Groningen-Seite. Ich steige ein und finde ziemlich vorne sogar noch einen Fensterplatz, weil andere schon eine Station vorher zugestiegen sind und die meisten davon belegen. Ich sitze auf der Beifahrerseite, also der „Groningen"-Seite. Zum Glück habe ich die letzten Jahre knappe 20 Kilo abgenommen, sonst hätte der Bus vielleicht Schräglage und würde umkippen.

    Um 6:30 Uhr geht es dann los. Ich sitze im Flixbus und fahre von Bremen nach Amsterdam. Ein sehr emotionaler Moment für mich. Noch nie in meinem Leben bin ich für vier Wochen aus dem gesellschaftlichen Leben und der Arbeitswelt entflohen.

    Meine Tochter hat mir zum 40. Geburtstag einen Schlüsselanhänger geschenkt. Es ist ein Schutzengel. Diesen trage ich bei mir. Ich habe ihn mir an die Hose befestigt, damit er die Reise mit mir verbringt. Ich denke darüber nach, wie dieser Schutzengel wohl heißen mag. Einige werden mich wahrscheinlich für verrückt erklären, aber ich gebe selbst meinen Autos Namen. Weil ich meist mehr Zeit mit ihnen verbringe, als mit meiner Familie. Das mag kurios sein, aber es ist so. Ich bin beruflich viel unterwegs und auch wenn man mit der Familie unterwegs ist, ist Samantha dabei. So heißt sie. Mein Auto. Ich habe damals den Skoda Octavia gesehen und mich sofort in das Auto verliebt, wenn man das so nennen kann. Und da das Auto so schön ist, kam mir der Name Samantha in den Sinn. Vielleicht auch, weil das Auto so gut aussieht, wie Samantha Fox in Besten Tagen. Aber auch bei ihr sieht man, ohne ihr zu Nahe treten zu wollen, dass irgendwann der Lack ab ist.

    Nun aber wieder zum Wesentlichen. Ich sitze im Flixbus, habe Europa vor mir und denke darüber nach, was ich einer Metallfigur für einen Namen geben kann. Verrückt aber schön. Es ist für andere vielleicht eine Metallfigur, für mich aber ein Schutzengel, den meine Tochter für mich besorgt hat. Es steht drauf „Für Papi! Ich beschütze Dich! Ein Symbol dafür, dass sie wohl immer auf mich aufpassen wird. Und ein sehr beruhigendes Gefühl. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Liah mit ihren neun Jahren um einiges reifer ist als ich. Aber sie ist ja auch meine Tochter und die Story vom Kind im Manne kennt ja auch jeder. So wird es auch höchstwahrscheinlich bei uns sein. Mein Ein und Alles. Ich werde sie in dieser Zeit wohl sehr vermissen, aber ich weiß auch, dass sie mir zuhören wird, wenn ich ihr die Erlebnisse und Eindrücke erzähle und mich gespannt mit ihren großen, tollen Kulleraugen ansieht. Ich beneide den Jungen, der sie irgendwann mal heiratet. Sie ist ein tolles Mädchen. Facettenreich. Wenn sie so bleibt, wie sie ist, dann haben Jasmin und ich bei der Erziehung alles richtig gemacht. Wobei, niemand macht dabei alles richtig, weil es kein richtig oder falsch gibt. Sie wird ihren Weg gehen, wie ihn jeder von uns geht. Seinen eigenen Weg. Viele Menschen begleiten ihn. Manche länger, manche weniger lang. Aber der Weg ist der Eigene. Ob mein Weg bislang der Richtige war oder ist? Definitiv! Denn „I did it my way. So wie es Frank Sinatra schon besungen hat.

    Die Fahrt ist relativ ruhig und entspannt. Wir halten kurz in Oldenburg, Leer und fahren Richtung Groningen. Meistens schaue ich aus dem Fenster und höre Musik. Sebo’s Hitmix. Meine persönliche Playlist mit Musik, die mir gefällt. Es ist alles dabei, von Rock bis Pop alles aus den 50er-Jahren bis heute und auch alles was „Krach macht. AC/DC, LED Zepelin, ZZ Top, Queen usw. dürfen auf der Playlist meines Lebens nicht fehlen. Jasmin gefällt meine kleine Hitparade nicht, dafür aber Liah. Sie ist definitiv meine Tochter. Ob ihr „Sebo’s Hitmix wirklich gefällt weiß ich nicht, aber vielleicht sagt sie es auch nur, weil sie mich nicht kränken möchte. Ich schreibe ein paar WhatsApp-Nachrichten, beantworte die Facebook-Messenger-Nachrichten und widme mich dann meiner derzeit aktuellen Lieblingsbeschäftigung. Ich schaue aus dem Fenster und genieße die Landschaft. Das Wetter: Bombastischer Sonnenschein. Hätte ich diese Reise vor 20 Jahren gemacht, wäre ich wahrscheinlich vor Hitze im Bus eingegangen. Von etwaigen Gerüchen anderer Mitmenschen mal ganz abgesehen. Luxus, so zu reisen heutzutage. Aber auch technischer Fortschritt. Alles hat seine Zeit.

    Heute morgen habe ich einen Hoodie angezogen, weil es doch ein wenig frisch war. Mittlerweile sind die Temperaturen so warm, dass ich diesen auch ausziehen kann. Ein netter junger Mann sitzt neben mir. Er fährt nach Groningen. Seinen Namen kenne ich nicht. Was er dort macht, weiß ich nicht, es geht mich auch nichts an. Ich habe noch ein wenig Zeit im Bus vor mir. Jedenfalls schäle ich mich so aus dem Hoodie, weil ich ihn nicht beim Schlafen stören möchte. Es ist eine artistische Einlage. Schließlich gelingt es mir, ohne dass ich ihn aufwecke. Da kommt mir der Blitzgedanke. Ich sehe so an mir herunter und was trage ich? Genau ich trage fast immer das Selbe, mein

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