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Der rote Lotse: Augenblicke
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eBook237 Seiten3 Stunden

Der rote Lotse: Augenblicke

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Über dieses E-Book

Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist er tot. Etwas Bösartiges führt den Verstorbenen wie eine Marionette und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf.

Ein Mann mit feuerroten Haaren tötet seine Opfer auf mysteriöse Weise und haucht ihnen neues Leben ein. Er lotst die untoten Wandler zu schrecklichen Taten, um seine böse Seite zu besänftigen. Der bisherige Lebensweg des Lotsen ist mit tragischen Ereignissen gepflastert. Augenblicke der Trauer und Wut haben seine Persönlichkeit gespalten, haben das Unbarmherzige in ihm geweckt. Er wehrt sich verzweifelt gegen diese andere Macht, die von Hass erfüllt ist. Der Mann mit den übersinnlichen Kräften kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, doch er setzt alles daran, seinen zukünftigen Weg zu ebnen. Die roten Augen des Todes sind sein ständiger Begleiter.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum13. Juni 2019
ISBN9783748704744
Der rote Lotse: Augenblicke

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    Buchvorschau

    Der rote Lotse - Norbert Böseler

    Der Geisterfahrer

    Ein letzter Augenblick

    Am Ende des dunklen Weges strahlte ein helles Licht. Nach der Erlösung, stand es für Hoffnung. Verschmolzen mit der endgültigen Finsternis, hoffte man auf das ewige Licht, auf ein Leben nach dem Tod. Der Glaube daran spendete Kraft. Der Augenblick des Todes musste nicht zwangsläufig der Letzte sein.

    1

    Ungläubige Menschen wie Frank Schubert gab es zuhauf. Ihm waren Prophezeiungen jeglicher Art gleichgültig, sie interessierten ihn nicht im Geringsten. Dafür hatte er andere Sorgen. Als Lkw-Fahrer stand man ständig unter Druck. Achtzehn Jahre fuhr er jetzt, immer für die gleiche Spedition, immer dem Stress von Lieferterminen ausgesetzt, was ihm vor vier Jahren einen Herzinfarkt beschert hatte. Sein Idealgewicht hatte er schon lange vorher eingebüßt. Den Bauchansatz konnte er nicht mehr verleugnen, zudem brachte er hundertfünfzehn Kilo auf die Waage. Ein Privatleben führte er nur noch sporadisch. Eintönigkeit bestimmte seinen Tagesablauf. Für Abwechslung sorgten lediglich die Bordellbesuche, die er sich gelegentlich gönnte. Ansonsten verbrachte er viele Nächte in der Koje seines Lkw. Häufig versuchte er, dem Alltag mit Alkohol zu entfliehen.

    Vor seinem Herzinfarkt führte er ein glückliches Familienleben. Er hatte eine wunderbare Frau und einen Sohn, auf den er besonders stolz war. Durch seinen Job ging langsam alles in die Brüche. Er war selten zuhause und falls doch, spülte er seinen Frust häufig mit Alkohol herunter. Trotz wiederholter Warnungen seiner Frau, so könne es nicht weitergehen, änderte er nichts. Im Gegenteil, er beschimpfte sie und den Jungen immer öfter, meistens im betrunkenen Zustand. Geschlagen hatte er die beiden nie. Die Wochenenden verbrachte er oftmals in Bordellen, was ein großes Loch in die Haushaltskasse riss. Als eines Abends der Streit mit seiner Frau besonders schlimm wurde, wobei er sie aufs Übelste beschimpft hatte, packte sie am darauffolgenden Morgen ihre Koffer und verließ mit dem Jungen das Haus. Sie zog zu ihrer Mutter und reichte zwei Wochen später die Scheidung ein. Gut drei Monate danach gab ihm der Herzinfarkt den Rest.

    Der Krankenhausaufenthalt kam ihm wie eine Ewigkeit vor und die anschließende Reha erwies sich als kontraproduktiv. Er griff wieder zum Alkohol, der ihm Trost spendete. Ein halbes Jahr später war Schubert geschieden und saß wieder in seinem Lkw. Das kleine Häuschen wurde einvernehmlich verkauft und er mietete eine kleine Wohnung in der Stadt an, wo er meistens jedes zweite Wochenende verbrachte und sein Bier trank. Wenn er aber fuhr, war er immer nüchtern. Restalkohol am nächsten Morgen hatte er seiner Meinung nach nie.

    Auch heute fühlte er sich gut, obwohl er am vorherigen Abend wieder tief ins Glas geschaut hatte. Sein Lastzug war mit Autobatterien beladen, die er morgen Mittag beim Großhandel ausliefern sollte. Der Verkehr auf der Autobahn lief flüssig und er war gut im Zeitplan. Trotzdem musste er sich jetzt nach einem Rastplatz für die Nacht umschauen, da die Plätze üblicherweise rar gesät waren. Eine halbe Stunde später bog er auf einen Rasthof ein, den er häufiger anfuhr. Es waren noch genügend Parknischen frei und er steuerte eine nahe dem Rasthaus an. Er wollte sich erst im Waschraum frischmachen und dann ein ordentliches Abendessen zu sich nehmen. Frank, beileibe kein Kostverächter, liebte die reichhaltigen Menüs des Hauses. Er wurde auch heute nicht enttäuscht. Die schmackhafte Mahlzeit spülte er mit fünf oder sechs Glas Bier herunter und genehmigte sich als krönenden Abschluss noch einen hochprozentigen Kräuterschnaps. Als er am späten Abend das jetzt gut gefüllte Rasthaus leicht schwankend verließ, war auch der Parkplatz restlos belegt. Frank rauchte noch eine Zigarette. Es war eine sternenklare Nacht im Mai, von der eine angenehme Wärme ausging. Nachdem er ein zweites Mal die Toilette aufgesucht hatte, öffnete er die Tür des Führerhauses und stieg ein. Bis auf Unterhemd und Unterhose entkleidet, kletterte er in die Koje und deckte sich mit seinem Bettlaken zu. Es dauerte nicht lange, bis ihn der Schlaf einholte. Frank schlief einen tiefen, festen Schlaf und träumte von der gestrigen Nacht mit Nina, seiner Lieblingshure.

    Niemand bemerkte, wie gegen Mitternacht ein großer, ganz in Schwarz gekleideter Mann mit feuerroten kurzen Haaren in Franks Lkw einstieg. Der Mann öffnete die Fahrertür nicht, er stieg einfach durch sie hindurch. Auch sah niemand, wie der Mann mit den roten Haaren wenig später Franks Lkw auf gleiche Weise wieder verließ und anschließend in die Dunkelheit der Nacht verschwand. Als Frank Schubert am nächsten Morgen gegen sieben Uhr aufwachte, war er tot.

    2

    Morgenstund hat Gold im Mund, dachte sich Kai Schmelzer und stand sehr früh auf. Er musste heute zu einer Sicherheitsschulung für Bänker. Als Filialleiter einer kleinen Volksbank handelte es sich dabei für ihn um einen Pflichttermin, obwohl es bereits sein drittes Seminar im Laufe der letzten acht Jahre war. Man konnte ihm in puncto Sicherheit nicht mehr viel beibringen, außerdem war er ein Mann der Tat. Für den Fall der Fälle hatte er schon seit Jahren eine 9-mm-Beretta mit vollem 15 Schuss Magazin in seinem abschließbaren Schreibtisch liegen. Gebraucht hatte er die Pistole noch nie, aber wenn es nötig sei, würde er sie ohne zu zögern benutzen. Als Sportschütze, und dank einer umfangreichen Ausbildung bei der Bundeswehr, wusste er mit einer Waffe umzugehen. Die Schulung sollte um elf Uhr beginnen und würde bis zum späten Abend dauern. Für die Übernachtung hatte er sich ein Hotelzimmer vorbestellt, denn eine Rückfahrt bei Nacht wollte er sich nicht zumuten. Kai hatte gerade sein Frühstück beendet, als seine Frau Emma herunterkam und ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange drückte. Die beiden waren seit zehn Jahren verheiratet und hatten im letzten Jahr hölzerne Hochzeit gefeiert. Eine große Party, mit Freunden, Nachbarn und der lieben Verwandtschaft. In den zehn Jahren ihrer Ehe gebar Emma zwei Kinder, Paul und Lisa. Emma und Kai waren ein stolzes Elternpaar. Er liebte seine Familie über alles. Besonders stolz war er auf das Einfamilienhaus, welches sie vor fünf Jahren gebaut hatten. Dank seiner guten Beziehungen konnte er eine Finanzierung zu günstigen Konditionen aushandeln. Der Kredit lief noch einige Jahre, doch die Ratenzahlung stellte kein Problem dar. Emma, die auch in der Volksbank gearbeitet hatte, war, nachdem die Kinder auf der Welt waren, zuhause und ging ihrer Tätigkeit als Mutter nach, was sie ausgesprochen gerne tat.

    Die Kinder würden heute Morgen noch etwas länger schlafen können, aber Kai musste jetzt langsam los. Er wollte für die Fahrt auf der Autobahn genug Zeit einplanen, um nicht rasen zu müssen. Die kleine Reisetasche hatte er bereits gestern Abend gepackt. Er holte noch eine Jacke und war abreisebereit. Emma legte ihm unmissverständlich nahe, dass er vorsichtig sein solle, und dass sie ihn liebte. Er bestätigte dies seinerseits und gab ihr einen liebevollen Kuss. Kai Schmelzer stieg in seinen Wagen, schnallte sich an und fuhr los.

    3

    Auch Bommel war schon früh mit seinem Tanklastzug auf der Autobahn unterwegs. Bommel wurde er genannt, weil er immer eine ihm viel zu kleine Mütze mit einem Bommel trug. Er belieferte umliegende Tankstellen mit Benzin. Er fuhr fast immer die gleichen Touren und konnte demnach seine Zeit gut einteilen. Er hatte nicht den Stress, wie ihn die meisten seiner Kollegen auf der Straße verspürten. Klar, mal musste er eine oder zwei Tankstellen mehr am Tag beliefern, aber das glich sich im Laufe der Woche meistens wieder aus, wenn er mit einer anderen Tour früher fertig wurde. Zeitig aus den Federn musste er immer, da sein Tank gegen sechs Uhr befüllt wurde. Danach wurden kurz mit den Kollegen einige Neuigkeiten ausgetauscht und über Fußball diskutiert, dann ging es auch schon los. Heute hatte er eine wirklich kurze Tour zu fahren und würde, wenn alles glatt lief, zeitig zuhause sein. Das traf sich gut, da heute Abend der allmonatliche Kartenabend mit seinen Kumpels stattfand. Seit sieben Jahren war dieser Doppelkopfabend fester Bestandteil in seinem Leben. Sie spielten mit einem Einsatz von zehn Cent, tranken ein paar Bier und hatten viel Spaß miteinander. Die Gewinne gingen in eine Gemeinschaftskasse, von der sie einmal im Jahr für ein langes Wochenende wegfuhren, um noch mehr Spaß zu haben. Aber jetzt hieß es erst einmal die erste Tankstelle anzufahren und mit Benzin zu beliefern.

    Nicht weit hinter Bommel auf der Autobahn fuhr Kai Schmelzer.

    4

    Frank Schubert kratzte sich im Schritt und reckte seine maroden Glieder. Er setzte sich in der Koje auf, wobei er wie so oft mit dem Kopf am Verdeck anstieß und wütend fluchte. Er verspürte keinen Schmerz. In dem Moment, als es geschah hatte er es schon wieder vergessen. Rein äußerlich schien er völlig unversehrt zu sein, ihm war nicht anzusehen, dass in der Nacht etwas Ungewöhnliches passiert war. Schubert wusste auch nicht, dass etwas vorgefallen war. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, wie die Pupillen nicht schwarz, sondern tief dunkelrot waren, außerdem hatten seine Augen jeglichen Ausdruck verloren. Es ruhten tote Augen in seinen Höhlen, die keinerlei Gefühle mehr ausstrahlten. Der eigentliche Frank Schubert, der Lkw-Fahrer und geschiedene Ehemann mit dem Herzinfarkt, war nicht mehr seiner selbst, er war in der Nacht zuvor gestorben. Sein Körper ja, der hockte in der Koje, ein Körper ohne Seele, der nicht wusste, was er tat oder gerade getan hatte. Die Seele, die, die Frank Schubert gehörte, sein eigentliches Ich, welches für sein Handeln, seinen Charakter und seine Gefühle zuständig gewesen war, hatte sich aus dem eigentlichen Körper entfernt. Der Geist des Frank Schubert hatte die Person Frank Schubert auf unerklärliche Weise verlassen.

    Aber der wirkliche Schubert war bei ihm, ganz in der Nähe, und sah, was sein Körper tat. Er sah sich im Schritt kratzen und wie er sich den Kopf anstieß, konnte aber keinerlei Gefühle ausdrücken. Schubert hatte keinen Kontakt mehr zu seinem leibhaftigen Ebenbild. Er musste tatenlos mitansehen was dieser tat, ohne Einfluss nehmen zu können. Schuberts Geist konnte denken und nahm war, was um ihn herum geschah. Konnte die Person Frank dieses auch? Er wusste es nicht, wusste nicht, was sein Gehirn dachte, das Gehirn, welches ihm einmal gehört hatte. Und warum hatte er geflucht, als er sich den Kopf angestoßen hatte? Fühlte der Körper dennoch etwas, auch ohne seine Seele? Die Seele Schubert erlebte alles mit, da sie Frank umgab wie ein unsichtbares Schild, war aber unfähig zu handeln. Es fühlte sich so an wie ein Fahrzeug zu fahren, ohne es lenken oder bremsen zu können. Wenn es gegen einen Baum fuhr, würde man das Unheil nicht verhindern können. Schuberts Körper war zu einem führerlosen Wesen geworden.

    Schubert hörte auf, Vergleiche zu ziehen und sah als Nächstes, wie Frank aus der Koje kroch und seine Schuhe anzog. Er nahm eine Zigarettenschachtel von der Ablage, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Es war ein schöner Morgen im Frühling und für diese Zeit schon angenehm warm. Frank zündete eine Zigarette an und schaute sich um. Der Parkplatz hatte sich bereits merklich geleert. Viele Fahrer fuhren schon früh bei Dunkelheit los, um ein gutes Stück Fahrstrecke zurückzulegen, bevor der Berufsverkehr die Autobahn verstopfte. Während Frank seine Zigarette rauchte, machten sich zwei Lkw auf den Weg. Einen der Fahrer kannte er gut, oder besser hatte ihn gut gekannt. Frank warf die Zigarette achtlos weg. Nur mit weißer Feinripp-Unterwäsche und Schuhen bekleidet, machte er sich auf den Weg zum WC-Gebäude. Er ging quer über den Parkplatz, nicht auf den Gehweg, wo er möglicherweise mehreren Leuten begegnet wäre. So kam er ungesehen zum Toilettenhaus. Das Männerklo war leer als er eintrat. Er stellte sich an ein Pissoir und begann zu urinieren. Sein Urin war klar wie Wasser. Frank hatte sein Geschäft noch nicht ganz beendet, als ein ihm gut bekannter Fahrer hereinkam. Der Fahrer musterte Frank von oben bis unten.

    „Schicke Unterwäsche, Frank, sagte er mit einem Schmunzeln im Gesicht, „hast du etwa beim Strip-Poker verloren?

    Frank sah ihn nur mit seinen kalten Augen an und beendete sein Geschäft. Anschließend entlüftete er seinen Darm. Der Furz roch widerlich, so als stamme er direkt aus der Hölle.

    „Willst du mich jetzt auch noch vergasen?", schimpfte der Fahrer.

    Frank sah den Kollegen wieder mit einem bösen Blick an, sagte aber nichts. Schubert ahnte, was jetzt kommen würde, etwas, das nicht zu Franks Gewohnheiten gehörte. Schubert mobilisierte seine ganze Gedankenkraft, um das Unheil zu verhindern. Erfolglos, er erreichte Frank nicht. Frank stellte sich drohend vor seinen Kollegen und streckte sich mit dem Oberkörper nach hinten. Der Lkw-Fahrer sah noch, bevor er mit einer Kopfnuss niedergestreckt wurde, wie sich Franks Pupillen weiteten und in ein teuflisches Rot verfärbten. Frank brach ihm mit der Kopfnuss die Nase, aus der gleich Blut spritzte und sein Unterhemd besprenkelte. Dann drückte er den Kopf des Fahrers herunter, rammte mit dem Knie unter dessen Kinn und brach ihm den Unterkiefer. Der Fahrer fiel bewusstlos zu Boden.

    Später würde er Frank Schubert wegen schwerer Körperverletzung anzeigen, ohne zu wissen, was zwischenzeitlich passiert war.

    Frank verließ mit einem Grinsen im Gesicht das Toilettenhaus und ging diesmal über den Bürgersteig zurück zu seinem Lkw. Ein junges Paar kam ihm entgegen und wich angewidert über die Fahrbahn aus. Frank sah in seiner blutbespritzten Feinripp Unterwäsche auch nicht besonders einladend aus. Beim Lkw angekommen, zündete er sich wieder eine Zigarette an und ging nach hinten. Er öffnete die Verladetür des Aufliegers und stieg in den Innenraum. Frank machte sich daran die Spanngurte zu lösen, welche die Gitterboxen mit den Autobatterien auf der Ladefläche verankerten. Als er damit fertig war, stieg er wieder aus und schloss die Tür, ohne dabei den Sicherheitsbügel zu verriegeln. Sich noch einmal umschauend, stieg Frank in das Führerhaus und ließ den Motor an. Völlig entspannt mit einem Lächeln auf den Lippen verließ Frank den Rastplatz und fuhr auf die Autobahn.

    Schubert wurde immer nervöser. Er hatte wieder schlimme Vorahnungen.

    Frank fuhr vorschriftsmäßig, blieb aber nicht lange auf der Autobahn. Gleich bei der nächsten Abfahrt setze er den Blinker und lenkte den Lkw von der Autobahn herunter. An der Bundesstraße angekommen, bog er links ab, setzte aber gleich wieder den Blinker nach rechts. Frank nahm die Auffahrt, die ihn wieder auf die Autobahn brachte. Mit rot leuchtenden Augen fuhr Frank auf die Abfahrt, die in entgegengesetzter Richtung führte. So wurde Frank Schubert im wahrsten Sinne des Wortes zum Geisterfahrer.

    Schubert fuhr mit. Er kam sich vor wie in einem wahnsinnigen Alptraum. Es fühlte sich so an, als würde er in einem leeren Raum schweben, wie ein Astronaut im Weltall, nur mit dem Unterschied, dass er keine Sterne sah, sondern ein irres Monster mit roten Augen, das genauso aussah wie er. Und das Monster fuhr mit seinem Lkw Amok. Der leere Raum um ihn herum war nicht der Himmel, sondern die Hölle. Der Teufel bestrafte ihn für die Schandtaten, die er gegenüber seiner Familie begangen hatte. Schubert der Ungläubige war der festen Überzeugung, dass der Teufel ihn in einem Alptraum verbannt hatte. Er sollte für all die Schlechtigkeiten, die er in seinem Leben zuhauf begangen hatte, büßen. Schubert glaubte, der Alptraum würde erst enden, wenn er seine Sünden bereut hatte. Während Frank in falscher Richtung auf die Autobahn fuhr, betete Schubert zum ersten Mal in seinem bereits beendeten Leben zu Gott.

    5

    Bommel war guter Dinge. Die bisherige Fahrt verlief absolut reibungslos. Er kam bei fließendem Verkehr zügig voran und war voll in seinem Zeitplan. Gleich würde er an einem Rasthof vorbeikommen, wo er hätte eigentlich frühstücken wollen. Er verwarf dieses Vorhaben jedoch, um Zeit zu sparen. Er konnte besser später zu Mittag essen, nachdem er die zweite Tankstelle beliefert hatte. Die nächste Abfahrt nach dem Rasthof musste Bommel von der Autobahn runter und würde dann die Tankstellen über Bundes - und Landstraßen anfahren können. Als er am Rasthof vorbeikam, spielten sie im Radio gerade Highway to Hell von AC/DC. Gemeinsam mit Bon Scott sang er lauthals den Refrain. Er war schon lange eingefleischter Fan der australischen Band und hielt den verstorbenen Sänger Bon Scott für besser als dessen Nachfolger Brian Johnson. Bon Scott war auch nach seinem Tod immer noch ein Rockstar. Brian hingegen blieb für ewige Zeiten nur der neue Sänger von AC/DC. Bon sang ausgezeichnet, was man von Bommels Gesang nicht gerade behaupten konnte. Aber egal, hier konnte ihn niemand hören, was gut so war. Vor ihm befanden sich keine Fahrzeuge, er hatte freie Sicht. Gut gelaunt freute er sich auf den Abend. Bommel sang gerade den letzten Refrain von Highway to Hell, als er sah, was da plötzlich am Horizont auftauchte. Es war groß und kam mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zugerast. Bommel blieb der letzte Vers des Songs im Halse stecken, dann schaltete er die Warnblinkanlage ein, und wusste gleich, dass er am heutigen Abend keine Kartenrunde mehr spielen würde. Höchstens mit Bon Scott im Himmel.

    6

    Frank hatte in seinem vorherigen Leben nie sehr viel Glück gehabt, aber dies schien sich in seinem jetzigen Zustand geändert zu haben. Als er die A1 in falscher Richtung auffuhr, kamen ihm zwei Pkw entgegen und rauschten hupend an ihm vorbei. Sein Glücksfall war jedoch schon in Sichtweite. Ein großer Tanklastzug, wahrscheinlich, wie er hoffte, mit Benzin befüllt. Das Rot in Franks Augen wurde immer intensiver. Sie leuchteten wie überempfindliche Augen bei einer falsch belichteten Blitzlichtfotografie. Frank drückte das Gaspedal soweit es ging nach unten und sah, wie der Tanklaster nach links auf die Überholspur wechselte. Frank zog seinen Lkw nach rechts, sodass er wieder direkt auf ihn zufuhr.

    Schubert schrie, schrie so laut er konnte in die endlose Leere hinein, fand aber kein Gehör. Frank war für ihn unerreichbar. Für Schubert war es die größte Strafe, zu sehen, was sich vor ihm anbahnte, ohne in irgendeiner Weise eingreifen zu können. Er hoffte, dass seine eigenen Schreie ihn aus dem schrecklichen Traum weckten, der sich vor seinen Augen vollzog. So schrie und betete Schubert zugleich. Was Frank ganz offensichtlich vorhatte, war der Wahnsinn. Er würde auch andere Menschen gefährden, wahrscheinlich sogar mit in den Tod reißen. Und was würde mit ihm und Frank geschehen? Würden sie auch sterben, diesmal endgültig, und würden sie Schmerzen verspüren? Schubert sah den Tanklastzug immer näherkommen und schrie weiter.

    Frank fühlte nichts, er befand sich im Rausch des Todes. Er wusste zwar, was er tat, nur nicht warum. Seine Wahrnehmung wurde von fremder Hand geleitet. Es fühlte sich an,

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