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Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans: Ein historischer Roman
Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans: Ein historischer Roman
Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans: Ein historischer Roman
eBook368 Seiten4 Stunden

Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans: Ein historischer Roman

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Über dieses E-Book

Der Krieg ist niemals gerecht; Glück und Leid liegen nah beieinander.

Yanas Mann wurde wegen des Verdachts auf Spionage hingerichtet und die Existenz des Kaffeehauses der Familie steht auf dem Spiel. Die Kaffeesiederin begibt sich auf eine gefährliche und abenteuerliche Reise in den Orient, um dort einen Kaffeelieferanten zu finden. Mehr als einmal kommt sie nur knapp mit dem Leben davon und zu allem Überfluss scheint ihr Freund und Begleiter nicht der zu sein, für den er sich ausgibt.

Als auch noch der Sultan Gefallen an ihr findet und Yana sich unglücklich verliebt, rückt die Heimkehr nach Wien in weite Ferne.

Ein aufrüttelnder historischer Roman, erzählt während des großen Türkenkrieges (1683-1699) in Europa. Eine Reise in die Zeit unserer Ahnen – für Jung und Alt.

 

„Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans" ist die Fortsetzung von "Die Kaffeesiederin im Reich des Kaisers".

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum28. Feb. 2020
ISBN9783748730590
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    Buchvorschau

    Die Kaffeesiederin im Reich des Sultans - Mia Mazur

    Prolog

    November 1687, Konstantinopel

    Süleymann saß auf dem mit bunten Kissen ausgelegten Diwan und trank mit Honig gesüßten Kaffee. Ein ganz besonderer Genuss, den er sich nur selten gönnte, war doch das belebende Getränk nicht gern gesehen beim Sultan. Er ließ seinen Blick über den grünen, mit Buchsbäumen umsäumten Hof des Kafes, des Prinzengefängnisses, gleiten. Das Grün verbarg nur mehr schlecht als recht die hohen, grauen Mauern des Harems, den er seit sechsundvierzig Jahren sein Zuhause nannte.

    Nur aus Erzählungen wusste er um die Schönheit Konstantinopels, seiner Heimatstadt. In seinen Träumen stellte er sich das Glitzern der Sonne in den Meereswogen vor, die Lieblichkeit der Rosengärten und Parks. Doch er selbst hatte die Mauern des Topkapi-Palastes niemals verlassen. Dies erlaubte Sultan Mehmed nicht.

    Süleymann fiel es schwer, sich den Sultan, seinen Bruder, vorzustellen, wie er einst selbst das Kafes bewohnt haben musste. Sein Bruder war nur wenige Monate älter als er selbst und bereits in seinem sechsten Lebensjahr zum Sultan ernannt worden. Er konnte sich kaum noch an ihn erinnern.

    Obschon er sich ab und an wünschte, die Mauern seines Zuhauses überwinden zu können, so hätte er um nichts in der Welt mit dem Sultan tauschen wollen.

    Der Prinz fuhr sich über seinen vollen, allmählich ergrauten Bart und runzelte verwirrt die Stirn. Lautes Stimmengewirr drang von den Straßen durch die Tore des Kafes. Unruhig rutschte Süleymann auf dem Diwan hin und her. Seit Tagen herrschten große Unruhen in den Straßen der Hauptstadt. Er hatte von Mordanschlägen auf Sultan Mehmed gehört. Auch seine Konkubinen und Eunuchen verhielten sich in letzter Zeit sonderbar. Süleymann ahnte, warum. Sie hatten Angst vor der Zukunft. Eine mehr als berechtigte Besorgnis. Allah allein wusste, wie sehr sich Süleymann davor fürchtete, für die Putschversuche von seinem Bruder zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch beim Allmächtigen – er hatte fürwahr nichts damit zu tun! Der Sultan würde ihm indessen keinen Glauben schenken, so viel war gewiss.

    Die Stimmen vor den Toren wurden lauter. Der Prinz überlegte, ob es nicht besser wäre, sich in seine privaten Gemächer zurückzuziehen. Da wurden die Türen zum Hof aufgerissen und ein ganzer Trupp von Soldaten und edel gekleideten Herren stürmten in den Kafes.

    Süleymann fuhr hoch und ließ vor Schreck seine messingbeschlagene Kaffeetasse fallen. Die braune Brühe spritzte über das bodenlange, weiße Gewand des Prinzen und hinterließ dunkle Flecken auf den Kissen des Diwans. Polternd und klirrend rollte die Tasse über den Terrassenboden unter dem schattenspendenden Baldachin.

    Süleymanns erster Gedanke war, sich in seinen Gemächern zu verstecken. Aber in dem Moment besann er sich eines Besseren. Er war immerhin ein Prinz! Und eines wusste er nur zu gut: Seine Mutter hätte ihm ein ungebührliches Verhalten niemals verziehen.

    Also riss er sich zusammen, straffte die Schultern und blickte dem edel gekleideten Mann vor ihm direkt in die Augen. Er betete zu Allah, dieser möge seine Furcht nicht bemerken. „Schickt Euch mein Bruder?", begehrte er in Erfahrung zu bringen und hoffte, das Zittern in seiner Stimme würde niemandem auffallen.

    Der Mann, flankiert von fünf bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, schaute Süleymann mit einer Mischung aus Verblüffung und Abneigung an. Plötzlich senkte er demütig den Kopf und sprach mit klarer, lauter Stimme, sodass es für jeden Prinzen im Kafes hörbar war: „Ich bin gekommen, um euch über die Absetzung eures Bruders Mehmed dem Vierten in Kenntnis zu setzen."

    Süleymann starrte den fremden Mann mit offenem Mund an. Was sollte er darauf schon erwidern? Hatte man ihn etwa gar umgebracht? Oder war ein erneuter Putsch verantwortlich für die Absetzung seines Bruders?

    Prompt fuhr der Mann fort: „Es ist mir eine Ehre, Euch mittzuteilen, dass Ihr, Süleymann, der neue Sultan seid!"

    Unruhig verlagerte Süleymann sein Gewicht von einem auf den anderen Fuß, doch er sagte nichts. Dies konnte nur ein übler Scherz sein!

    Der Mann schnipste mit seinem Finger und Süleymann zuckte verschreckt zusammen. Einer der Soldaten kam auf Süleymann zu, der hastig zurückwich. Das war eine List! Eine üble Farce seines Bruders! Die Soldaten würden ihn bestimmt umbringen.

    „Fasst mich nicht an!", herrschte er den Soldaten an, der sich ihm näherte.

    Der Edelmann trat nun ebenfalls einen Schritt heran und runzelte brüskiert die Stirn. „Mein Prinz, seid versichert, dass Euch niemand etwas zuleide tun will. Dies", er wies auf das blaue Kleidungsstück in des Soldaten Händen, „ist der Kaftan des Sultans. Es gebührt nun Euch, ihn zu tragen." Und dann tat der Mann etwas, was Süleymann nicht in seinen kühnsten Träumen erwägt hätte – er verneigte sich mit der Stirn bis auf den kalten Marmorboden und zollte ihm den Respekt, der ihm von Geburt an gebührte.

    „Schnell!, stieß Süleymann um sich blickend hervor. Er griff hastig nach dem blau-goldenen Kleidungsstück. „Bringt mich von hier fort! Er fasste den Mann grob beim Arm und zog ihn auf die Füße. „Rasch! Bringt mich von hier weg, und tragt Sorge, dass keiner meiner Brüder und Neffen herauskommt! Sonst werden sie mich ganz bestimmt töten!", wisperte er bestürzt.

    Der Edelmann deutete erneut eine demütige Verneigung an. „Wie Ihr wünscht, mein Gebieter."

    Kapitel 1 – 10. November 1688

    Wien

    Mustafa betrat wie jeden Morgen als Erster das Blaue Flascherl, das Kaffeehaus der armenischen Familie Theodat. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er über den Postboteneingang in die Küche gelangte und ihm vertrauter Kaffeeduft entgegenschlug.

    Doch plötzlich beschlich den Türken ein merkwürdiges Gefühl. Etwas stimmte hier nicht! Vorsichtig öffnete er die Tür zum Schankraum. Kalter Wind schlug ihm entgegen und ließ den Kriegsgefangenen frösteln. Mustafas Herz schlug schneller, als er das Chaos im Schankraum erblickte. 

    Eine Böe trug das Laub und den Dreck der Straßen in die Stube. Die Tische und Stühle lagen zertrümmert auf dem mit Scherben bedeckten Steinboden. Mustafa ballte die Hände zu Fäusten. Der Anblick der eingeschlagenen Butzenscheiben schnürte ihm die Kehle zu und er kämpfte gegen den brodelnden Zorn in seiner Brust. Das hatte die Frau Kaffeesiederin nicht verdient! Wäre er noch ein Krieger der osmanischen Armee gewesen, so hätte er seinem Zorn freien Lauf gelassen, hätte all diese ungläubigen Schweine niedergeschlagen, die es wagten, der Frau Kaffeesiederin so etwas anzutun. Doch jetzt war er ein Sklave, der sich beherrschen und unterordnen musste.

    Er atmete tief ein und trat weiter in die Schankstube des Kaffeehauses. Bei jedem Schritt knirschten die Scherben unter seinen Schuhen und schnitten sich dabei tief in seine Seele.

    Er hob einen der umgekippten Stühle auf und versuchte überfordert, Ordnung in das Chaos zu bringen.

    Ein erstickter Aufschrei ließ den Türken herumfahren. Die junge Frau Kaffeesiederin stand in der Tür zur Schankstube und hielt sich mit vor Schreck geweiteten Augen die Hände vor den Mund. Wie versteinert stand sie da und starrte auf das, was vom Blauen Flascherl noch übrig geblieben war.

    Hinter ihr trat Osman ein, derbe, türkische Flüche auf den Lippen. Auch Osman war ein türkischer Kriegsgefangener, den Areg Theodat noch vor seinem Tod eingestellt hatte.

    Mustafa räumte die Scherben der Butzenfenster beiseite und beobachtete seinen Freund Osman, der sich verlegen an die Frau Kaffeesiederin wandte.

    Tapfer wischte sich die Frau die Tränen aus den Augenwinkeln und rang um Fassung.

    „Ich werde Bretter besorgen, meinte Osman befangen und deutete zu den zerstörten Fenstern. „Es könnte jeden Moment der Winter einbrechen.

    Die Frau Kaffeesiederin nickte und kämpfte sichtlich mit der Verzweiflung. „Tu das." Sie schluckte heftig und mit hörbarem Beben in der Stimme sagte sie pragmatisch, er solle den Tischler auch gleich fragen, wie lange es denn dauern würde, die Fenster zu reparieren.

    Osman nickte und war bereits auf dem Weg in Richtung Ausgang, als er nochmals innehielt und ihre Herrin mit traurigen Augen ansah. „Tut mir leid für Ihren Verlust, Frau Kaffeesiederin. Ich wünschte, ich wäre früher hier gewesen und hätte diese Taugenichtse erwischt!"

    Die Frau Kaffeesiederin schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Schon gut, Osman. Dich trifft ganz bestimmt keine Schuld."

    Der Türke verließ das Blaue Flascherl und ließ Mustafa mit der Frau allein zurück. Die Frau Kaffeesiederin band ihre schwarzen, langen Haare zu einem Zopf und setzte sich wie gewöhnlich die graue Haube auf. Mustafa betrachtete fasziniert das Aussehen der jungen Frau. Die Form ihrer Augen und die breiten Wangenknochen musste sie von ihrer türkischen Mutter geerbt haben. Die Farbe ihrer Haut und die blauen, wassertiefen Augen stammten jedoch deutlich von ihrem Vater.

    In diesem Moment rauschte Gohar, eine verhärmte, allseits ungeliebte Theodat, in den Raum. Sie trug noch immer Schwarz, nicht gewillt, den Ausdruck der Trauer um ihren Sohn, den ehemaligen Besitzer des Kaffeehauses, abzulegen. Auch sie starrte mit Entsetzen auf die zerstörte Einrichtung des Blauen Flascherls. Mit ihrer knorrigen Hand umfasste sie das Kruzifix an ihrem Hals und bekreuzigte sich sogleich vor ihrem Gott. Mit tiefer Zornesfalte auf der Stirn wandte sie sich jäh an die junge Frau an ihrer Seite.

    „Yana, fauchte sie. „Ich verstehe ja, dass dir das Schicksal des Volkes deiner Mutter am Herzen liegt. Sie deutete missbilligend auf Mustafa, der sich darum bemühte, möglichst beschäftigt zu wirken, und fuhr fort: „Aber du siehst ja selbst, was für Auswirkungen diese Kindereien auf unser aller Leben haben! Sie holte tief Luft und baute sich vor Yana zu voller Größe auf. Ihre dürren, knorrigen Finger krallten sich in deren Arm. „Ich bitte dich, sprach Gohar bedrohlich leise. „Um Aregs willen, belass es dabei!"

    Das war keine Bitte. Das war ein Befehl und Mustafa konnte sich nur zu gut vorstellen, was für ein Gezeter die Frau veranstalten würde, sollte es die Frau Kaffeesiederin wagen, sich ihr entgegenzusetzen.

    Über das Gesicht der Kaffeesiederin huschte ein Ausdruck des Schmerzes – bei der Erwähnung ihres verstorbenen Gatten. Doch deren Schwiegermutter schien dies nicht zu bemerken. „Du und Areg, ihr konntet schon vielen Männern und Frauen dabei helfen, eine gute Anstellung zu erhalten, fuhr Gohar ungerührt weiter. „Und Kardinal Kollonitsch wird bestimmt weiterhin alles in seiner Macht Stehende tun, um die Kinder zu ihren türkischen Müttern zurückzuführen. Ihre Lippen kräuselten sich. „Aber diese Familie verkraftet keine weiteren Angriffe!"

    Die Frau Kaffeesiederin blickte wehmütig auf das, was vom Kaffeehaus übrig geblieben war. In einer verzweifelten Geste fuhr sie sich über das Gesicht. „Du hast recht, Gohar. Es tut mir leid, dass ich das Wohl der Familie hintangestellt habe." Unvermittelt zog sie ihre Schwiegermutter in die Arme, was Gohar überraschenderweise zuließ.

    Mustafa entschied, dass dies der Moment war, um sich unauffällig aus dem Staub zu machen. Gut möglich, dass Yanas Anstrengungen, den Türken zu helfen, den Wienern nicht gefiel und sie ihr deshalb das Leben schwer machten. Aber dieser Übergriff – da war sich Mustafa sicher –, da steckte womöglich mehr dahinter.

    ***

    Mustafa beobachtete aus einiger Entfernung das rege Treiben im Blauen Flascherl. Die Nachbarn halfen tatkräftig beim Wideraufbau mit, schleppten gar Tische und Stühle heran, damit der Wiedereröffnung nichts mehr im Wege stand.

    Sogar der Bürgermeister brachte mithilfe eines Dieners einen mit Samt bezogenen Stuhl vorbei und wünschte der Kaffeesiederin alles Gute. Verächtlich spie Mustafa auf den feuchten Boden vor dem Schankhaus. Hätte der gute Mann nur bei der Hinrichtung Areg Theodats genauso viel Interesse und Mitgefühl gezeigt! Doch niemand hatte den Theodats geholfen, als es darum ging, den Kaffeehausbesitzer zu begnadigen. Mustafa war sich sicher, dass mehr hinter der Verurteilung und Hinrichtung des jungen Theodats steckte.

    Areg und dessen Onkel Johannes hatten für das Wohl der Protestanten in Eperjes, in Ungarn, gekämpft. Sie hatten verlangt, dass den willkürlichen Hinrichtungen dieser unschuldigen Menschen Einhalt geboten würde. Die obrigkeitlichen Gewalten hatten sie des Verrats bezichtigt. Johannes konnte flüchten, doch Areg, sein Neffe, wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. Eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, unter der hauptsächlich die Frau Kaffeesiederin zu leiden hatte.

    Es dauerte lange, bis Mustafa seine Wut so weit im Griff hatte, dass er das Blaue Flascherl wieder betreten konnte. Die Sonne war bereits untergegangen, die fleißigen Helfer längst nach Hause verschwunden. Nur Georg Kolschitzky, ein alter Freund der Familie, war noch geblieben und wischte den letzten Staub von den Tischen. Froh, dass ihm niemand Beachtung schenkte, verschwand Mustafa in der Küche, setzte Wasser auf und stellte zwei Tassen auf ein silbernes Tablett. Hier, in Wien, machte er nur selten Kaffee. Meist war dies Aufgabe der Köchin oder die Frau Kaffeesiederin kümmerte sich darum. Für Mustafa war diese seltene Gelegenheit eine liebevolle Erinnerung an seine türkische Heimat und seine Familie. Er schüttete den frisch gemahlenen Kaffee in das Ibrik, ein langstieliges Kännchen aus Kupfer, und gab einen halben Löffel Honig dazu. Dann füllte er das Ibrik mit Wasser, stellte es aufs Feuer und wartete. Es dauerte nicht lange, bis der Kaffee seinen süßlich-herben Duft verströmte. Mustafa sah vor seinem geistigen Auge seine Mutter, seine große Schwester und deren Kinder vor sich. Er hörte das laute Lachen seiner kleinen Neffen und er sah das zufriedene Lächeln seines Vaters, der die beiden bei ihrem wilden Spiel beobachtete. „Mustafa", hörte er die sanfte, besorgte Stimme seiner Mutter. „Mustafa, mein Junge. Pass auf dich auf! Und komm gesund wieder zu uns nach Hause, ja?" Er fühlte ihre kalten Hände auf seinem Gesicht, ihre warmen Lippen auf seiner Stirn und kämpfte gegen die Tränen der Sehnsucht an.

    Traurig rieb er sich das Gesicht trocken, nahm die Kanne vom Herd und füllte das duftende Gebräu in eine Tasse.

    Er sog den Duft in sich auf und das Bild seiner kleinen Schwester Maliha tauchte vor ihm auf: Maliha, der kleine, quirlige Augenstern der Familie. Mustafa sah ihre schwarzen Locken auf und ab hüpfen, hörte das helle Klingen der Glöckchen an ihren Röcken, wenn sie für die Familie tanzte und mit ihrer Lebensfreude jeden ansteckte. Er verlor sich in den schönen, unbekümmerten Erinnerungen, doch er nahm auch die dunklen Ringe unter Malihas Augen wahr, die tränennassen Wangen und ihr verzweifeltes Flehen, er möge, Inshallah, gesund zu ihr zurückkehren.

    Ärgerlich trank Mustafa den erkalteten Kaffee in einem Zug aus. Er brauchte dringend frische Luft! Eilig schritt er durch den Schankraum, um das Lokal zu verlassen. Als er jedoch Georg Kolschitzky und die Frau Kaffeesiederin draußen vor dem Eingang im Schein der flackernden Straßenlaternen stehen sah, hielt er inne.

    Kolschitzky kaufte einem Jungen eine Zeitung ab.

    „Etwas für die Bildung", hörte Mustafa den Mann sagen.

    Georg lupfte seinen Hut zum Abschied. Mustafa wollte bereits die Schankstube verlassen, doch die Frau Kaffeesiederin riss dem verdatterten Georg das Extrablatt aus den Händen.

    „Was ist denn geschehen?", fragte Kolschitzky brüskiert.

    Doch die Frau reagierte nicht. Wie gebannt stierte sie auf die Zeitung. Mustafa hörte ihr ersticktes „Nein", als ihr die Zeitung auch schon entglitt.

    Langsam machte sich Mustafa Sorgen um die Frau Kaffeesiederin.

    „Nein!", hörte er erneut deren erstickte Stimme. Er beobachtete, wie sie in die Knie sank, und wäre am liebsten zu Hilfe geeilt, doch er hielt sich zurück. Georg fing die Kaffeesiederin auf, versuchte sie aufzurichten, doch sie fiel völlig in sich zusammen. Er hielt sie fest und zog sie in das Kaffeehaus, flüsterte der schluchzenden Frau in seinen Armen beruhigende Worte zu. Mustafa eilte zurück in die Küche, er wollte nicht dabei entdeckt werden, wie er lauschte. Doch er konnte nicht anders, als die Tür zum Schankraum einen Spalt weit zu öffnen und mitanzusehen, was hier vor sich ging.

    „Alles wird gut", hörte er Georg weiter auf die schluchzende Frau einreden.

    Plötzlich schrie sie wie ein verwundetes Tier auf und Georg ließ sie erschrocken los. Wie eine wild gewordene Furie fegte sie die Kaffeetassen vom Tisch. Doch Georg packte sie, zog sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.

    „Ich bin für dich da, murmelte er leise in ihr Haar. „Ich lass dich nicht allein.

    Mustafa hatte genug gesehen. Mit einem Kloß im Hals wandte er sich ab und begab sich in seine Kammer. Er verstand nicht, was sich da zwischen Georg und Yana zugetragen hatte. Doch es tat ihm leid, die Frau Kaffeesiederin unglücklich zu sehen. Sie war eine gute Frau, behandelte ihn und Osman wie ebenbürtige Menschen und nicht wie ein Stück Vieh, aus dem es so viel Profit wie möglich herauszuholen galt. Mustafa hätte ihr ein bisschen Glück im Leben gewünscht. Aber das Kismet, das Schicksal, war ein launischer Gefährte.

    Adrianopel

    Matthes’ Kopf schmerzte fürchterlich. Er versuchte die Augen zu öffnen, er wollte sehen, was die merkwürdig klingenden Worte um ihn herum zu bedeuten hatten.

    Seine Lider flatterten vor Anstrengung, das Licht blendete ihn, schmerzte in seinen Augen. Stöhnend schloss er sie wieder.

    Er wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, aber seine Kehle fühlte sich ausgedörrt an. Er leckte sich über die spröden Lippen und versuchte sich aufzusetzen. Der Schmerz, der dabei seinen ganzen Körper durchzuckte, war überwältigend. Am liebsten hätte er laut geschrien, stattdessen kam lediglich ein klägliches Krächzen aus seiner Kehle.

    Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Zuerst sanft, doch dann drückte sie fester zu. Diesmal schrie er aus Leibeskräften. Der unerträgliche Schmerz beherrschte seinen ganzen Verstand.

    Sakin!" Die Stimme an seinem Ohr war viel zu laut! Warum fuhr der Mann ihn so harsch an?

    Matthes stöhnte erschöpft, als der Peiniger ihn freigab und der Schmerz ein wenig nachließ. Flatternd öffnete er die Augen. Er sah alles matt und verschwommen, grelles Licht blendete ihn. Ganz langsam hob er den Arm, um sich vor dem Licht zu schützen. Wieder durchzuckte seine Glieder eine Welle des Schmerzes. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf die Gestalt des fremden Mannes, der über ihn gebeugt dastand. Etwas Weißes befand sich in dessen Hand. Da fühlte Matthes, wie etwas um sein Bein gebunden wurde. Allmählich klärte sich seine Sicht und er musterte den Fremden genauer. Mit Entsetzen registrierte er dessen helles, bodenlanges Gewand und die merkwürdige Kopfbedeckung. Ein Türke!, begriff er und die Angst fuhr ihm sogleich durch Mark und Bein. Ihm wurde kalt und heiß zugleich.

    Der Türke hielt in seiner Arbeit plötzlich inne und schaute ihm ausdruckslos ins Gesicht. Matthes zitterte am ganzen Leib, als er das Messer in dessen Hand erblickte. Der Mann sprach irgendetwas auf Türkisch, was Matthes nicht verstand, doch es klang diesmal ruhiger, barmherziger als zuvor.

    Der Türke schnitt mit seinem Messer den Verband in seiner Hand ab und Matthes’ Herzschlag beruhigte sich. Der Mann hatte anscheinen nicht vor, ihn umzubringen. Aber warum behandelte ein Türke seine Verletzungen? Wo war er? Was war geschehen?

    Er kramte in seinen Erinnerungen nach einer Erklärung für seine Lage. Aber das Nachdenken strengte ihn zu sehr an. Erschöpft schloss er die Augen und fiel in einen Dämmerschlaf, der bizarre Bilder hervorrief. Nur am Rande bekam Matthes mit, wie ihm eine bittere Flüssigkeit eingeflößt wurde. Er fühlte die tastenden Hände auf seinem Körper, registrierte, wie er aufgehoben und weggetragen wurde, aber er hatte keine Kraft, um sich dagegen zu wehren. Die lauten Stimmen um ihn herum machten ihm Angst. Er sagte nichts. Er wollte schlafen. Einfach nur schlafen.

    ***

    Sultan Süleymanns Beine baumelten über den Rand der mit goldenem Polster ausgelegten Bühne des Thronsaales. Er blickte gelangweilt über die Köpfe der von Siebenbürgen abkommandierten Delegation.

    Süleymann nickte und sogleich packten zwei seiner Diener den Fürsten Thököly bei den Ärmeln seines dunkelroten Gewandes und stießen ihn vor dem Sultan zu Boden. Der Kammerdiener kam hinzu und hielt dem ungarischen Fürsten Süleymanns Rockärmel entgegen. Gehorsam küsste Thököly den Zipfel und zollte damit dem Sultan den gebührenden Respekt.

    Thököly wurde zur Seite gestellt und die Diener des kräftig gebauten Fürsten breiteten den Tribut vor dem Sultan aus.

    „Fünf lebendige Widder, einen geschlachteten Ochsen, Brot in Körben, zwölf junge Hühner und Wachskerzen", fasste der Hofschreiber zusammen.

    Süleymann gab ein missbilligendes Schnauben von sich. Dieser Thököly war zu nichts zu gebrauchen!

    „Habe ich Euch nicht mit Männern nach Siebenbürgen entsandt, damit Ihr mir deren Gold und Silber bringt? Damit Ihr die Grenzen des osmanischen Reiches nach Norden sichert und ausdehnt?"

    Angespanntes Schweigen herrschte in dem düsteren, mit persischen Teppichen ausgelegten Raum.

    „Stattdessen, fuhr der Sultan mit gepresster Stimme fort, „bringt Ihr mir Brot und Fleisch. Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und hallte unangenehm von den Wänden wider.

    Süleymann ballte die Hände zu Fäusten und blitzte den Fürsten bedrohlich an.

    Thököly nestelte unruhig an seiner edlen Kleidung und fuhr sich über den gezwirbelten Schnurrbart. Er war noch jung, der Fürst von Oberungarn. Dennoch hatte er in seinem kurzen Leben viele Schlachten geschlagen. Viele hatte er gewonnen, doch genauso viele verloren.

    Der Sultan erhob sich vom Diwan und reckte stolz das Kinn. Mit nunmehr ruhiger Stimme fuhr er fort: „Ich weiß um Eure Fähigkeiten, Thököly. Ihr habt Euer Können mehr als einmal unter Beweis gestellt. Doch allmählich beschleichen mich Zweifel, ob Ihr überhaupt siegen wollt?"

    Süleymann beobachtete die heftig pumpende Halsschlagader des Fürsten. Er war nervös. Irgendetwas verheimlichte der Mann!

    „Meine Geduld ist am Ende", beschied der Sultan.

    „Mein Herrscher!, begehrte der Fürst sogleich auf. „Es ist nicht meine Schuld, dass wir die Schlacht verloren haben! Das schlechte Wetter, der Mangel an Nahrung und … „Schweigt!, schrie der Sultan den Mann an. „Ausflüchte! Nichts als Ausreden!

    Thököly erbleichte und fiel auf die Knie. „Ich flehe Euch an! Gebt mir eine letzte Chance, um es diesen Bastarden zurückzuzahlen!"

    Der Sultan knurrte. „Dies war bereits das zweite Mal, dass ich Euch dorthin geschickt habe! Und erneut habt Ihr versagt! Mit einer energischen Geste wies er seine Soldaten an, den in Ungnade gefallenen Mann zu ergreifen. „Die Gefangenschaft ist Euch ja nichts Neues, Thököly, meinte Süleymann verächtlich grinsend. „Ihr steht unter Arrest, bis Eure Dienste wieder in Anspruch genommen werden."

    Der Fürst tat Anstalten, erneut Einwände zu erheben, doch der Sultan betrachtete ihn mit solch verächtlichem Blick, dass er sogleich verstummte.

    „Schafft ihn mir aus den Augen!", schrie Süleymann ungehalten. Die Soldaten packten den Mann und führten ihn aus dem Raum.

    Der Sultan holte tief Luft und setzte sich wieder auf seine Kissen. Dies würde ein langer Tag werden, dachte er frustriert. Viel lieber hätte er sich mit seinen Weibern vergnügt oder der Jagd gefrönt. Stattdessen musste er hier sitzen und sich die Anliegen der Bittsteller anhören. Oh wie war ihm das Regieren ein Graus! Auch noch nach einem Jahr, nach seiner Inthronisierung, wurde es nicht besser. Er verfluchte die Janitscharen dafür, dass sie seinen Bruder abgesetzt hatten, der nun hier in Adrianopel im alten Sarai in Haft saß. Auch wenn er es niemals zugegeben hätte, Süleymann fürchtete sich vor einem Vergeltungsschlag Mehmeds. Viel mehr noch vonseiten dessen rachsüchtiger Frau Emetullah, die nur zu gern ihren ältesten Sohn Mustafa, der in Konstantinopel im Kafes lebte, auf dem Thron gesehen hätte.

    Der Sultan blickte auf die mit Rubinen und Diamanten besetzten Fingerringe an seiner Hand. Seine Mundwinkel zuckten. Es hatte ja durchaus auch Vorteile, das Leben eines Sultans. Der Palast im Winterquartier in Adrianopel war bei Weitem nicht so reich ausgeschmückt wie der Yeni Sarai in Konstantinopel. Doch da er hier nur die Wintermonate überbrückte, die er die meiste Zeit ohnehin auf der Jagd und auf Festbanketten zubrachte, sah er großzügig über den fehlenden Glanz seiner Behausung hinweg.

    In diesem Moment übernahm Pascha Mustafa, einer der drei Wesire, die heute zugegen waren, das Wort und riss den Sultan aus seinen Gedanken.

    „Mein Herrscher, es gilt nun, einen der Gefangenen von der Schlacht bei Belgrad zu verhören. Er deutete auf die Soldaten, die soeben einen Mann in den Raum schleiften und vor den Sultan zerrten. „Er trug die Kleidung eines preußischen Generals, als man ihn gefangen nahm, erläuterte der Wesir.

    Süleymann betrachtete den Preußen interessiert. Man hatte ihn in ein weißes, osmanisches Hemd gehüllt. Kraftlos hing der Mann in den Armen der beiden Soldaten, die ihn flankierten. Als er keine Anstalten machte, sich zu regen, warfen sie ihn auf den Boden und zwangen ihn in die Knie. Der Gefangene stöhnte schmerzerfüllt auf. Beinahe verspürte Süleymann Mitleid mit ihm. Er sah zum Erbarmen aus. So schwach, wie er offensichtlich war, drohte keine Gefahr von dem ehemaligen Kriegsmann. Dieser Umstand machte den Sultan mutiger, sodass er sich von seinem Diwan erhob und auf den knienden Mann zuging. Nun erkannte er die Schweißperlen auf des Preußen Stirn, sah die vielen Verletzungen, das Blut, das die Bandagen und das Hemd nässte.

    Der Sultan wandte seinen Blick von dem gebrochenen Mann ab und schaute seinen Großwesir an. „Pascha Mustafa. Sagt, habt Ihr diesen Mann gefangen genommen?"

    Der Wesir, ein schlanker, großgewachsener Mann im selben Alter des Sultans, trat einen Schritt vor und verneigte sich. „Ja, mein Herrscher", antwortete er demütig.

    „Weshalb wurde er noch nicht verhört?", verlangte der Sultan gereizt zu wissen.

    „Der Gefangene war schwer verwundet, mein Herrscher. Er war bis heute nicht ansprechbar. Und seine Mitgefangenen konnten oder wollten ihn nicht identifizieren."

    Süleymann verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Preußen mit zusammengezogenen Brauen.

    Der Mann schaffte es kaum, die Augen offen zu halten, sein Kopf kippte immer wieder kraftlos nach vorn.

    „Spricht er unsere Sprache?", wollte Süleymann von den Soldaten, die den Gefangenen noch immer stützten, wissen.

    Der Dienstältere senkte den Blick und antwortete: „Nein, mein Gebieter. Er scheint unsere Befehle nicht zu verstehen und redet nur in der Sprache des Kaisers."

    „Dann holt den Dragoman!", bellte der Sultan durch die Halle.

    Matthes befürchtete, die Besinnung zu verlieren. Er fühlte sich so elend, so schwach. Aber er zwang sich, einigermaßen aufrecht vor dem Sultan zu knien. Obschon er die Worte, die der Herrscher mit seinen Untergebenen wechselte, nicht verstand, so war er sich bewusst, dass diese Worte über sein Leben entscheiden konnten.

    Ein edel gekleideter, hellhäutiger Mann

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