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DER ANTICHRIST: Der Klassiker des Okkult-Horrors!
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eBook329 Seiten4 Stunden

DER ANTICHRIST: Der Klassiker des Okkult-Horrors!

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Über dieses E-Book

Adriana Brevenger war auf die abgelegene Insel gekommen, um sich von dem Schock des gewaltsamen Todes ihrer Eltern zu erholen. Die anderen Gäste auf Revillion Manor hießen sie mit offenen Armen willkommen und wollten ihr das Gefühl geben, zu Hause zu sein – und dies vielleicht ein wenig zu eifrig. Adriana wurde nachdenklich. Überwältigt von der Fürsorge der anderen Gäste, spürte sie eine geheimnisvolle Absicht hinter den Diensten ihrer unglaublich attraktiven Begleiter, die alle das Geheimnis der ewigen Jugend und Schönheit entdeckt zu haben schienen. Und als Adriana der entsetzlichen Wahrheit schließlich ins Antlitz blickte, gab es keinen Ausweg mehr, gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte, kein Entkommen und keine Möglichkeit, ihre unsterbliche Seele zu retten...

Der Roman Der Antichrist von John Tigges – ein Klassiker des modernen Okkult-Horrors – erschien erstmals im Jahr 1985. Der Apex-Verlag veröffentlicht den Roman des Kult-Autors als deutsche Erstveröffentlichung in seiner Reihe APEX HORROR, ins Deutsche übersetzt von Dr. Frank Roßnagel.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum8. Mai 2020
ISBN9783748740018
DER ANTICHRIST: Der Klassiker des Okkult-Horrors!

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    Buchvorschau

    DER ANTICHRIST - John Tigges

    Das Buch

    Adriana Brevenger war auf die abgelegene Insel gekommen, um sich von dem Schock des gewaltsamen Todes ihrer Eltern zu erholen. Die anderen Gäste auf Revillion Manor hießen sie mit offenen Armen willkommen und wollten ihr das Gefühl geben, zu Hause zu sein – und dies vielleicht ein wenig zu eifrig. Adriana wurde nachdenklich. Überwältigt von der Fürsorge der anderen Gäste, spürte sie eine geheimnisvolle Absicht hinter den Diensten ihrer unglaublich attraktiven Begleiter, die alle das Geheimnis der ewigen Jugend und Schönheit entdeckt zu haben schienen. Und als Adriana der entsetzlichen Wahrheit schließlich ins Antlitz blickte, gab es keinen Ausweg mehr, gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte, kein Entkommen und keine Möglichkeit, ihre unsterbliche Seele zu retten...

    Der Roman Der Antichrist von John Tigges – ein Klassiker des modernen Okkult-Horrors – erschien erstmals im Jahr 1985. Der Apex-Verlag veröffentlicht den Roman des Kult-Autors als deutsche Erstveröffentlichung in seiner Reihe APEX HORROR, ins Deutsche übersetzt von Dr. Frank Roßnagel.

    DER ANTICHRIST

    Julie und Tracy gewidmet

      Prolog

    »Und sein Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule...«

    - 1. Mose 19:26

    ...die Asche steigt auf... wie der Rauch aus einem Ofen.

    1. Oktober 1984

    Eine tief hängende und sehr dunkle Wolke verdeckte die Sterne und überschattete das große viktorianische Herrenhaus in dem Tal, in dem es sich zu verstecken schien. Umgeben von einer unterbrochenen Hügelkette schirmte ein hervorstehender Kamm es mit den dazugehörigen Nebengebäuden von der Außenwelt ab. Nur hoch aus der Luft oder im dem Tal selbst konnte das Haus mit seinem Nebengelass entdeckt werden, und da die Insel abseits der normalen Routen der Seeschiffe lag, waren das alte Herrenhaus und seine Geheimnisse so sicher, als befänden sie sich auf einem fernen Planeten.

    Tief im Inneren des Hauses regte sich das Leben, als der Besitzer und Herr der Insel seinen geheimnisvollen Verpflichtungen nachging.

    Das tanzende Licht von vier flackernden Kerzen spiegelte sich auf dem glänzenden hageren Gesicht des Mannes, der vor dem schwarzen Marmoraltar in der Mitte des Raumes stand. Die Ausläufer des schwachen Lichtscheins schienen sich in den tintenschwarzen Vorhängen festzuklammern, die die Wände der kleinen Kapelle auskleideten, während von dem spiegelglatten Boden wenig oder gar kein Licht reflektiert wurde. Die Gestalt bewegte sich etwas nach links und zündete er eine weitere Kerze an. Das Geräusch seiner Schritte, das Kratzen des Streichholzes, löste sich schnell wieder in der stygischen Dunkelheit um ihn herum auf, während der Schwefelgeruch in der Luft hing und sich mit dem schweren Geruch von brennendem Kerzenwachs vermischte.

    Er wandte dem Altar schließlich den Rücken zu, sank auf die Knie und arbeitete sich die fünf Stufen hinunter, beugte sich weiter vor, bis sein Kopf den kühlen Boden berührte.

    Er streckte beide Arme im rechten Winkel aus und stöhnte: »Oh, Herr und Meister der Finsternis, hör mich an! Komm zu mir. Dein Dir ergebener Sklave erfleht dein Kommen. Hilf mir in Stunde meiner größten Sehnsucht. Ich diene dir mit jeder Faser meines Körpers und mit meinem Geist. Hilf mir, Meister! Hilf mir!« Der Klang seiner Stimme verflüchtigte sich in der darauf folgenden Stille, während ein leises aber inbrünstiges Schluchzen und Stöhnen seinen Körper durchschüttelten.

    Nachdem einige Minuten vergangen waren, erhob er sich wieder und wankte mit seinen dünnen Beinen zu dem Tisch auf dem Podest. Ein weiteres Streichholz wurde entflammt und an fünf Holzkohlestücke gehalten, deren schwefelhaltige Ränder sofort Feuer fingen. Als die im Boden des Weihrauchgefäßes liegenden Stücke verkohlt waren und von einer  grauweißen Schicht überzogen, besprengte er die Kohlereste aus einem goldenen Gefäß mit etwas Weihrauch. Der berauschende, duftende Rauch stieg auf  und um seinen Kopf herum weiter nach oben, bevor er mit der Dunkelheit eins zu werden schien. Er hob das Weihrauchgefäß, um ihm weiteren Weihrauch zu entlocken. Der subtile Geruch von Moder und Schimmel, der im ganzen Haus verbreitet war, sich aber vor allem in den unteren Stockwerken bemerkbar machte, vermischte sich mit dem des Weihrauchs.

    Ekstatisch, in der Hoffnung, das sein Flehen erhört wurde, stand der Mann gerade, bewegungslos, die Augen fest geschlossen, in sich hinein lauschend, während er auf ein Zeichen wartete. Wenn der Rauch nicht weiter aufstieg und stattdessen schwer zu Boden fiel, war das ein gutes Zeichen, dass das Flehen an die Herrn der Unterwelt erhört werden würde. Aber er wollte viel mehr. Er wollte Kontakt mit dem Fürsten der Finsternis selbst aufnehmen. Würde dieses Gebet – konnte dieses Gebet erhört werden?

    In der Ferne hörte er etwas. Ein leises, fast unscheinbares sehr kurzes Geräusch... Nichts. Es war doch nichts gewesen. Nichts! Höchstwahrscheinlich nur ein Streich seiner Einbildung. Doch das winzige Geräusch wiederholte sich schließlich. Es war tatsächlich da...

    Aus der Leere, in der er Leben erweckt zu haben schien, wuchs der Klang, schwoll zu einem tiefen Rumpeln an, bevor er sich zu einer monströsen, krachenden Explosion aufblähte. Die Einschläge steigerten sich zu einem rollenden, kakophonischen Windrauschen, das den alten Mann zuerst in die Knie zwang, seinen Rücken verbog und ihn zwang, bei den Stufen wieder nach unten zum Boden zu blicken. Selbst als er verzweifelt versuchte, sich an einer der Stufen dagegen zu stemmen, wurde er von dem plötzlichen Sturm in dem düsteren Raum mit dem Altar über die scharfen Kanten der Stufen hin und her geschleudert.

    Sein dünner Körper erlitt Prellungen, doch er war sich in seinem Rausch der Schmerzen nicht bewusst. Tränen liefen über seine Wange, aus seinem Mund kam ein leises anhaltendes Stöhnen. Er dankte den Herren.

    So plötzlich alles begonnen hatte, so heftig es auch gewesen war, der Wind hörte ohne Übergang ganz plötzlich wieder auf. Totenstille. Es gab kein anderes Geräusch als seinen eigenen schweren Atem, der sein wie wild schlagendes Herz in seiner Brust begleitete. Er kämpfte sich mühsam auf die Füße und schlurfte über die Stufen zum marmornen Altar.

    Er fühlte sich ein wenig seltsam, betäubt, befriedigt, aber nicht zur Gänze glücklich. Als er neben der schwarzen Marmorplatte stand, atmete er tief durch. Noch einen Schritt. Etwas war noch zu tun und dann war der »Gottesdienst« beendet. Das Licht der flackernden Kerzen reflektierte sich stumpf von einem Geschirrtopf, der nahe der Rückseite des Altars stand. Er öffnete den Reißverschluss seiner Hose, zog seinen Penis hervor und griff nach dem Behälter vor sich. Er entleerte seine Blase, wobei der Urinstrahl geräuschvoll plätscherte. Nachdem er seinen Hosenschlitz zugezogen hatte, nahm er einen goldenen Becher und tauchte ihn in den Topf.

    »Oh, Satan, kaiserliche Majestät der Unterwelt, Oberhaupt aller rebellierenden Geister«, flüsterte er, »ich bitte dich, mir bei dieser Zeremonie, die ich gleich zu deiner Ehre vollziehen werde, einen Gefallen zu tun. Gewähre mir die Ehre deiner Anwesenheit, damit ich, dein demütiger Sklave, dir auf jede erdenkliche Weise dienen kann, die du befiehlst.«

    Er näherte sich wieder den fünf Kerzen, wobei er jede lange genug fixierte, um Teile seines Urins aus der Tasse über die Flammen zu träufeln und sie nacheinander zu löschen.

    »Komm zu mir, mächtiger Satan! Befiehl mir! Ich folge Dir überall hin – ich bin allein nur dein!«

    Als die Flamme der letzten Kerze in einem wütenden Zischen in sich zusammenfiel, erstarben seine Worte sofort, wie absorbiert von den schweren Stoffen, mit denen die Wände behangen waren. Die Stille passte zur rabenschwarzen Finsternis, beide übten einen gleichermaßen einengenden Griff auf ihn aus.

    »Ich habe euch aus euren Domänen herbeigerufen – Feuer, Rauch, Wind, Wasser und... Dunkelheit! Herr – komm zu mir, ich bitte dich untertänigst um deine Anwesenheit.« Seine Lippen bewegten sich kaum, als er das letzte Bittgebet beendete.

    Ein neuer Klang begann wie ein Flüstern, das aus seinem eigenen Kopf zu kommen schien. Das monotone und körperlose Raunen, nicht mehr als eine Andeutung des dunklen Raumes, der sich um ihn herum drängte, machte es unmöglich, festzustellen, aus welcher Richtung die nicht unterscheidbaren Wortfetzen kamen. Als er erkannte, dass er nicht verstehen konnte, was gesagt wurde, versuchte er, sich noch stärker darauf zu konzentrieren, aber die Geräusche selbst zogen ihn nur auf, verspotteten ihn, forderten ihn auf, das Gesagte endlich zu unterscheiden. Er wollte sich nicht ablenken lassen, lauschte der Stimme, so gut er konnte, und versuchte verzweifelt, die Bedeutung der Laute zu verstehen, sie zu verinnerlichen und zu begreifen.

    Konnte er es wagen zu sprechen? Den Meister zu bitten, lauter und deutlicher zu sprechen?

    »ICH BIN SATAN!«

    Die Worte schossen durch seinen Kopf, hinaus in den Raum, prallten von den Vorhängen ab, zurück zum Altar und schleuderten den Mann wie eine Feder umher und rangen ihn schließlich zu Boden.

    Der flackernde Kerzenschein auf dem Altar erlosch.

    Im Dunkeln kriechend und tastend, rief er laut, aber mit bebender Stimme: »Meister! Befiehl mir!«

    »Diener! Du  hast dich gut geschlagen. Ich habe einen Plan, den du für mich ausführen wirst. Es gibt einen Wunsch – einen, der meinen Plan, der vor langer Zeit vereitelt wurde, endlich erfüllen wird. Durch dich beabsichtige ich, das eine Wesen hervorzubringen, das letztlich die Erde regieren wird. Du, Olda, wirst für diese Aufgabe mein Instrument sein. Durch gewisse Manipulationen in der Vergangenheit ist es mir gelungen, eine Schlampe von den Diensten ihres Gottes zu befreien. Sie hat inzwischen geheiratet und hat eine junge Sau. Ich will das junge Flittchen. Sie wird ihrer Lieben beraubt werden, und diese Tragödie wird sie mehr als nur auf mich vorbereiten. Du wirst bei ihr liegen, aber mein Samen wird es sein, der sie schwängern wird. Ihr Kind wird der Antichrist sein, der mir bisher verweigert wurde. Ein Versagen wird es dieses Mal nicht geben und auch keinen Widerstand gegen meinen Plan!«

    Der Mann hielt seinen Kopf, als die Stimme in seinem Schädel nachhallte und dabei Schockwellen durch seinen schlaksigen Körper schickte. Woher kam die Stimme? Waren die Worte nur in seinem Kopf? Er konnte ihre Quelle nicht bestimmen. Als die Stimme endete, bemerkte er plötzlich, dass er den Atem angehalten hatte und jetzt erst atmete er laut aus.

    Verwirrt von der eindringlichen Botschaft, wagte er eine Frage: »Warum... warum haben Sie bis heute gewartet, Meister?«

    Ein Heulen durchdrang die Düsternis, wütete und peinigte die Ohren des Mannes. Doch nach und nach verstummten die quälenden Geräusche.

    »Weil ich seinen Sohn in der Wüste in Versuchung geführt habe, erlaubt er mir nur in seltenen Fällen, frei zu handeln. Es gibt nur wenige Menschen, die mich anrufen und alle achtundzwanzig Jahre mit mir in einen geistigen Dialog treten können. Wenn jemand eine Seele verflucht und möchte, dass ich sie beanspruche, muss ich warten, bis die Zeit gekommen ist. Er gewährt mir einen Moment, in dem ich die Kontrolle habe, gerade lange genug, um Seelen für meine Armee zu gewinnen, aber nur für eine kurze Zeit... einmal in jeder Lebensspanne seines Sohnes.«

    Die letzten Worte wurden mit spürbar giftigem Hass ausgestoßen.

    »Alle dreiunddreißig Jahre?«, fragte der Mann leise.

    »Du erinnerst dich gut an die biblische Geschichte, Sklave!«

    Im Raum wurde es wieder still. Der Mann konzentrierte sich auf die Worte, die er gerade gehört hatte, und überdachte sie einige Augenblicke lang in seinem Kopf.

    Satan hatte einen Zyklus von 28 Jahren beschrieben und selbst auf die Differenz zur Lebensspanne Jesu und 33 Jahren verwiesen. Als er merkte, dass seine Antwort nicht mit der ihm vorgelegten Theorie übereinstimmte, sagte er schüchtern: »Aber...«

    »Du hast bemerkt, das es da eine Diskrepanz gibt. Doch muss ich dich daran erinnern, dass ich seinen Sohn vor seinem Tod in Versuchung geführt habe.  Jahre, Monate, Tage und Stunden. Nicht alles ist überliefert – doch stelle mich NICHT in Frage! Die Zeit ist JETZT! Stelle mich niemals wieder in Frage!«

    Der Mann flüsterte mit zitternder Stimme: » Natürlich, Meister. Sagt mir, was ich tun muss, Meister«.

    »Du wirst wissen, was zu tun ist, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Du hast die gleiche Hilfe, die du deinem Großvater gegeben hast. Dann gibt es diejenigen, die dir folgen und an mich glauben. Sie werden auch bei diesem glorreichen Unterfangen helfen. Dieses Mal wird es kein Versagen geben! Niemals!«

    »Ihr Name, Meister! Sag mir ihren Namen!«, flehte der Mann.

    »Pass auf die Vorderseite des Altars auf!«, befahl die Stimme donnernd, die gleichzeitig schnell zu einem rauen Flüstern verebbte, bevor sie aufhörte zu existieren.

    Der Mann tastete in der stygischen Schwärze nach dem Tisch, aber bevor er ihn berührte, drang ein anderer, neuer Klang in die Kapelle ein. Ein laut zischendes Geräusch, nicht unähnlich der Holzkohle, als sie mit seinem Urin benetzt worden war, aber viel lauter, erfüllte seine Ohren und drang bis in sein Gehirn vor. Er fiel zurück, seine Augen weiteten sich im Dunkeln, als er ein funkelndes Licht sah, das sich am Rand des Altars entlang bewegte und die Buchstaben A-D-R-I-A-N-A B-R-E-V-E-N-G-E-R in den Marmor brannte. Nachdem er den letzten Buchstaben geformt hatte, verschwand das Licht und die Geräusche verstummten zu einer erdrückenden Stille.

    Nachdem einige Minuten vergangen waren, flüsterte er in die Dunkelheit: »Meister? Oh, Meister...« Seine Stimme verkümmerte zu einem leisen Wimmern aus, als er erkannte, dass er wieder allein war.

    Er stand auf, stolperte er durch den Raum und griff nach dem Altar. Als seine Fingerspitzen über den kalten Marmor strichen, biss er sich auf die Lippen, um der unnatürliche Kälte, welche durch seine Fingerspitzen zu spüren war, trotzen zu können. Vorsichtig suchte er nach einer der Kerzen, ohne den eisigen Marmor zu berühren, und er ergriff sie, als seine Hand sie endlich streifte. Er tastete nach weiteren Streichhölzern und zündete eine an, als er sie fand. Die kleine Flamme flackerte auf, während er sie am Docht berührte. Die einzelne Flamme versuchte schwach, den Raum zu erleuchten.

    Er zog ein Taschentuch aus seinem Umhang und wischte sich die verschwitzte Stirn. Mit zitternden Händen griff er nach dem Altarrand, ohne sich dieses Mal der unangenehmen Kälte bewusst zu sein. Er hatte es getan. Er hatte es tatsächlich getan! Er gehörte zu Satan, genau wie sein Großvater – nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Er hatte tatsächlich mit seinem Herrn und Meister gesprochen! Er sollte das Instrument des Fürsten der Finsternis sein!

    Sein Herz pochte noch immer sehr schnell. Er versuchte, in gleichmäßig kontrollierten Zügen zu atmen, den Körper wieder unter Kontrolle, bewegte er sich schweigend auf die Tür zu und hielt die flackernde Kerze vor sich. Geduld. Er würde Geduld haben müssen. Er wusste, dass er den Meister nicht enttäuschen durfte. Geduld war unerlässlich, bis er beginnen konnte. Aber wann genau? Wie lange musste er warten?

    Ein zaghaftes Lächeln ging über seine dünnen Lippen. Trotz seines aufkeimenden Gefühls einer leichten Erheiterung fühlte er sich schwach, benutzt und verbraucht. Viel Schlaf, und er wäre bereit, sich auf den Plan des Meisters vorzubereiten. Satan, sein Herr, hatte gesagt, dass er, wenn die Zeit käme, wissen würde, was zu tun sei. Wie konnte das sein? Wie würde er erkennen, was zu tun sein sollte? Der Meister hatte gesagt, dass die anderen, die ihn von Zeit zu Zeit auf der Insel besuchten, ebenfalls willige Helfer sein würden.

    Als er die Tür erreichte, drehte er sich um und schaute zurück in den dunklen kalten Schlund der Kapelle. Auf der anderen Seite des Raumes leuchteten die Buchstaben, die den Namen der auserwählten Frau buchstabierten, frostig und schwankten von Weißblau zu Feuerrot, während sich die Temperatur in der Kapelle merklich erwärmte.

    Er fragte sich, wer Adriana Brevenger sein könnte. Was hatte der Meister für sie geplant? Als er sich an die Worte erinnerte: Du wirst bei ihr liegen, aber ich werde sie schwängern, lächelte er diabolisch – einige Tropfen Speichel sickerten durch seine zusammengekniffenen Lippen.

    Mit der Zeit würde er Adriana Brevenger gut kennenlernen. Dessen war er sich sehr sicher.

      Erster Teil: DIE SCHULD DER ADRIANA BREVENGER

    31. Oktober 1984

    Die Homecoming Week am Claremont College war später als üblich angesetzt worden, und während die Tage noch recht warm waren, wurde es in den Nächten schon sehr kühl. Die meisten der Bäume auf dem Campus waren durch Wind und Regen ihrer herbstlichen Blätterpracht inzwischen beraubt und standen mit kahlen Ästen und schienen auf den kommenden Wintereinbruch zu warten. Die Homecoming Week brachte auch die traditionellen Schikanen für die Erstsemester mit sich, und obwohl der Regentenrat in der Vergangenheit oft versucht hatte, sie zu verbieten, reagierten die Ehemaligen immer wieder auf das Plädoyer des Präsidenten für Tradition und Kontinuität und drohten mit dem Entzug finanzieller Unterstützung, sollte die Praxis jemals aufgegeben werden. Infolgedessen wurde auch 1984 von der Abschlussklasse des Claremont College die neu eintretende Erstsemesterklasse mit Stunts und absurden Regeln und der Androhung schrecklicher Vergeltungsmaßnahmen belästigt, falls irgendwelche Befehle oder Anweisungen missachtet würden. In der Nacht von Halloween waren die meisten Fenster in der Hudson Residence Hall unbeleuchtet, mit Ausnahme der Fenster am Ende der Gänge. Die Schlafräume selbst waren dunkel, aber in mindestens einem der Räume regte sich reichlich Aktivität. Die Tradition des Erzählens von Geistergeschichten auf Halloween hatte irgendwann in ferner Vergangenheit begonnen, und da die Heimkehr in diesem Jahr so spät war, wurde sie in die angedachten Schikanen für die Erstsemester mit einbezogen.

    Die Regeln waren einfach. Die Erstsemester mussten eine wahre Geistergeschichte erzählen oder die Konsequenzen tragen, Konsequenzen, die unerwähnt blieben und nur als die ultimative Strafe bezeichnet wurden, was auch immer das sein mochte.

    An einem Fenster im obersten Stockwerk der Hudson Hall war schwacher Lichtschein zu bemerken. Im Inneren leuchtete eine einzelne Kerze, deren Flamme auf dem winzigen Docht wippte, und die Gesichter der jungen Leute nur schwach erhellte. Sie saßen in der Mitte des Schlafsaals im Kreis. Der Raum war voll mit Studenten, die auf den Betten lagen, im Schneidersitz auf dem Boden saßen oder überall dort standen, wo gerade Platz war, und das Flüstern im Raum verstummte, als ein junger Mann, auf den sich alle Aufmerksamkeit richtete, endlich weiter sprach.

    »Am nächsten Morgen fanden sie den Mann, sein kohlrabenschwarzes Haar war über Nacht schlohweiß geworden, von dem was er dort erlebt hatte«, flüsterte er, wobei seine Stimme zum Ende ins Nichts abrutschte.

    Ein kollektiver Seufzer erfüllte die Luft.

    »Wow«, sagte Peggy O'Connor und brach damit das Schweigen. »Ist das wirklich eine wahre Geschichte?«

    »So wahr mir Gott helfe«, sagte Will Sturgis, der Geschichtenerzähler, und hielt seine rechte Hand in einer spöttischen Geste hoch. »Das ist genau so geschehen, wie mein Vater sie mir selbst erzählt hatte. Ich glaube nicht, das mein alter Herr gelogen oder die Wahrheit auch nur verbogen hat.«

    »Wer ist der Nächste?«, fragte Ramsey Flint, die Gastgeberin der nächtlichen Sitzung. »Komm schon. Alle Erstsemester in diesem Gebäude müssen uns heute Nacht Angst einjagen.«

    Niemand sagte etwas, alle schauten sich an und erwarteten, das jemand von den anderen den Anfang machte. So ging es mehrere Minuten lang.

    »Ich habe eine wahre Geschichte«, sagte das Mädchen von der Tür aus, die zum Flur führte.

    »Wer spricht da?«, fragte Ramsey und blickte zu der schattenhaften Gestalt im Türrahmen.

    »Ich. Adriana Brevenger. Vom Zimmer am anderen Ende des Flurs.«

    »Komm rein, Addy. Du wirst der also die Letzte sein. Rutscht beiseite, damit sie in der Mitte des Raumes stehen kann. Dann kann sie jeder sehen und hören.« Ramsey wedelte mit den Armen. »Nun macht schon...«

    Will Sturgis stand auf, und das von der Tür eingerahmte Mädchen trat vom Flur aus tiefer in den Raum. Sie bewegte sich anmutig durch die Menge, wobei sie darauf achtete, niemandes Hände, Beine oder Füße zu berühren. Als sie die Mitte des Raumes erreichte, den Will für sie gefordert hatte, setzte sie sich hin und schlug ihre langen, wohlgeformten Beine übereinander. Ihr kupferfarbenes Haar schien im gedämpften Licht kleine rote und goldene Funken zu verströmen.

    »Denke daran, Addy«, sagte Ramsey leise und versuchte, ominös zu klingen, »die Geschichte muss wahr sein. Wenn wir jemals herausfinden, dass ein Geschichtenerzähler uns ein Märchen untergeschoben hat, werden wir uns irgendwie rächen«.

    Gutmütiges Kichern und Flüstern  ging durch den Raum.

    Adriana starrte in die Kerzenflamme, ihre Lippen zu einem leichten Schmollmund verzogen. Sollte sie die wahre Geschichte tatsächlich erzählen? Vielleicht sollte sie sich etwas anderes ausdenken als das, was sie zu erzählen geplant hatte. Würde es für jemanden einen Unterschied machen, wenn sie eine erfundene Geschichte erzählen würde, die sie früher einmal gehört hatte? Sicher, Ramsey bestand darauf, dass die Geschichten alle wahr sollten, aber war das nicht nur ein Lippenbekenntnis, das die neu hinzukommenden Erstsemester ein wenig frustrieren sollte? Schikane war auf dem College-Campus nicht wirklich weit verbreitet, außer in den Studentenverbindungen, die diese Tradition weiter aufrechterhielten. Und bis jetzt hatte Adriana diese antiquierte Praxis des Claremont College als Spaß empfunden – nicht als gefährlich, wie ihr die älteren Semester in ihrem Wohnheim glauben machen wollten. Tatsächlich hatte sie es bislang genossen, mit Ramsey und einigen anderen  Studenten in ein Restaurant in die Stadt zu gehen und so zu tun, als wäre sie gerade ausgeraubt worden und hätte kein Geld, um das Essen dort bezahlen zu können.

    Wenn sie dann um etwas zu essen oder ein Glas Wasser baten, mussten sie sich das Lachen verkneifen, wenn sie in die betroffenen Mienen der Kleinstadtbewohner blickten.

    Es gab noch andere verrückte Streiche, die die Erstsemester vorgeführt hatten, und abgesehen von der Homecoming-Parade, dem Lagerfeuer und der Aufmunterung am nächsten Abend, dem Tanz am Freitagabend und dem Fußballspiel am Samstag war dieser Abend die letzte organisierte Veranstaltung in ihrem Wohnheim.

    Sie schaute in die Augen einige Erstsemester, die im Kreis um sie herum saßen und war sich sicher, wenn sie ihre Geschichte erzählte, hatten die meisten von ihnen sie am nächsten Tag bereits wieder vergessen. Welchen Unterschied würde es machen, was sie erzählen würde?

    Sie räusperte sich.

    »Diese Geschichte ist wahr – und berichtet wahrscheinlich von einigen der erschreckendsten Dinge, die ihr je gehört habt«, sagte Adriana.

    Ihre Stimme klang dabei überzeugend und aufrichtig.

    »Was ist das eigentliche Thema?«, fragte Ramsey.

    Addy zögerte einen sichtlich langen Moment.

    »Dämonische Besessenheit«, sagte sie dann ganz einfach.

    »Ach, Scheiße«, stöhnte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes, »da kommt der Exorzist wieder.«

    Jemand kicherte, hörte aber gleich damit wieder auf und stattdessen herrschte betretenes Schweigen im Raum.

    »Ich habe darüber selbst gelesen«, sagte Adriana. »Eure Geschichten werden im Vergleich zu meiner wahren Geschichte sichtlich verblassen. Glaubt mir.«

    Sie machte eine kunstvolle Pause.

    »Für diejenigen unter euch, die es vielleicht nicht wissen – meine Mutter war über zehn Jahre lang Nonne in einem katholischen Klosters, bevor sie sich entschied, dessen Mauern für immer zu verlassen. Die Geschichte, die ich euch jetzt erzähle, spielte sich ab, als sie noch Gläubige war und um Aufnahme in die Gemeinschaft des Klosters gebeten hatte.«

    Niemand sagte etwas – Adriana hatte nun die volle Aufmerksamkeit.

    »Soweit ich weiß, ist nichts Außergewöhnliches passiert nach ihrem Eintritt in den Orden, bis zur jener Zeit, als das Erntedankfest begann. Als die Nonnen und Postulantinnen gerade essen wollten, fanden sie, nachdem sie ihr Gnadengebet gesprochen hatten, menschliche Exkremente – Scheiße – in den Schüsseln, als sie die Deckel abnahmen.

    »Ah, ekelhaft!«, rief ein Junge und machte ein würgendes Geräusch.

    »Sh-h-h-h-h«, warnte Ramsey.

    »Mach schon, Addy.«

    »Einige Tage oder Wochen zuvor war in einem der Klassenzimmer eine seltsame Stimme zu hören gewesen. Sie sagte einige schreckliche Dinge.«

    »Was zum Beispiel?«, wollte Peggy mit einer bis zum Flüstern abgesenkten Stimme wissen.

    Adriana zögerte. Sie erinnerte sich noch genau an die Worte, die ihre Mutter ihr zugeflüstert hatte – aber sollte sie sie hier wiedergeben?

    Ihre Mutter hatte sich anfangs gesträubt, den Vorfall überhaupt zu erzählen, aber ihre Hartnäckigkeit hatte sich ausgezahlt. Die bizarre Geschichte hatte ihr später noch viele Tage lang Albträume bereitet.

    Aber damals war sie erst vierzehn Jahre alt und noch sehr beeinflussbar.

    »Nun, so wie meine Mutter es mir erzählte«, fuhr sie schließlich fort,«hatte die Nonne, welche die Klasse unterrichtete, etwas darüber gesagt, dass Nonnen mehr oder weniger Bräute Christi sind, als diese geheimnisvolle Stimme wie aus dem Nichts kam und sagte: So was! Gott wird dich niemals ficken! Aber ich werde es tun, wenn ihr mich lasst!«

    Peggy saugte geräuschvoll ihren Atem ein, aber außer einem einzelnen, nervös klingenden Kichern war kein anderer Laut im Schlafsaal zu hören.

    »Jedenfalls ging die Mutter Oberin wegen des Vorfalls beim Essen zum Erntedankfest

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