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DAS TIEFE SCHWEIGEN: Der Krimi-Klassiker!
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eBook217 Seiten3 Stunden

DAS TIEFE SCHWEIGEN: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Der junge katholische Priester Ed McDonald weiß zu viel über den Mord an seiner Schwägerin. Er glaubt sogar, den Mörder zu kennen...

Was soll er der Polizei erzählen?

Wenn er aussagt, besteht die Gefahr, dass ein Unschuldiger vor Gericht kommt!

Und wenn er lügt, schützt er damit vielleicht einen Schuldigen...

 

Der Roman Das tiefe Schweigen des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Thomas Walsh (* 19. September 1908 in New York; † 21. Oktober 1984 in Danbury) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962 (unter dem Titel Das Nadelöhr).

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum11. März 2023
ISBN9783755435303
DAS TIEFE SCHWEIGEN: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DAS TIEFE SCHWEIGEN - Thomas Walsh

    Das Buch

    Der junge katholische Priester Ed McDonald weiß zu viel über den Mord an seiner Schwägerin. Er glaubt sogar, den Mörder zu kennen...

    Was soll er der Polizei erzählen?

    Wenn er aussagt, besteht die Gefahr, dass ein Unschuldiger vor Gericht kommt!

    Und wenn er lügt, schützt er damit vielleicht einen Schuldigen...

    Der Roman Das tiefe Schweigen des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Thomas Walsh (* 19. September 1908 in New York; † 21. Oktober 1984 in Danbury) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962 (unter dem Titel Das Nadelöhr).

    DAS TIEFE SCHWEIGEN

    Erstes Kapitel

    Es war genau zehn Minuten nach zwei, als Kaplan Edward McDonald den U-Bahnhof verließ. Der Regen hatte soeben aufgehört – den ganzen Vormittag über hatte er aufgehört und wieder eingesetzt. An der Ecke stand ein wartendes Taxi, und gleich gegenüber befand sich eine Haltestelle des Riverdale-Busses. Kaplan McDonald aber brauchte nur eine Sekunde, um zu beschließen, keines dieser öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen. Bewegung, sagte er sich – einen flotten kleinen Spaziergang. Das war das Gegebene.

    Also ging er zu Fuß.

    Aber trotz der Ermahnung, die er sich selber soeben erteilt hatte, marschierte er keineswegs munter voran, sondern eher langsam und widerwillig – ein magerer, ernstblickender junger Mann, der im vergangenen Monat siebenundzwanzig geworden war und erst vor zwei Jahren die Priesterweihe erhalten hatte. Damit wollte er törichterweise das Unvermeidliche hinauszögern, weil er wusste, dass es im Haus der McDonalds, im Haus seines Bruders Frank, wieder Scherereien gab – diesmal, nach Kittys langem und aufgeregtem Anruf zu schließen, vermutlich recht tiefgehende und beunruhigende Scherereien.

    Nun lichtete sich im Westen für kurze Zeit der Himmel. Von der reinen, goldenen Oktobersonne beglänzt, deren Strahlen wunderlich durch den verweilenden Regendunst drangen, wanderte er die lange Steigung nach Riverdale hinauf. Nie hatten sie es verstanden, weder Frank noch Kitty, sich in eine gute, christliche Ehe einzuleben, ja, sie hatten es nicht ein einziges Mal im Verlauf der drei Jahre auch nur versucht. Warum nicht? Man will immer gern helfen, besonders als Priester, da einem diese Aufgabe zugewiesen ist, aber es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Wunsch, in solchen Fragen helfend einzugreifen, und dem Vermögen, etwas auszurichten.

    Außerdem schien noch, überlegte er betrübt, immer dann, wenn die Schwierigkeiten sich im Schoß der Familie, zwischen den Brüdern McDonald abspielten, ein böser Geist dem armen Kaplan einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Anderen Leuten gegenüber, mochten sie ihn noch so sehr reizen, gelang es ihm stets, eine gelassene, geduldig taktvolle und durchaus verständnisvolle Haltung zu wahren, während bei Frank, der ihm unter allen Menschen auf Gottes Erdboden am nächsten stand und der liebste war... Er seufzte. Schmerzlich war er sich seiner jähzornigen Veranlagung bewusst. Frank geriet ebenso leicht in Rage. Er schickte ein kurzes Stoßgebiet zum Himmel, bat um Beistand und Führung. Aber im Augenblick spürte er keinen Trost.

    Er ging weiter. Es gab Zeiten – und nun war es offensichtlich wieder einmal soweit gekommen –, da der junge Kaplan zu der lästigen und unerwünschten Überzeugung gelangte, aus irgendeinem Grunde sei buchstäblich ein Babelturm errichtet worden und bis heute nicht verschwunden, ein irres Durcheinander konfuser Gedanken und Regungen, die dem Menschen nicht auf der Zunge liegen, sondern weit tiefer und unzugänglicher in ihm verwurzelt sind, nämlich in seiner Seele. Auf jeden Fall leuchtete ihm ein, dass er in letzter Zeit nicht mehr fähig war, seinen Bruder Frank zu begreifen, während selbstverständlich Frank seinerseits ihn nicht begreifen konnte. Und Kitty?

    Er schauderte ein wenig im warmen und angenehmen Sonnenschein der Nachmittagssonne, wartete an einer Verkehrsampel und bog an der nächsten Ecke in die mit den Schatten und Lichtern der belaubten Baumwipfel gesprenkelte Dunkirk Avenue ein. Nun tauchten vertraute Wegzeichen auf. Gleich dort drüben lag der Bonbon- und Papierladen, in dem die alte Mrs. Mandelbaum die Abendzeitungen genauso zurechtlegte wie damals vor siebzehn Jahren, wenn der kleine Eddie McDonald von der Schule nach Hause ging. Einen Schritt weiter: das schwedische Feinkostgeschäft, in dem die Familie McDonald seit jeher den kalten Braten und den Kartoffelsalat fürs sonntägliche Abendbrot eingekauft hatte. Und nach einer Weile, gleich um die Ecke in der Avenue selbst, kam Charley Foleys Shamrock-Bar mit ihrer schummrigen Stille hinter dicht vorgezogenen Gardinen zum Vorschein.

    Nun war er schon fast angelangt – aber wusste er denn, was er in ein paar Minuten zu sagen gedachte, sobald er vor dem Bruder stand? Wusste er bereits, wie er es anpacken würde, ihm in seiner momentanen Klemme, was auch immer dahinterstecken mochte, behilflich zu sein – ihm und auch Kitty? Anscheinend nicht. Deshalb wurden seine Schritte noch schleppender, als er an der anderen Seite der Dunkirk Avenue den von Unkraut überwucherten leeren Bauplatz erblickte, auf dem eines Sommers er und Frank zusammen mit Ray Mitchell aus der Amberley Avenue und dem Hanswurst McGoffin aus der 238. Street aus Holzresten ein Clubhaus zurechtgezimmert hatten. Sie hatten auch den zugehörigen Club gegründet – den Bund der Guten Kameraden –, und Frank hatte ein feierliches Einweihungsritual ersonnen oder vielmehr zum größten Teil aus den Sherlock-Holmes-Geschichten kopiert. Nun fielen dem Kaplan wieder einige der Wendungen ein: Was opfern wir? Alles, was unser ist. Warum opfern wir es? Um der Pflicht willen...

    Um der Pflicht willen... Ach ja, dachte er wieder mit kläglichem Missmut, allzu schnell ist die Zeit da, kindische Scherze und damit die unbefleckte selige Unschuld des Kindes von sich abzutun. Und dann weiß man auch gar nicht mehr, wem die Pflicht gilt und wem das Opfer... Also...

    Nun aber erblickte er an der nächsten Ecke das Haus, ein großes, altmodisches, grün-weiß angestrichenes Gebäude, mit einem runden Fächerfenster über der Eingangstür, einem Erkerfenster im Wohnzimmer zur Rechten und einem zweiten im Esszimmer zur Linken. Die Zufahrt war neu angelegt, und an der Südseite, gegen die Forest Avenue zu, war im vergangenen Jahr ein völlig neuer Flügel errichtet worden, um die ständig wachsende Ortspraxis Dr. med. Frank McDonalds zu beherbergen; aber' abgesehen von solchen modernen Neuerungen war es in den Augen des Kaplans noch immer das behagliche Elternhaus, an das er sich liebevoll erinnerte. Immer, wenn er dorthin zurückkehrte, stieg ein warmes, frohes Gefühl in ihm auf, und auch jetzt überfiel es ihn mit einem Mal: Es muss etwas zu machen sein, sagte er sich, warum denn nicht! Zuweilen sind mit Gottes Hilfe die schwarzen Stunden zu guter Letzt gar nicht mehr so schwarz. Frank würde auf ihn hören, er und Kitty würden sich bewegen lassen, trotz der Schwierigkeiten des Zusammenlebens einen frischen Start zu versuchen, und dann würde bestimmt... Aber das gute Gefühl erlosch ebenso hastig, wie es aufgeflammt war, und blieb weg. Kitty... Er nahm sich zusammen. Dann öffnete er das Gittertor, ging über den Fliesenpfad und klingelte.

    Drinnen, dicht hinter der Tür, waren Stimmen und gleich darauf Schritte zu hören. Dann machte Kitty ihm die Tür auf. Hinter ihr standen drei Männer in dem sonnigen und freundlichen Vorraum. Der eine war Bruder Frank – groß, mit stumpfer, mürrischer Miene. Den zweiten erkannte der Kaplan sogleich mit Freuden wieder: Das war Ray Mitchell, vor nicht allzu langer Zeit Buck, der Apachenkrieger, nun aber ein kräftiger junger Mann mit braunem Haar, derben Zügen, hellen, klaren blauen Augen. Der dritte war ihm fremd.

    »Ed!«, rief Kitty aus. Sie machte die Tür weit auf und heuchelte großes Erstaunen, obwohl sie vor einigen Stunden angerufen hatte. Gleichzeitig warf sie einen raschen verstohlenen Blick auf Frank, als wollte sie feststellen, wie er auf den Besuch reagiere. »Das ist eine Überraschung! Komm herein. Du erinnerst dich an Ray Mitchell, nicht wahr?«

    Aber die beiden drückten einander bereits herzlich die Hand.

    »Also hast du es endlich geschafft«, erklärte Ray Mitchell, zuerst etwas verdutzt, während er den schwarzen Anzug und den Priesterkragen mit kritischen Blicken betrachtete. »Du heiliger – hm, Strohsack, es sieht wirklich so aus, als hätten wir einen waschechten hochwürdigen Herrn in unserer Mitte. Schau, schau! Erinnerst du dich, Frank, was für ein Teufelskerl dein kleiner Bruder war? Erinnerst du dich, wie...«

    »Na, setzen wir uns doch!«, warf Kitty in scharfem Ton ein. »Setzen wir uns hin und erinnern wir uns, wie dies war und wie jenes war... Ach, die gute alte Zeit!« Fast boshaft knallte sie die Tür hinter dem Kaplan ins Schloss.

    Frank musterte sie ausdruckslos, die Lippen fest zusammengepresst. Dann wandte er sich zu seinem Bruder und begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, wich aber sofort wieder seinem Blick aus. Nun aber, da sie kaum die ganze Breite des Vorzimmers zwischen sich hatten, trat die physische Ähnlichkeit der beiden Brüder schlagartig zutage. Beide hatten die gleiche für die McDonalds charakteristische hohe, schmale Figur, das straffe pechschwarze Haar, den klaren, gesunden Teint und auch die schönen Augen der McDonalds – von einem warmen, sensiblen Grau, wach und flink, intelligent.

    Bei dem fünfeinhalb Jahre älteren Frank jedoch hatte sich in der letzten Zeit ein ganz neuer, ominöser Zug entwickelt, eine nervöse Ungeduld und Streitsucht, während für den Kaplan eine edlere, jugendlich asketische Miene kennzeichnend war, eine Miene, die zuweilen von dem schmerzlichen Unbehagen eines hochgesinnten und frommen Menschen zeugte, dem alle die bitteren Fehltritte des Fleisches irgendwie seltsam und unbegreiflich erscheinen – ein düsteres, fremdes Gebiet, beherrscht von unbekannten Mächten. Immer wieder musste Kaplan McDonald sich darauf aufmerksam machen, dass die Menschen schlechter, schändlicher Handlungen fähig sind – auch gute Menschen – Menschen wie Frank. Aber warum? Gibt es denn nicht das Gebet und die göttliche Gnade, die der Mensch in aller Demut erflehen darf? Das bedeutet, dass der Mensch jeder Versuchung widerstehen kann. Warum geschieht es nicht? Warum wird das Böse so sehr erstrebt – rücksichtslos, hartnäckig? Diese Probleme hatte er nie ganz verstehen können. Er verstand sie noch immer nicht. Er erwiderte Franks Nicken und lächelte gezwungen.

    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Ray Mitchell und sah Kitty an, als wundere er sich über ihre jähe und unerwartete Heftigkeit. »Ich habe Eddie seit drei oder vier Jahren nicht gesehen, das ist alles... Eddie – kennst du Jack Cawley? Er ist Kriminalbeamter aus unserem Revier. Gestern Nacht hat es bei uns in der Gegend einige Aufregung gegeben. Wir lassen uns soeben von Kitty berichten, was sie weiß.«

    Jack Cawley, der in der Tür zum Wohnzimmer stand, nickte kurz. Er war stämmig, etwas schlampig, mit dem leicht geröteten Gesicht eines Gewohnheitstrinkers, allzu langem schwarzem Haar und missmutiger Haltung.

    »Jemand hat versucht, sich einzuschleichen«, erklärte Ray Mitchell. »Jedenfalls sieht es so aus. Mein alter Herr hat ihn auf dem Hinterhof umherstreichen sehen, dann scheint er sich hierher begeben und versucht zu haben, durch ein Fenster der Ordination einzudringen. Aber wo hast denn du gesteckt, Frank? Hast du nichts gehört?«

    »Ja, wo soll er denn gesteckt haben?«, fragte Kitty in schrillem

    Ton und warf den Kopf zurück. »Ein Arzt hat immer die allerschönsten Vorwände, um sich davonzumachen. Ein Unglücksfall. Ein Patient hat ihn holen lassen. Das Krankenhaus hat angerufen. Ich weiß nie, wo der Herr Doktor sich herumtreibt. Aber ich bin ja auch eine Null. Niemand kümmert sich um mich.«

    Stille. Ray Mitchell sah verlegen drein, Frank McDonald verschlossen und finster.

    »Also, meine Herrschaften«, sagte der Revierbeamte mit plumper Gebärde, »ich weiß nicht, wie Sie dran sind, ich jedenfalls kann nicht den ganzen Nachmittag mit diesem einen Fall vertrödeln. Deshalb bin ich dafür, dass wir uns konzentrieren. Wo liegt dieses Fenster?«

    »In Doktor McDonalds Ordination.« Ray Mitchell streckte den Zeigefinger aus. »Hinter dem Wohnzimmer. Dort hat der Bursche einzubrechen versucht. Ich glaube, dass mein Vater ihn in der letzten Sekunde verscheucht hat.«

    Der Kaplan legte mit leicht gerunzelter Stirn seinen Hut auf einen der Vorzimmerstühle. Kitty ging voraus ins Wohnzimmer, einen großen quadratischen Raum, den sie vor einem Jahr hatte neu dekorieren lassen – freilich nicht in einem Stil, den Kaplan Ed sonderlich bewundernswert fand. Nun lag dem Vorraum gegenüber ein eleganter offener Kamin, ein modernistisches Gebilde aus schwarzweißem Marmor mit einem Messingschirm und sichtlich noch nie benützten Messingböcken. Der Fußboden war ganz mit Teppichstoff ausgelegt – weißlicher Stoff, dick und wollig. Ein französisches Sitzsofa. An dem großen Fenster nach der Straße zu schweren, hellen Draperien. Ein protziges Fernseh- und Hi-Fi-Gerät. Die gesamte Einrichtung machte einen kostspieligen, funkelnagelneuen und hypermodernen Eindruck – und wirkte zugleich irgendwie fehl am Platz. Auf dem Fernsehgerät lag dicker Staub, auf dem Fußboden neben dem Sofa waren noch die gestrigen Zeitungen verstreut, und unter einem schwedischen Kaffeetischchen lagen weiße Teppichflocken. Kaplan Ed bemühte sich, nicht hinzuschauen. Er wurde dabei ertappt.

    »Also, ehrlich gesagt...« Es war, als wollte Kitty McDonald sich bei den Anwesenden beklagen. Es war inzwischen drei Uhr nachmittags geworden, aber sie hatte sich offenbar noch nicht einmal richtig angekleidet. Das dichte, recht reizvolle schwarze Haar war allem Anschein nach erst in der letzten Minute hastig zusammengerafft worden. Sie hatte einen verdrückten braunen Rock und einen fleckigen braunen Pullover an. Dennoch musste sie, in ihrer eitlen und fast schon irrsinnigen inneren Selbstzufriedenheit, auf den strahlenden Gedanken verfallen sein, sie brauchte nur die Tatsachen einzugestehen, um sie sogleich in den Augen des Beschauers auf einfache und vernünftige Art zu rechtfertigen. »Ehrlich gesagt«, fuhr sie fort und sah dabei den Kaplan an, »du weißt, Ed, ich bin keine tüchtige Hausfrau – auf jeden Fall nicht so tüchtig wie deine Mutter, Gott habe sie selig. Und was einem heute als Zugehfrau ins Haus schneit – du meine Güte!« Sie warf einen wütenden Blick in Franks Ordination. »Warte mal, bis du meine neueste Erwerbung zu Gesicht bekommst – Mrs. Charbonneau. Den ganzen Vormittag hat sie hier unten saubergemacht – den ganzen Vormittag wohlgemerkt –, und sie ist jetzt noch nicht damit fertig. Fahrgeld natürlich und warmes Essen, das interessiert sie, sonst nichts. Aber was die Arbeit betrifft...«

    Leise etwas vor sich hinmurmelnd, steuerte sie auf die andere Seite des Wohnzimmers, auf den Korridor zu, der in die Ordinationsräume führte. Sie war drall und kräftig gebaut, nicht sehr groß, mit einem rundlichen Gesicht und hellen, schlauen Augen unter langen, aber seltsam schütteren Wimpern. Trotz der etlichen Kilogramm, die sie sich seit ungefähr einem Jahr an Körpergewicht zugelegt hatte, hatte sie ihre gute, vielleicht sogar etwas prahlerische Haltung beibehalten. Dem Kaplan war ab und zu, besonders in letzter Zeit, ein missmutiger, unbefriedigter und bitter neidischer Zug an ihr aufgefallen.

    Die Männer folgten Kitty in die Ordinationsräume. Zuerst kam ein kurzer Korridor mit einer Reihe von Wandschränken an der einen Seite, dann gelangte man an zwei durch weiße Zuggardinen abgeschirmten Untersuchungs- und Behandlungstischen vorbei in die eigentliche Praxis. Es war das ein großer, viereckiger Raum mit einem Instrumentenglasschrank links neben dem Eingang. Dahinter lag ein mit einem Spiegel versehenes und durch einen transportablen dreiteiligen weißen Wandschirm abzudeckendes Waschbecken, und ganz hinten stand ein Drogenschrank mit fester Holztür, Messingknauf und Messingschloss. Zwei Fenster an dieser Seite gingen auf den Hof der McDonalds. Zwischen den Fenstern stand Franks Schreibtisch.

    Wenn man aus dem Korridor kam, hatte man geradeaus eine weitere Tür vor sich, die jetzt offen war und ins Wartezimmer führte. Auf dieser Seite der Praxis gab es Bücherregale, ein Durchleuchtungsgerät, einen mit einem weißen Laken bezogenen Untersuchungstisch und eine Waage. In der Luft hing der trockene, recht scharfe, aber nicht unangenehme Geruch irgendeines antiseptischen Mittels. Durch die rückwärtigen Fenster schien jetzt die Sonne herein. Draußen im Wartezimmer schob eine magere, müde aussehende Frau in einem verschossenen Hauskleid einen Staubsauger zwischen den Korbmöbeln hin und her; Franks Schreibtisch sah so adrett und aufgeräumt aus wie immer, mit einem Postkorb, einer Füllfedergarnitur und der letzten Nummer einer medizinischen Fachzeitschrift. Auf der Löschunterlage lag ein geöffneter Zigarettenkarton und daneben ein Briefbeschwerer aus poliertem Gestein, ein Andenken an eine Urlaubsreise Franks zum Grandcanyon und in die versteinerte Wüste, viel zu wuchtig für seine Zwecke. Kitty blieb

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