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Und leise klopft der Tod: Nathan Codys erster Fall: Der Thriller-Bestseller aus England
Und leise klopft der Tod: Nathan Codys erster Fall: Der Thriller-Bestseller aus England
Und leise klopft der Tod: Nathan Codys erster Fall: Der Thriller-Bestseller aus England
eBook470 Seiten6 Stunden

Und leise klopft der Tod: Nathan Codys erster Fall: Der Thriller-Bestseller aus England

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Über dieses E-Book

„Erinnert an Harlan Coben, obwohl meiner Meinung nach Jackson der bessere Autor ist.“ — The Guardian

„Ein beängstigender Pageturner von einem Autor, der Deine dunkelsten Ängste zu kennen scheint. Fantastisch!“ — David Mark, Bestsellerautor von „Dark Winter“

 

Ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel – und die Polizei ist hier nicht diejenige, die auf der Jagd ist. Ein packender Serienkiller-Thriller vom Bestsellerautor von „Cry Baby“:

Als die Polizei zu einem Mord in einem Vorort von Liverpool gerufen wird, sind selbst die abgestumpftesten Beamten verstört von dem, was sie vorfinden.

DS Nathan Cody, der immer noch die Narben eines entsetzlich schiefgelaufenen Undercover-Einsatzes trägt, wird auf den Fall angesetzt. Doch die Polizei hat keine Hinweise, außer der Leiche eines Vogels – und den fehlenden Augen des Opfers.

Dann schlägt der Killer erneut zu, und Cody erkennt, dass die Bedrohung nicht für die Einwohner Liverpools besteht, sondern vielmehr für die Polizei selbst …

 

 

SpracheDeutsch
HerausgeberATG books
Erscheinungsdatum18. Sept. 2021
ISBN9783965190450
Und leise klopft der Tod: Nathan Codys erster Fall: Der Thriller-Bestseller aus England

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    Buchvorschau

    Und leise klopft der Tod - David Jackson

    Über den Autor:

    David Jackson kam erst spät zum Schreiben von Krimis und Thrillern, nachdem er einen Großteil seines Lebens damit verbracht hatte, akademische Arbeiten und Berichte zu verfassen. Nach einigen begrenzten Erfolgen bei Kurzgeschichtenwettbewerben reichte er die ersten Kapitel eines Romans bei der Crime Writers Association für die Debut Dagger Awards ein. Zu Jacksons großer Überraschung kam das Buch nicht nur in die engere Auswahl, sondern erhielt die Auszeichnung Highly Commended, was schließlich mehrere Verlage auf ihn aufmerksam machte und zur Veröffentlichung des Thrillers „PARIAH" führte.

    Seitdem hat der Brite zahlreiche weitere Krimis und Thriller geschrieben, darunter zwei Serien sowie den Bestseller „Cry Baby". Jackson arbeitet in Liverpool an der Universität und lebt mit seiner Frau, zwei Töchtern und einer Kurzhaar-Katze namens Mr. Tumnus auf der Halbinsel Wirral.

    http://davidjacksonbooks.com/

    ATG books

    Band 045

    Für die englische Originalausgabe: Copyright © 2016 by David Jackson

    Titel der Originalausgabe: „A Tapping at my Door"

    Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2021 by ATG Books, ein Imprint von Audio-To-Go Publishing Ltd., Headford, Irland

    Übersetzung: Michael Krug

    Lektorat: Ulrike Gerster

    Umschlaggestaltung: Audio-To-Go unter Verwendung eines Motivs von Tama66 / pixabay

    ISBN 978-3-96519-045-0

    Sie finden uns im Internet unter www.audio-to-go.de

    In liebevoller Erinnerung an meine Mutter

    Einst zur Nachtzeit, trüb und schaurig,

    als ich schmerzensmüd und traurig

    Saß und brütend sann ob mancher

    seltsam halbvergessnen Lehr’, –

    Als ich fast in Schlaf gefallen,

    hörte plötzlich ich erschallen

    An der Thür ein leises Hallen,

    gleich als ob’s ein Klopfen wär’.

    – »Der Rabe«, Edgar Allan Poe

    1

    Horch.

    Da ist es wieder. Das Geräusch. Das Klopfen, das Kratzen, das Schrammen an der Hintertür.

    Terri Latham richtet die Aufmerksamkeit darauf. Als es verstummt, ärgert sie sich, weil sie Gehirnkapazität dafür verschwendet hat. Da ist nichts. Wahrscheinlich nur die Pflanzen.

    Sie lacht darüber. Der Gedanke beschwört nämlich das Bild einer über zwei Meter hohen Venusfliegenfalle herauf, die mit blättriger Faust an die Tür hämmert und gefüttert werden will. Wie in diesem Film – wie heißt er noch gleich? Richtig – Der kleine Horrorladen. Ist schon komisch. Allein hier zu sitzen und hibbelig wegen einer Pflanze zu werden – das findet sie zum Schießen.

    Tatsächlich hat sie eine ganze Reihe von Topfpflanzen vor der Tür, aber Terri denkt nicht an sie. Die meisten wären nicht in der Lage, durch ein Pochen Aufmerksamkeit zu erregen.

    Nein, sie denkt eher in Richtung der Kletterpflanze, die das Bogenspalier an ihrer Hintertür umrankt und praktisch längst verschlungen hat. Das Gewächs scheint sich mit ungeahnter Geschwindigkeit täglich weiter auszubreiten. Sie erinnert sich noch daran, dass sie mit ein paar Freundinnen Tränen gelacht hat, als die Mädels scherzhaft meinten, Terri verbrächte offensichtlich zu viel Zeit damit, ihre Clematis zu stimulieren.

    Das Problem ist nur: Das Spalier ist alt und morsch. Erst neulich hat ein Teil davon nachgegeben. Entstanden ist ein herabhängendes Gewirr aus verhedderten Holzlatten und Pflanzen, das gegen die Glasscheibe der Tür schrammte und klopfte. Zwar hat Terri das Spalier bestmöglich mit einer Schnur zusammengeflickt, war aber von Anfang an skeptisch, wie gut es ihr gelungen ist. Jetzt ist sie sich sicher. Das Ding ist wieder auseinandergefallen.

    Tja, das kann warten, denkt sie. Es ist spät und dunkel. Ich stelle mich sicher nicht mitten in der Nacht draußen auf einen Stuhl, um eine dämliche Clematis wieder anzubringen.

    Außerdem gehört Schlaflos in Seattle zu ihren Lieblingsfilmen, und sie will nichts davon verpassen.

    Also rührt sie sich nicht von der Stelle. Stattdessen lehnt sie sich auf ihrem bequemen Sofa von IKEA vor dem Flachbildfernseher von Samsung zurück und widmet sich wieder Tom Hanks. Dazu nippt sie an dem Chardonnay, den sie beim Spirituosenladen in der Derby Lane im Sonderangebot gekauft hat. Terri nimmt sich fest vor, sich zu entspannen, damit sie die nächste rührselige Szene genießen kann.

    Klopf ... kratz ... klopf.

    Oh, Herrgott noch mal, denkt Terri. Sie hebt den Kopf über die Rückenlehne des Sofas. Den Pflanzen hinter dem Haus schickt sie warnende Gedanken: Noch ein gruseliges Geräusch von euch, und ich schneide euch an den Wurzeln ab. Das wird schmerzhaft. Überlegt es euch lieber!

    Ein Teil von ihr weiß, dass der Zorn nicht echt ist. Er ist eine Maske, ein Schutz vor dem Unbehagen, das sich rasant in ihr ausbreitet. Außerdem weiß sie, dass dieser Schutz nicht ewig anhalten wird. Er wird Risse bekommen, bröckeln und in sich zusammenfallen. Danach wird nackte Angst zurückbleiben. Wenn es dazu nicht kommen soll, ist ein Präventivschlag nötig.

    »Na gut!«, ruft sie laut, als würde sie einen unverbesserlich unartigen Welpen anbrüllen. Als würde sie widerwillig dessen Forderungen nachgeben, obwohl sie in Wirklichkeit vor dem eigenen sehnlichen Wunsch nach Vergewisserung kapituliert.

    Ich gehe in die Küche, denkt sie. Ich werd hingehen und genau das sehen, was zu erwarten ist, nämlich einen Haufen Blätter, die vor der Tür baumeln und daran kratzen. Dann kann ich mich wieder dem Film und meinem Wein widmen und anschließend ruhig schlafen. Obwohl ich gar nicht das Bedürfnis haben sollte, nachzusehen. Immerhin weiß ich ja, woran es liegt. Ich führe mich bloß wie eine totale Memme auf.

    Den nächsten Gedanken enthauptet sie, bevor er Schaden anrichten kann. Der Gedanke beginnt mit: Aber was, wenn ...

    Mit einem schnellen Schluck Wein füllt sie ihre Mutreserven auf. Dann verlässt sie die Behaglichkeit ihres Sofas und geht in die Küche.

    Ein Raum, den sie geradezu hasst. Ganz oben auf ihrer Wunschliste bei der Suche nach einem Haus haben damals ein wunderschönes Badezimmer und eine atemberaubende Küche gestanden. Bekommen hat sie beides nicht, weil sie es sich nicht leisten konnte. Die Küche ist mit einem Minimum an Geräten ausgestattet, die schon beim Einbau billig gewesen sein müssen. Die Hälfte davon löst sich inzwischen in ihre Bestandteile auf. Die Dichtung an einem der Wasserhähne ist defekt, überall sind hässliche Gas- und Wasserleitungen zu sehen, und mehrere Wandfliesen haben Sprünge.

    Als sie eintritt, schaltet sie das Licht nicht ein. Es würde nur für Reflexionen auf den Fenstern sorgen und ihr einen mehrfachen Blick auf den deprimierenden Raum bescheren. Stattdessen überwindet sie sich, in der Dunkelheit zu stehen und voll angespannter Ungeduld zu warten, bis sich ihre müden Augen daran anpassen.

    Mit dem allmählichen Auftauchen breiter, kantiger Konturen von Möbeln lässt ihre Anspannung leicht nach. Sie stößt einen langen Atemzug aus und geht weiter in den Raum.

    Durch das verdreckte Panoramafenster über dem Spülbecken sieht sie einen gelblichen Viertelmond hinter einer dichten Wolke hervorkommen. Als sich das schwache Licht in die Küche kämpft, nutzen ihre Augen die Gelegenheit, um Informationen aufzusaugen.

    Mit geweiteten Pupillen nähert sich Terri der Hintertür. Wie die Küchenschränke ist auch die Tür billig, dünn und erweckt wenig Vertrauen in ihre Eignung als Schutz vor Eindringlingen. In die obere Hälfte ist eine Milchglasscheibe eingesetzt, die leicht eingeschlagen werden könnte. Eine kleine, gelenkige Person könnte sich sogar durch die Öffnung hereinschlängeln.

    Terri hätte die Tür schon vor einer Ewigkeit ersetzen sollen. Andererseits hätte sie noch wesentlich mehr erledigen müssen, um das Haus sicherer zu gestalten. Das weiß Terri. Sie weiß es schon, seit sie eingezogen ist.

    Die kleine Wohngegend von Liverpool, in der sie lebt, heißt Stoneycroft. Sie liegt in der Nähe der stark frequentierten Schnellstraße namens Queens Drive – eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Wenn Terri jemandem erklärt, wo sie wohnt, heißt es oft: »Ach, du meinst Old Swan.« Sie entgegnet dann: »Nein, es heißt Stoneycroft.« Terri findet, das klingt vornehmer.

    Ist es aber nicht.

    Aus ihrer Sicht steht sie gerade mal auf der ersten Stufe der Immobilientreppe. Es ist nicht das schönste Haus der Welt, und die Gegend hat so ihre Probleme. Aber wenigstens gehört das Haus ihr. In ein paar Jahren will sie es verkaufen und in etwas Besseres ziehen – vielleicht in Allerton oder Woolton oder sogar drüben auf der Halbinsel Wirral. Vorläufig reicht es hier.

    Der Immobilienmakler hat das Haus als Quasi-Doppelhaushälfte beschrieben. Eine blödsinnige Umschreibung für ein Haus, das im Obergeschoss mit einem Nachbarn verbunden ist, nicht aber im Untergeschoss. Zwischen den zwei Eingangstüren verläuft ein gemauerter Tunnel direkt zur Rückseite der Grundstücke. Einige der Häuser in der Straße haben absperrbare Eisentore an den Durchgängen. Das von Terri nicht. Was bedeutet, dass jeder durchspazieren könnte. Hinzu kommt, dass ihre Holztür am anderen Ende des Tunnels auch kein Schloss besitzt. Und selbst wenn, gäbe es noch einen anderen Weg in ihren Garten, denn er grenzt an einen kleinen Park, den jeder betreten kann. Von dort wäre es einfach, ungesehen über ihren Lattenzaun zu klettern.

    Insgesamt ist das Haus nicht gerade Fort Knox.

    Solche Gedanken sind Terri schon oft durch den Kopf gegangen. Jedes Mal hat sie sich mental vorgemerkt, etwas zu unternehmen. Und jedes Mal ist die geistige Notiz prompt in der Unordnung untergegangen, die in ihrem Gedächtnis herrscht.

    Der Grund, warum sich diese Gedanken gerade jetzt in ihrem Kopf stauen wie der Verkehr zur Stoßzeit, ist der Anblick durch das Fenster in der Tür. Oder besser gesagt, was sie nicht sieht.

    Auf der anderen Seite der Glasscheibe in ihrer Tür befindet sich keine verirrte Clematis.

    Obwohl es sich um Milchglas handelt, das obendrein dringend gereinigt werden müsste, lässt sich im diffusen Mondlicht deutlich erkennen, dass da kein Blattwerk ist.

    Und das bedeutet, etwas anderes verursacht die Geräusche. Diese beunruhigenden Laute ...

    Klopf ... klopf ... kratz ...

    Als sie erneut einsetzen, weicht Terri einen Schritt in die Schatten zurück. Als wäre ihre dunkle Umarmung beruhigender als das nachtaktive Wesen draußen, worum es sich auch handeln mag.

    Jedenfalls bearbeitet es emsig den unteren Teil der Tür. Auf Bodenhöhe. Also etwas Kleines, aber wild entschlossen, sich den Weg in Terris Haus zu bahnen. Warum? Was kann das Tier wollen?

    Terris erster Verdacht fällt auf Shit-Sue, den kläffenden kleinen Köter von der anderen Straßenseite. Der in Wirklichkeit gar kein Shih Tzu ist. Terri nennt die Hündin deshalb Shit-Sue, weil der verantwortungslose Besitzer nicht mit ihr Gassi geht. Stattdessen scheucht er das Vieh nur zur Haustür raus. Die boshafte kleine Hündin flitzt dann regelmäßig über die Straße, zwängt sich durch die Gitterstäbe von Terris Tor, durchquert die von Moos und Unkraut überwucherte Einfahrt und huscht in den Seitengang. Dort setzt sie einen Haufen, der beinah so groß wie die Hündin selbst zu sein scheint.

    Das ist Terris erster Gedanke.

    Nur hat er drei Haken. Erstens: So rücksichtslos der Arsch von gegenüber ist, normalerweise lässt er Shit-Sue nicht so spät am Abend raus. Zweitens: Die Holztür am Ende des Seitengangs hat zwar kein Schloss, lässt sich aber zumindest schließen. Und wenn sie geschlossen ist – was sie bei Terris letzter Überprüfung eindeutig war –, dann kann sich nicht mal die unbändige Kackmaschine von gegenüber darunter hindurchquetschen, um die Terrasse zu erreichen. Und drittens: Die Geräusche klingen nicht nach Shit-Sue. Sie klingen nach gar keinem Hund. Das Kratzen stammt von deutlich kleineren Füßen. Außerdem ist da dieses Klopfgeräusch, das sich mit dem Kratzen abwechselt. Ein Hund würde keine solchen Laute erzeugen.

    Also, was dann?

    Eine Katze? Möglich, denkt Terri. Katzen kratzen doch gern an allem Möglichen, oder?

    Und - ja! Ich hatte doch zum Abendessen Thunfisch, richtig? Katzen lieben Thunfisch. Sie riecht den Fisch und will was davon. Sie ...

    Nein. Sei nicht albern. Hör genau hin. Da ist wieder dieses Klopfen, oder? Tja, Katzen klopfen nicht, oder? Machen sie einfach nicht.

    Mist.

    Reiß dich zusammen, sagt sie sich. So ist das eben, wenn man allein wohnt. Das wolltest du doch. Du wolltest dir nicht länger eine Wohnung mit deinen Freundinnen teilen, und erst recht wolltest du in nächster Zeit nicht wieder mit einem Kerl zusammenzuziehen. Du wolltest deine eigene Bude. Tja, jetzt hast du sie. Du bist erwachsen, also benimm dich dementsprechend.

    Terri holt tief Luft. Überwindet die Entfernung zur Tür mit einem Schritt. Greift nach der Klinke.

    Du schaffst das, denkt sie. Auf der anderen Seite ist kein Vergewaltiger. Vergewaltiger kratzen und klopfen nicht so erbärmlich an einer Tür. Sie springen aus Büschen und düsteren Eingängen hervor.

    Sie schleichen sich von hinten an und ...

    Okay, das reicht. Mach jetzt die verdammte Tür auf. Das ist ein Eichhörnchen, das mit seinen Nüssen spielt. Oder ein Igel, der sich mit dem Schuhabstreifer paaren will. Oder irgendwas anderes, das deiner jämmerlichen Vorstellungskraft noch nicht eingefallen ist. Was immer da draußen ist, wenn du die Tür aufmachst, wird es mehr Angst vor dir haben als umgekehrt. Es wird vor Schreck erstarren, wenn es dich plötzlich vor sich hat. Die winzigen Knopfaugen werden tränen, es wird sich ankacken und dann davonwieseln, so schnell es die kleinen Stummelbeine tragen.

    Terri beginnt, den Knauf zu drehen.

    Klopf ... kratz ...

    Dreht ihn bis zum Anschlag.

    Kratz ... klopf ...

    Und ... zieht!

    Schwungvoll reißt sie am Knauf. Die Tür klappert im Rahmen, schwingt aber nicht auf.

    Verdammt, denkt sie. Es ist abgesperrt. Natürlich ist abgesperrt. Das mache ich immer, wenn ich nachts allein bin. Warum sollte es heute anders ...

    Horch!

    Das Geräusch. Es hat aufgehört.

    Sie stellt sich das scheue kleine Tier vor. Bestimmt hat es das Klappern der Tür zu Tode erschreckt, und das murmelgroße Herz pocht wild in der Brust.

    Terri überlegt, ob sie die Tür aufsperren und draußen nach dem Rechten sehen soll. Und entscheidet sich dagegen.

    Das Tier ist weg. Zurück in sein Versteck geflüchtet. Und falls es nicht weg ist, will Terri nichts davon wissen. Falls es immer noch vor der Tür ausharrt, die pelzigen Ärmel hochkrempelt und sich auf einen neuen, noch ungestümeren Angriff vorbereitet, ist es kein Feind, dem sie sich stellen will.

    Sie schüttelt den Kopf. Stößt ein freudloses Lachen aus. Geht zurück ins Wohnzimmer, wo Tom Hanks wartet.

    Terri setzt sich hin, schlägt die Beine übereinander und starrt auf den Fernseher, ohne wahrzunehmen, was vor ihr abläuft. Es sind nur Bilder und zusammenhanglose Geräusche. Sie fühlt sich nicht wohl, weder körperlich noch geistig.

    Terri greift nach dem Weinglas und leert es, schenkt aus der Flasche nach und trinkt einen weiteren Schluck. Okay, schon besser. Jetzt kann sie sich entspannen.

    Sie schwingt die Beine aufs Sofa. Mit einer Willensanstrengung lockert sie die steifen Muskeln und nimmt sich vor, den Film zu genießen. Der kleine Junge mit dem Rucksack ist gerade auf dem Empire State Building. Das ist eine gute Szene. Der Film nähert sich dem Ende. Zeit, die Taschentücher bereitzulegen. Das wird ...

    Verdammt!

    Plötzlich ertönen die Geräusche richtig laut. Hektischer als zuvor.

    Terri verschüttet Wein über ihren Morgenmantel. Wieder dreht sie sich um und späht ins angrenzende Zimmer. Was immer die Geräusche verursacht, hört sich näher an. Als wäre es bereits im Haus. In ihrer Küche.

    Aber nein, das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Terri hat doch eben erst selbst versucht, die Tür zu öffnen, oder? Sie ist abgesperrt. Auch die Fenster sind verriegelt.

    Terri steht auf. Sie greift sich die Fernbedienung und schaltet den Ton des Fernsehers stumm. Dann starrt sie durch die Öffnung zur Küche, lauscht dem nervenaufreibenden Lärm.

    Dem Klopfen, dem Kratzen, dem Scharren. Aber jetzt klingt es anders. Warum?

    Sie kehrt in Richtung der Küche zurück und stellt fest, dass sie sich dabei langsamer bewegt, vorsichtiger. Als würde sie durch Sirup waten.

    Sie tritt durch die Türöffnung. Hält den Atem an. Ihre Augen zucken hin und her, während sie wartet.

    Da!

    Nicht mehr an der Tür, sondern am Fenster.

    Nicht am Panoramafenster über dem Spülbecken – durch das der Mond immer noch sein schiefes, mitleidiges Lächeln auf Terri wirft. Am anderen Fenster, dem neben der Tür. Dem mit den zugezogenen Vorhängen davor.

    Das Fenster befindet sich gut einen Meter über dem Boden. Wie ist das Tier so hoch raufgekommen? Das könnte kein Hund, kein Eichhörnchen, Igel oder Ähnliches – höchstens mit einem Springstock. Vielleicht eine Katze.

    Eine Katze könnte auf die Fensterbank springen. Aber hat Terri die Katzentheorie nicht bereits verworfen? Hat sie nicht bereits festgestellt, dass Katzen zwar hervorragend kratzen können, aber sich weniger geschickt dabei anstellen zu klopfen?

    Plötzlich setzt ihre Atmung wieder ein. Allerdings schnell und abgehackt. Panisch. So sollte Atmung nicht klingen. Hör auf, denkt sie. Da ist nichts, wovor man sich fürchten müsste. All die prekären Situationen, die du schon überstanden hast, und du fürchtest dich vor einem kleinen Waldbewohner?

    Waldbewohner? Wo sind wir denn jetzt gelandet – in einem Märchen? Hier ist Stoneycroft.

    Der Name mag ja ländlich und idyllisch klingen, aber der Ort liegt gleich neben Old Swan.

    Hier gibt’s keine sieben Zwerge.

    Wenn sich auf der anderen Seite der Scheibe tatsächlich ein Zwerg oder eine sonstige kleinwüchsige Person befindet, macht sie sich in die Hose, davon ist sie überzeugt.

    Plötzlich gehen die Gedanken in Richtung bösartiger Zwerge mit ihr durch. Und plötzlich muss sie an Wenn die Gondeln Trauer tragen denken. Ein weiterer ihrer Lieblingsfilme, aber aus völlig anderen Gründen.

    Beängstigenden Gründen.

    Es ist kein Zwerg, denkt sie. Kein Gnom. Kein fliegender Kobold, der einem Jet in dreitausend Meter Höhe die Tragflächen abreißt. Wenn du wissen willst, was es ist, dann zieh den verdammten Vorhang auf und sieh nach.

    Also tut sie es.

    Sie tritt näher zum Fenster. Ihre Füße schleppen sich noch widerwilliger als zuvor über den Boden. Die Geräusche ertönen in Schüben, in unverhofften, energiegeladenen Ausbrüchen. Dazwischen spannen sich Augenblicke stiller Erschöpfung. Terri streckt die Hand aus. Und zuckt zurück, als das Klopfen gegen die Scheibe beinah auszureichen scheint, um das Glas zu zerbrechen. Sie streckt die Hand wieder aus. Ergreift dicken blauen Stoff, für den sie bei John Lewis entschieden zu viel ausgegeben hat. Holt tief Luft. Eins ... zwei ...

    Drei!

    Als sie den Vorhang aufreißt, verstummen die Geräusche erneut.

    Durch die Scheibe sieht sie nichts. Keine Tiere, keine Zwerge – nada.

    Sie lehnt das Gesicht ans Fenster. So nah, dass ihr Atem die Scheibe beschlägt. Allmählich wird es schwierig, durch den Schleier etwas zu erkennen. Sie zieht die Hand in den Ärmel des Morgenmantels zurück und hebt sie, um die Scheibe abzuwischen.

    Und an der Stelle zeigt sich der Störenfried.

    Er schießt von unten hoch, als würde er Terri ins Gesicht geschleudert. Sie erhascht einen flüchtigen Blick auf scharfe Krallen, bösartige Absichten und glänzende Schwärze, als sie aufschreit und zurückspringt. Dabei stößt sie hart gegen einen Stuhl hinter ihr. Dennoch kann sie den Blick nicht von dieser dämonischen Kreatur abwenden, die den Schnabel aufreißt und schaurig kehlige, menschenähnliche Rufe ausstößt.

    Ungläubig, aber auch erleichtert starrt Terri hin. Warum ist sie darauf nicht schon früher gekommen?

    Ein Vogel.

    Und was für einer. Riesig und so pechschwarz. Sogar der Schnabel wirkt wie aus Ebenholz, und die Augen scheinen das Mondlicht zu absorbieren. Der Hals sieht muskulös und kraftvoll aus, als wäre er dazu gedacht, dem Tier zu helfen, Dinge mit diesem verheerenden Schnabel in Stücke zu hacken. Die Flügel schlagen gegen das Glas, als der Vogel mit schabenden Klauen versucht, Halt zu finden. Dazwischen pickt er immer wieder kräftig gegen die Scheibe und droht, sie zu zerbrechen und sich Zugang ins Haus zu verschaffen.

    Eine Krähe, denkt Terri. Oder etwas Ähnliches. Sie kennt Spatzen, Tauben, Rotkehlchen und Stare. Damit ist ihr Wissen über Vögel erschöpft. Ein solches Exemplar hat sie noch nie in ihrem Garten gesehen.

    Und sie will ihn auch jetzt nicht hier haben. Das Vieh ist groß und unheimlich und verhält sich merkwürdig. Wie eines der Tiere aus diesem Hitchcock-Film. Die Vögel. Wo sie sich gegen die Menschen wenden und sie in Stücke reißen.

    Das Tier muss verschwinden. So viel steht fest. Sie kann mit Sicherheit nicht schlafen, solange eine solche Kreatur hämmernd hereinzukommen versucht. Was, wenn der Vogel ihr nach oben zum Schlafzimmerfenster folgt? Und mitten in der Nacht zu klopfen anfängt? Wie könnte sie auch nur mit dem Gedanken daran einschlafen?

    Na schön. Wie wird man einen solchen Vogel los? Bei den meisten klatscht man einfach in die Hände, und weg sind sie. Das haben sogar die dummen, kaugummifressenden Tauben drauf. Aber dieser Vogel? Er sieht aus, als wäre er entweder unvorstellbar bösartig oder ausgesprochen intelligent. Er sieht aus, als würde er einem das Gesicht vom Schädel picken, wenn man ihm zu nahe kommt.

    Ich sollte jemanden anrufen, denkt Terri. Einen Vogelexperten. Oder jemanden mit einer Schrotflinte.

    Aber um halb eins in der Nacht?

    Na gut, dann eben die Polizei. Nein, halt, definitiv nicht die Polizei. Die sollte ich auf keinen Fall anrufen, wenn ich mich nicht hoffnungslos zum Gespött machen will, weil ich mich wegen einem dämlichen Vogel wie ein feiges Huhn aufführe.

    Huhn – Vogel. Das sollte eigentlich lustig sein ... aber ich lache nicht.

    Mit einem verärgerten Knurren findet sich Terri damit ab, dass nur sie allein etwas gegen diese lächerliche Situation unternehmen kann.

    Es ist ein Vogel, Herrgott noch mal. Verscheuch ihn oder schlag ihn tot. Beide Lösungen sind akzeptabel. Okay, Terri?

    Das Wichtigste zuerst. Lichter an.

    Sie ertastet den Lichtschalter. Drückt ihn. Blinzelt, als es blendend hell wird.

    Sie beschließt, dass sie eine Waffe braucht. Vorzugsweise etwas, womit sie einen Sicherheitsabstand zu dem Vieh bewahren kann.

    Terri überlegt ein paar Sekunden, dann geht sie zum Schrank unter der Treppe. Mit einem Besen gewappnet kehrt sie zurück. Dann ergrifft sie einen Schlüssel von einer Ablage und schließt die Hintertür auf.

    »Okay, Spatzenhirn«, sagt sie. »Ich komme. Du hast fünf Sekunden, um aus meinem Garten zu verschwinden, bevor ich dich zu Tode fege.«

    Damit öffnet sie die Tür. Sie streckt den Kopf hinaus in die Nacht. Der Vogel hockt auf dem Fensterbrett, legt den Kopf schief und starrt sie herausfordernd an. Er erinnert sie an etwas. Das Omen? Kommt in dem Film nicht auch ein unheimlicher schwarzer Vogel vor?

    Ich mache es ja schon wieder, denkt sie. Das ist nicht der Teufel in Tiergestalt. Nicht mal ein Zwerg in einem Kostüm. Es ist nur ein Vogel.

    Terri tritt hinaus auf die Terrasse und spürt die Kälte der Steinplatten an den nackten Fußsohlen. Sie hält den Besen vor sich gestreckt, stößt ihn in die Richtung des Vogels.

    Das Tier zeigt sich unbeeindruckt, legt lediglich den Kopf noch etwas schiefer.

    »Na schön, Freundchen. Du hast es so gewollt.«

    Terri zieht den Besen zurück. Dabei schießt ihr durch den Kopf: Bitte komm nicht auf mich zu. Nicht in die Haare. Verheddere dich nicht in meinen Haaren. Fledermäuse tun das, oder? Sie verheddern sich in Haaren. Bitte tu das nicht.

    Ein weiterer Vorstoß. Bis knapp vor das Tier. Sie wappnet sich dafür, den Besen fallen zu lassen und loszurennen, sobald das Vieh etwas unternimmt.

    Aber der Vogel kommt nicht auf sie zu. Er bewegt sich nicht mal von der Fensterbank weg.

    Weil er nicht kann.

    Terri hält den Besen zwar weiter fest in den Händen, senkt ihn aber wie ein Ritter sein Schwert. Mit kleinen, zögerlichen Schritten bewegt sie sich vorwärts und kneift die Augen gegen das Neonlicht zusammen, das durchs Fenster herausdringt.

    Der Vogel bewegt sich nicht ungehindert. Er hat sich in etwas verfangen, kann die Beine nicht von irgendeinem Faden oder Draht befreien.

    Ihr wird klar, warum er sich so seltsam verhalten hat. Er hat sich verheddert und ist in Panik. Der Vogel will einfach nur frei sein. Er ist gar nicht bösartig, sondern verängstigt. Er ist ...

    Der Schlag ist genauso laut wie schmerzhaft. Etwas Hartes, Schweres rammt ihren Schädel. Das Geräusch scheint im Garten widerzuhallen.

    Terri stößt einen spitzen Schrei aus und setzt dazu an, sich umzudrehen. Sie erblickt die dunkle Gestalt eines Mannes, der mit der Hand zu einem zweiten Schlag ausholt. Terri will den Arm hochreißen, um sich zu verteidigen, aber es ist zu spät. Der Gegenstand, den der Mann in der Hand hält – ein Ziegel oder ein Stein –, trifft ihre Stirn mit einem übelkeitserregenden, hohlen, knirschenden Laut und lässt sie rückwärts taumeln. Sie spürt, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand prallt, dann hört sie ein Kreischen, das von ihr, dem Mann oder sogar dem Vogel stammen könnte. Ihre Sicht verschwimmt, und die Schmerzen werden so heftig, dass sich ein Schleier über ihre Augen legt. Instinktiv weiß sie, dass sie sich nicht von Schwärze überwältigen lassen darf. Sie muss sich aus dieser Lage befreien, sich irgendwie Hilfe beschaffen. Also öffnet sie den Mund, um zu schreien – wofür sie sich einen weiteren Schlag einhandelt, diesmal in die Kehle. Blind fuchtelt sie durch die Luft und spürt, wie ihre Hände etwas berühren. Aber sie spürt auch, wie der Mann sie am Ärmel packt und zu sich zieht. Terri setzt die Füße ein, tritt wuchtig dorthin, wo sich sein Schritt befinden sollte. Und ja, sie kann fühlen, wie sie ihn trifft. Sie hört ein gequältes Stöhnen, und sein Griff lockert sich. Sie reißt sich los und rennt zum hinteren Tor, weil ihr der Angreifer den Weg zurück ins Haus versperrt. Wieder öffnet sie den Mund, um so laut zu schreien, wie sie kann – Bitte helft mir, irgendjemand, ganz egal, wer, aber bitte kommt und helft mir!

    Terri hört nichts und weiß nicht, warum. Sie schreit aus Leibeskräften, trotzdem scheint nichts zu passieren. Es ist, als wäre sie durch die Schläge auf den Kopf taub geworden. Dann jedoch stolpert sie und fällt gegen den Gartenzaun. Dabei hört sie, wie die dünnen, spröden Latten an den Betonpfosten klappern und knacken. Selbst in ihrem verwirrten Zustand fragt sie Terri, wie es sein kann, dass sie das hören kann, nicht jedoch die eigene Stimme. Also hebt sie die Hand zum Mund, um zu überprüfen, ob er so funktioniert, wie er sollte. Nur kommt sie nicht so weit.

    Die Hand erreicht den Mund nicht, weil sie die heiße, klebrige Nässe spürt, die überall an ihrem Hals zu sein scheint. Und als ihre Finger weitertasten, entdecken sie den Grund für ihre Stille. Die Fingerspitzen verschwinden in dem riesigen Loch, das in ihrer Luftröhre klafft. Terri erstarrt mit der erschreckenden Erkenntnis, dass der Mann ihr die Kehle durchgeschnitten hat.

    Dann bliebt ihr keine Zeit mehr zum Denken, denn er hat sie wieder erreicht. Er zieht sie vom Zaun weg und ringt sie zu Boden. Terri nimmt ein selbstgefälliges Lächeln in seinem Gesicht wahr, das ihr etwas verrät: Er weiß, dass er gewonnen hat, sie keine Hilfe rufen und sich nicht wehren kann. Weil sie im Sterben liegt. Terri weiß es. Ihre Verletzungen sind zu schwer, zu lebensbedrohlich. Nach und nach schaltet sich ihr Verstand ab, und sie wünscht sich, er würde es nicht tun. Sie wünschte, sie könnte sich an irgendetwas festklammern. An einer Chance. Einer Möglichkeit. Aber ihr Verstand hat anders entschieden. Er hat die Lage abgewogen und beschlossen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Also setzt er die restliche Energie dafür ein, das Bewusstsein herunterzufahren und sich von einer Realität zu lösen, die zu entsetzlich ist, um sie noch länger zu ertragen.

    Und würde es damit enden, wäre das eine Gnade. Aber es kommt noch mehr.

    Der Mann kauert sich rittlings auf Terri. Er packt sie am Kinn und dreht sich ihren Kopf zu. Wieder sieht sie sein Gesicht. Und während das Blut weiter aus ihrer Kehle strömt, fragt sie sich geradezu nüchtern und losgelöst, was im Kopf dieses Mannes vorgehen mag. Sie fragt sich, welche Erlebnisse, welche Tragödien in seinem Leben zu dieser Tat geführt haben. Terri will den Grund erfahren.

    Wie zur Antwort zeigt er ihr das Messer in seiner Hand. Er zeigt es ihr zuerst aus der Ferne, bevor er es näher und näher zu ihr senkt. Bis ihr klar wird, was er damit vorhat.

    Irgendwie kratzt Terri in sich die Kraft zusammen, noch einmal zu schreien. Aber wieder dringt ihr Flehen nicht aus ihrem Körper. Es bleibt in ihr eingeschlossen, zerreißt sie, zerfetzt sie von innen.

    Auf der Fensterbank senkt der Vogel den schmalen Kopf und beobachtet das Geschehen mit gebannter Stille.

    2

    Alle Augen sind auf ihn gerichtet, als er den Raum betritt.

    Verhaltene Bewegungen sind zu hören. Ein bisschen Unruhe herrscht. Vielleicht sogar etwas bange Anspannung.

    Aber alle beobachten und warten. Jeder Einzelne.

    »Ich hab’s geschafft!«, ruft er und streckt die Faust in die Luft. »Ich hab’s verdammt noch mal geschafft!«

    Im Raum bricht Tumult aus und schwillt zu einem beachtlichen Wirbel an.

    Er strahlt sie mit seinem kitschigsten Grinsen an.

    »Hätte nicht gedacht, dass ich’s wirklich tun würde«, meint er. »Ich war mir sicher, es würde zu schwer sein, versteht ihr? Ich war mir nicht mal sicher, ob ich es über den Zaun hinten schaffen würde. Nicht, weil er zu hoch ist oder so. Ich meine, das Klettern war kein Problem. Aber ich dachte, ich würde kneifen. Ich dachte, ich würde letztlich wieder nach Hause kommen und nichts vorweisen können. Aber ich hab’s getan. Ich hab’s wirklich getan.«

    Einige Herzschläge lang bringt er nichts mehr heraus. Er ist zu überwältigt von den Emotionen, die das Erlebnis ausgelöst hat. Mit Tränen in den Augen steht er da, fährt sich mit den Händen durchs Haar und lauscht dem Geplapper um ihn herum.

    »Ich brauche ein Bier«, verkündet er. »Wartet, während ich mir eine Dose hole.«

    Er eilt in die Küche. Dort streckt er die Hand aus, um den Kühlschrank zu öffnen. Dabei bemerkt er, dass seine Finger verkrustet von Blut sind. Ihrem Blut.

    Überstürzt rennt er zum Waschbecken, weil er sich heftig und vollmundig übergeben muss.

    Als das Würgen endet, dreht er den Wasserhahn voll auf und wäscht die Sauerei weg. Er spritzt sich etwas Spülmittel auf die Hände und wäscht auch sie.

    Dann kehrt er zum Kühlschrank zurück. Er holt sich eine Dose Carlsberg heraus, reißt sie auf und trinkt sechs ausgiebige Schlucke, bevor er nach Luft schnappt.

    Als er ins Zimmer zurückkehrt, hat er sich ein wenig beruhigt. Seine Hände zittern nicht mehr so heftig, als er die Dose wieder an die Lippen hebt.

    »Sie hat es verdient«, sagt er. »Aber Mann, war ihr Kopf hart. Ich hab sie zweimal mit einem Ziegelstein geschlagen – zweimal! Trotzdem ist sie nicht zu Boden gegangen. Am Ende musste ich das Messer benutzen. Da ist es ein bisschen unsauber geworden ...«

    Seine Gedanken driften ab, und es dauert eine Weile, bis er zurück in die Gegenwart findet.

    »Aber sie hat erfahren, warum. Ich hab es ihr gesagt, bevor sie gestorben ist. Ich hab ihr genau erklärt, warum ich es getan habe.«

    Mit der freien Hand zeigt er auf einen der Zuschauer, dann auf einen anderen und noch einen. »Ihr wisst, warum ich das mache, oder? Für euch. Für jeden Einzelnen von euch. Sie müssen es lernen. Jemand muss ihnen eine Lektion erteilen.«

    Dann übermannt ihn Erschöpfung, und er stolpert zu einem der hochlehnigen Stühle.

    »George, nach der Nacht, die ich hatte, könnte ich eine Pause brauchen.«

    George scheint den Wink zu verstehen und gibt seinen Platz auf.

    Schwer lässt er sich auf den frei gewordenen Stuhl plumpsen. Er trinkt einen weiteren ausgiebigen Schluck, dann lässt er den Blick über die ihn beobachtenden Gesichter wandern.

    »Ihr kommt alle dran. Jeder Einzelne. Keine Sorge. Das heute Nacht war erst der Anfang.«

    Er streckt eine Hand aus. »Und? Ist das der beste Empfang, den ihr mir bereiten könnt?«

    Wie zur Antwort durchquert jemand aus dem Publikum den Raum und lässt sich auf seinem Schoß nieder. Zart streichelt er ihren Kopf.

    »Danke, Freda«, sagt er. »Auf dich kann ich immer zählen.«

    Freda schaut zu ihm auf, starrt ihm ins Gesicht. Ohne Wertschätzung, ohne Empathie. Vollkommen verständnislos.

    Freda ist eine Taube.

    Von jedem Winkel im Raum starren fast einhundert Augenpaare mit ähnlichem Blick auf den einzigen Menschen in ihrer Mitte.

    3

    Mittlerweile ist er sich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war.

    Als die Anfrage an ihn herangetragen wurde, hat er nicht groß darüber nachgedacht. Schien ein Kinderspiel zu sein. Kein Vergleich zu Dingen, die er früher gemacht hat.

    Dennoch spürt Nathan Cody, wie sich das Unbehagen in ihm aufbaut und der Druck in seiner Brust anschwillt. Es kommt ihm unangenehm warm vor, obwohl es mitten im Oktober ist und die Menschen allesamt dunkle, triste Überkleidung tragen, die zu den dunklen, tristen Tagen passt.

    Spiel, sagt er sich. Spiel wie der Teufel, um dich davon abzulenken.

    Also tut er es. Wie schon

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