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Wenn Schatten bluten
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eBook304 Seiten4 Stunden

Wenn Schatten bluten

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Über dieses E-Book

In dieser Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, wird das Finale des Buches in der Gegenwart erzählt. Das Buch ist chronologisch geordnet und beschreibt den Werdegang der Hauptperson, beginnend mit der Kindheit, vom anfänglichen Traum, ein Profisportler zu werden, der sich aufgrund verschiedenster Ereignisse nicht erfüllte, bis hin zu der Zeit, in der er als erfahrener Trainer auftritt.
Primär wird von einschlägigen Erlebnissen erzählt, die der Protagonist als Türsteher und Bodyguard für einflussreiche, politisch derzeit noch aktive Personen erlebt hat, und seiner schicksalsträchtigen Liebesgeschichte.
Aufgrund einer lebenslangen beruflichen Schweigepflicht war es nicht möglich, eine Biografie zu verfassen, und daher wurde das Format eines Romans gewählt, in dem manche Geschehnisse abgewandelt und kaschiert wurden. Aufgrund dessen wurden alle Namen geändert, einige Personen weggelassen sowie diverse Daten und Örtlichkeiten verändert oder erst gar nicht angegeben. Aus Respekt vor bereits Verstorbenen und aus Sicherheitsgründen für alle noch lebenden beteiligten, nicht mittelbar beteiligten Personen wird das Umfeld des Hauptcharakters umschrieben und bei gewissen Stellen auf nähere Angaben verzichtet.

"Wer könnte sich da zügeln, der ein Herz voll Liebe hat, und in dem Herzen Mut, die Liebe zu beweisen?"
- Macbeth
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Jan. 2024
ISBN9783903370234
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    Buchvorschau

    Wenn Schatten bluten - Martin F. Niessl

    Martin F. Niessl

    Wenn Schatten bluten

    Mein Dank gilt meiner Familie,

    die immer mein Anker war,

    und meinen Freunden, die mich auch teils

    zum Schreiben dieses Buches animierten,

    sowie den vielen Kollegen in der Sicherheitsbranche,

    bekannt und unbekannt.

    Ich danke auch allen,

    die sich für meine Geschichte begeistern können

    und sich unterhaltet fühlen.

    PROLOG

    In dieser Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, wird das Finale des Buches in der Gegenwart erzählt. Das Buch ist chronologisch geordnet und beschreibt den Werdegang der Hauptperson, beginnend mit der Kindheit, vom anfänglichen Traum, ein Profisportler zu werden, der sich aufgrund verschiedenster Ereignisse nicht erfüllte, bis hin zu der Zeit, in der er als erfahrener Trainer auftritt.

    Primär wird von einschlägigen Erlebnissen erzählt, die der Protagonist als Türsteher und Bodyguard für einflussreiche, politisch derzeit noch aktive Personen erlebt hat, und seiner schicksalsträchtigen Liebesgeschichte.

    Aufgrund einer lebenslangen beruflichen Schweigepflicht war es nicht möglich, eine Biografie zu verfassen, und daher wurde das Format eines Romans gewählt, in dem manche Geschehnisse abgewandelt und kaschiert wurden. Aufgrund dessen wurden alle Namen geändert, einige Personen weggelassen sowie diverse Daten und Örtlichkeiten verändert oder erst gar nicht angegeben. Aus Respekt vor bereits Verstorbenen und aus Sicherheitsgründen für alle noch lebenden beteiligten, nicht mittelbar beteiligten Personen wird das Umfeld des Hauptcharakters umschrieben und bei gewissen Stellen auf nähere Angaben verzichtet.

    „Wer könnte sich da zügeln, der ein Herz voll Liebe hat, und in dem Herzen Mut, die Liebe zu beweisen?"

    - Macbeth

    KAPITEL 1 Krächzgezeter

    Geistig und körperlich entkräftet sitze ich da, hadere mit den Dingen, welche sich die letzten knapp zwei Jahre abgespielt haben.

    Ich habe gerade mit meiner großen Liebe Schluss gemacht. Ihr alle Sachen von meiner Wohnung, welche in unmittelbarer Nähe zum Burgenland liegt, nach Wien gebracht. So wie sie es wollte.

    Hat sie zumindest behauptet.

    Offenbar hat sie es sich anders überlegt, denn sie hat mir meine Sachen nicht ausgehändigt.

    Wie ein pubertierendes Mädchen stand sie da, in ihrer Wohnungstür, und verweigerte immer wieder die Herausgabe meiner Kleidung, Kosmetika und anderer Dinge. An meine Wohnungsschlüssel dachte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass ich alles aus meiner Wohnung mitgenommen hatte, um ihr keinen Anlass zu geben, nochmals bei mir aufzutauchen. Die letzten zwei Jahre waren hart, der Psychoterror, den sie betrieben hat, war nicht mehr zu ertragen. Täglich überflutete sie mich mit tausenden Nachrichten über die unterschiedlichsten sozialen Medien. Und das zehrt mittlerweile gewaltig an meinen Nerven. Die gesamte Situation ging mir durch und durch und lähmte mich mittlerweile. Irgendwie kam sie immer irgendwo durch. Da nützte kein Sperren oder Blockieren, Nummern und E-Mail-Adresse ändern, Facebook- und Instagram-Accounts löschen. Wie eine Furie konnte sie sein, ohne Vorwarnung, ohne jeden Anlass. Mehr als zwanzig Jahre Therapie, einschließlich der Einnahme von Psychopharmaka, zeigten keine Wirkung. Keine Stabilität, keine Verbesserung ihrer emotionalen Unzulänglichkeiten.

    Es klopft an der Tür. Das kann nur sie sein. Ich gehe zur Tür. „Ja!?, frage ich. „Ich hab deine Sachen, sagt sie.

    Ihre Stimme klingt irgendwie unsicher und zugleich entschlossen. Es klingt so, als ob zwei Personen zur gleichen Zeit diese Worte aussprechen.

    Ein Krankheitsbild, vor dem sie sich am meisten fürchtete, die Schizophrenie, gestand sie mir schon zu Beginn unserer Beziehung. Sie erzählte mir von all ihren Leiden und Lastern. Sie machte kein Geheimnis daraus. Oft fragte ich sie nach einer Therapiesitzung, was der Psychologe gesagt hatte, doch sie erzählte es mir nie. Nach so einer Sitzung war sie meist ein oder zwei Tage wie paralysiert. Trotzdem liebte ich sie von Tag zu Tag mehr. Ihr Kern und ihre Schale waren für mich einfach vollkommen. Das, was dazwischen lag, die eigentliche Frucht, war das Problem. Es braucht nur eine Stelle leichte Fäule zu haben und man verdirbt sich den Magen. Auf Dauer wurde das sehr anstrengend. Das erinnerte mich an einen Spruch: „Was mich nährt, zerstört mich." Ihr fehlte jegliches Selbstwertgefühl und sie war schwer depressiv, was sie durch Aggressionen überspielte, so konnte sie andere beherrschen und sich gleichzeitig in eine alternative Realität versetzen. Das schützte sie aber nicht auf Dauer, vor allem, weil sie oft nicht mehr wusste, was Wahrheit war und was Einbildung.

    Ich hatte schon viel geschafft, um ihr zu helfen, sich zu festigen und ihre Mitte zu finden. Liebe kann viel bewegen, jedoch nicht auf Dauer und nicht alles. Ihre ganzen Merkmale, die sie als Makel betrachtete. Ich liebte jedes Einzelne, das machte sie so einzigartig. Ihre Augen, die zwar groß waren, aber eine leicht asiatische Form aufwiesen, der kleine Zeh mit einem viel zu kleinen Zehennagel, bei dem sie sich immer schwertat, ihn zu lackieren, die vielen winzigen, süßen Blutschwämmchen auf ihrer linken Pobacke, der leichte Spalt zwischen ihren Schneidezähnen. Und, ich bildete es mir nicht ein, ihr Schweiß roch nach Honig. Jeden Morgen sah ich sie an wie am ersten Tag, wie im ersten Moment, als ich sie gesehen hatte. Jeden Abend sah ich sie sehnsüchtig an, als würde ich sie zum letzten Mal sehen. Ihr fiel das manchmal auf und sie fragte mich dann: „Du liebst mich wirklich, oder? „Na was glaubst du denn?, erwiderte ich.

    Kurz überlege ich, ob ich die Tür öffnen soll. Entschließe mich dazu, es zu tun, nur einen Spalt breit. Ich ergreife die Tragetasche und möchte die Tür wieder schließen. Doch sie ist zu schnell und blockiert sie mit ihrem Fuß. Sie hat ein leichtes Spiel in meiner momentanen Verfassung, mein Reaktionsvermögen und meine Wahrnehmung sind am Boden. Sie drückt mit aller Kraft dagegen, versucht in die Wohnung zu gelangen, ich habe wirklich Mühe standzuhalten. Ich habe ihr viel beigebracht, sie sehr gut trainiert, vom ersten Tag an, an dem ich sie getroffen habe, habe ich sie unter meine Fittiche genommen und trainiert. So wird das nichts, denke ich, so bekomme ich die Tür nie zu. Ich öffne sie und strecke gleichzeitig meine Hände aus, nehme sie an den Schultern, um sie wieder hinauszuschieben, vorsichtig, denn ich will sie auf keinen Fall verletzen. So rasch ich kann, gehe ich wieder zurück in die Wohnung, doch sie ist schnell und geht mir nach. Das Spiel wiederholt sich ein paar Mal, währenddessen beginne ich, sie zu beschimpfen und verlange, dass sie endlich verschwinden soll. Ich entscheide mich, sie weiter vom Eingang weg, den langen Gang hinunter zu schieben, um mehr Zeit für den Rückzug zu haben. Ich schiebe sie ungefähr fünf Meter weit den Gang entlang, sage ihr, sie soll zum Teufel gehen. Plötzlich lässt ihr Widerstand nach, ich nehme meine Hände von ihren Schultern, so wie ich es gelernt habe. Kein Anfassen an empfindlichen Stellen oder Weichteilen, kein Angriff meinerseits, keine Tätlichkeiten. Also verhalte ich mich neutral. Ihr Blick wird plötzlich ausdruckslos, sie greift in ihre Jackentasche und streckt ihren Arm in meine Richtung. Ein flüssiger Strahl trifft mein Gesicht – Was tut sie da, denke ich. Ich fühle nichts, ich reagiere überhaupt nicht, ich stehe reglos da und lasse es geschehen, dass sie mir, ohne abzusetzen, immer noch Flüssigkeit in mein Gesicht sprüht. Pfefferspray brennt nicht sofort, aber mittlerweile müsste schon die halbe Dose in meinem Gesicht gelandet sein. Ich habe nicht zum ersten Mal Pfefferspray abbekommen, ganz zu schweigen von Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Waffen und unzähligen Schlägen und Tritten. Schließlich war es ja jahrzehntelang mein Beruf gewesen. Das kann nicht sein, dass meint sie nicht ernst, ist das wirklich Pfefferspray, den sie mir da regelrecht zu fressen gibt? O.K.! Jetzt beginnt es zu brennen, es ist wirklich dieser Scheiß-Spray. Ich gehe auf sie zu und greife nach dem Spray. Sie ist eingeschüchtert, weil ich nicht so reagiere, wie sie es offensichtlich erwartet hat. In die Wohnung zurückweiche oder gar zu Boden gehe. Sie flüchtet den Gang entlang, ich laufe ihr nach, zwar mit getrübter Sicht, doch meine Augen schließen sich nicht ganz. Jahrelanges Training, in Gefahrensituationen über den erträglichen Schmerz hinauszugehen, macht sich bezahlt. Ich laufe ihr über die bogenförmigen Stiegen Richtung Haustor nach. Meine Augen tränen, meine Sicht ist extrem eingeschränkt. Doch ich kenne meine Umgebung und so bin ich trotz dieses Handicaps ziemlich schnell unterwegs. Und plötzlich trifft mich ein Schlag, längs, mitten ins Gesicht. Ich bin kurz benommen und frage mich, was das war. Ich fühle immer noch keinen Schmerz und stelle fest, dass ich an das Haustor gelaufen bin. Ich bin verwundert, warum ich es nicht kommen gesehen habe, doch meine ganze Konzentration hat nur ihr gegolten, ich habe sie knapp vor mir laufen gesehen. Ich öffne das Tor, blinzle in das grelle Licht, mit brennenden Augen und eingeschränkter Sicht sehe ich sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Wortlos, ausdruckslos starrt sie mich an. „Verzieh dich endlich, du Fotze!", schreie ich sie an, nur damit sie endlich verschwindet. Die Worte sind ein Stich in mein Herz, denn in Wahrheit kann ich ihr kein Haar krümmen, in Wahrheit liebe ich sie immer noch. Sie leidet unter Paranoia und redet sich ständig Dinge ein, die nicht der Realität entsprechen, immer wieder verliert sie sich in Gedanken und hat imaginäre Zeitsprünge, verliert sich in vergangenen Beziehungen, in denen sie von Männern gequält und verfolgt wurde. So hat sie es mir zumindest erzählt.

    Ich versuche, so rasch wie möglich wieder in meine Wohnung zu kommen. Dort angekommen, lasse ich ein kaltes Bad ein, um meine Augen, Nase und Rachen auszuspülen. Sie hat mich voll erwischt! Ja, genau so sollte man den Spray auch einsetzen, vorausgesetzt es droht wirklich Gefahr. Ich ziehe mein T-Shirt aus, doch es ist mühsam, irgendwie klebt es an meinem Körper. Das Shirt ist unten, ich schaue mit verschwommenem Blick in den Spiegel – ich blute. Sogar ziemlich stark. Scheiße – ein Messerstich – ich fühle gar nichts, immer noch nicht. Nicht einmal oberflächlich. Da höre ich ein Geräusch vor der Haustür. „Ich habe noch deinen Schlüssel", sagt sie durch die Tür.

    KAPITEL 2 Idolintegrität

    Es war Mittwochabend, soweit ich mich erinnern konnte. Einmal die Woche lief im Fernsehen Wrestling. Mein Vater sah regelmäßig zu und ich mit ihm. Ein blonder Riese betrat den Ring, eine imposante Erscheinung. Sein Auftritt war überlegen, er gab sich stets siegessicher und wirkte dennoch sympathisch. Er war der Liebling des Publikums, er war der Gute in dem Wettstreit. Ich war beeindruckt. Sein Name: Hulk Hogan. Ich weiß nicht mehr, wer sein Gegner war, ich konnte mich nur mehr daran erinnern, dass ich meinen Vater fragte: „Was muss ich tun, um so auszusehen wie Hulk Hogan? Mein Vater antwortete: „Da musst du viele Knödel essen, Bua.

    Das musste er mir nicht zweimal sagen. Obwohl ich erst sieben Jahre alt war, übte ich ständig und ahmte die Bewegungen, Würfe und Schläge nach. Mein Gegner war ein übergroßer rosaroter Plüschtier-Panther. So wie ich es bei den Profi-Wrestlern jede Woche im Fernsehen bei ihren Ringkämpfen sah, trainierte ich mit meinem riesigen Panther. Ich wollte auch anfangen mit Gewichten zu trainieren, so wie mein älterer Bruder. Er hatte ein paar Hanteln zu Hause, doch er meinte damals: „Das ist nichts für Kinder, mach lieber Liegestütz, etwas Gymnastik oder geh Radfahren. „Na gut, dachte ich mir, dann mache ich das mal so. Ich ließ jedoch auch keine Gelegenheit aus, Gegenstände aufzuheben, die ich sah. Vor allem bei Spaziergängen mit meinem Vater. Wenn irgendwo ein großer Stein, ein Baumstamm oder etwas anderes herumlag, musste ich diese aufheben. Wir gingen immer an einem Bach entlang, weiter über Felder, große Erdhügel bis hin zu einem kleinen Wald.

    Dort lagen viele Steine herum, in allen Größen. Ich hob sie regelmäßig nacheinander auf, vom kleinsten bis zum größten, so lange, bis ich auf einen stieß, den ich nicht mehr heben konnte. Also habe ich da schon mit Gewichten trainiert, aber eben in der Natur und nur am Wochenende.

    Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen. Wir hatten einen Ölofen, um ihn aufzufüllen, mussten wir immer zu Fuß zur Tankstelle gehen, mit zwei Zehn-Liter-Kanistern. Eines Tages ging ich mit meiner Mutter dorthin. Es war gut ein halber Kilometer bis zur Tankstelle. Am Hinweg kam ich nicht auf den Gedanken, ihr beim Tragen zu helfen. Vermutlich, weil sie ja leer waren. Meine Mutter füllte beide voll, bezahlte, nahm sie auf und wir machten uns wieder auf den Rückweg. Bis zur nächsten Ampel waren es ungefähr dreißig Meter. Sie war rot, wir warteten, bis sie grün wurde und gingen los. Auf der anderen Straßenseite sagte ich plötzlich zu meiner Mutter: „Ich kann ja die Kanister tragen. Sie lächelte und meinte: „Ja dann, probiere es. Ich stellte mich zwischen die beiden Kanister, griff zu, hob sie hoch und marschierte los. Meine Mutter sagte nichts, ging nur neben mir her. Nach schätzungsweise fünfzig Metern meinte sie: „Sind die nicht schwer? „Nein, das geht schon. Nach ungefähr derselben Wegstrecke fragte sie: „Willst du die Kanister nicht einmal abstellen, eine Pause machen? „Nein, sagte ich wieder, „du machst ja auch keine Pause."

    „Naja, nicht so oft, aber ein paar Mal muss ich schon rasten. „Schauen wir mal, wie weit ich komme, sagte ich. „Na gut, erwiderte meine Mutter und lächelte. Eine Bekannte meiner Mutter kam uns entgegen, sie grüßten einander. Die Frau sah uns im Vorbeigehen verwundert an, doch mich kümmerte das nicht. Ich bemerkte nur, dass meine Mutter unruhig wurde, etwas war ihr unangenehm. Dann sagte sie zu mir: „Weißt du was, ich übernehme ab hier wieder, denn sonst glauben die Leute noch, du musst daheim Kinderarbeit leisten. Ich verstand sofort und willigte ein, denn ich wollte meine Mutter nicht in Verlegenheit bringen, obwohl ich die Kanister noch länger tragen hätte können. Trotzdem hätte ich sie bald abstellen müssen, denn meine Unterarme waren schon ziemlich in Anspruch genommen. Für einen Achtjährigen war das eine super Leistung, vor allem, weil ich die Kanister beim Tragen vollkommen ruhig gehalten habe und sie nicht herumgependelt waren. So wie ich das heute sehe, war es für mich damals schon eine besondere Herausforderung, etwas zu heben und zu bewegen, ohne es abzustellen.

    In dieser Zeit habe ich Unmengen gegessen, alles, was sich mir bot, am liebsten jedoch Fleisch, Fisch und Obst. Gemüse aß ich nicht so gern, außer Kartoffeln, die schmeckten mir immer. Semmeln, mit mehr als doppelt so viel Schinken belegt, und so weiter. Ich weiß noch, dass es oft gekochte Schweinefüße gab und ich habe sie geliebt. Heute stehen sie nicht mehr auf meinem Speiseplan. Besonders der Sonntag war immer meine Bewährungsprobe, denn ich wollte meinen Vater beim Essen unbedingt schlagen. Schließlich war er ja mein erstes Vorbild und deshalb auch mein erster Gegner. Das war mein Ziel, mehr zu essen als er. Und dabei zählte nicht, wenn er nicht mehr wollte, sondern nicht mehr konnte. Das behielt ich aber für mich, ich musste den Tag abwarten, an dem es knapp werden würde. Als ich fast zehn Jahre alt war, war es so weit. Es war wieder ein Sonntag und es gab eines meiner Lieblingsgerichte. Grillhendl mit Reis und Kartoffelsalat. Ich zählte wie immer die Stücke, es mussten natürlich gleich viele und dieselben sein. Brust, Keule oder Flügerl, sonst stimmte ja das Verhältnis nicht. Beilagen immer in gleicher Menge nachgenommen. Ich beobachtete ihn, wie er langsam zu kämpfen anfing. Es war Gleichstand, als ich ihn fragte: „Möchtest du noch etwas? Daraufhin mein Vater: „Nein danke, ich kann nicht mehr. Da war er, genau der Satz, auf den ich so lange gewartet habe. Ich nahm mir in aller Ruhe noch ein Stück vom Huhn, allerdings diesmal ohne die Beilagen. Als ich fertig war, sagte ich ihm, dass ich zum ersten Mal mehr gegessen hätte als er und dass das seit über zwei Jahren mein Ziel gewesen wäre. Er war sichtlich erstaunt und meinte nur: „Na bumm." Auch wenn es nicht offiziell war und er von dem Wettbewerb gar nichts wusste, war es unglaublich aufbauend für mich und gab mir das Gefühl, dass nichts unmöglich ist, wenn man sich nur genug anstrengt.

    Das war, soweit ich mich erinnern kann, am selben Tag, als ich meinem Vater sagte, dass ich glaubte, ihn aufheben zu können.

    Er lachte und meinte, dass er knapp hundert Kilo wiege und das unmöglich sei, beziehungsweise ich mich bei dem Versuch verletzen könnte. Ich gab jedoch nicht nach und bestand darauf, es probieren zu wollen. „Wie soll das gehen?, meinte er. Ich sagte: „Ich krabble unter dich und hebe dich mit meinen Schultern an. Er lachte und meinte: „Na dann, versuch’s halt! Ich zögerte keine Sekunde und ließ meinen Worten Taten folgen. Ich setzte ihn mit meiner rechten Schulter unter seiner Hüfte an und hielt meine Knie mit meinen Händen fest. Instinktiv drückte ich aus Beinen, Armen und Rücken gleichzeitig. Prompt brachte ich meinen Vater in einer gleichmäßigen Bewegung nach oben. Als ich mich bereits zur Hälfte durchgedrückt hatte, sprang mein Vater ab. Ich schaute zu ihm hoch. Und diesen Blick und was er zu mir sagte, werde ich nie vergessen: „Wenn der groß ist, haut er uns alle in die Goschen. Ich war entsetzt, dass er in diesem Moment so von mir dachte, denn ich hatte doch alle so lieb.

    Ich hatte tiefsten Respekt vor meiner Familie. Ich bin das jüngste von fünf Kindern, drei Mädchen und zwei Buben. Mein Bruder, der Zweitgeborene, war das komplette Gegenteil von mir. Er sah aus wie John Travolta, ich wie Errol Flynn. Er hatte die Klappe von Thomas Gottschalk und ich die Ausstrahlung von Clint Eastwood. Damals schon. „Schau nicht so böse, höre ich jeden zweiten bis heute sagen. Meine älteste Schwester, der Ruhepol der Familie, hält die ganze Familie zusammen. Meine mittlere Schwester, die Rebellin, die gerne gegen den Strom schwimmt. Meine zweitjüngste Schwester, die Suchende. Die Suchende deshalb, weil sie nie wusste, was sie wollte. Man könnte meinen, ich wäre der Suchende, weil ich schon als Vierjähriger Fernweh hatte. Ich wollte ständig in Bewegung bleiben und die ganze Welt sehen. Und ich wollte immer mehr. Nicht mehr Geld, Reichtum und Ruhm. Ich wollte der Größte und Stärkste werden. So wie zum Beispiel der Hulk. Und ich wollte viel wissen, so wie Leonardo da Vinci. Ich wollte nicht der „Herr Obergescheit sein, nur eben so viel wie möglich wissen, weil es so viel Spannendes zu wissen und entdecken gab.

    Mein Vater war der Sohn einer Tiroler Bergbauern-Familie. Er wuchs im Zweiten Weltkrieg auf und musste schon als Kind hart arbeiten. Er sprach nie viel, aber wenn er was sagte, hörte ich aufmerksam zu. Er sagte oft: „Hör lieber zu. Reden tun eh die anderen genug. Außerdem kann man nie etwas lernen, wenn man selbst nur redet. Und wenn man zu viel redet, wird’s irgendwann peinlich für dich oder mühsam für andere. Bevor man etwas sagt, sollte man überlegen, was man sagt, denn wenn es einmal ausgesprochen ist, kann man es nicht mehr rückgängig machen. Man kann verzeihen, natürlich, jeder ist nur ein Mensch, aber alles hat seine Grenzen. Ich wollte schon immer alles andere als peinlich sein. Außerdem lag es mir absolut fern, dass sich jemand unwohl in meiner Nähe fühlte. Vorsicht, Zurückhaltung und Offenheit waren für mich immer das höchste Bedürfnis. Meine Mutter, die drei Jahre jünger als mein Vater war, wuchs in Wien auf, in Döbling, in einer etwas besser situierten, unterkühlten Familie. Sie beschützte mich immer wie eine Löwin. Sie meinte immer: „Angriff ist die beste Verteidigung. Ich habe das aber niemals so praktiziert. Beide erzählten nie viel von früher oder von ihrer Kindheit. Immer wenn ich Fragen stellte, bekam ich nur kurze, knappe Antworten. „Unterricht mit dem Rohrstock zum Beispiel, das hätte es bei mir nicht gespielt, denen hätt ich’s schon gezeigt, sagte ich zu meiner Mutter. Bei meinem Vater ist einmal eine Handgranate in der Scheune neben ihm explodiert, während er Kühe molk. Danach sah er auf einem Auge fast nichts mehr und hörte schwer. Die erste Verabredung meiner Eltern war, soweit ich weiß, ein Kinobesuch. Sie sahen sich „Vom Winde verweht an. Irgendwie passend, denn meine Eltern sahen Clark Gable und Vivien Leigh total ähnlich. Vor allem ihr Hochzeitsfoto sah aus wie das Filmcover, das mein Bruder bei sich zu Hause hat.

    Wir hatten nie viel, aber es fehlte mir an nichts. Im Gegenteil, ich war glücklich. Ich malte einmal daheim auf der Tapete, versuchte irgendwelche Worte zu schreiben. Ich ging noch in den Kindergarten. Ich merkte nicht, dass wer näherkam, hörte nur plötzlich die Stimme meines Vaters, der laut sagte: „Bua, wos mochst do!? Er kam zu mir, riss mir den Stift aus der Hand und sagte dann mit leiser Stimme: „So schreibt ma des. Und schrieb total konzentriert daneben auf der Tapete weiter. Fasziniert sah ich ihm dabei zu. Es vergingen keine dreißig Sekunden, da stand meine Mutter hinter uns und schrie: „Jo mir scheint … Heite gibt’s ka Nochspeis! Es war Sonntag, da gab’s immer Fleisch als Hauptgericht und einen Nachtisch. Sie marschierte wieder zurück in die Küche. Mein Vater und ich sahen uns an und zuckten in beiderseitigem Einverständnis wortlos mit den Schultern, denn wir mochten sowieso lieber das Fleisch und meine Mutter die Mehlspeise. Das war also keine rechte Strafe für uns, aber vielleicht dachte sie ja, dass der Gedanke zählt. Dennoch setzten wir die Wandmalerei nicht fort, sicherheitshalber. Meine älteren Geschwister dürften das zum Teil noch anders erlebt haben. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter mal erzählte, dass meine Geschwister Hunger hatten und nach einem Stück Brot fragten, doch sie hatte nicht einmal das. Und das erinnert mich daran, dass ich einmal mit meinem Bruder Eis essen ging. Er fragte mich kurz vor dem Eisgeschäft, wie viel ich möge. Ich sagte: „Ich weiß nicht, darauf mein Bruder: „Einen Liter?, ich wiederum: „Das geht?, mein Bruder: „Sicher. Also aßen wir jeder einen Liter Eis. Ich mit neun Jahren, aber das schaffte ich. Ein anderes Mal war ich mal mit ihm in seinem Stammlokal. Er ließ mich hinsetzen und meinte: „Ich geh nur schnell auf die Toilette, warte mit der Bestellung! Kaum war mein Bruder hinter der Tür verschwunden, kam auch schon die Kellnerin. Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte. Sie hatte einen dunkelblonden, langen, geflochtenen Zopf. Ihre Gesichtszüge waren sehr fein, wie bei einer Barbiepuppe, und der Ausschnitt ließ eher auf eine Milchbar als auf eine Bierschank schließen. Sie fragte mich, was es sein dürfe. Mir blieb das Herz stehen, ich versuchte aber, gefasst zu wirken: „Ein Paar Frankfurter und ein Krügerl – bitte, antwortete ich spontan. Am Satzanfang noch zögerlich, doch am Ende schon etwas bestimmter. Als wäre es alltäglich, dass ein Kind so etwas bestellt. Dann fragte sie freundlich und interessiert: „Brot oder Semmel zu die Würstl? „Eine Semmel, bitte, war meine Antwort. Es vergingen nur ein paar Minuten, bis sie das Bestellte brachte. Offensichtlich wollte sie die Reaktion meines Bruders sehen. Es war Mittag, Sommerferien und nicht viele Leute im Lokal. Niemand hat sich umgedreht oder geglotzt während der Szene, das wäre heutzutage undenkbar. Ich traute mich erst gar nicht zuzugreifen. Die Kellnerin, die wieder hinter der Bar verschwand, konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. Da kam mein Bruder zurück, stellte sich vor mich hin und sagte: „Ich hab dir doch extra gesagt, du sollst noch nichts bestellen. Ich meinte darauf: „Aber sie kam so schnell und wenn ich nichts bestellt hätte, hätte sie vielleicht gesagt, dass ich gehen soll." Auf diese Antwort fiel selbst meinem Bruder nichts mehr ein. Er griff zu dem Bierglas und kurz bevor er zu trinken anfangen konnte, stand schon wieder die Kellnerin da und sagte

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