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Wandlungen in Raum und Zeit: Himmel -- Heimat -- Weltverständnis. Transformations in Space and Time: Heaven -- Home -- Understanding of the World.: Proceedings der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie in Recklinghausen 2022. Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften; Band 58.
Wandlungen in Raum und Zeit: Himmel -- Heimat -- Weltverständnis. Transformations in Space and Time: Heaven -- Home -- Understanding of the World.: Proceedings der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie in Recklinghausen 2022. Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften; Band 58.
Wandlungen in Raum und Zeit: Himmel -- Heimat -- Weltverständnis. Transformations in Space and Time: Heaven -- Home -- Understanding of the World.: Proceedings der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie in Recklinghausen 2022. Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften; Band 58.
eBook602 Seiten4 Stunden

Wandlungen in Raum und Zeit: Himmel -- Heimat -- Weltverständnis. Transformations in Space and Time: Heaven -- Home -- Understanding of the World.: Proceedings der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie in Recklinghausen 2022. Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften; Band 58.

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Über dieses E-Book

Das Buch "Wandlungen in Raum und Zeit" widmet sich in 14 Kapiteln der Archäo- / Kulturastronomie. Der einführende Beitrag spannt einen weiten kulturellen und thematischen Bogen von der Vorstellung vom Welt-Organismus, vom kosmischen Lebewesen in verschiedenen Kulturen.
Es folgt eine Untersuchung der Konstruktion der Kreisgrabenanlage von Stonehenge. Astronomische Bezüge können mit einer astronomisch korrekten Himmelssimulation dargestellt werden. Eindrucksvoll ist das Horizontobservatorium Halde Hoheward und die grosse Sonnenuhr. Ferner wird die astronomische Ausrichtung von Galeriegräbern in der Wartbergkultur analysiert.
Sechs Beiträge widmen sich der Astronomie der Bronzezeit, bei den Germanen und Kelten. Die Auszählung von metallenen Scheiben aus der Eisenzeit in Italien deutet auf astronomisches Wissen hin, besonders auf den Saroszyklus, was die Vorhersage von Mondfinsternissen ermöglicht. Aus der Bronzezeit werden Schalensteine aus der Bretagne mit Zirkumpolardarstellung sowie der Goldhut von Schifferstadt mit einer neuen Deutung des Symbols an der Spitze präsentiert. Ein Beitrag widmet sich der germanischen Mythologie, dem Gott Heimdallr, Weltenschöpfer und großer Himmelsgott. Für den Meteoriteneinschlag "Chiemgau Impakt" (900 bis 600 v. Chr.) werden geoarchäologische Belege präsentiert.
Auch Astronomie in außereuropäischen Kulturen wird diskutiert, zum Beispiel, ob es den Gilgamesch-Mythos auch in China gibt, oder die Indus- und Inka-Kultur. Bei der hochmittelalterlichen Rundkapelle zu Drüggelte wird Mythos und Kulturhistorik vorgestellt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Dez. 2023
ISBN9783347942677
Wandlungen in Raum und Zeit: Himmel -- Heimat -- Weltverständnis. Transformations in Space and Time: Heaven -- Home -- Understanding of the World.: Proceedings der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie in Recklinghausen 2022. Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften; Band 58.
Autor

Gudrun Wolfschmidt

Prof. Dr. Gudrun Wolfschmidt Working Group History of Science and Technology AG Geschichte der Naturwissenschaft und Technik (GNT) https://www.fhsev.de/Wolfschmidt/GNT/home-wf.htm Hamburg Observatory, University of Hamburg Faculty of Mathematics, Informatics and Natural Sciences (MIN) Biographische Informationen, Aktivitäten, Publikationen, Lehrveranstaltungen, Ausstellungen, Exkursionen und Vorträge sowie Awards & Achievements finden sich hier: https://www.fhsev.de/Wolfschmidt/ Publikationsreihe: Nuncius Hamburgensis https://www.fhsev.de/Wolfschmidt/GNT/research/nuncius.php

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    Buchvorschau

    Wandlungen in Raum und Zeit - Gudrun Wolfschmidt

    Abbildung 1.1:

    Prinzipielle Stufen der Kosmogonie nach archaischer Anschauung

    (© Michael A. Rappenglück)

    Mensch, Lebenswelt und Welt-Organismus – Die Vorstellung vom kosmischen Lebewesen in verschiedenen Kulturen einst (und heute)

    Michael A. Rappenglück (Gilching)

    Abstract: Man, life-world and world-organism – The idea of the cosmic living being in different cultures once (and today)

    Among the cosmological, cosmogonic and cosmopractical concepts of peoples worldwide and across the ages, the idea of the world as a giant living entity is significant. Cultures viewed the world as an animal (e. g., a turtle, a shell, an octopus, or a cow), a kind of giant human being or an egg. They often associated the body parts of the cosmic being with the constitutive framework of the universe (centre, cardinal points, rising and setting points of the celestial bodies, world axis, main circles), with fixed stars and asterisms, wandering stars (especially the sun and moon), the Milky Way or the zodiac. The anatomy of certain living beings, especially humans, served as an excellent model for the spatial structure of the world, the temporal changes, and the cycles of reproduction. The head, the limbs, the skeleton (especially the spine), the nervous, circulatory, and digestive systems, the navel and the sense organs were linked to the basic features of the celestial sphere. The huge cosmic creature showed a form of metabolism, respiration, and reproduction, which appeared, for example, as wind currents, water cycles, seasons, tides, and life cycles of plants, animals, and humans in connection with celestial phenomena. People regarded the heavens and the earth as human reproductive organs and identified the cosmos with a giant womb. Moreover, the cosmogonic first and essential dichotomy, from which the differentiation of the world into the multiplicity of entities developed, is compared to a kind of primordial sacrifice of a giant cosmic creature. People regarded the landscape, a cave, a dwelling, a cultic building, or a settlement as an embodiment of the cosmic living being in miniature, reflecting the characteristics of the macrocosmic being. The lecture will give a systematic overview of the ideas of the world as a living entity in different cultural circles over the centuries. Concepts of iatromancy will be included. The methodology is transdisciplinary, using approaches from comparative mythology, ritual studies, archaeology, anatomy, medicine, and social anthropology, among others. It becomes clear that the world as a living entity was an impressive, memorable metaphor to illustrate the structure of the cosmos as a kind of giant organism in which microcosmic humans are integrated and in which they participate. Similar ideas were later discussed in philosophy, for example, the romantic philosophy of nature or speculatively in the Gaia hypothesis. That there are interesting algorithms that describe developmental processes in biology as well as in cosmology is shown, for example, by the spread of the slime mould Physarum polycephalum and the network of filaments in the cosmos. This study is based on my 2018 English publication (Rappenglück 2018a) with extensions and additions.

    Zusammenfassung

    Unter den kosmologischen, kosmogonischen und kosmopraktischen Konzepten der Kulturen weltweit und über die Zeiten hinweg ist die Vorstellung von der Welt als einer riesigen lebenden Einheit bedeutend. Die Kulturen betrachteten die Welt als ein Tier (z. B. eine Schildkröte, eine Muschel, einen Oktopus oder ein Rind), eine Art Riesenmensch oder ein Ei. Oft assoziierten sie die Körperteile des kosmischen Wesens mit dem konstitutiven Gerüst des Universums (Zentrum, Kardinalpunkte, Auf- und Untergangspunkte der Himmelskörper, Weltachse, Hauptkreise), mit Fixsternen und Sterngruppen, Wandersternen (insbesondere Sonne und Mond), der Milchstraße oder dem Tierkreis. Die Anatomie bestimmter Lebewesen, insbesondere des Menschen, diente als hervorragendes Modell für den räumlichen Aufbau der Welt, die zeitlichen Veränderungen und die Zyklen der Fortpflanzung. Man verknüpfte den Kopf, die Gliedmaßen, das Skelett (vor allem die Wirbelsäule), das Nerven-, Kreislauf- und Verdauungssystem, den Nabel und die Sinnesorgane mit den Grundzügen der Himmelskugel. Das riesige kosmische Lebewesen zeigte eine Form des Stoffwechsels, der Atmung und der Fortpflanzung, die z. B. als Windströme, Wasserkreislauf, Jahreszeiten, Gezeiten, Lebenszyklen von Pflanzen, Tieren und Menschen in Verbindung mit himmlischen Phänomenen auftraten. Die Kulturen betrachteten insbesondere Himmel und Erde als menschliche Fortpflanzungsorgane und identifizierten den Kosmos mit einer riesigen Gebärmutter. Darüber hinaus wurde die kosmogonische erste und wesentliche Dichotomie, aus der sich die Differenzierung der Welt in die Mannigfaltigkeit der Entitäten entwickelte, mit einer Art Ur-Opfer eines riesigen kosmischen Lebewesens verglichen. Die Kulturen betrachteten die Landschaft, eine Höhle, eine Behausung, ein kultisches Gebäude oder eine Siedlung als Verkörperung des kosmischen Lebewesens in Miniatur, die die Eigenschaften des makrokosmischen Wesens widerspiegelt. Diese kurze Studie gibt einen systematischen Überblick über die Vorstellungen von der Welt als lebendiger Einheit in den verschiedenen Kulturkreisen im Laufe der Jahrhunderte. Konzepte der Iatromantie werden einbezogen. Die Methodik ist transdisziplinär und nutzt unter anderem Ansätze der vergleichenden Mythologie, der Ritualforschung, der Archäologie, der Anatomie, der Medizin und der Sozialanthropologie. Es wird deutlich, dass die Welt als lebendige Einheit eine eindrucksvolle, einprägsame Metapher war, um die Struktur des Kosmos als eine Art Riesenorganismus zu veranschaulichen, in den der mikrokosmische Mensch eingebunden und an dem er beteiligt ist. Ähnliche Gedanken wurden später auch in der Philosophie, zum Beispiel der romantischen Naturphilosophie oder spekulativ-naturwissenschaftlich in der Gaia-Hypothese diskutiert. Dass es interessante Algorithmen gibt, die sowohl Entwicklungsprozesse in der Biologie als auch in der Kosmologie beschreiben, zeigen beispielsweise die Ausbreitung des Schleimpilz Physarum polycephalum und das Netz der Filamente im Kosmos. Dieser Beitrag basiert auf meiner Veröffentlichung von 2018 (Rappenglück 2018a) mit Erweiterungen und Ergänzungen.

    1.1 Das Welt-Ei: Embryologie und Kosmogonie

    Nach den Überlieferungen vieler Kulturen in aller Welt entstand der Kosmos – die organisierte Welt – aus einer formlosen, lautlosen, chaotischen, unbegrenzten (wässrigen), aber dennoch belebten, in einem dunklen Abgrund schwebenden Flüssigkeit (Abb. 1.1; Lukas 1894, 228, 230–232; Yu 1981; Baumann 1986, 255, 268, 274; Hermsen 1996; Tsintjilonis 1997, 252–253; Leeming 2010, 341– 343; McClain 2011). Der Taoismus (China) fasst den Abgrund als eine Art Gefäß der „Leere auf, verglichen mit einer „großen Höhle (dadong), grenzenlos, „gefüllt" mit unzähligen numinosen Kräften, das Tao (das schöpferischeenergetische, das Eine, alles durchdringend und begründend, beherbergend, aus dem sich der Kosmos und damit auch der Mensch differenzieren (Liu 2022, 5).

    Dieses Wesen wurde als androgyn angesehen (Baumann 1986, 255; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 497–499). Gelegentlich, z. B. im alten Ägypten und Griechenland, wurde es auch mit der nicht alternden Zeit – manchmal personifiziert – in Verbindung gebracht (Lukas 1894, 232). Diese Matrix existiert für immer. Das ist die erste und unumgehbare Phase des Kosmos.

    Abbildung 1.2:

    Hiranyagarbha (Sanskrit: goldenes Ei, goldener Schoß), das goldene Welt-Ei als primordiale Gebärmutter im kosmischen Wasser. Gemalt von Manaku (1700–1760), circa 1740.

    (Aus einem Folio des Bhagavata Purana aus der Sammlung Bharat Kala Bhavan, Varanasi, Uttar Pradesh, Indien, Public Domain)

    Nach altägyptischen, phönizischen und indischen Überlieferungen wird die Urmaterie durch eine sonnenähnliche, sexuelle Hitze, Begehren (Höchsmann 2016, 73–78, 80), eine Art schraubenförmiger Schwingungen, die mit einem Wirbelwind verglichen wird, entfacht (Lukas 1894, 230–233; Kaelber 1976; Baumann 1986, 144, 170). In diesem Zusammenhang ist der antike Philosoph Empedokles (um 495 bis um 435 v. Chr.) zu erwähnen, der das Atmen eines kosmischen Lebewesens und dessen Embryonalentwicklung analog zum Menschen sowie Liebe und Streit als Grund- und Antriebskräfte der Kosmogonie beschrieb (Wilford 1968). Empedokles’ Vorstellungen sind im Zusammenhang mit der Schrift „Über die Natur des Kindes (ΠΕΡΙ ΦΥΣΙΟΣ ΠΑΔΙΟΥ) eines Philosophen im Umfeld der Hippokratischen Schule (5.–6. Jh. v. Chr.) zu sehen (Littré 1851, 486–541). Dieser Vorgang der Schöpfung wird oft als „Feuermachen verstanden (Rappenglück 2016, 111–112). Aus dem turbulenten UrFluidum entsteht das irdische Ei, das die Kulturen als gebärmutterähnliche Struktur betrachten. Das ist das zweite Stadium, das einen Kosmos erzeugt (Lukas 1894, 228). Das Konzept des Welt-Eies (Abb. 1.2) ist Teil von Mythologien auf der ganzen Welt (Lukas 1894; Long 1963, 109–145; Toporov 1967; Demetrio 1968, 67–69; Kuiper 1970; Ochsenschlager 1970; Girardot 1977; Maringer 1981; Snodgrass 1985, 47, 192–200, 228-229; Baumann 1986, 144, 268– 277; Hukam Chand Patyal 1995, 98; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 337–341; Naumann 1996, 231; Locke 1997; Valk et al. 1992; Alsobrook 2008; Rambelli 2009, 251, 255, 260; Leeming 2010, 12–15, 19, 24, 62, 66, 70– 71, 96–97, 99, 104, 109–110, 116, 313–314; Mitchell 2013; Sarr 2021; Waterson 2009a, 129).

    Abbildung 1.3:

    Ausgegrabener Stein mit Darstellung eines Vogelmenschen mit Ei in der Hand. Flachrelief, Orongo, Osterinsel (Valparaíso, Chile), 1914, 36,5 cm

    Routledge, Katherine: The Mystery of Easter Island, 1919, Fig. 112, p. 263.

    Alte Überlieferungen, z. B. in Ägypten, Ozeanien und Afrika, erzählen, dass ein Schöpferwesen (Abb. 1.3), das sich die Kulturen als Vogel, Reptil oder Fisch vorstellten, das Welt-Ei legt und ausbrütet (Lukas 1894, 241; Kuiper 1970, 100–101; Ochsenschlager 1970, 332; Perkins 1980; Baumann 1986, 269, 270, 275; Leeming 2010).

    Abbildung 1.4:

    Eine Darstellung der indischen Kosmologie und das Foto eines Lotos

    (Grafik: Wilford, Captain F.: VII. An Essay on the Sacred Isles in the West, with other Essays connected with that work. In: Asiatic Researches or Transactions 8, London (1805), p. 245–376, No. 1)

    In einem litauischen Mythos züchtet die Sonne das Welt-Ei und erzeugt so die Erde (Lukas 1894, 238). Selten kann das kosmische Gefäß auch pflanzlich sein (Abb. 1.4): eine Lotusblüte, z. B. in Traditionen des alten Ägyptens, Mesopotamiens, des Mittelmeerraums, Indiens, Chinas und Mesoamerikas (Lukas 1894, 234–235; Rappenglück 2014a, 300–301), ein Kürbis, z. B. in Überlieferungen der Yoruba, Afrika (Baumann 1986, 270–271), eine Kokosnuss, z. B. in indianischen und philippinischen Mythen (Lukas 1894, 233; Demetrio 1968, 69), oder sogar ein Rindersteak-Pilz, der nach Mythen der Pangwe, Afrika, mit einem Ei verglichen wird (Baumann 1964, 191–192, 1986, 270). Außerdem wurde das Welt-Ei durch eine sich im Raum drehende Muschelschale symbolisiert, z. B. nach Überlieferungen der Inselbewohner von Raiatea und Tahiti (beide (Gesellschaftsinseln, Französisch Polynesien, Pazifik) oder des alten Babyloniens (Baumann 1986, 165, 233, 275; Rappenglück 2014a, 295–296), eine Plazenta, z. B. in den Mythen der Mande und Dogon, Afrika (Dieterlen 1993b, 123–124; Leeming 2010, 96-97, 182, 313–314), oder einen menschlichen Schädel, z. B. in der indischen Tradition (Baumann 1986, 274). Insbesondere der Lotus scheint mit dem Welt-Ei-Motiv assoziiert oder sogar kombiniert zu werden, z. B. in ägyptischen und indischen Traditionen (Lukas 1894, 234–235). Bei den Parsen und im Taoismus (Laozi) schwebt die Erde im Zentrum des Universums wie der Dotter in einem Ei (Lukas 1894, 228; Allan 2003, 275).

    Im Wesen der Welt sind Materie und Licht bebrütet und ursprünglich angelegt (Lukas 1894, 232–233, 236; Dieterlen 1993b, 1993a, 124; Leeming 2010, 314). Es entsteht ein Antagonismus und eine Polarität von Wasser und Feuer (Rappenglück 2016, 112–113). Männliche und weibliche Keime sind im Welt-Ei bisexuell vermischt, wie in den Mythen des alten Ägyptens und Mesopotamiens, Asiens und Ozeaniens sowie Europas erzählt wird (Lukas 1894, 231; Long 1963, 109–145; Baumann 1986, 157, 255; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 337; Alsobrook 2008, 9, 23–25, 40–41). Die weibliche (lunare) und die männliche (solare) Kraft und das Prinzip gehen auseinander. Nach den Überlieferungen sind an verschiedenen Orten der Welt antagonistische Zwillinge, oft als männlich und weiblich charakterisiert und manchmal an beiden Enden der Weltachse angesiedelt, für die Trennung verantwortlich (Long 1963, 113; Neumann 1975, 6–7; Baumann 1986, 269–270; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 337; Stross 2007; Waterson 2009b, 129; Leeming 2010, 313–314, 326–327; Rappenglück 2014a, 299–300).

    In der phönizischen und orphischen Tradition gibt es den Mythos eines göttlichen Wesens (eine Art Demiurg), welches das Welt-Ei in zwei Teile spaltet (Lukas 1894, 230–231). Das Welte-Ei teilte sich in zwei Hälften, die den kosmischen Hemisphären ähnelten (Abb. 1.5): Die obere Hälfte bildete den Himmel, die untere die Erde oder die Unterwelt, wie es in Mythen in Europa, Asien, Afrika und Ozeanien erzählt wird (Lukas 1894, 228, 230, 238–239; Naumann 1996, 231; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 337; Alsobrook 2008, 23–25). Nach indianischen Mythen werden die beiden Teile der Eierschale bestimmten Farben zugeordnet: Silber [Erde] und Gold [Himmel] (Lukas 1894, 228; Baumann 1986, 274). Eine Variante der Vorstellung von einer ersten Spaltung des Welt-Eies wird von den Ngadju Dajak, Borneo, präsentiert (Baumann 1986, 130–131): Himmel und Erde sind zwei Ur-Eier, die von einem weiblichen und einem männlichen Vogel beim Tauchen in das Urmeer gewonnen wurden.

    Neben dem dichotomen existierte ein trichotomes Konzept, z. B. in indischen und ozeanischen Mythen: Das Platzen des kosmischen Eies schuf Himmel, Erde, Luft oder Himmel, Erde, Ozean, oder Himmel, Luft und Unterwelt (Lukas 1894, 229; Baumann 1986, 276). Ein drittes Wesen, das meist als Luft oder Licht angesehen wird, trennt die hermaphroditische kosmische Einheit in zwei Geschlechter (Baumann 1986, 255). Eine Variante des trichotomen Modells wird von der tibetischen Bön-Religion vorgegeben (Leeming 2010, 314): Drei Eier – ein goldenes, ein türkisfarbenes und ein weißes – begründen die Welt. Die ersten beiden sind Teile einer Ur-Polarität. Das dritte Ei enthält die goldene Spindel (die Weltachse), die die beiden anderen trennt.

    Abbildung 1.5:

    Phanes

    (Cook, Arthur Bernard, Zeus: A study in ancient religion. Volume II, Part II: Zeus God of the Dark Sky (Thunder and Lightning), Appendix G, p. 1052, fig. 909. Cambridge: Cambridge University Press 1925. Public Domain).

    Die von den alten Kulturen Europas, Asiens und des Nahen Ostens überlieferten Mythen zeigen, dass die Aufspaltung des Welteneis eng mit dem Motiv des primären kugelförmigen, hermaphroditischen Anthropoiden zusammenhängt, der abgetrennt und in ein Paar beider Geschlechter verwandelt wurde: einen ersten weiblichen und männlichen Menschen (Baumann 1986, 171, 175–182; Demetrio 1968, 67–68). Durch das Aufbrechen des kosmischen Eies entstanden die urweltlichen Elternzwillinge, die als Bruder und Schwester angesehen werden, die ständig inzestuös kopulieren (Baumann 1986, 254–267; Leeming 2010, 16–21). Nach indianischen Überlieferungen wurden drei Teile gebildet – die Schale, das Weiße und der Dotter –, die den Himmel, die Luft und die Erde darstellen (Baumann 1986, 274). Die alten finnougrischen Kulturen liefern ein anderes Muster: Das Eigelb wird zur Sonne, das Weiße zum Mond. Die gefleckten Fragmente werden zu Sternen, die schwarzen zu Wolken (Leeming 2010, 109; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 339; Valk 2000). Nach Überlieferungen des christlichen Mittelalters und des Altnordischen (Simek 1990, 75–81) ist der Kosmos wie ein Ei geformt, das die kugelförmige Erde im Zentrum enthält und von vier Hüllen umschlossen ist (Honorius Augustodunensis (1080–1150/1151) / Altnordisch), die den klassischen Elementen zugeordnet wurden: Die Eierschale (Himmel / Feuer), das dicke und dünne Eiweiß (Äther / Wasser), der Dotter mitsamt der Dotterhaut (Luft / Erde), der Fetttropfen (Keimscheibe) oder die Cuticula (Erde / Luft). Darüber hinaus wird das kosmische Ei in sieben Schalen unterteilt, z. B. im altindischen Mythos (Lukas 1894, 233) oder sogar in neun Schalen, z. B. in einem Mythos der Kogi, Südamerika (Schuetz-Miller 2012, 300). Diese Modelle könnten mit den Bahnen der Wandersterne (sieben) und den eher spekulativen, aber aus der altindischen Astronomie bekannten Ketu und Rahu (Monier-Williams 1899, 309, 879) zusammenhängen, ergänzt durch die beiden Mondknoten (neun).

    Unter anderem die alten Ägypter und Griechen (Orphismus, Vorsokratiker, Platon, Aristoteles), die hellenistische Kultur (z. B. Corpus Hippocraticum: De Hebdomadibus) und auch Iraner, Inder, Tibeter, Chinesen, Westafrikaner und Finne (Lukas 1894, 233–234; Baldry 1932; Wilford 1968; Racine 1983, 109; Dieterlen 1993a, 123–124; West 1971; Kirk, Raven & Schofield 1983, 141n., 142, 259–260, 341n., 452n, 382, 452n.; West 1994; Lincoln 2001; Raven 2005; Alsobrook 2008, 8–11, 16, 24, 46–47, 62–63; Craik 2015, 127; Tortchinov 2018) assoziieren Embryologie und Kosmogonie (Abb. 1.6). Nach der Vorstellung der Bewohner der Insel Mangaia (Cookinseln) befindet sich das weibliche Schöpferwesen Vari-ma-te-takere in einem gigantischen Gefäß, einer Kokosnuss vergleichbar, mit bis zum Kinn angewinkelten Beinen, womit das Embryonalstadium beschrieben wird. Aus ihr entstehen sechs „Kinder, die über die Raumregionen der Erde herrschen (Monberg 1956). Die Vorstellung einer Art „amniotischen Membran, die den kosmischen Ur-„Embryo" umhüllt, war für die Vorsokratiker (Baldry 1932; Guthrie 1956) und die Dogon in Afrika von Bedeutung (Dieterlen 1993a, 124). Die Vorsokratiker glaubten, dass sie aus einer gallertartigen, eisähnlichen oder kristallinen Materie bestand (Baldry 1932; Longrigg 1965).

    Abbildung 1.6:

    Embryologie und Kosmogonie/Kosmologie: Die taoistische „Innere Landschaft" (Neijing tu) stellt eine kodierte Mischung aus schamanistischen, alchemistischen, medizinischen, psychologischen, philosophischen und kosmologischen Konzepten dar.

    (Die Bildkopien gehen auf das späte 19. Jh. (1886) zurück. Die zugrundliegende Weltanschauung ist sicher im 13. Jh. belegt).

    Nach den Überlieferungen der Kulturen gab es ein drittes Stadium des sich entwickelnden Kosmos, in dem ein riesiges Weltwesen, ein Tier (z. B. ein Bär, ein Rind, ein Wapiti [Hirsch], ein Elch, eine Schildkröte, eine Muschel, ein Oktopus, eine Schlange oder ein Drache), ein männlicher oder weiblicher Mensch oder in einigen Fällen eine Pflanze aus der Ur-Matrix geboren wurde (Erkes 1941; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 630–631; Leeming 2010, 303–305; Rappenglück 2006, 2014a, 2018b; Tortchinov 2018). Mythen aus dem alten Ägypten, Europa, Asien und Ozeanien erzählen, dass ein (göttlicher) riesiger kosmischer Anthropoide, von dem manchmal angenommen wird, dass er bisexuell ist, aus einer embryonalen Existenz im Welt-Ei hervorgegangen ist (Lukas 1894, 229, 232, 233, 236–237, 240–241; Demetrio 1968, 67–68; Clarke 1974; Baumann 1986, 107, 144–145, 184–188, 195, 268–269, 274–275; Alsobrook 2008, 55–56, 67; Almansa-Villatoro 2019, 77; Tortchinov 2018; Liu 2022, 3–4).

    Der riesige Weltmensch ist bekannt (Baumann 1964, 1986; Bettin 1994; Leeming 2010) als Zeus (-Protogonos-Pan), Phanes, Chronos und Eros (Orphismus), Ra und Khnûmû (Ägypten), Benu oder Phoenix (hellenistische Zeit), Amma (Dogon, Westafrika), P’an-ku (China), Prajapati, Purusha, Brahma und Vishnu (Indien), Tangaroa, Tangaloa und Ta’aroa (Ozeanien), Angalo (Philippinen), Pacha Mama (Anden), der „vollendete Mensch" der manichäischen Überlieferung (gleichzeitig der König des Neuen Äon) und ganz ähnlich im Jainismus (Gulácsi und Beduhn 2011, 67–68, 72–77) und anderen Namensgebungen. Die Vorstellung vom gigantischen Weltmenschen könnte auch mit den Konzepten riesiger den Himmel umspannenden Asterismen verbunden worden sein. Diese dienten zudem der raumzeitlichen Orientierung. Ihnen wurde auch eine religiös-transzendente Funktion zugesprochen. Beispiele dafür überliefern Zuñi-Pueblo (Nordamerika), die Skidi Pawnee (Caddoan) oder auch die alten Ägypter (Young & Williamson 1981, 187; Chamberlain 1982, 130–131). Besonders eindrucksvoll ist die Figur von Nek’eltaeni (Ahtna, Nördliche Dene, Nordamerika), in der nicht nur eine raum-zeitliche Orientierungsmöglichkeit und Hilfen zur Wettervorhersage vor Augen geführt wird. Die Figur repräsentiert auch einen mythischen Hüter der Welt, einen Medizinmann, einen Lehrer, einen Vermittler und Boten (Cannon & Holton 2014; Cannon et al. 2019; Cannon, Herbert & Sangris 2022). Mythen aus Finnland, Ägypten, Indien, Ozeanien und Afrika überliefern auch, dass die Sonne(-Gott) beim Aufgang oder Untergang am Horizont aus dem kosmischen Ei geboren wurde. Die ovale Form zu dieser Tageszeit und Position (verursacht durch Brechung) zeigte die offensichtliche Abstammung vom Welt-Ei an (Lukas 1894, 231, 232, 242; Baumann 1986, 270–272; Renggli 2002).

    Biologische Konzepte der Kosmologie sind in der Vorstellung Platons (428/427– 348/347 v. Chr.) präsent (El Murr 2021). Für ihn ist der Kosmos ein ζῷον (zóon), ein einzigartiges Lebewesen, das mit Seele, Intelligenz und einem Körper ausgestattet ist und alles umfasst (Betegh 2020). Es hat zudem die Besonderheit, dass es sich in sich selbst vollendet recycelt, da es weder von außen etwas aufnimmt, noch etwas nach außen abgibt (El Murr 2021, 68–69). Auch andere Autoren der griechisch-römischen Kultur erörtern die biologische Struktur der Kosmologie und Kosmogonie (Salles 2021). Ähnliches denkt auch Abū ’Alī al-Ḥusayn ibn ’Abd Allāh ibn Sīnā (Avicenna; um 980–1037) (Alpina 2021). Und noch in der Weltsicht der Renaissance findet sich der Gedanke des kosmischen Organismus (Herva 2010, 331–333).

    1.2 Das urzeitliche Opfer des kosmischen Wesens; Kosmogonie und Kosmologie

    Einige Kulturen glaubten, dass die Tötung, Zerstückelung, Zerstreuung und Ausdehnung eines riesigen Urwesens durch eine gute oder böse Gottheit die verschiedenen Bestandteile und Lebewesen der Welt schufen. Das Weltwesen (Abb. 1.7) wurde als ein [riesiger] Mann oder eine Frau (z. B. Gayomart, Manu, Ndü, Nut, Pan’ku, Purusa, Prajapati, Tiamat, Tlaltecuhtli, Yama, Yima, Ymir), ein Tier (z. B. eine Muschel, eine Schildkröte, ein Oktopus, ein vierbeiniges Säugetier), eine mythische Chimäre oder eine Pflanze (z. B. Weltbaum [verschiedene Arten], Lotos) (Barton 1893; Lehmann-Nitsche 1930; Erkes 1941; Zerries 1952; Weyersberg 1961; Long 1963; Landsberger & Kinnier Wilson 1961; Hoành-Son 1969; Lincoln 1975; Yu 1981; Lincoln 1981; Snodgrass 1985, 47–50; Baumann 1986, 144; Geyer 1987; Kaltenmark 1993, 235; Taube 1994, 62–63; Shaki 2000; Hansen 2000; Mewes 2005; Alsobrook 2008, 8, 12, 18–19, 32, 51–52; Leeming 2010, 18–21; Almansa-Villatoro 2019) aufgefasst. Auch der Weltenbaum kann „geopfert" werden: Er wird gefällt, entwurzelt oder gerät in Brand (Rappenglück 2018a). Die Kulturen interpretierten diesen Prozess als eine Art Ur-Opfer oder Selbstaufopferung (Lincoln 1975; Snodgrass 1985, 47–50; Leeming 2010, 345–346). Häufig ist eine Zwillingseinheit für die Fragmentierung verantwortlich, wie sie von Proto-Indoeuropäern (Lincoln 1975, 128–130, 133–137), nord- und südamerikanischen sowie afrikanischen Kulturen überliefert wird (Rooth 1957, 507; Leeming 2010, 357–360). Mit dem Opfer entsteht ein neues raumzeitliches Bezugssystem, eine neue kosmologische Ordnung.

    Abbildung 1.7:

    Überblick zu den Metapher-Varianten der Welt als einem riesigen Lebewesen

    (© Michael A. Rappenglück).

    1.3 Die Körperteile des Weltwesens und der kosmische Rahmen

    Überall auf der Welt assoziierten die Kulturen die Körperteile des kosmischen Wesens (Abb. 1.8) mit dem konstitutiven Rahmen der raum-zeitlichen Welt: Himmelslandschaft, Landschaft, Meereslandschaft, Unterwelt mit allen dazugehörigen Objekten und Lebewesen (Barton 1893; Creed 1925; Rooth 1957, 506–507; Hoanh-Son 1969; Lincoln 1975; Snodgrass 1985, 52–57, 373–375; Mundy 1998, 231–232; Schwartzberg 1992, 379–381, 1994, 710–711; Gheerbrant, Chevalier & Buchanan-Brown 1996, 119, 631; Liu et al. 2010, 240–243; Yoeli-Tlalim 2018, 432–433; Liu 2022, 3–4). Dieses Modell lässt sich mindestens bis ins fünfte und vierte Jahrtausend zurückverfolgen (Lincoln 1975, 144), hat aber möglicherweise seine Wurzeln im Jungpaläolithikum (Rappenglück 2007). Noch manche griechischen Philosophen der Antike beschrieben den Kosmos als ein Lebewesen (ζῷον, zóon), mit entsprechenden „Körperfunktionen" (Heidel 1911). Plotin (205–270 n. Chr.) assoziiert den Tanz/Tänzer mit den Bewegungen des Kosmos, den er als ein Lebewesen auffasst (Sheppard 2020). In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass antike Autoren wie zum Beispiel Poseidonios von Apameia (135–51 v. Chr.) und von ihm abhängig später Theon von Smyrna († nach 132) und Chalcidius (4. Jh. n.Chr.) das Zentrum der dynamischen Lebenskraft und Seele des Kosmos mit dem Herz im menschlichen Organismus assoziieren und in der Sonne ansetzen. Dies ist noch keine heliozentrische Theorie, aber vermittelt eine Idee dazu (Solmsen 1944).

    Abbildung 1.8:

    Dieses Textil veranschaulicht die Vorstellung des Jainismus vom Kosmos in Form eines universalen Menschen (Sanskrit Delta 82. Jain-Textil, 16. Jahrhundert).

    Wellcome Collection. Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).

    Das Motiv des kosmischen Menschen hält sich bis ins christliche Mittelalter (Kurdzialek & McDonald 2014). Die Anatomie bestimmter Lebewesen, insbesondere des Menschen, diente als hervorragendes Modell für den räumlichen Aufbau der Welt, die zeitlichen Veränderungen und die Zyklen der Fortpflanzung. Die Kulturen verknüpften den Kopf, die Gliedmaßen, das Skelett (insbesondere die Wirbelsäule), das Nerven-, Kreislauf- und Verdauungssystem, den Nabel und die Sinnesorgane eines weiblichen oder männlichen Riesen mit grundlegenden Elementen des Kosmos. Darüber hinaus wies das kosmische Riesenlebewesen eine Form des Stoffwechsels, der Atmung und der Fortpflanzung auf, die sich z. B. in Form von Windströmungen, Wasserkreislauf, Jahreszeiten, Gezeiten, Lebenszyklen von Pflanzen, Tieren und Menschen zeigte und mit himmlischen Phänomenen verbunden war (Jung & Rappenglück 2007; Rappenglück 2013, 2014a, 2018c; Hopwood et al. 2021). Die Kulturen assoziierten die Struktur des Raumes mit den Gliedmaßen des kosmischen Lebewesens (vierbeinig, z. B. Säugetier, achtbeinig, z. B. Spinne, Krake), die ihnen 4 oder 8 Richtungen anzeigten (Lukas 1894, 229, 232; McClain 2011; Rappenglück 2018a). Das Zentrum – Kopf, Herz, Nabel – ergänzte die Kardinalität bis zu fünf (Quincunx) oder neun (magisches Quadrat). An die Stelle des kosmischen Wesens trat häufig eine Pflanze, manchmal der Lotus (Lukas 1894, 235; Rappenglück 2014a, 300–301) oder oft der Weltenbaum (Rappenglück 2018c, 2020). Im Fall des Lotos ersetzen die acht Blütenblätter die Glieder des Welttieres. Die Anzahl der Äste des Weltenbaums (3, 6, 7, 10, 12, 14) ist ein weiteres Beispiel für die Zuordnung von Pflanzenbestandteilen zur archaischen Kosmologie (Rappenglück 2018c, 257–258).

    Was die Zeit betrifft, so könnten die Glieder und Gelenke des universellen Wesens die Monate, die Jahreszeiten und das Jahr oder andere Zeitzyklen darstellen (Liu et al. 2010, 240–243; Rappenglück 2018c, 257–259). Der Körper des kosmischen Wesens wurde in frühen Kultbauten, Wohnhäusern und Gräbern modelliert (Snodgrass 1985, 107–135; Rappenglück 2013, 398, 407–409). Man erkannte das universelle Wesen repräsentiert in Höhlen und in der Landschaft (Bastien 1985; Rappenglück 2007, 64–67, 70, 77, 2013, 407–411). Ethnologische und archäologische Daten sowie die vergleichende Mythologie machen deutlich, dass der Mensch mindestens seit dem Jungpaläolithikum (45–10 ka BP) eine Höhle als Schoß der Frau mit den inneren und äußeren weiblichen Genitalien betrachtete (Rappenglück 2007, 64–67, 70, 77). Sie verkörperte die Matrix der Großen Mutter des Kosmos, die, von männlichen Kräften befruchtet, die Vielfalt der Welt erschafft und vernichtet. Die Kulturen assoziierten auch immer wieder den Himmel mit einem Uterus, einen Zwillingsgipfel mit den Brüsten, einen Hauptfluss mit dem Geburtskanal, den Nabel mit dem Zentrum der Welt, die Nabelschnur mit der Milchstraße (oder mit der kosmischen Achse) und den Phallus mit der zenitalen oder polaren Weltachse (Schuetz-Miller 2012, 287– 288, 300–302, 320, 366–369, 371; Almansa-Villatoro 2019). Darüber hinaus gibt es eine Tradition die unter dem Begriff „Homo signorum, Tierkreiszeichenmann oder Zodiakalmensch" (Abb. 1.9) bekannt ist (Bober 1948; Drower 1960; Hübner 1977; Finckh 1999; Neugebauer 1983;

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