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12mal Mörderjagd im Advent: 12 Thriller im Paket
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eBook1.888 Seiten22 Stunden

12mal Mörderjagd im Advent: 12 Thriller im Paket

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Über dieses E-Book

Von Alfred Bekker
(1099)
Dieses Buch enthält die Krimis:

Alfred Bekker Kommissar Jörgensen und die tote Tochter

Alfred Bekker: Tod eines Schnüfflers

Alfred Bekker: Kubinke und der kommende Tod

Alfred Bekker: Der Kommissar und die blutigen Hände

Alfred Bekker: Münster-Wölfe

Alfred Bekker: Ein Killer in Ostfriesland

Alfred Bekker: Der Killer von Hamburg

Alfred Bekker: Ein Fall für den Norden

Alfred Bekker: Eine Kugel für Lorant

Alfred Bekker: Auftrag für einen Schnüffler

W.A.Hary: Mike Borran auf der Todesinsel

Peter Wilkening: Der Mörder vom Lehnitzsee

Eine Serie von Attentatsversuchen und Morden erschüttert Norddeutschland. Aber die Opfer scheinen nichts gemeinsam zu haben. Privatdetektiv Björn Kilian aus Emden übernimmt den Fall, aber plötzlich will sein Auftraggeberin nicht mehr, dass er ihn auch tatsächlich aufklärt ...


Ein furchtbarer Fund in einem unbewohnten Haus in Hamburg ruft Kommissar Uwe Jörgensen und sein Team auf den Plan. Morde geschehen und ein tot geglaubter Profi-Killer tritt ins Rampenlicht. Kommissar Jörgensen kommt einer weitreichenden Verschwörung innerhalb des organisierten Verbrechens auf die Spur.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
SpracheDeutsch
HerausgeberCassiopeiaPress
Erscheinungsdatum28. Nov. 2023
ISBN9783753212135
12mal Mörderjagd im Advent: 12 Thriller im Paket
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    12mal Mörderjagd im Advent - Alfred Bekker

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author /

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

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    Alles rund um Belletristik!

    Kommissar Jörgensen und die tote Tochter

    von Alfred Bekker

    1

    »Was ein richtiger Hamburger ist, der geht nicht zur Kirche«, sagte mein Onkel immer. Onkel Hein. Der war genau vier mal in seinem Leben in der Kirche. Zu seiner Taufe, zu seiner Konfirmation, zu seiner Hochzeit und zu seiner Beerdigung. Das erste Mal kann man ja eigentlich nicht richtig mitzählen, denn da konnte Onkel Hein noch nicht selber bestimmen, ob er zur Kirche gehen will. Und des letzte Mal?

    Naja...

    Ich habe ihm mal als Junge gefragt: »Warum bist du dann nicht aus der Kirche ausgetreten?«

    »Nee, das ist ja dann auch nichts«, hatte er gemeint.

    So ganz konsequent war seine Haltung also eigentlich nicht.

    Jedenfalls hat Hamburg einen sehr hohen Anteil an Konfessionslosen, die tatsächlich nicht in die Kirche gehen. Oder nur zu Weihnachten, wenn sie dann vom Pastor mit den Worten begrüßt zu werden: »Ich heiße auch alle diejenigen willkommen, die im Verlauf des Jahres sonst nicht den Weg zu uns finden.«

    Mein Name ist übrigens Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar. Zusammen mit meinem Kollegen Kriminalhauptkommissar Roy Müller arbeite ich in der Kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe des Bundes, die hier in Hamburg angesiedelt ist und sich vor allem mit den größeren Fällen beschäftigt.

    Dem organisierten Verbrechen zum Beispiel.

    Und bei so manchem, was man hier erlebt, wird man dann auch wieder ganz von selbst sehr gläubig.

    Hamburger hin oder her.

    Es stimmt auch nicht, dass alle richtigen Hamburger nicht zur Kirche gehen.

    Manche gehen da zum Beispiel aus einem Grund hin, den man als nicht wirklich sachgerecht bezeichnen könnte.

    So in diesem Fall.

    Schließlich heißt es doch nicht umsonst Gottesdienst - und nicht etwa Satansdienst.

    Aber der Reihe nach.

    2

    Es war Mitternacht. Durch die Fenster der St. Lucas Kirche in der Hummelsbütteler Straße drang hin und wieder das flackernde Licht der Neonreklamen in der Umgebung. Ansonsten erhellten etwa dreißig Kerzen den Bereich um den Altar. Eine Gruppe von etwa zwanzig dunklen, in Mönchskutten gehüllten Gestalten bildete einen Halbkreis. Die Kapuzen waren tief ins Gesicht gezogen. In einer Art Singsang murmelten sie lateinische Sätze vor sich. Einer der Kuttenträger trat vor den Altar. Er streckte die Arme aus. Seine Kapuze rutschte dabei etwas nach hinten, so dass für kurze Zeit ein Teil des von Narben und Geschwüren entstellten Gesichtes erkennbar wurde.

    »Hier spricht Bruder Maleficius im Namen der Schar deiner ergebenen Diener, oh Herr des Bösen!«

    »Amen!«, antwortete der Chor der Kuttenträger.

    »Dieser Ort sei von nun an dir geweiht, Satan!«, fuhr der Mann fort, der sich selbst Bruder Maleficius genannt hatte. Er ergriff das über den Altar ausgebreitete Tuch und riss mit einem Ruck daran, so dass Bibel und Holzkreuz zu Boden fielen.

    Der Singsang der Kuttenträger schwoll an. Steigerte sich immer mehr, bis Bruder Maleficius mit dem Zeigefinger der linken Hand ein Pentagramm in die Luft malte. Von einer Sekunde zur anderen war es still. Bruder Maleficius stellte sich vor den Altar, kniete nieder.

    »Heute möchten wir eine neue Schwester in die Schar deiner Anhänger aufnehmen, oh Herr des Bösen und der Verdammnis!«, rief der Narbige. Seine Worte hallten zwischen den hohen Kirchenmauern wider.

    »Dein Wille geschehe, Satan«, so antwortete der Chor der Kuttenträger. »Wie in der Hölle, so auf Erden.«

    Bruder Maleficius erhob sich wieder, drehte sich herum.

    »Tritt vor, Schwester der Schande!«, rief er.

    Eine relativ zierliche Gestalt unter den Kuttenträgern machte einen Schritt nach vorn.

    »Zeige dich!«, forderte Bruder Maleficius. Die Kapuze glitt zurück. Ein brauner Haarschopf wurde sichtbar. Das Kerzenlicht beleuchtete das fein geschnittene Gesicht einer jungen Frau. Sie ließ die Kutte über die Schultern gleiten. Darunter trug sie nichts. Ihr wohlgeformter Körper war mit magischen Zeichen bemalt. Einer der anderen Kuttenträger reichte der jungen Frau einen messingfarbenen Kelch.

    »Trink!«, forderte Bruder Maleficius. »Trink, auf dass du in das Reich Satans einkehrst und als seine Dienerin zurückkehrst!«

    Die junge Frau trank den Inhalt des Kelches aus. Plötzlich fiel ihr der Kelch aus der Hand. Ihr Körper verlor den Halt. Sie sank in sich zusammen. Bruder Maleficius fing sie auf. Er griff ihr unter die Arme. Einer der anderen Kuttenträger kam herbei, fasste sie unter den Knien.

    Sie wurde auf den Altar gehoben und dort abgelegt.

    Ihre helle Haut schimmerte im flackernden Licht der Kerzen. Die im Halbkreis stehenden Satansjünger begannen wieder mit ihrem Singsang. Sie beteten magische Formeln vor sich hin.

    »Dominum Satanicum!«, rief Bruder Maleficius laut. Er stellte sich vor den Altar, breitete die Arme aus und wiederholte diesen Ruf insgesamt sechsmal.

    Dann holte Maleficius eine kleine silberfarbene Dose unter seiner Kutte hervor. Er öffnete sie. Ein leuchtendes, fluoreszierendes Pulver war darin enthalten.

    »Hinabgestiegen bist du in das Reich des Todes. Nimm jetzt das Salz des Lebens und kehre zurück aus der Unterwelt als SEINE Dienerin auf ewig!«

    Maleficius nahm eine Prise des fluoreszierenden Pulvers, öffnete mit der anderen Hand ihre Lippen und flößte es ihr ein. Die Dose ließ er in den weiten Ärmeln seiner Kutte verschwinden.

    Mit der rechten Hand fasste er der jungen Frau auf den Bauch. Am Mittelfinger befand sich ein breiter Ring. Ein roter Stein war auf der Handinnenseite. Daneben trat eine kaum sichtbare Injektionsnadel hervor.

    Maleficius drückte zu.

    Der Einstich war kaum zu sehen, als er die Nadelring zurückzog.

    »Erwache, Tochter des Bösen!«, rief er.

    Es herrschte absolute Stille.

    Man hätte in diesem Augenblick eine Stecknadel fallen hören können.

    Maleficius wiederholte seinen Ruf: »Erwache, Tochter des Bösen!«

    Aber die junge Frau rührte sich nicht. Ihre Augen blieben starr wie die einer Toten.

    Einer der anderen Satansjünger schnellte herbei. Er fasste die junge Frau bei den Schultern. »Dorothea!«, rief er. Dann tastete nach ihrem Puls.

    Er nahm seine Kapuze vom Kopf. Das Gesicht eines jungen Mannes mit dunklen Locken und einem dünnen Oberlippenbart kam zum Vorschein. Angst leuchtete in seinen Augen.

    »Scheiße, Mann, die ist tot!«, rief er. Sein Gesicht wurde leichenblass. Er wandte sich an Maleficius. »Weißt du eigentlich, wen du da umgebracht hast, du Spinner?«

    »Immer schön ruhig bleiben, Björn!«, erwiderte der Narbige.

    3

    Ein übler Geruch schlug mir entgegen, als ich aus dem Sportwagen stieg. Hunderte von kreischenden Möwen kreisten über der Mülldeponie im Viellochweg. Etwa ein Dutzend Einsatzfahrzeuge von Schutzpolizei und Kriminalpolizei parkten zwischen den sich auftürmenden Müllbergen. Dazu noch die Wagen des Gerichtsmediziners sowie einiger Spezialisten der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst.

    Die Kommissare Stefan Czerwinski und Fred Rochow sprachen gerade mit dem zuständigen Chef der Mordkommission. Unser Kollege Medina stand ein paar Meter weiter und blickte auf ein in blaue Plastikfolie eingewickeltes Paket, das etwa die Größe eines menschlichen Körpers hatte.

    »Ich hoffe, wir haben hier nicht allzu lange zu tun«, raunte mir mein Freund und Kollege Roy Müller zu. Er rümpfte die Nase. »Es könnte wenigstens eine frische Brise frischer Luft herwehen!«

    »Du wirst es schon überleben«, erwiderte ich.

    »Von einer Gasmaske hat mir vor diesem Einsatz niemand etwas gesagt.«

    »Gehört die nicht zur Standard-Ausrüstung - so wie die Kevlar-Weste?«

    »Haha, selten so gelacht!«

    »Eigentlich sollten wir die immer im Kofferraum haben.«

    Wir erreichten Stefan.

    Der Kollege grüßte uns knapp und deutete anschließend auf den Mann neben sich. »Das ist Kriminalhauptkommissar Ritter von der Mordkommission. Er hat uns gerufen.«

    Ich nickte Ritter freundlich zu.

    »Es hieß, eine Leiche sei hier auf der Deponie gefunden worden.«

    Kommissar Ritter nickte.

    »Wenn es sich allerdings nur um irgendeine Tote handeln würde, hätten wir euch nicht verständigt«, erklärte er.

    »Um wen handelt es sich?«, fragte ich.

    »Um Dorothea Mantay, die Tochter des Mannes, der in Harburg als 'der Russe' bekannt ist. Der Name sagt Ihnen sicher etwas. Er gilt als graue Eminenz im Kokain-Geschäft. Vor drei Tagen ging eine Vermisstenanzeige ein. Und jetzt finden wir Dorothea hier nackt und in Plastik verpackt auf der Müllhalde.«

    »Wann wurde sie gefunden?«, erkundigte sich Stefan.

    »Vor anderthalb Stunden. Einer der Mitarbeiter hat das Paket bemerkt. Die Plastikhülle war beschädigt. Eine Hand ragte heraus.«

    »Verstehe«, brummte Stefan. Der Kommissar fuhr sich mit einer schnellen Bewegung über das Gesicht. Die Hitze und der Geruch setzten uns allen zu.

    »Wie konnten Sie Dorothea Mantay so schnell identifizieren?«, fragte ich.

    »Die Tote hat eine Tätowierung zwischen den Schulterblättern, die ziemlich ungewöhnlich ist«, antwortete Ritter. »Ein umgedrehtes Kreuz. In der aktuellen Vermisstenliste für Hamburg gibt es niemanden sonst, der dieses Merkmal aufweist.«

    »Verstehe.«

    »Außerdem ist Dorothea Mantay vorbestraft. Kirchenschändung, Schändung von Grabstätten und dergleichen mehr. Ein Verfahren ist übrigens noch nicht abgeschlossen. Zusammen mit ein paar Mittätern soll sie nachts in die Kirche in der Bogenstraße in Eimsbüttel eingedrungen sein und dort die Wände mit Schweineblut bemalt haben.«

    Ritter führte uns zu der Stelle, wo die Tote aufgefunden worden war. Der Gerichtsmediziner beugte sich über das Plastikpaket, das von einem Mitarbeiter des Erkennungsdiensts teilweise aufgeschnitten worden war. Die Tote war vollkommen nackt. Eigenartige Zeichen waren auf ihren Körper gemalt worden. Kreise, Pentagramme, Sechsecke. Vermutlich hatten sie irgendeine okkulte Bedeutung.

    »Was ist die Todesursache?«, wandte sich Stefan Czerwinski an den Gerichtsmediziner, einen etwa vierzigjährigen Mann mit hoher Stirn. Ich kannte ihn flüchtig. Sein Name war Sonders. Er machte ein ziemlich ratloses Gesicht, zuckte die Achseln.

    »Akuter Herzstillstand«, sagte er. »Viel genauer kann ich dazu noch nicht Stellung nehmen.«

    »Mir hat Dr. Sonders auch noch nicht mehr verraten«, erklärte Ritter. »Aber bei einer Toten, die so verpackt auf einer Müllkippe abgelegt wird, kann man wohl kaum eine natürliche Todesursache annehmen.«

    Dr. Sonders bückte sich und klappte die Plastikplane ein ganzes Stück zur Seite, so dass der Rumpf der Toten vollständig sichtbar wurde. Der Arzt deutete auf einen winzigen roten Punkt in der Nähe des Bauchnabels. »Das könnte die Folge einer Injektion sein.«

    »Sie meinen, Dorothea Mantay wurde vergiftet?«, fragte Stefan.

    »Alles noch Spekulation. Ich habe den Verdacht, dass Frau Mantay ein muskellähmendes Mittel verabreicht bekam. Genaues kann ich Ihnen natürlich erst nach einer eingehenden Obduktion sagen.« Sonders deutete zu den Achselhöhlen. »Sie sehen hier die Hämatome. Unter den Knien sind ähnliche Stellen zu finden. Die Tote wurde von zwei Personen getragen, als sie noch lebte. Aber sie war vermutlich vollkommen gelähmt und konnte keinerlei Muskelspannung aufbauen. Sonst wären diese Hämatome nicht in der vorliegenden Form entstanden.«

    Herr Dr. Sonders deckte die Plastikplane wieder über die Tote.

    Mehr konnten wir vom Gerichtsmediziner im Moment nicht erfahren.

    »Diese Zeichen - das sieht mir nach irgendwelchen satanistischen Ritualen aus«, meinte Roy. »Passt zu der Tätowierung auf dem Rücken und ihren Vorstrafen.«

    Ritter nickte.

    »Das umgedrehte Kreuz ist ein Satanistenzeichen.«

    »Weiß Herr Mantay schon vom Tod seiner Tochter?«, erkundigte sich Stefan.

    Kommissar Ritter schüttelte den Kopf.

    »Nein, wir dachten, dass ihr diesen unangenehmen Job übernehmen würdet ...«

    Stefan nickte.

    »Verstehe.« Er wandte sich an mich. »Mantay und ich sind vor Jahren mal böse zusammengerasselt. Er wird sich an mich erinnern ...«

    »... und jetzt hast du wenig Lust, ihm gegenüber zu treten«, schloss ich.

    Stefan nickte erneut.

    »Es geht darum, so viel wie möglich an Informationen aus dem Kerl herauszubekommen. Wenn ich dabei bin, trägt das wahrscheinlich nicht gerade zu einer guten Gesprächsatmosphäre bei.«

    »Wir machen das schon«, mischte sich Roy ein. »Das war's doch, was du hören wolltest, oder?«

    »Ihr habt was bei mir gut«, sagte Stefan.

    »Wir kommen darauf zurück«, erwiderte ich.

    »Ich hoffe nur, dass das Ganze nicht der Auftakt zu einem Krieg zwischen den Drogenkartellen ist!«, meldete sich Fred Rochow zu Wort. »Schließlich wissen wir nicht, ob der Zusammenhang zum Satanismus nicht vielleicht nur vorgetäuscht ist.«

    »Dazu hat mir Norbert noch etwas Interessantes gesagt, kurz bevor ich das Hauptgebäude verließ, um herzukommen«, ergänzte Stefan an mich und Roy gerichtet. Norbert Nahr war ein Kollege aus dem Innendienst, dessen Spezialgebiet die Betriebswirtschaft und das Aufspüren von Geldströmen war. »Nach Norberts Angaben hat es auf Mantays bekannten Konten sehr bemerkenswerte Bewegungen gegeben. Auffällig sind unter anderem mehrere Barabhebungen von jeweils über einer halben Million Euro.«

    »Dann wurde Mantay vielleicht erpresst«, entfuhr es mir.

    »Das war auch mein erster Gedanke, Uwe.«

    4

    Anderthalb Stunden später waren Roy und ich auf dem Weg nach Harburg. Ferdinand Mantay bewohnte dort eine Villa direkt an der Elbe. Früher hatte er in Altona residiert. Offenbar war ihm dieses Pflaster seit einigen Jahren zu heiß geworden.

    »Dirty Ferdi« war er früher wegen seiner rücksichtslosen Vorgehensweise genannt worden. Mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung und Drogendelikten standen auf seinem Konto. Aber »Dirty Ferdi« war mit den Jahren geschickter geworden. Er hatte begriffen, dass man besser davonkam, wenn man andere die Drecksarbeit verrichten ließ und dafür sorgte, immer eine weiße Weste zu behalten. So war aus »Dirty Ferdi« schließlich jener Mann geworden, den die Leute in Altona und der St. Pauli fast ehrfurchtsvoll »der Russe« nannten - wohl wegen seiner russland-deutschen Herkunft. Eine graue Eminenz, die aus dem Hintergrund heraus einen Großteil des Drogenhandels kontrollierte. Darüber hinaus hielt er auch seine Hand über zahllose Nachtclubs und Wettbüros, mit deren Hilfe das schmutzige Geld weiß gewaschen wurde. Inzwischen hatte Mantay einen Großteil seines Geldes in legale Geschäfte investiert, so dass absehbar war, wann er sich vollkommen vom illegalen Sektor verabschieden würde. Für uns bedeutete dies, dass es immer schwieriger wurde, ihm überhaupt noch irgendwelche Straftatbestände nachzuweisen.

    Dutzende von Auftragsmorden gingen wahrscheinlich auf das Konto von dem ‘Russen’.

    Bis jetzt war es uns nicht gelungen, ihn auch nur für einen davon zur Verantwortung zu ziehen.

    Er regierte seine Organisation bis heute mit eiserner Hand. Verrat bedeutete den sicheren und oft auch qualvollen Tod. Mantay duldete weder Widerspruch noch Kooperation mit der Justiz in seinen Reihen. Wer immer sich nicht daran hielt, musste bitter dafür bezahlen.

    Seit Jahren waren wir von der Kriminalpolizei Hamburg diesem Kerl auf den Fersen. Dasselbe galt für die Kollegen der Drogenpolizei und der Steuerfahndung. Aber bislang war bei all diesen Ermittlungen nicht genug herausgekommen, als dass ein Staatsanwalt darauf eine Anklage gründen konnte.

    Möglicherweise war »der Russe« jetzt selbst Opfer eines Verbrechens geworden. Mit seiner Unterstützung konnten wir deshalb trotzdem wohl kaum rechnen. Leute wie Mantay pflegten derartige Probleme auf ihre eigene Art zu lösen. Meistens sehr blutig. Genau das mussten wir verhindern.

    »Ich frage mich, wer hinter einer Entführung von Mantays Tochter stecken könnte«, sagte Roy, als wir gerade die Hamburger Bezirke durchfuhren und uns weiterhin südlich hielten. »Auf jeden Fall scheiden irgendwelche Amateure wohl aus. Wer die Tochter von Dirty Ferdi entführen will, der ist entweder lebensmüde oder sehr, sehr mächtig.«

    »Du glaubst also, die Konkurrenz des Russen steckt dahinter. Irgendetwas ging schief, Dorothea kam ums Leben und wurde dann auf die Müllkippe gelegt, wo sie mit etwas Glück vielleicht nie gefunden worden wäre.«

    »Ergibt doch Sinn, oder?«

    »Nach dem alten Mafia-Kodex waren die Familien der Gangster tabu, Roy.«

    »Du weißt, dass diese humanen Zeiten längst vorbei sind, Uwe.«

    »Ja, ich weiß.«

    »Heute wird auf nichts mehr Rücksicht genommen, wenn der Profit in Gefahr ist.«

    »Die Entführer haben offenbar gewusst, dass Dorothea etwas mit Satanismus zu tun hat«, vermutete ich. »Sonst hätten sie nicht versucht, das Ganze als einen Ritualmord zu tarnen.«

    »Kann ja sein, dass die Entführer Helfer im näheren Umfeld der Mantays hatten.«

    »Immer vorausgesetzt, es gab überhaupt eine Entführung und der Tod der jungen Frau ist nicht doch das Ergebnis irgendwelcher Rituale.«

    »Der Gerichtsmediziner sprach davon, dass wahrscheinlich ein muskellähmendes Mittel verabreicht wurde. Das passt eher zu einer Entführung als zu einem Gruftie-Ritual, wenn du mich fragst.«

    »Hängt vom Ritual ab, würde ich sagen.«

    »Du kennst dich da aus?«

    »Nicht genug, um wirklich mitreden zu können, fürchte ich. Warten wir erst mal ab, welche Substanzen der Gerichtsmediziner im Körper von Dorothea Mantay letztlich feststellt.«

    »Bis der Gerichtsmediziner soweit ist, hat der saubere Herr Mantay längst eine Armee von Killern in Gang gesetzt«, gab Roy zu bedenken.

    Wir brauchten etwas über eine Stunde, ehe wir Mantays Residenz erreichten. Das Gelände um die Villa war weiträumig abgesperrt. Es gab hohe, elektrisch geladene Zäune. Bewaffnete Männer in Kampfanzügen patrouillierten daran entlang. Manche von ihnen führten mannscharfe Dobermänner bei Fuß.

    Wir mussten mit dem Sportwagen, den die Fahrbereitschaft des Kriminalpolizei uns zur Verfügung stellte, an einer Art Checkpoint anhalten. Die Security-Leute, die hier Wache schoben, trugen Schutzwesten. Sie sahen sich unsere Ausweise eingehend an und nahmen über Funk Kontakt mit ihrem Boss auf. Schließlich wurden wir durchgewinkt.

    »Da kommt man sich ja vor wie an einer Landesgrenze«, knurrte Roy.

    »Ja, aber wenn der Russe meint, dass dieses Anwesen exterritoriales Gelände sind, hat er sich geschnitten!«

    Von diesem Checkpoint aus führte ein breiter Weg über eine Anhöhe. Dahinter lag die Villa. Ein großes dreistöckiges Anwesen. Ungefähr ein halben Kilometer feinsten Sandstrandes am Elbufer gehörte zu Mantays Domizil. Außerdem hatte sich »der Russe« einen eigenen kleinen Yachthafen angelegt. Es musste ein Vermögen gekostet haben, das Hafenbecken ausbaggern zu lassen. Eine größere, hochseetaugliche Yacht und mehrere kleinere Boote lagen an Stegen vertäut.

    »Dieser Mann hat wirklich alles, was man sich nur wünschen kann«, stellte Roy fest.

    »Nur seine Tochter. Die kann ihm trotz all seines Reichtums niemand mehr zurückbringen«, erwiderte ich.

    »Alles kann man sich eben nicht kaufen!«

    »Du sagst es.«

    Ich parkte den Sportwagen vor dem großen Hauptportal der Villa. Es war durch massive Säulen gekennzeichnet, die wohl an Bauwerke der Antike erinnern sollten.

    Wir stiegen aus. Bis zum Portal waren es etwa zehn Meter. Vier Security-Leute in schwarzen Anzügen erwarteten uns. Zwei der Männer trugen MPis über die Schulter. Bei den anderen drückten sich die Pistolen durch die Jacketts. Roy und ich zeigten erneut unsere Ausweise.

    »Wir werden Sie nach Waffen durchsuchen«, erklärte der Anführer der vier. Ein breitschultriger Kerl mit kurz geschorenen, dunklen Haaren, durch die die Kopfhaut hindurchschimmerte.

    »Kommt nicht in Frage!«, erwiderte ich. »Wir gehen durch diese Tür da vorne und jemand von Ihnen bringt uns zu Herr Mantay, ohne auch nur den Versuch zu machen, uns vorher abzutasten!«

    Der Dunkelhaarige verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

    »Du kommst dir wohl sehr wichtig vor, Bulle«, knurrte er.

    »Stell dir vor, ich bin wichtig!«

    »So?«

    »Frag mal deinen Chef! Bei dem sind wir nämlich angemeldet.«

    Roy mischte sich jetzt ein.

    »Wir lochen dich höchstens ein, wenn du uns daran hinderst, unsere Pflicht zu tun. Was dein Chef mit dir macht, wenn er erfährt, dass du uns unnötigerweise aufgehalten hast, möchte ich gar nicht wissen.«

    Einer der anderen Bodyguards sagte ein paar Sätze auf Russisch. Ich verstand kein Wort.

    Der Dunkelhaarige antwortete mit einem knappen »Da!« und atmete tief durch. »Folgen Sie uns!«

    5

    Ferdinand Mantay empfing uns in einem weitläufigen Salon. Durch die hohe Fensterfront hatte man einen fantastischen Blick auf den Atlantik.

    Mantay war ein hochgewachsener, grauhaariger Mann mit braungebranntem Gesicht und aufmerksamen braunen Augen. Er trug einen grauen Anzug. Sein Alter schätzte ich auf Mitte Fünfzig bis Anfang Sechzig.

    Neben ihm stand ein etwa dreißigjähriger junger Mann. Er wirkte wie eine jüngere Ausgabe Mantays.

    Ich zeigte meinen Ausweis und stellte uns vor.

    »Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Roy Müller. Herr Mantay?«

    »Dobrogo vremeni sutok gospoda«, knurrte »der Russe«. Er deutete auf den Mann neben sich. »Das ist mein Sohn Josef.«

    Ich nickte Josef Mantay kurz zu.

    Zwar war ich ihm noch nie persönlich begegnet, hatte aber schon einiges über den jungen Mantay gehört. Dirty Ferdi wollte ihn zu seinem Nachfolger aufbauen. Einem Nachfolger mit blütenreiner Weste. So hatte der Alte ihn bislang aus allem rausgehalten, was irgendwie nach Illegalität roch. Josef Mantay war für uns ein unbeschriebenes Blatt. Abgesehen davon, dass er auf der Universität Betriebswirtschaft studiert hatte, wussten wir nichts über ihn. Vor allem war er bislang nicht ein einziges Mal mit der Justiz in Berührung gekommen.

    Ferdinand Mantay musterte zuerst mich, dann Roy mit einem abschätzigen Blick. Ein geschäftsmäßiges Lächeln bildete sich um seine dünnen Lippen.

    »Das Kriminalpolizei hat schon versucht, mir was am Zeug zu flicken, als Sie beide vermutlich noch auf die Grundschule gingen.« Er lachte heiser. »Sie werden da wohl kaum mehr Glück haben. Ich bin gespannt, was Sie von mir wollen.« Er warf einen demonstrativen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk. »Meine Zeit ist knapp. Und da Sie schon ein paar Minuten zu spät zu dieser Unterredung gekommen sind, sollten Sie den Rest der Zeit, die ich Ihnen zugestehen will, gut nutzen. Tak o chem eto? Ich denke, es lohnt sich nicht, dass wir uns extra setzen ...«

    »Wir sind nicht wegen Ihrer Drogengeschäfte hier«, erklärte ich ruhig.

    »Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen, Herr Kommissar! Alles was Sie hier unter Zeugen äußern, werde ich vor Gericht sonst gegen Sie verwenden! Etwa, wenn ich Sie wegen Verleumdung verklagen sollte.« Er lachte heiser. Dann trat er einen Schritt vor, richtete den Zeigefinger wie den Lauf einer Waffe auf mich. »Niemand hat mir je die Beteiligung an Drogengeschäften oder dergleichen nachweisen können. Also passen Sie gut auf, was Sie so von sich geben!«

    Innerlich kochte ich. Die Arroganz von Dirty Ferdi war kaum zu überbieten.

    Stefan Czerwinski, der ihn besser kannte, hatte schon gewusst, weshalb er Roy und mir diesen Besuch aufgehalst hatte. Ich musste mir alle Mühe geben, ruhig zu bleiben.

    »Wir sind nicht wegen Ihrer Geschäfte hier«, erklärte ich noch einmal. »Es geht um Ihre Tochter.«

    »Dorothea! Was ist mit ihr?«

    Sein Gesicht veränderte sich. Die Besorgnis, die jetzt in seinen Zügen zu lesen war, erschien mir echt.

    »Wir müssen Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass Ihre Tochter Dorothea Mantay nicht mehr lebt.«

    »Was?«

    »Ihre Leiche wurde auf der Deponie in Fuhlsbüttel gefunden. Sie war in Plastik eingewickelt, hatte den Körper mit eigenartigen Zeichen bemalt und ...«

    »Eto nepravda!«, entfuhr es Ferdinand Mantay. »Gospod' na nebesakh, das kann nicht wahr sein.«

    »Leider ist es so, wie mein Kollege gerade berichtet hat«, mischte sich jetzt Roy in das Gespräch ein.

    »Dorothea ... Was mit ihr geschehen?«

    »Das wissen wir nicht«, erklärte ich. »Die Todesursache ist noch weitgehend unklar. Außer einem kleinen Einstich in der Bauchgegend gibt es keine sichtbaren Verletzungen. Näheres wissen wir, wenn die Obduktion abgeschlossen ist.«

    »Ich habe ein Foto zur Identifizierung hier«, sagte Roy. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog es hervor.

    »Geben Sie her!«, forderte jetzt Josef Mantay. Er warf einen kurzen Blick auf das am Tatort gemachte Polaroid und gab es anschließend seinem Vater.

    Tränen glitzerten in Ferdinand Mantays Augen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Das Gesicht wandelte sich zu einer Maske unbändiger Wut.

    »Das ist meine Schwester«, sagte Josef. »Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Am besten Sie lassen uns jetzt allein.«

    »Das kann ich nicht«, erwiderte ich.

    »Wieso?«

    »Weil wir diesen Fall bearbeiten und sowohl Ihnen als Ihrem Vater ein paar Fragen stellen möchten. Wir gehen bislang davon aus, dass Dorothea Mantay nicht eines natürlichen Todes starb und daher ...«

    »Kann ich nochmal Ihren Ausweis sehen?«

    »Sicher.«

    Er sah ihn sich an. Runzelte die Stirn.

    »Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes...«

    »Ja, das ist die korrekte Bezeichnung unserer Abteilung.«

    »Also nicht einfache Kriminalpolizei.«

    »Hören Sie...«

    »Sie sind eine Sonderabteilung.«

    »Ja.«

    »Seit wann kümmert sich Ihre Abteilung um solche Fälle?«, brauste jetzt Ferdinand auf. Er lockerte die Krawatte und den obersten Hemdknopf. »Das ist kein Fall für Sie. Ihre Abteilung hat damit überhaupt nichts zu tun.«

    »Da irren Sie sich«, erklärte ich.

    »Geben Sie es doch zu, Herr Jörgensen! Sie wollen jetzt sogar den Tod meiner Tochter dazu benutzen, um mir auf der Nase herumtanzen zu können. Um mir was anzuhängen, ist Ihnen buchstäblich jedes Mittel recht.«

    »Es geht darum, den oder die Mörder Ihrer Tochter zu finden«, sagte ich so ruhig wie möglich. »Ein Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen ist im Übrigen nicht ausgeschlossen.«

    »Ach, hatte Dorothea etwa jetzt plötzlich auch etwas mit Drogenhandel zu tun? Hören Sie doch auf, Herr Jörgensen! Sie sind geschmacklos.«

    »Sie haben Ihre Tochter vor drei Tagen als vermisst gemeldet?«

    »Da, eto pravda. Sie hat in Hamburg eine Wohnung, die ich ihr gemietet habe. Ich lasse diese Wohnung rund um die Uhr überwachen. Man hört ja heute so viele schreckliche Dinge über die Kriminalität ...«

    Ich sah, dass Roy die Augen verdrehte, als wollte er sagen: Ausgerechnet dieser Mann muss sich darüber beklagen!

    »Sie kam nicht nach Hause?«, schloss ich.

    Mantay nickte.

    »Weder in ihre Hamburger Wohnung noch hier. Für eine Nacht hätte ich nichts gesagt. Dorothea führte ein Leben, das in der Tradition unserer Familie als - kak govoryat? - zügellos gegolten hätte. Aber so ändern sich die Zeiten.«

    »Herr Mantay, ich frage Sie gerade heraus: Wurde Dorothea Opfer einer Entführung?«

    Er sah mich entgeistert an.

    »Njet! Wie kommen Sie darauf?«

    Roy meldete sich zu Wort: »Im Laufe Ihres Geschäftslebens - oder wie immer man das bezeichnen mag - haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht, Herr Mantay.«

    »Drug dlya vsekh lyudey - wer kann das schon sein, Herr Müller?«

    »Was den Tod Ihrer Tochter betrifft, glauben wir, dass sie zuerst entführt wurde. Irgendetwas ging schief. Vielleicht hat sie das muskellähmende Gift nicht vertragen, das man ihr verabreicht hat. Jedenfalls kam Dorothea ums Leben, und dieser Mord wurde als Teil eines satanistischen Rituals getarnt.«

    »Das ist nur eine Theorie«, stellte Josef Mantay klar, der bisher geschwiegen hatte.

    Roy drehte sich zu ihm herum.

    »Aber eine, für die es Indizien gibt. So hat Ihr Vater in letzter Zeit große Barabhebungen vorgenommen. Möglicherweise haben sich die Entführer also mit einer Forderung gemeldet.«

    »So, Sie überwachen immer noch meinen Zahlungsverkehr?«, fragte Dirty Ferdi. Ein Raubtierlächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ist das nicht illegal?«

    »Sie wissen genau, dass derartige Maßnahmen von unabhängigen Richtern überprüft werden müssen«, antwortete Roy. »Im Übrigen sind wir ja nicht die einzigen, die hinter Ihnen her sind. Mit der Drogen- und der Steuerfahndung gibt es wohl auch ein paar Meinungsverschiedenheiten.«

    »Wir sollten den Anwalt anrufen«, meinte Josef an seinen Vater gerichtet.

    »Wie wär's, wenn Sie mit uns kooperieren und auspacken!«, fuhr ich dazwischen, ehe Ferdinand etwas sagen konnte. »Es geht um die Mörder Ihrer Tochter.«

    »Ja, ich weiß«, murmelte er.

    »Dann sollten Sie es auch riskieren, dass vielleicht das eine oder andere ans Tageslicht kommt, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten. Wie gesagt, einige Indizien deuten auf eine Entführung hin. Ich gehe davon aus, dass Sie zumindest ahnen, wer dahinter steckt.«

    Ferdinand Mantay verschränkte die Arme.

    »Und an wen dachten Sie da so?«

    »Geschäftliche Konkurrenten, vielleicht auch Leute aus Ihrer Organisation ...«

    »Jetzt werden Sie unverschämt!«

    »Die Entführer hatten auf jeden Fall Insider-Wissen.«

    »Das haben Sie sich alles schön zurechtgelegt, nicht wahr?«

    »Es wäre nett, wenn Sie uns die Auflistung Ihrer Telefongesellschaft über sämtliche angenommenen Gespräche überlassen würden ...«

    »Ich dachte, die hören Sie ab!« Mantays Gesicht wurde grimmig. »Ein Entführer wäre kaum so dämlich, sich per Telefon zu melden, Jörgensen. Im Übrigen ist das alles Unsinn, was Sie sich da ausgedacht haben.«

    Ich zuckte die Achseln.

    »Möglich. Aber ich warne Sie: Versuchen Sie nicht, auf eigene Faust den Rächer zu spielen! Wir werden Ihnen genau auf die Finger sehen, bei allem, was Sie tun!«

    »Halten Sie mich für so dumm? Sie und Ihresgleichen träumen doch nur davon, dass ich mich vergesse und wie ein Berserker durch Hamburg laufe. Dann könnten Sie mich endlich in Handschellen legen! Aber Sie kennen mich schlecht, Herr Kommissar! Verdammt schlecht!«

    Einige Augenblicke lang herrschte eine angespannte Stille.

    Roy und ich wechselten einen kurzen Blick. Auf die Sache mit der Entführung stieg Ferdinand Mantay nicht ein. Ob »der Russe« die Wahrheit sagte, war allerdings eine zweite Frage.

    »Okay, gehen wir mal davon aus, Sie sagen die Wahrheit, dann bleibt noch die Spur in Richtung Okkultismus«, nahm Roy das Gespräch wieder auf. »Ihre Tochter hatte entsprechende Kontakte und wurde mehrfach wegen Kirchen- und Grabschändung bestraft.«

    Ferdinand Mantay nickte. Er bedeckte einige Augenblicke lang das Gesicht mit der rechten Hand, atmete schließlich tief durch und schüttelte stumm den Kopf.

    »Ich bin gläubig, Herr Jörgensen. Ich bin tiefgläubiger Mensch und meine Tochter ließ sich das Zeichen Satans zwischen die Schulterblätter tätowieren, so dass man es immer sehen konnte, wenn sie etwas tiefer ausgeschnittene Kleidung trug. Mater' Bozh'ya! Zu meiner Zeit trugen nur Sträflinge Tätowierungen, heute laufen selbst Töchter aus gutem Hause damit herum. Aber dieses Zeichen ...« Er schüttelte den Kopf.

    »Sie wollte provozieren«, mischte sich Josef ein. »Ich glaube, sie hat das mit dem Satanismus gar nicht so richtig ernst genommen. Das war ein Spaß für sie.«

    »Josef, wie redest du? Ist das ein Spaß, nachts in Kirchen einzudringen und im Haus des Herrn - v dome boga! - abartige Rituale mit Schweineblut durchzuführen, Grabsteine umzuwerfen oder zu besudeln? Ist das ein Spaß?« Ferdinand Mantay drehte sich um, ging ein paar Schritte bis zur Fensterfront. Er blickte hinaus in Richtung Elbe. Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Schließlich fuhr »der Russe« in gedämpftem Tonfall fort: »Ich hatte immer gehofft, dass Dorothea auf den rechten Weg zurückfindet. Schon um ihrer Mutter willen ...«

    »Mit Ihrer Frau hätten wir auch gerne gesprochen«, sagte ich.

    »Das dürfte kaum möglich sein.«

    »Warum?«

    »Meine Frau ist seit längerem psychisch krank. Sie befindet sich im Sanatorium in Finkenwerder. Falls Sie versuchen sollten, Kontakt mit ihr aufzunehmen, werde ich alles tun, um das zu verhindern.«

    »Soll das seine Drohung sein?«

    »Fassen Sie es auf, wie Sie wollen, Herr Jörgensen! Wenn meine Frau von Dorotheas Tod erfährt, könnte das ihren Zustand sehr verschlimmern. Und nun betrachte ich dieses Gespräch als beendet.« Mantay wandte sich an die Bodyguards, die die ganze Zeit über gewartet hatten. »Bringt sie raus!«

    »Moment!«, rief ich.

    »Ihre Zeit ist um, Herr Kommissar. Ich gehe nicht davon aus, dass sie ernsthaft daran interessiert sind, den Mord an meiner Tochter aufzuklären. Ich wüsste also nicht, worüber wir weiter zu reden hätten.«

    »Wir können das Gespräch gerne im Polizeigebäude fortsetzen«, erwiderte ich. »Aber vielleicht sind Sie ja vernünftig und geben uns doch noch ein paar Auskünfte.«

    Ferdinand Mantay lag eine Erwiderung auf der Zunge. Josef legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter. »Der Russe« beruhigte sich daraufhin wieder etwas und schwieg. Josef sagte ein paar Sätze auf Russisch. Anschließend wandte er sich an uns.

    »Mein Vater ist sehr mitgenommen von der Nachricht, die Sie ihm überbringen mussten. Ich glaube, es wäre das Beste, wir setzen das Gespräch ein anderes Mal fort. Ich werde in der Zwischenzeit mit meinem Vater reden.«

    Ich hatte eigentlich keine Lust, diesen Bandenchef so einfach davonkommen zu lassen. Ferdinand Mantay spielte mit falschen Karten. Er verschwieg uns etwas. Aber Roy nickte mir leicht zu.

    »Geht schon in Ordnung!«

    Roy hatte recht. Dieser Mann mochte ein übler Krimineller sein. Aber in diesem Moment war er in erster Linie ein Vater, der seine Tochter verloren hatte. Dafür hatte er Mitgefühl verdient, was auch immer er auf dem Kerbholz haben mochte.

    Josef wechselte ein paar Sätze in Spanisch mit den Bodyguards und begleitete uns anschließend anstelle dieser kampflustigen Gorilla-Meute zum Wagen.

    »Ich sehe ein, dass Sie unsere Hilfe brauchen«, erklärte er, als wir allein waren. »Im Grunde haben wir dasselbe Interesse: Der Mord an meiner Schwester muss aufgeklärt werden.«

    »Ihr Vater scheint das etwas anders zu sehen«, erwiderte ich.

    »Mein Vater gehört einer anderen Generation an. Er kam als Einwanderer und musste sich nach oben kämpfen. Die Polizei war dabei nicht immer ein Freund und Helfer für einen jungen Russen, der es zu etwas bringen wollte. Ich hingegen bin hier geboren.«

    Mir kommen die Tränen, dachte ich. Jetzt versuchte Josef seinen Vater als armes Opfer von polizeilicher Diskriminierung darzustellen. Ehe ich etwas erwidern konnte, reichte Josef Mantay mir eine Visitenkarte.

    »Besuchen Sie mich in meinem Firmenbüro. Da können wir uns vielleicht ungestört unterhalten, Herr Jörgensen.«

    »Darauf werde ich bestimmt zurückkommen«, antwortete ich.

    6

    »Was hältst du von dem Kerl?«, fragte Roy, nachdem wir das abgezäunte Gelände rund um das Mantay-Anwesen verlassen hatten.

    »Von wem sprichst du? Dem Vater oder dem Sohn?«

    »Ich meine Josef.«

    »Ein aalglatter Typ. Ehrlich gesagt, kann ich mir noch keinen Reim darauf machen, was für ein Spiel er spielt.«

    »Ich habe das Gefühl, dass es gewisse Gegensätze zwischen Vater und Sohn gibt, Uwe.«

    »Ja, das glaube ich auch.«

    »Vielleicht kommt ja wirklich etwas dabei heraus, wenn wir uns mit ihm allein unterhalten. Und gleichgültig, womit Dirty Ferdi uns auch drohen mag – vielleicht werden wir uns doch noch mit Frau Mantay reden müssen!«

    »Mal abwarten.«

    Ich schaltete einen Gang höher und beschleunigte den Sportwagen etwas.

    »Dirty Ferdi hat uns nach Strich und Faden belogen«, sagte Roy. »Ich wette, es gab eine Entführung. Und ich wette auch, dass der große Boss ganz genau weiß, wer dahinterstecken könnte. Aber davon sagt er uns keinen Ton, weil er selbst mit den Schuldigen abrechnen will.«

    »Falls das stimmt, haben die Betreffenden keine besonders große Lebenserwartung mehr.«

    »Du sagst es.«

    »Über eins komme ich allerdings bei Mantay nicht hinweg, Roy!«

    »Worüber sprichst du?«

    »Ich nehme Dirty Ferdi ab, dass er als tiefgläubiger Katholik über das Satanszeichen auf dem Rücken seiner Tochter entsetzt war ...«

    »Mal ehrlich: Man muss doch kein Katholik sein, um davon nicht begeistert zu sein, Uwe?«

    »... aber dieser Kerl findet nichts dabei, mit dem Finger zu schnipsen und eine Armee von Killern von der Kette zu lassen, wenn ihm irgendein Gesicht nicht passt. Mal davon abgesehen, dass seinetwegen Tausende Crack-Süchtige wie lebende Zombies durch die Gegend gehen, bevor sie schließlich jämmerlich krepieren.«

    »Sei fair, Uwe! Die Justiz konnte ihm nie etwas nachweisen.«

    »Dass du in diesem Zusammenhang von Fairness sprichst, Roy, wundert mich. Wenn du mich fragst, ist nicht fair, dass dieser Verbrecher seinen Kopf bislang immer aus der Schlinge ziehen konnte.«

    Roy zuckte die Achseln.

    »Schätze, den Teil über Nächstenliebe hat der Russe in der Bibel rasch überschlagen.«

    7

    Von der Deponie am Viellochweg aus machten sich Stefan Czerwinski und unser Kollege Oliver 'Ollie' Medina auf den Weg zu Dorothea Mantays Hamburger Wohnung.

    Sie lag in der Hamburger Speicherstadt in einem Gebäude, das im Stil der sogenannten Cast Iron-Architektur errichtet worden war, die von großen, zusammengeschweißten Metallplatten gekennzeichnet wurde. Man imitierte damit den Stil von Fabrik- und Lagerhallen, die diesen Stadtteil ursprünglich geprägt hatten. In den sechziger und siebziger Jahren hatten sich viele Künstler hier niedergelassen, die in den Achtzigern von den Yuppies verdrängt worden waren. Aber in den wenigen Häusern, die noch existierten und die wie Industriebauten aussahen, zu wohnen, war immer noch hip vor allem bei jungen Leuten.

    Dorothea Mantays Wohnung lag im vierten Stock. Die Kollegen Stefan und Ollie ließen sich mit dem Aufzug hinauffahren.

    Ein Team des Erkennungsdienstes war verständigt worden und auf dem Weg hierher. Es würde dafür sorgen, dass Dorotheas Zimmer erkennungsdienstlich genauestens unter die Lupe genommen wurde.

    Unsere Kollegen erreichten die massive Stahltür. Sie stand einen Spalt offen. Am Zustand des Schlosses war zu sehen, dass sie gewaltsam geöffnet worden war.

    Stefan und Ollie wechselten einen kurzen Blick. Beide griffen zu den Dienstpistolen vom Typ SIG Sauer P226 und postierten sich rechts und links der Tür. Offenbar gab es noch jemanden, der sich für die Wohnung von Dorothea Mantay interessierte.

    Ollie öffnete mit einem Tritt die Tür. Sie flog zur Seite.

    Stefan stürzte mit der SIG im Anschlag in den Raum.

    »Kriminalpolizei! Hände hoch!«, rief er.

    Ollie sicherte ihn von hinten.

    Dorothea Mantays Wohnung war etwa zweihundert Quadratmeter groß und bestand aus einem einzigen Raum. Das Inventar war fast ausschließlich in den Farben schwarz und weiß gehalten. Von der Decke hing ein Mobilé. Totenschädel in unterschiedlicher Größe baumelten an hauchdünnen Fäden. Beim geringsten Luftzug tanzten sie wild durcheinander. In der Mitte des Raumes befand sich eine Regalwand. In den Regalen standen ein paar Bücher, außerdem mehrere Kristallkugeln, Tierschädel und Geistermasken.

    Hinter der Regalwand bewegte sich etwas. Eine Gestalt tauchte hervor. MPi-Feuer knatterte los.

    Kristallkugeln und Tierschädel wurden aus dem Regal gefeuert.

    Stefan warf sich zu Boden. Im Fallen schoss er die SIG ab, rollte sich dann herum, während neben ihm die Kugeln den Teppichboden zerfetzten.

    Ollie konnte gerade zwei Schüsse in Richtung des MPi-Schützen abfeuern. Der Kommissar zuckte zurück. Neben der Tür fand er Deckung, presste sich gegen die Wand.

    »Durchs Fenster!«, rief jemand.

    Offenbar war außer dem MPi-Schützen noch jemand hinter den Regalen. Die MPi knatterte erneut los. Diesmal in die andere Richtung. Fensterscheiben zersprangen. Ein schwarz gekleideter Mann sprang nach draußen, krümmte sich dabei wie ein Embryo zusammen. Er rollte sich auf dem etwa anderthalb Meter tiefer gelegenen Dach des Nachbargebäudes ab, rappelte sich auf.

    Der MPi-Schütze ballerte noch einmal mit seiner Waffe durch den Raum.

    Stefan hechtete sich hinter eine niedrige Ledercouch.

    Gut ein Dutzend MPi-Kugeln rissen die Polster auf.

    Ollie tauchte aus seiner Deckung hervor, ging volles Risiko und feuerte seine SIG ab. Der MPi-Schütze wurde am Oberkörper erwischt, taumelte und fiel zu Boden. Die Regalwand riss er mit sich.

    Stefan sprang auf. Mit der SIG in der Rechten lief er auf den am Boden liegenden MPi-Schützen zu. Der Kerl war zweifellos tot.

    »Alles klar, Stefan?«, fragte Ollie, der ebenfalls herbeieilte.

    »Mit mir schon!«, erwiderte der Kommissar.

    »Ich kauf mir den zweiten Mann!«, versprach Ollie. Er wandte sich der zerschossenen Fensterfront zu.

    Von dem Flüchtenden war nichts zu sehen.

    Ollie schwang sich aus dem Fenster und landete auf dem angrenzenden Dach des Nachbarhauses. Er rannte in geduckter Haltung vorwärts. Die Schräge und der rutschige Untergrund sorgten dafür, dass Ollie sein Tempo bremsen musste, wollte er nicht hinunter stürzen.

    Stefan Czerwinski verständigte inzwischen unsere Zentrale.

    Ollie erreichte das Ende des Dachs, blickte hinab. Sofort zuckte er zurück, als auf ihn geschossen wurde. Dicht zischte das Projektil an seinem Kopf vorbei.

    Eine Außentreppe führte hinunter in einen Hinterhof. Ollie hörte die schnellen klappernden Schritte auf den Metallrosten, aus dem die Außentreppe bestand. Er blickte über den Dachvorsprung. Der Kommissar sah kurz das Gesicht des Flüchtenden. Es war zu einer Maske der Angst erstarrt. Umrahmt wurde es von gelocktem Haar. Ein dünner Oberlippenbart gab dem unteren Teil des Gesichts Kontur. Ollie schätzte den Kerl auf nicht älter als 25 Jahre. Er stand auf einem Treppenabsatz und ballerte in die Höhe.

    Ollie feuerte zurück.

    Es machte klick. Der Flüchtende hatte das Magazin seiner Waffe offenbar leergeschossen. In Panik lief er weiter.

    »Stehenbleiben!«, rief Ollie.

    Der Kommissar landete mit einem Satz auf dem obersten Absatz der Außentreppe. Ollie nahm immer mehrere Stufen auf einmal und hetzte weiter hinunter.

    Der Lockenkopf war inzwischen mit einem tollkühnen Sprung auf dem Asphaltbelag gelandet. Er schrie auf, rollte sich einigermaßen geschickt auf dem Boden ab, wie man es in Selbstverteidigungskursen beigebracht bekam. Der Flüchtende hielt sich kurz den Fuß, rappelte sich auf und hetzte weiter.

    Ollie feuerte einen Warnschuss ab.

    »Bleiben Sie stehen, Mann!«

    Der Lockenkopf dachte gar nicht daran. Keuchend rannte er weiter. Er riss das leere Magazin aus dem Griff seiner Pistole heraus, schleuderte es von sich und griff in die Jackentasche, um ein neues hervor zu holen.

    Der Hinterhof wurde von drei Seiten durch Gebäude unterschiedlicher Höhe begrenzt. Einige Pkw parkten hier. Außerdem standen auf der linken Seite einige überfüllte Müllcontainer. Auf der vierten Seite befand sich eine zwei Meter hohe Mauer, die von einer Zufahrt zur Straße unterbrochen wurde.

    Eine Schranke versperrte den Weg. Nur wer die richtige Chipcard hatte, konnte mit dem Wagen hindurch.

    Der Lockenkopf lief in Richtung der Müllcontainer. Er schob hastig das frische Magazin in die Waffe, wirbelte herum und feuerte in Ollies Richtung.

    Der Kommissar hatte gerade den letzten Absatz der Außentreppe erreicht. Für seinen Gegner war er ein Ziel wie auf dem Präsentierteller.

    Ollie duckte sich, feuerte zurück. Dicht zischten die Kugeln des Lockenkopfs an ihm vorbei. Manche wurden von den Metallstreben der Außentreppe als tückische Querschläger weitergeschickt.

    Der Lockenkopf rettete sich inzwischen hinter einen Mercedes.

    Ollie nahm die letzten Stufen mit einem Sprung. Der Lockenkopf tauchte kurz aus seiner Deckung hervor, aber Ollie rettete sich hinter einen Chevy. Dessen Seitenscheiben zerbarsten Augenblicke später unter dem Beschuss des flüchtigen Gangsters.

    Der Lockenkopf rollte sich unter den parkenden Fahrzeugen hinweg.

    Stefan Czerwinski hatte inzwischen die Außentreppe erreicht, hetzte mit weiten Schritten hinunter.

    Im Hintergrund waren die Sirenen der Einsatzfahrzeuge zu hören. Verstärkung war also im Anmarsch.

    Der Lockenkopf tauchte plötzlich zwischen zwei parkenden Fahrzeugen hervor und feuerte auf Stefan. Stefan duckte sich und feuerte zurück.

    Ollie schnellte ebenfalls aus seiner Deckung hervor und schoss.

    Der Lockenkopf duckte sich und rannte zu den Müllcontainern. Im nächsten Moment war er hinter ihnen verschwunden.

    Ollie setzte zu einem Spurt an. Er verständigte sich mit Stefan durch ein paar Handzeichen.

    Von zwei verschiedenen Seiten pirschten sich die beiden Kommissare langsam an die Müllcontainer heran. Sie trafen dabei auf kein Gegenfeuer mehr.

    Vorsichtig schlich Ollie vorwärts, hielt sich dabei dicht an einem der Container. Als er ihn umrundet hatte, schnellte er mit der Waffe im Anschlag hervor.

    Eine Gestalt tauchte von der anderen Seite her auf.

    »Stefan!«, entfuhr es Ollie. Unser Kollege senkte die Waffe.

    Von dem Lockenkopf war nichts zu sehen.

    Stefan machte ein ziemlich ratloses Gesicht.

    »Verdammt, wo ist der Kerl?« Er blickte sich suchend um.

    »Jedenfalls kann er sich nicht in Luft aufgelöst haben«, brummte Ollie. Auch er ließ den Blick schweifen. Schließlich deutete er zu einem Rost, das den Schacht zu einem Kellerfenster schützte.

    Ollie machte zwei schnelle Schritte darauf zu, bückte sich und hob mit einem Ruck das Rost an. Er schleuderte es zur Seite. Der Schacht war etwa ein Meter fünfzig tief. Das kaum gesicherte Kellerfenster war eingetreten worden.

    »Bingo«, flüsterte Ollie. Er nahm die SIG mit beiden Händen. Ein Satz und er war unten im Schacht. Im Inneren des Kellers herrschte Halbdunkel. Ein Geruch stieg von dort unten empor.

    Gas!

    Stefan sah, wie selbst das Gesicht unseres Kollegen ziemlich blass wurde.

    »Hey, was ist los, Ollie?«

    »Hinlegen!«

    Ollie schwang sich aus dem Schacht, presste sich auf den Boden.

    Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubendes Explosionsgeräusch. Der Keller verwandelte sich in einen Glutofen. Glut und Hitze schossen aus dem Kellerfenster heraus.

    Genau wie Ollie hatte sich Stefan flach auf den Boden gelegt, in der Hoffnung, nicht allzu viel abzubekommen.

    Risse bildeten sich im Gemäuer.

    Ollie und Stefan rappelten sich auf, spurteten los und entfernten sich so schnell wie möglich vom Explosionsort.

    »Der Kerl muss verrückt geworden sein!«, stieß Ollie hervor. »Sich selbst in die Luft zu jagen!«

    Stefan zuckte die Achseln. Sein Griff ging zum Handy. Außer den Verstärkungskräften von der Polizei und Kriminalpolizei musste jetzt auch die Feuerwehr gerufen werden.

    »Oben in Dorothea Mantays Wohnung wartet übrigens noch eine Überraschung«, sagte Stefan, bevor er Verbindung bekam.

    Ollie hob die Augenbrauen.

    »Wovon sprichst du?«

    »Im Bad liegt ein Toter. Während ich die Verstärkung rief, warf ich einen kurzen Blick hinein und sah den Kerl in der vollen Wanne liegen.«

    8

    Eine Viertelstunde später wimmelte es rund um das Haus, in dem sich Dorothea Mantays Wohnung befand, von Einsatzfahrzeugen. Der Feuerwehr war damit beschäftigt, den durch die Explosion verursachten Brand zu löschen. Es gab eine starke Rauchentwicklung. Außerdem war nicht klar, an welcher Stelle das Gas letztlich aus dem Leitungssystem ausgetreten war. Das alles machte besondere Vorsichtsmaßnahmen notwendig. Die Bewohner mehrerer Häuser mussten sicherheitshalber evakuiert werden. Bei dem Gebäude, in dessen Keller die Explosion stattgefunden hatte, ging das nur über die Leiterwagen des Feuerwehr. Bei dem Gebäude war nicht klar, wie stark der Schaden war, den die Bausubstanz durch die Detonation erlitten hatte. Selbst ein Einsturz konnte nicht ausgeschlossen werden. Dazu kam, dass ein Gemisch aus Rauch und giftigen Gasen innerhalb des Hauses emporstieg. Wer dort hineingeriet, war unter Umständen innerhalb weniger Minuten ohnmächtig, was in dieser Situation den sicheren Tod bedeutete.

    Das gesamte Gebiet war auf Stefans Anweisung hin weiträumig umstellt worden. Eine Personenbeschreibung des flüchtigen Täters war an alle Polizeieinheiten gegangen. So schnell es ging würde ein Phantombild folgen, das an sämtliche Polizeidienststellen in Hamburg gehen und über das Datenverbundsystem abrufbar sein würde.

    In Dorothea Mantays Wohnung herrschte ebenfalls Gedränge. Außer den Erkennungsdienstlern der Ermittlungsgruppe waren dort auch die Spurensicherer Martin Horster und Frank Folder tätig.

    Stefan und Ollie befanden sich im Bad.

    In der Wanne lag ein Mann im schwarzen Anzug. Das Gesicht war unter der Wasseroberfläche, die Füße ragten dafür aus der Wanne heraus. Eine automatische Pistole lag auf dem Boden.

    »Was sollen wir denn davon halten?«, brummte Ollie.

    »Es heißt, dass Mantay seine Tochter bewachen ließ«, sagte Stefan. »Der Kerl könnte einer der Wachhunde gewesen sein. Er schöpfte Verdacht, überraschte die beiden Einbrecher und ...«

    »... die haben ihn dann überwältigt und in die Wanne gelegt.«

    »Sie haben ihn nicht erschossen, weil das Lärm gemacht hätte, Ollie.«

    Ollie nickte nachdenklich.

    »Keiner der beiden hatte eine Waffe mit Schalldämpfer dabei. Woran starb der Kerl dann?«

    Stefan trat auf die Wanne zu. Er griff ins Wasser, schob das Kinn des Toten etwas zur Seite. Am Hals wurde ein kleiner Einstich sichtbar. Nicht größer als ein Mückenstich.

    »Na, kommt dir das nicht bekannt vor, Ollie?«

    9

    »Du kehrst allein von deinem Auftrag zurück, Björn?«, fragte die heisere, tiefe Stimme des Kuttenträgers.

    Björn schluckte.

    Das Licht einiger flackernder Kerzen erhellte den Raum nur notdürftig. Der junge Mann mit den gelockten Haaren und dem dünnen Oberlippenbart trat nur zögernd einen Schritt näher an den Kuttenträger heran.

    Knarrend fiel hinter ihm eine Tür ins Schloss.

    Jetzt bin ich allein mit ihm, durchzuckte es Björn schaudernd.

    Die Kerzen bildeten ein Pentagramm. Der Kuttenträger saß in sich versunken davor. Er drehte Björn den Rücken zu und rührte sich nicht.

    »Maik und ich waren dort in ... Dorothea Wohnung ...« Björn sprach abgehackt, stotterte sogar ein wenig.

    »Wo ist Maik? Warum ist er nicht hier? Berichte mir alles! Das bist du unserer Gemeinschaft schuldig!«

    Björn nickte.

    »Wir haben versagt, Bruder Maleficius«, brachte er schließlich heraus.

    »Der Herr der Finsternis hört das nicht gerne.«

    »Scheiße, Mann, es geht auch alles schief bei dieser Sache!«

    »Du vergisst dich!«

    »Verzeih, Herr!«

    »Dein Temperament geht manchmal mit dir durch, Björn. Die Kraft der Dunkelheit sollte dir inzwischen schon deutlich mehr Gelassenheit geben.«

    »Ja, Herr.«

    Der Kuttenträger, der sich Bruder Maleficius nennen ließ, erhob sich mit überraschender Schnelligkeit. Er trat auf Björn zu. Sein entstelltes Gesicht lag vollkommen im Schatten der Kapuze. Nichts als Finsternis war dort zu sehen.

    »Berichte, Björn!«

    »Da war ein Typ, der zu Mantays Leuten gehörte und uns schon länger gefolgt sein muss. Wir konnten ihn ausschalten ...«

    »Das ist gut!«

    »Die werden uns jagen, Bruder Maleficius!«

    »Was ist noch geschehen?«

    »Zwei Polizisten haben uns überrascht. Wir mussten die Durchsuchung der Wohnung abbrechen.«

    »Und wo ist Maik?«

    »Er ist tot, Bruder Maleficius.«

    »Dann wird es vielleicht ein paar Unannehmlichkeiten für uns geben.«

    »Unannehmlichkeiten? Verdammt, ich ...«

    »Mäßige dich, Björn! Die Macht der Finsternis scheint zurzeit nur sehr schwach in dir ausgeprägt zu sein. Wir sollten die Rituale bei dir erneuern, Bruder des Bösen.«

    Björn atmete tief durch. Er hatte das Gefühl, als ob ihm jemand den Hals abzuschnüren versuchte. Wir hätten einfach die Finger von einer Braut mit dem Familiennamen Mantay lassen sollen, ging es Björn durch den Kopf. Dann hätten wir jetzt keine Probleme. Weder mit der Polizei noch mit den Mobstern des Mantay-Clans ...

    Aber Björn schluckte diese Kritik an Bruder Maleficius herunter.

    Der Narbengesichtige schätzte es nicht sehr, wenn man seine Entscheidungen nachträglich infrage stellte. Er sah sich selbst als der Stellvertreter Satans auf Erden an. Das beinhaltete auch die Vollmacht, über Leben und Tod zu entscheiden. Ganz besonders galt das für die Mitglieder seiner Gemeinschaft.

    »Ich weiß, was du sagen willst, Björn. Ich kenne jeden deiner Gedanken. Vergiss niemals, wie stark die Macht der Finsternis in mir ist. Sie durchdringt jede Faser meines Körpers, jeden Winkel meines Bewusstseins und verleiht mir die innere Kraft, das zu tun, was getan werden muss. Die zu richten, die der Macht Satans im Wege stehen. Aber habe ich dir je versprochen, an meiner Seite einen einfachen Weg gehen zu können, Björn?«

    »Nein«, flüsterte der Lockenkopf.

    »Und jetzt fahre fort in deinem Bericht! Ich will jede Einzelheit wissen.«

    »Ja.«

    »Wir sind Brüder und Schwestern in Schande, Diener des Bösen, Verkünder des Unaussprechlichen ...«

    »Ja, Bruder.«

    »Erinnere dich der Kraft, die du selbst während des Einführungsrituals erhalten hast! Erinnere dich, wie du ein Teil von uns wurdest! Ein Teil der Finsternis ...«

    »Ja«, murmelte Björn fast tonlos.

    »Wenn Dorothea Mantay wirklich eine der unseren geworden wäre, hätte uns das große Macht in die Hände gegeben. Wer konnte schon ahnen, dass das Höllenfeuer der Dunkelheit in ihrem Geist offenbar noch nicht stark genug brannte, um die Prüfung bestehen zu können ...«

    10

    Ich fuhr den Sportwagen gerade über die Elbbrücke. Zu beiden Seiten glitzerte das Wasser der Elbe im milchigen Licht der Abendsonne. Vor uns lag die Skyline von Hamburg, wie man sie sonst nur auf Postkarten fand.

    Das Handy schrillte.

    Roy nahm ab. Über die Freisprechanlage konnten wir beide die Stimme von Jonathan D. Bock hören, unserem Chef.

    »Roy, Uwe, wo sind Sie jetzt gerade?«

    »Die Elbbrücke haben wir zur Hälfte passiert. Wenn wir nicht in einen der berüchtigten Staus geraten, sind wir in Kürze bei Ihnen«, antwortete mein Kollege.

    »Ich brauche Sie beide am Hamburger Hafen. Wir haben einen Tipp bekommen. Danach soll Iwan Sidorow eine Riesenladung Kokain in Empfang nehmen. Sidorow gilt als Mantays Vertrauensmann auf St. Pauli.«

    »Schon ein eigenartiger Zufall, dass dieser Tipp ausgerechnet jetzt kommt«, fand ich.

    »Das mag sein, Uwe. Aber so einen Fang können wir uns in keinem Fall durch die Lappen gehen lassen. Sidorow wäre die größte Nummer in Mantays Organisation, die uns je ins Netz gegangen ist. Vielleicht ist er kooperativ und wir erfahren von ihm etwas mehr über das, was hinter den Kulissen dieses Syndikats so vor sich geht.«

    »Wann soll der Drogendeal über die Bühne gehen?«, fragte Roy.

    »Nicht vor 18.00 Uhr. Sie brauchen also keinesfalls mit Rotlicht anzubrausen«, antwortete Herr Bock. »Tobias und Ludger sind schon dort. Tobias hat die Einsatzleitung. Ansonsten schicke ich jeden Kollegen hin, den ich im Moment freibekommen kann.«

    11

    Etwa zwanzig Minuten später trafen wir auf einem Parkplatz in der Nähe von Pier 41 ein. Man hatte einen guten Blick auf die Pier, konnte alles überblicken. Ein Container-Terminal befand sich dort. Den Sportwagen parkten wir etwas abseits. In einem als Pizza-Express-Wagen getarnten Van war unsere mobile Einsatzzentrale. Dort trafen wir unsere Kollegen Tobias Kronburg und Ludger Mathies.

    Fred Rochow war kurz vor uns eingetroffen. Außerdem waren noch Randolf Gurth von der Drogenabteilung sowie Polizeiobermeister Edwin Sielaff von der Hafenpolizei anwesend.

    Tobias erläuterte uns die Lage: »Zunächst einmal sei gesagt, dass der Informant eine bislang absolut zuverlässige Quelle ist, die sowohl uns als auch die Kollegen der Drogenfahndung bislang immer mit zutreffenden Informationen aus dem Umfeld der russischen Drogenkartelle versorgt hat. Wir können also davon ausgehen, dass auch dieser Tipp brandheiß ist.«

    »Es geht um eine Ladung Kokain?«, fragte ich.

    Tobias Kronburg nickte.

    »Versteckt in einer Ladung Landmaschinen. Die Maschinen sind bereits an Land. Fünf große Container mit der Aufschrift »Pan-Atlantica Cargo». Sie kommen von einem Schiff mit der Bezeichnung Panama Queen, das zurzeit am Kai liegt. Es wird in Kürze den Hafen verlassen ...«

    »Bevor der Drogenfahndung über die Bühne geht?«, fragte Fred Rochow.

    Tobias nickte.

    »Natürlich! Kapitän und Mannschaft hängen in der Sache mit drin und wollen kein Risiko eingehen.«

    POM Edwin Sielaff von der Hafenpolizei ergriff das Wort: »Unsere Leute werden den Kahn im Auge behalten und ihn nach Möglichkeit stoppen, solange er sich noch nicht in internationalen Gewässern befindet. Aber zunächst müssen wir die Brüder leider ziehen lassen, wenn wir an die größeren Fische heranwollen.«

    Tobias Kronburg aktivierte einen Flachbildschirm, der zu der Computeranlage in der mobilen Einsatzzentrale gehörte. Das Bild eines Mannes mit Knebelbart, hoher Stirn und schütterem, blauschwarzem Haar wurde sichtbar.

    »Das ist Sidorow, den die Kollegen der Drogenfahndung für Mantays Vertrauensmann halten«, erklärte Tobias.

    Kommissar Groth mischte sich in das Gespräch ein.

    »Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Nur sind sowohl Mantay als auch Sidorow äußerst clever. Als zuletzt ein Staatsanwalt versucht hat, gegen Sidorow eine Anklage zusammenzubasteln, ist er damit vor Gericht mit Pauken und Trompeten untergegangen.«

    »Diesmal kriegen wir ihn vielleicht«, sagt Tobias. »Denn den Angaben des Informanten nach kommt die Koks-Ladung von einem neuen Geschäftspartner. Sidorows Job ist es also, hierherzukommen und die Lieferung zu bezahlen.«

    »Hier an der Pier?«, fragte ich.

    Tobias nickte.

    »Beide Partner misstrauen sich und setzen wahrscheinlich darauf, dass jeder hier nur mit einem kleinen Aufgebot an Mobstern auftreten kann«, gab Ludger Mathies zu bedenken.

    »Hier ist so viel los, dass so ein Drogendeal gar nicht auffällt«, ergänzte Tobias. »Unseren Einsatz macht das auch nicht gerade unkomplizierter. Aber dazu später mehr.«

    »Wie soll der Drogendeal genau ablaufen?«, erkundigte sich Roy.

    »Sidorow trifft sich mit einem Mittelsmann und übergibt das Geld«, gab Tobias Auskunft.

    »Kennen wir den Mittelsmann?«, fragte ich.

    Tobias schüttelte den Kopf.

    »Leider nicht. Wir müssen uns an Sidorow halten. Sobald das Geld übergeben ist, wird der Mittelsmann die Container mit den Landmaschinen für den Weitertransport freigeben. Vielleicht übergibt er die entsprechenden Papiere auch gleich an Ort und Stelle. Zielort ist ein Wiederverkäufer in Frankfurt, aber auf dem Weg nach Süden machen die LKWs einen kleinen Zwischenstopp auf einem stillgelegten Industriegelände in Harburg. Da wird das Rauschgift aus den Containern geholt.«

    »Okay, dann würde ich sagen, legen wir unsere Kevlar-Westen an!«, meinte Fred Rochow.

    »Moment«, sagte Tobias. »Wir haben einige Dutzend Arbeitsjacken und Schutzhelme organisieren können, wie sie von Hafenarbeitern hier im Terminal getragen werden.«

    »Wo sind die Jacken?«, hakte ich nach.

    Tobias machte eine wegwerfende Handbewegung.

    »Auf dem Weg hierher. So wie im Übrigen auch ein Großteil der Kollegen, die an der Operation teilnehmen soll. Ich hoffe nur, dass diese improvisierte Aktion glatt über die Bühne geht.«

    12

    Wenig später befanden sich Roy und ich in der Nähe der Container mit der Aufschrift »Pan-Americana Cargo«. Wir trugen Arbeitsjacke und Schutzhelm, darunter die Kevlar-Weste und die SIG. Über Ohrhörer und Kragenmikro hatten wir Funkverbindung zu den Kollegen.

    Sobald Sidorow auftauchte und seinen Mittelsmann traf, war der Erfolg dieser Operation weitgehend eine Frage der Koordination.

    Im Laufe der Zeit trafen immer mehr Kollegen ein.

    Jeder von uns versuchte sich so unauffällig wie möglich auf dem Teil des Hafengeländes zu bewegen.

    Die »Panama Queen« legte ab und fuhr nordwestlich die Elbe hoch, um zur Nordsee zu gelangen.

    »Ich frage mich, was das für ein Informant ist, der für diesen Supertipp verantwortlich ist«, raunte ich Roy zu, während wir darauf warteten, dass sich irgendetwas tat. Wir standen uns die Füße platt, mussten die Umgebung im Auge behalten und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, irgendetwas an den Containern oder der Hafenanlage zu tun zu haben.

    »Sofern der Tipp gut ist, ist mir das ziemlich gleichgültig«, bekannte Roy.

    »Das ist doch kein Zufall! Mantays Tochter wird wahrscheinlich bei einer schief gegangenen Entführung getötet, wenig später geht ein brandheißer Tipp ein, der den großen Boss vielleicht in ziemlich große Schwierigkeiten bringt.«

    »Du meinst, dass eine hat etwas mit dem anderen zu tun?«

    »Kannst du das ausschließen?«

    »Sieht ganz so aus, als wollte da jemand Ferdinand Mantay in arge Schwierigkeiten bringen.«

    »Kann man wohl sagen.«

    Roy zuckte die Achseln.

    »Um ehrlich zu sein, das würde sogar ziemlich gut zusammenpassen. Der Tippgeber hat vielleicht etwas mit der Entführung zu tun und will sich jetzt vor Dirty Ferdis Rache schützen, indem er zum Gegenangriff ansetzt. Und dass die Entführer zumindest Helfer unter den Insidern des Mantay-Syndikats gehabt haben müssen, dürfte außer Frage stehen.«

    »Bevor wir uns in Spekulationen versteigen, sollten wir mehr über den Typ wissen, der es wagt, Dirty Ferdi zu verraten, Roy«, erwiderte ich.

    Wir hatten keine Gelegenheit mehr, uns weiter zu unterhalten. Über Ohrhörer vernahmen wir Tobias Kronburgs Stimme.

    »Sidorow' Wagen ist im Anmarsch. Eine blaue Ford-Limousine. Sie fährt auf den ehemaligen Anlegeplatz der Panama Queen zu ...«

    An der Kai-Mauer standen ein paar vereinzelte Angler. Einer der gewaltigen Kräne hievte einen zwanzig Tonnen fassenden Container durch die Luft und setzte ihn zielsicher auf den vorgesehenen Truck. Wenig später sahen wir die Limousine.

    Zwei Männer stiegen aus, blickten sich um. Sie trugen schwarze Anzüge. Bei einem der Kerle blitzte kurz eine Waffe auf, als das Jackett zur Seite glitt.

    Schließlich stieg noch jemand aus. Das war Sidorow. Ich erkannte ihn sofort wieder. Er trug einen Koffer, der mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt worden war.

    Die Drei warteten.

    Roy und ich postierten uns an der Ecke eines Containers. Tobias dirigierte per Funk die Einsatzkräfte an strategisch günstige Positionen.

    Einige Augenblicke lang geschah gar nichts.

    Mir fiel ein großes Schlauchboot mit Außenbord-Motor auf. Es war am Heck eines Schrott-Frachters mit der Bezeichnung »Elbe Star« befestigt. Zwei Männer standen in dem schaukelnden Boot und bemühten sich offenbar, die meterhoch aufragende Stahlwandung mit Rostprimer zu streichen. Die beiden machten mir einen ziemlich unkonzentrierten Eindruck. Sie blickten immer wieder in Richtung des Ufers.

    »Da fährt gerade ein metallicfarbener Van von der Peutstraße ab«, berichtete Tobias Kronburg über Funk. »Dem Kennzeichen nach gehört er Thomas Gutjahr, einem von Sidorow' Leuten.«

    »Sidorow will offenbar auf Nummer sicher gehen«, murmelte Roy.

    Der Van parkte in einigem Abstand von dem ehemaligen Anlegeplatz der »Panama Queen« hinter einer Reihe von LKWs, die darauf warteten, beladen zu werden. Von Tobias Kronburgs Position aus war das alles gut zu überblicken. Er beschrieb uns die Position. Einige unserer Leute wurden eingeteilt, um den Van und seine Insassen im Auge zu behalten.

    Endlich bewegte sich etwas.

    Einer der Angler packte seine Sachen zusammen und ging auf Sidorow zu. Der Angler sprach den Mann mit dem Koffer an.

    »Achtung, es geht gleich los!«, verkündete Tobias Kronburg über Funk. Abhörspezialisten der Drogenfahndung dokumentierten das Geschehen per Kamera und Richtmikrofon. Schließlich musste am Ende alles juristisch wasserdicht sein.

    Der Angler gab Sidorow ein kleines Päckchen. Dieser gab es an einen seiner Mobster weiter, einem breitschultrigen Mann mit Ohrring. Der wandte sich in Richtung Ufer. So konnten wir nicht sehen, was er tat. Vermutlich nahm er eine Prise, um sie zu testen. Der Mann mit dem Ohrring nickte Sidorow zu. Wenig später wechselte der Geldkoffer den Besitzer.

    Sidorow schloss ihn von der Kette, gab ihm dem Angler. Dieser warf einen kurzen Blick hinein.

    Anschließend holte der Angler ein Kuvert aus der Jackentasche. Das mussten die Papiere sein, die Sidorow berechtigten, die Container abholen zu lassen. Wenn die Bande gut organisiert war, sogar mit Freigabe vom Zoll.

    Tobias Kronburg gab das Signal zum Eingreifen.

    Der Drogendeal war über die Bühne gegangen. Wir konnten Sidorow auf frischer Tat erwischen.

    Wir stürmten aus unserer Deckung.

    Gleichzeitig ertönte eine Megafonstimme, die Sidorow und seine Leute zum Aufgeben aufforderte.

    Der Angler erfasste als Erster die Situation. Er rannte mit dem Koffer zur Kaimauer und sprang ins Wasser.

    Sidorow und seine Gorillas griffen zu den Waffen, nahmen Deckung hinter der Limousine. Die Insassen des Vans stürzten heraus. Sie waren mit MPis bewaffnet. Innerhalb von kürzester Zeit gingen Schüsse hin und her.

    Einen der Mobster erwischte es tödlich. Eine Kugel traf ihn am Kopf.

    Unbeteiligte Hafenarbeiter, die sich in der Nähe aufhielten, stoben in Panik davon.

    Auch ich bekam etwas ab.

    Zwei Geschosse trafen mich kurz hintereinander mitten in der Brust und rissen die Arbeitsjacke auf. Die Projektile fetzten durch den groben Stoff hindurch und blieben im Kevlar hängen.

    Die Aufprallwucht wird bei kugelsicheren Westen nur auf eine größere Fläche verteilt, so dass die Kugel nicht in den Körper eindringen kann, sondern vom Kevlar-Gewebe aufgehalten wird. Die Energie, die dabei auf den Getroffenen einwirkt, ist jedoch dieselbe wie bei einem gewöhnlichen Treffer.

    Ich wurde gestoppt, taumelte zurück und ging zu Boden. Dabei hatte ich das Gefühl, als ob ich gerade einen brutalen Schlag mit einem Baseballschläger bekommen hatte. Ich bekam kaum Luft, drehte mich dennoch am Boden instinktiv herum. Dicht neben mir brannte sich eine Kugel in den Asphalt. Ich riss die Waffe hoch, feuerte.

    Roy blieb in meiner Nähe.

    Er war völlig ohne Deckung.

    Weit und breit war nichts, wohinter man sich verstecken konnte. Dennoch gab er mir Feuerschutz. Er kniete nieder, fasste die SIG mit seinen Händen und schoss in Richtung unserer Gegner.

    Sidorow öffnete inzwischen die Hintertür des Ford und hechtete sich auf den Rücksitz der Limousine. Der Chauffeur hatte die ganze Zeit über hinter dem Steuer ausgeharrt. Jetzt startete er den Wagen. Er trat das Gas voll durch.

    Der Ford machte einen Satz nach vorne. Der Chauffeur riss das Steuer herum.

    Kugeln trafen die Frontscheibe, wurden aber vom schusssicheren Panzerglas aufgefangen.

    Von den beiden Mobstern, die Sidorow begleitet hatten, war einer schwer verletzt. Er ließ die Waffe fallen, sank dabei zu Boden.

    Der andere versuchte noch in die Limousine zu gelangen. Aber weder den Chauffeur noch Sidorow kümmerte es, was aus ihm wurde. Der Wagen brauste einfach los, ließ den

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