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Arson: Roman
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eBook248 Seiten1 Stunde

Arson: Roman

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Über dieses E-Book

"»Ich muss zu überleben beginnen.« Nüchtern, ruhig und gefasst beobachtet die Frau, deren Stimme wir in Laura Freudenthalers Buch hören, wie die Dinge außer Kontrolle geraten. Die Dinge  in ihrem Umfeld, in ihrem Leben, die Dinge, die eine globale Katastrophe ankündigen: Überall brennen Feuer, herrscht Dürre, macht sich Hitze breit. Die Frau, die hier erzählt, registriert es mit kalter Verzweiflung und wachsender Besessenheit. Sie sucht Zuflucht, wechselt, von Träumen getrieben, ständig ihren Wohnort, tauscht die Zudringlichkeiten der Stadt gegen die Isolation am Land und entfernt sich zunehmend von der Welt, in der man bei Abendeinladungen und Festen über Beziehungen und Psychotherapien spricht. Stattdessen findet sie einen Komplizen ihrer Obsession in einem Mann, der als Experte für Wildfeuer am meteorologischen Institut arbeitet. Er leidet unter Schlaflosigkeit, weiß aber auch, dass viereinhalb Stunden Schlaf genügen, um zu überleben. Und so wacht er über den Feuerkarten, die weltweit jeden Brand verzeichnen. Als ließe sich kontrollieren, was längst außer Kontrolle geraten ist.
"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Aug. 2023
ISBN9783990273043
Arson: Roman
Autor

Laura Freudenthaler

Geboren 1984 in Salzburg, lebt in Wien. Für ihren Roman „Die Königin schweigt“ (2017) erhielt sie den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis, er wurde 2018 als bester deutschsprachiger Debütroman beim Festival du premier Roman in Chambéry ausgezeichnet. Für „Geistergeschichte“ (2019), ihren zweiten Roman, erhielt sie den Literaturpreis der Europäischen Union. 2020 gewann sie den 3sat-Preis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, 2021 wurde sie für ihr Werk mit dem manuskripte-Preis ausgezeichnet.

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    Buchvorschau

    Arson - Laura Freudenthaler

    Eine breite Straße, ansteigend, am höchsten Punkt ist das Bild gerahmt von Gebäuden, die Kulisse der Ausschnitt eines mächtigen steinernen Runds. Von links tritt ein kleiner Pulk auf, voran der Fremdenführer, rückwärts gehend, eine Standarte tragend. Wendet sich um, verschwindet am rechten Bildrand, die Gruppe ihm nach. Rufe branden auf, eine Menge berauscht sich am Klang ihrer Stimmen, verebben. Ich wache auf und weiß nicht, wo ich bin. Der Tag liegt so weit zurück, wie er noch fern ist, ich habe den Übergangsschlaf geschlafen und bin fremd. Meine Glieder liegen um mich herum, von der Mitte aus finde ich zurück. Ich bewege ein Bein, ziehe das andere heran, hole die rechte Hand ein, berühre die Hüfte, den Hals, die Stirn, ich stütze mich auf den Unterarm. Versuche, in der Dunkelheit Linien auszumachen und zu deuten. Der untere Rand des Fensters zeigt sich nach einer Weile als Tischkante, über mir löst sich ein Balken aus der Schwärze, die sich in den Ecken verdichtet, die durch Wände verbunden werden, die ein Zimmer ergeben, von dem aus man über einen Gang in den größeren Raum gelangt, wo die Tür nach draußen ist. Seit mehreren Wochen bin ich schon in dieser Landschaft, in der die Häuser weit verstreut und vereinzelt stehen. Das Geräusch muss mich geweckt haben. Ein Streifen. Die Katze, die wartet, bis der Morgen graut und sie zu fressen bekommt.

    Ein Streifen ist kein Geräusch. Zu dieser Stunde wartet nichts und niemand. Es gibt welche, die ausharren, und es gibt welche, die sind in ihrem Element. Die Katze bleibt morgens in sicherer Entfernung, bis ich mich ins Haus zurückgezogen habe, ehe sie herankommt, um zu fressen. Keine Vertraulichkeit. Ich lege den Kopf zurück auf den Polster, ziehe die Beine vor den Bauch und die dünne Decke fester. Zu spät, der schützende Schlaf ist abgefallen. Ich gehöre nicht hierher. In der Gegend gibt es Wölfe, sie sind zurückgekommen und werden mehr. Bewegen sich lässig und lautlos, die Schulterblätter unter dem Fell heben und senken sich bei jedem Schritt, selten bekommt sie jemand zu Gesicht. An der Wange spüre ich die Berührung der Gelse, die mich geweckt hat. Wenn ich nicht schlafe, werde ich zum Monstrum. Will einen Stecker anbringen, der die Luft im Raum vergiftet. Verlasse das Schlafzimmer und gehe hinüber, schalte das Deckenlicht ein. Mitten im Raum, reglos, eine Spinne, groß wie die Fläche meiner ausgestreckten Hand, zwischen ihren Kieferklauen eine Beute. Wir halten still. Ich senke den Kopf. Meine bloßen Füße auf dem Fliesenboden. Ich lösche das Licht und gehe zurück ins Bett. Meinen Kreis für die Nacht bezeichnen mein gerundeter Rücken und meine vor den Oberkörper gebeugten Arme und Beine. Die Gelse lässt sich auf der rechten Schulter nieder.

    Ich stehe vor dem Haus, den linken Arm über die Brust gekreuzt, um mich an der rechten Schulter zu kratzen. Unten auf dem Feld hat es in der Nacht gebrannt, von schwarzen Haufen steigt Rauch auf, den der Wind über die offene Fläche nach Osten treibt. Aus der anderen Richtung kommt ein Hund gelaufen, mit wehender Rute, ein verirrtes Rauchfähnchen, zurückgeflogen, um mit dem Wind davonzuziehen. Lege die Hand an die Stirn, um die Augen zu beschatten. Der Himmel ist weiß, eine einzelne Wolke ebenso wenig auszumachen wie die Sonne hinter der Bedeckung. Der Hund trottet den Feldweg entlang, die Spuren der Räder und Schritte sind trocken und alt. Der Hund gehört zu einem Mann mit weißem Haar. Nicht nur das Alter hat jede unnötige Bewegung und jegliche Hast von ihm genommen, außer dem Gleichmut gibt es nichts mehr zu teilen. Der Mann, der zu dem Hund gehört, kann den anderen, der sein Gast ist, nicht bewirten. Es gibt keinen Wein, kein Brot, kein Wasser. Es gibt nichts, außer die Wege in der flachen Landschaft, die sie miteinander gehen, über den Boden, der nichts mehr hervorbringt.

    Ehe es dunkel wird, gehe ich hinunter, schaue nach Glutnestern, finde in der Asche einige in noch warme Kohlen verwandelte Stücke Holz, die ich mit Erde bedecke. Rex Nemorensis nannten sie den König des Waldes, der ein entlaufener Sklave und ein Mörder war, weil er einzig durch Mord am alten König der neue werden konnte. Die Freiheit, eines Tages, der jeden Tag sein kann, getötet zu werden. Die Bar am Hauptplatz heißt Zum Goldenen Zweig, der Ort ist berühmt für den Wald und für die Erdbeeren, die darin wachsen. Ein Klima, in dem auch Misteln gut gedeihen. Die Eichen nicht mehr, die Eichen sterben hier wie anderswo. Ich fahre zurück in die Stadt, in den Norden.

    Es ist kalt geworden. Wie in ein Bad aus Metall getaucht, wo ich mich bewege, gerate ich an die eisige Hülle. Nach dem Aufwachen nicht zu wissen, wo man sich befindet, setzt eine Vorstellung von Raum und vom eigenen Körper voraus. Ich stelle fest, dass ich mich aufgesetzt habe und vor mich hinschaue. Das Mindeste ist das beständige Bemühen, sich zurechtzufinden. Man sollte den Ort, an dem man aufwacht, schon einmal gesehen haben und wiedererkennen oder aber begreifen, dass man an einem unbekannten Ort aufgewacht ist. Man sollte wissen, dass man geschlafen hat. Ich weiß nicht, wie lange ich im Bett sitzend vor mich hinschaue, aber ich weiß jetzt wieder, dass es kurze und lange Dauer gibt. Ich habe geschlafen und ich bin aufgewacht. Ich friere.

    Die Vorräte sind aufgebraucht, was es noch gibt, ist schwer zu bekommen. Ich muss zu überleben beginnen. Ich ziehe die Wollsocken an, die da liegen. Neben dem Bett stehen feste Schuhe bereit, sie anzuziehen bereitet wegen der dicken Socken Mühe, aber es gelingt. Die nächtlichen Straßen sind verlassen, die Luft ist trocken und kalt. Der Boden hier ist versiegelt. Im Wald ist der Boden feucht, im Wald gibt es Bäche und Quellen. Es gilt, Wald zu suchen. Vorne an der Ecke, neben dem geschlossenen Supermarkt, ein Gittertor, durch das ein Schatten verschwindet, schmal und lautlos. Auf allen Vieren. Es kostet Überwindung. In dunkler Nacht knie ich auf dem Gehsteig, den Oberkörper aufrecht, die kalten Kniescheiben auf dem Asphalt. Tiere riechen das Wasser und wittern mich. Es gilt, ihrer Spur zu folgen. Ich lasse mich fallen, auf die Hände, ein Reißen in den Sehnen. Los.

    Andrea hat Weihnachten nicht mehr mit ihrer Familie verbracht, seit sie alt genug dafür ist. Andrés heißt ihr Freund, der in diesen Tagen seine Familie in Spanien besucht. Miriams Freundin arbeitet an den Feiertagen, die Kollegen sind ihr dankbar, dass sie Dienst macht. Sie verbringt so wenig Zeit wie möglich in der Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter lebt, die auf sie angewiesen ist und mit der sie nur das Nötigste spricht. Miriam kennt die Wohnung mit der Mutter bloß aus Erzählungen. Wenn sie und die Freundin zusammen sind, dann in Miriams Wohnung. Andrea hat teuren Wein gekauft, sie öffnet eine weitere Flasche. Wir sprechen über staatliche Unterstützungsleistungen und schwarz bezahlte Honorare, und Andrea sagt, sie will ein wenig Leichtigkeit heute Abend. Zum Nachtisch gibt es Schokoladenkuchen. Andrea erzählt von der Ausstellung, die sie machen will. Eine Frau, besessen von Selbstportraits, von der Suche nach dem einen Foto, das sie so zeigt, wie sie sich selbst sieht. Das spießt sich an der Perspektive. Deshalb will Andrea Fotos, die sie von sich selbst macht, jeweils verdoppeln und einander gegenüberstellen. Die Fenster sind weit geöffnet, es ist eine milde Nacht. Wir halten inne, wenn die Sirenen ganz nahe sind, sprechen weiter, wenn das Heulen sich wieder entfernt. Miriam fragt, ob ich mich wohlfühle in meiner neuen Wohnung. Bis jetzt schon. Andrea lacht. Sie legt spanische Musik auf und erhebt ihr Glas. Auf das Leben, das uns verbraucht. Miriam singt zur Musik und Andrea fordert mich auf. Sie legt beide Hände auf meine Hüften, wir tanzen Bauch an Bauch, in einer Umarmung.

    Morgens sitze ich am Tisch, meine Hand hält einen Stift, ich halte den Blick gesenkt. Schemenhafte Gestalten am oberen Blickfeldrand, die stete Täuschung, dort, am Horizont, wären sie. Der Horizont trennt Beobachtbares von Unbeobachtbarem. Schaue ich hoch, sind die Gestalten verschwunden, erst über dem Papier tauchen sie erneut auf. Versuche, den Blickfeldrand hinauszuschieben, ein kleines Stück nach oben und noch eines. Die Hand hält den Stift, ich halte die Verbindung, hebe den Blick weiter, zum Fenster, auf die Straße hinaus, weiter.

    Der Übergang zwischen Himmel und Erde. Nicht in die Ferne schauen, sondern möglichst viel Atmosphäre sehen. Die Luft beginnt zu tanzen, das sind die Wellen im Raum und in meinem Körper das Blut. Die Bewegung hinter den Augen, an den Trommelfellen, unter der Haut und außerhalb. Glast, winzige, helle Punkte, die sich nicht fixieren lassen, nicht einen Augenblick. Wegschauen, um zu sehen, tiefer in den Raum. Ruß ist wie Schneeflocken, nicht zwei, die einander gleichen, und noch kleiner, Kristallisationskerne, die bis in die mittlere Atmosphäre aufsteigen und die Wolken besonders hell erscheinen lassen. Kalte Luft führt dazu, dass die Bronchien sich zusammenziehen. In Australien legen sie nasse Tücher an die Türen, damit der Rauch nicht hereindringt. Draußen einundfünfzig Grad Celsius, dort ist leuchtender Tag, während du träumst. Die größten Löschflugzeuge heißen Bomber und laden fünfzehn Tonnen. Ich frage mich, woher sie das Wasser nehmen.

    Du solltest fliegen. Andrea bittet mich, mir das zu gönnen. Es ist doch ohnehin vorbei, sage ich. Dann betrachte es als Abschiedsurlaub. Ich fliege mit Ulrich auf eine karibische Insel, er hat die Flüge gekauft, eine Wohnung in einem Appartmenthaus gebucht, siebter Stock, Blick aufs Meer. An der Rezeption gebe ich dem Angestellten meine Kreditkarte. Ich bestehe darauf, sage ich auf Deutsch, Ulrich neben mir, und bestätige auf Englisch meine Nationalität. Ich verstehe dich nicht, sagt Ulrich, während wir mit dem Lift hinauffahren. Wir legen uns schlafen, ohne etwas von der Umgebung gesehen zu haben, es war

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