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Scharfschütze am Monte Cassino: "Manchmal höre ich sie heute noch schreien!": Ein Kriegsveteran bricht sein Schweigen
Scharfschütze am Monte Cassino: "Manchmal höre ich sie heute noch schreien!": Ein Kriegsveteran bricht sein Schweigen
Scharfschütze am Monte Cassino: "Manchmal höre ich sie heute noch schreien!": Ein Kriegsveteran bricht sein Schweigen
eBook270 Seiten3 Stunden

Scharfschütze am Monte Cassino: "Manchmal höre ich sie heute noch schreien!": Ein Kriegsveteran bricht sein Schweigen

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Über dieses E-Book

"Manchmal höre ich sie heute noch schreien!", sagte Josef Altmann mehr als 50 Jahre nach der Schlacht um den Monte Cassino und verlor sich in seinen Gedanken. Instinktiv zuckte er zusammen, duckte sich zur Seite und suchte scheinbar Deckung vor einer imaginär heran rauschenden Granate.

Als Angehöriger des Regiments 361 erlebte der ehemalige Fremdenlegionär die erbarmungslosen Kämpfe an der Gustav-Linie und rund um den Monte Cassino. Der Krieg hatte eine unfassbare Grausamkeit erreicht und der Tod schlug täglich gnadenlos zu.

Altmann wird im Schnelldurchlauf zum Scharfschützen ausgebildet und sofort an der Front eingesetzt. Er erkennt im Zielfernrohr die Gesichter seiner Opfer. Die Hände beginnen zu zittern, das Herz rast. Gänsehaut überzieht seinen Körper. Angst, Elend, der Verlust seiner engsten Kameraden und die Schreie der Sterbenden lassen ihn, entgegen seiner anfänglichen Zweifel, abdrücken.

Ohne Pathos, frei von Heldentum und erschreckend realitätsnah erzählt Josef Altmann seine Geschichte.

Dieses Buch ist ein schonungsloser Tatsachenbericht und soll als Mahnmal gegen Kriege dienen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum13. Okt. 2023
ISBN9783758358906
Scharfschütze am Monte Cassino: "Manchmal höre ich sie heute noch schreien!": Ein Kriegsveteran bricht sein Schweigen
Autor

Wolfgang Wallenda

Bereits der Debütroman von Wolfgang Wallenda: "Die Frontsoldaten von Monte Cassino" wurde ein kleiner internationaler Erfolg. Erzählt wird der Werdegang des 1939 zwangsrekrutierten Mathias Wallenda, der an Kriegsschauplätzen in Frankreich, dem Balkan, Afrika und Italien eingesetzt war. Es folgten rund 40 Romanhefte unterschiedlicher Genres, die der Autor für zwei große deutsche Verlage schrieb. Schwierige Zeitgeschichte behandelt er informativ: Der Autor hierzu: "Der Zweite Weltkrieg war eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit. Es darf nie wieder einen Holocaust oder Genozid, wie z.B. in Ruanda, geben. Wie vergesslich die Menschheit ist, zeigt u.a. das traurige Beispiel des blutigen Bürgerkriegs in Jugoslawien, der in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ganz Europa in Atem hielt. Man muss aufklären, darf nichts verleugnen und muss rigoros gegen Unrecht vorgehen.

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    Buchvorschau

    Scharfschütze am Monte Cassino - Wolfgang Wallenda

    Der nächste Krieg wird von einer Furchtbarkeit sein wie

    noch keiner seiner Vorgänger.

    Bertha von Suttner

    österr. Pazifistin

    (* 09.06.1843 – † 21.06.1914)

    Bis auf historische Persönlichkeiten sind alle Namen geändert.

    Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

    Der Autor

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Afrika, Mitte März 1943

    21. Dezember 1943

    19. Januar 1944

    28. Januar 1944

    6. Februar 1944

    11. Februar 1944

    13. Februar 1944

    16. Februar 1944

    18. Februar 1944

    19. Februar 1944

    20. Februar 1944

    21. Februar 1944

    22. Februar 1944

    23. Februar 1944

    24. Februar 1944

    26. Februar 1944

    5. März 1944

    17. März 1944

    31. März 1944

    11. April 1944

    10. Mai 1944

    19. Mai 1944

    24. Mai 1944

    Juni 1944

    2. Juli 1944

    18. Juli 1944

    August 1944

    14. September 1944

    23. September 1944

    27. September 1944

    Vorwort

    Ich schätzte Josef Altmann auf ungefähr 90 Jahre. Trotz seines hohen Alters wirkte er immer noch agil und kräftig. Sein Gesicht war wettergegerbt, der Blick freundlich. Es hatte mich sehr beeindruckt, dass er die Zugfahrt von Ludwigshafen bis ins Alpenvorland lediglich aus dem Grund auf sich nahm, um mich kennenzulernen. Natürlich hatte er dabei auch einen Hintergedanken: Sein Ziel war es, seine Lebensgeschichte zu erzählen und mich dazu zu bewegen, sie als weiteres Mahnmal gegen Kriege als Buch zu veröffentlichen.

    Herr Altmann hatte damals über meinen Verlag Kontakt zu mir aufgenommen. Nach ein paar Telefonaten war ich neugierig geworden und stimmte schließlich seinem Wunsch auf ein persönliches Treffen zu.

    Ich hatte schon mehrere Bücher zum Thema Zweiter Weltkrieg veröffentlicht und mich bei den vorangegangenen Recherchen bereits mit etlichen Kriegsveteranen getroffen. Sie berichteten alle über ihre Erlebnisse. Nicht etwa, um damit alte Zeiten wieder auf- und hochleben zu lassen, sondern, um sie vor dem Vergessen zu bewahren und die nächsten Generationen zu warnen.

    Kein einziger Veteran glorifizierte das Dritte Reich oder den Krieg. Sie waren Opfer der Zeit, in die sie hineingeboren wurden, Opfer der Gleichschaltungspolitik des verbrecherischen Nazi-Regimes und letztendlich Opfer des von diesem Regime provozierten und begonnenen Zweiten Weltkriegs.

    Ich weiß nicht, ob der eine oder andere von ihnen während des Krieges auch zum Täter geworden war. Aber eines war mir klar: Ihre für uns unvorstellbaren Erlebnisse hatten sich gnadenlos in die Köpfe und Seelen dieser Veteranen eingebrannt.

    Unauslöschlich!

    Krieg ist Hölle.

    Genau von dieser Hölle berichteten sie mir.

    Die Masse der einfachen Soldaten wurde unfreiwillig einberufen. Herausgerissen aus dem normalen Leben, mussten sie ihre Familie zurücklassen und waren dazu verdammt, in einen Krieg zu ziehen, zu kämpfen und zu töten, um nicht selbst getötet zu werden. Die einzige menschliche Nähe, die sie spürten, war die Kameradschaft des Mannes, der neben ihnen im Dreck lag. Des Kameraden, der gemeinsam mit ihnen auf das Sterben wartete.

    An den Fronten der Kriegsschauplätze fanden sie keine viel zitierte Landser-Romantik und kein sagenumwobenes Heldentum. Sie fanden Not, Elend, Leid und Unrecht.

    Damals waren sie jung und geblendet. Infiltriert von nationalistischem Gedankengut folgten sie teils freiwillig, teils gezwungenermaßen dem Ruf eines Diktators und dessen Henkern. Sie zogen in einen Krieg, der zu dem größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte wurde.

    Wie sehr diese Vergangenheit die Veteranen bedrückte und welche unsichtbare Last sie jahrzehntelang mit sich herumschleppten, offenbarten sie mir in ihren Geschichten.

    Das hatte zur Folge, dass mir mittlerweile so viele Originalunterlagen und Interviews zur Verfügung standen, um mehrere Bücher schreiben zu können. Entsprechend verhalten reagierte ich zu Beginn der Telefonate mit Herrn Altmann. Doch nach und nach zog mich dieser Veteran in seinen Bann. Anders als seine ehemaligen Kriegskameraden lobte er meinen Debütroman über Monte Cassino nicht, sondern sagte mir sofort, was ich darin alles falsch wiedergegeben hatte. Es war konstruktive Kritik, die ich mir sehr zu Herzen nahm. Erst gegen Ende seiner Ausführungen sagte er: „Viele kleine Formalitäten konnten Sie gar nicht wissen, weil es Detailwissen von uns ehemaligen Wehrmachtsangehörigen ist, aber eines stimmt haargenau."

    Er machte eine Pause.

    „Was denn?", fragte ich neugierig.

    „So, wie Sie es dargestellt haben, genau so war es. Haargenau so. Ich kann das beurteilen. Ich war dort. Ich habe es erlebt."

    Nach all der berechtigten Schelte tat dieses wirklich ehrlich gemeinte Lob richtig gut.

    Zwei Wochen später stimmte ich einem Treffen zu. Wir fanden einen Termin und nach der Anreise von Herrn Altmann saßen wir zusammen in der Gaststube der Pension, in der er sich eingemietet hatte.

    Nach dem üblichen Prozedere des persönlichen Kennenlernens öffnete er eine abgegriffene braune Aktentasche. Seine Hand fuhr hinein und zog einen Packen Papiere heraus. Er legte sie auf den Tisch und schob sie mir zu. „Das sind alles Fotokopien. Ich habe das Originalmaterial zu Hause. Sie belegen zum größten Teil meine Geschichte", begann er.

    Wie üblich legte ich einen Notizblock und einen Kugelschreiber zurecht, dann lehnte ich mich zurück und hörte zu. Mit ruhiger, sonorer Stimme berichtete Josef Altmann über seine Erlebnisse. Bereits nach wenigen Sätzen war ich gefesselt. Der Erzählstil war packend, schonungslos und ohne Pathos. Er verzog kaum eine Miene und unterbrach seinen Wortschwall nur, wenn er einen Schluck Wasser nahm oder merkte, dass ich mit meinen Notizen etwas nachhing. Nur einmal wurde es auf eine andere Art und Weise still um den alten Mann. Das war, als er über die Kämpfe bei Monte Cassino sprach. Plötzlich stockte er, dann hörte er auf zu sprechen. Seine Augen wurden feucht, sein Blick starr. Er sah regelrecht durch mich hindurch. Es war, als ob ich nicht anwesend wäre. In diesem Moment war er gedanklich wieder dort. Er befand sich mitten auf den Schlachtfeldern rund um den Monte Cassino und durchlebte alles noch einmal.

    „Manchmal höre ich sie heute noch schreien!", kam es diesmal mit brüchiger Stimme.

    Ich bekam Gänsehaut.

    Er schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Tunnelblick weg. Er hatte sich wieder gefangen, nahm einen Schluck Wasser und sagte: „Es gab Tage, da rauchten junge Kameraden eine ganze Schachtel Zigaretten oder tranken eine komplette Flasche Cognac am Tag, um das alles zu überstehen. Es war grausam, als die Granaten heranpfiffen und zwischen uns detonierten. Ich habe die Bilder nie wieder aus meinem Kopf bekommen. Es war ein Schlachtfeld, übersäht von Toten und Verwundeten. Da lagen Männer, die mit Armstümpfen winkten, um auf sich aufmerksam zu machen. Da waren junge Kerle, die aus ihren Deckungen krochen, doch ihnen fehlten die Beine. Wir wateten durch einen Brei aus Blut und Knochensplittern. Und dann immerzu diese gellenden Schreie. Sie können sich das nicht vorstellen, Monte Cassino war die Hölle."

    Mit feuchten Augen stand er auf und ging zur Toilette. Als er zurückkam, setzte er sich und erzählte sofort weiter. Ich ahnte, dass er sich an diesem Abend alles Erlebte von der Seele reden würde. Er räumte mit allem auf, das ihn bedrückte. Er befreite sich nach all den Jahrzehnten von einer zentnerschweren Last und wollte es der Nachwelt als Warnung hinterlassen.

    Ich versprach ihm, das Material irgendwann zu verwenden. Er ahnte wohl damals schon, dass er es nicht mehr erleben würde, war mir aber dennoch dankbar. Als wir uns nach einem langen Abend verabschiedeten, sah ich Herrn Altmann die Erleichterung an. Eine Woche später erhielt ich einen handgeschriebenen Brief und sein Original-Afrika-Ärmelband zur Erinnerung an dieses Gespräch. Es war sein Dankeschön für alles.

    Heute sitze ich am PC, betrachte die mir überlassenen Dokumente, schlage meine Notizen auf und löse mein gegebenes Versprechen ein.

    Der Autor

    Afrika, Mitte März 1943

    Zwischen den Fieberschüben, die mich abwechselnd mit Schüttelfrost und glühender Hitze plagten, lag ich wach, zumindest wenn man diesen Zustand überhaupt als Wachsein bezeichnen konnte. Ich befand mich irgendwo zwischen der Realität und einem dahinsiechenden Delirium. Es roch nach Urin und Kot, nach Karbol, Eiter und Tod. Die Luft war tagsüber stickig und heiß. Nachts hingegen kroch eisige Kälte in die unbeheizten Räume und man fror trotz zweier Wolldecken. Wenn es an der Front rumste, hörte man die Detonationen der Granaten bis hierher. Sie übertönten dann das permanente Stöhnen der Schwerverwundeten.

    Eine Krankenschwester tupfte mit einem feuchten Tuch über meine Stirn. Ein Arzt notierte etwas auf ein Blatt Papier und gab es einem hinter ihm stehenden Sanitätssoldaten. Er murmelte dabei etwas, das ich nicht verstand, dann ging er weiter. Der Blick, den mir der Sani zuwarf, verhieß nichts Gutes. Die Krankenschwester versuchte, mir Tee einzuflößen. Vorsichtig half sie mir, den Kopf anzuheben.

    „Nur etwas nippen", hörte ich sie sagen.

    Die braune Brühe war lauwarm. Ich benetzte erst die Lippen und wollte dann gierig den Becher leeren. Doch kaum hatte ich zwei kleine Schlucke gemacht, nahm sie den Becher weg und stellte ihn zur Seite.

    „Sie müssen langsam trinken, mahnte sie und stand auf. „Ich komme gleich wieder.

    Sie ging zum nächsten Krankenbett. Ihr Körper wurde augenblicklich zur Silhouette. Ich sackte wieder weg.

    Es war nicht das erste Mal, dass ich in Afrika war.

    Ich stamme aus einer Artistenfamilie. Meine Eltern besaßen einen kleinen Wanderzirkus, mit dem wir von Mai bis Oktober quer durch Europa reisten. Nach den mehr oder weniger erfolgreichen Tourneen kehrten wir im Spätherbst ins Saarland zurück. Dort lag unser Dorf, das zugleich das Winterquartier war.

    Ursprünglich stammen wir aus dem Elsass. Meine Großmutter war Französin, Großvater Deutscher. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges zogen sie im Sommer 1918 mehr notgedrungen als freiwillig zu meinem Großonkel ins Saarland im Deutschen Reich. Seither sind wir Deutsche. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und lernte auf unseren Reisen als dritte Fremdsprache englisch.

    Da wir mit dem Zirkus ständig unterwegs waren, war ich nie in die Hitlerjugend eingetreten, was ich damals als sehr nachteilig empfand. Wenn wir gastierten und auftraten, saßen immer wieder junge Burschen in der HJ-Uniform unter den Zuschauern. Ich beneidete meine Altersgenossen darum und wäre selbst liebend gern in so eine Uniform geschlüpft. Vor allem, wenn wir vor oder nach den Vorstellungen ins Gespräch kamen und sie mir von den Abenteuern erzählten, die sie in der HJ erlebten. Die Älteren durften sogar schießen.

    Ich wusste damals nicht, dass sie vom Naziregime bereits in jungen Jahren zu Soldaten erzogen wurden. Es standen sowohl körperliche als auch ideologische Schulungen auf dem Tagesprogramm der Hitlerjugend. Aus den Kindern von heute wurden bereits die Soldaten von morgen geformt. Ein Leitspruch der HJ lautete: „Was sind wir? Pimpfe! Was wollen wir werden? Soldaten!"

    Meine Eltern waren sehr liberal eingestellt und vermieden es, über Politik zu sprechen. Großvater hingegen schwärmte für Adolf Hitler und dessen Auftreten, während Großmutter sich verständlicherweise mehr zu Frankreich hingezogen fühlte und das politische Geschehen in Deutschland mit Argwohn betrachtete.

    Ich stand stets in der Mitte davon und interessierte mich nicht wirklich für Politik. Es war etwas anderes, das mich anzog. Es war das Militär. Fasziniert von Uniformen aller Herrenländer und mit jeder Menge Abenteuerlust im Bauch hatte ich damals nur ein Ziel: Ich wollte Soldat werden. Ich war durch das Reisen und die Auftritte im Zirkus trotz meines jungen Alters bereits sehr selbstbewusst und weltoffen. Für mich war das Soldatentum gleichgesetzt mit Heldentum, Einsätzen in fernen Ländern und Abenteuer pur.

    Seit ich ein Kleinkind war, trainierte ich meinen Körper. Meine beiden älteren Brüder und ich schwangen auf Trapezen herum und halfen beim Auf- und Abbau des großen Zeltes mit. Ich war meinem biologischen Alter weit voraus und man schätzte mich stets zwei, drei Jahre älter als ich tatsächlich war. Diesen Umstand machte ich mir 1938 während einer Tour durch Elsass-Lothringen zunutze.

    Für die Wehrmacht war ich eindeutig zu jung. Dort sah ich auch keine Möglichkeit, durch Fälschen meiner Papiere vorzeitig aufgenommen zu werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, die deutsche Bürokratie betrügen zu können. Deshalb geisterte mir das Anmustern in einer anderen militärischen Einheit immer mehr im Kopf herum. Eine Truppe, die damals schon sagenumwoben war, hatte es mir angetan.

    Die Légion étrangère.

    Es hieß, in der Fremdenlegion wird jeder genommen und nicht lange nach seinen Papieren befragt. Sie war der richtige Ort für Abenteurer und das Tor zur großen weiten Welt. Und wenn jemand mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, würde er dort eine neue Identität erhalten. Man musste sich nur für fünf Jahre verpflichten.

    Naiv wie ich war, manifestierte sich dieser Gedanke in meinem Kopf und so stur wie ich war, setzte ich mein Vorhaben kurze Zeit später auch in die Tat um.

    Als wir in Metz gastierten, stromerte ich tagsüber durch die Stadt. Ich fand ein Werbebüro der Fremdenlegion und wusste, was zu tun war. Ich hatte eine Entscheidung gefällt und mein Entschluss stand fest. Nachdem wir mit dem Zirkus weitergezogen waren und das Zelt aufgebaut war, packte ich meine wenigen Sachen, hinterließ meiner Familie einen Brief, reiste zurück nach Metz und bewarb mich im Büro der Légion étrangère.

    Ich fand in der Legion alles, nur nicht das, wonach ich gesucht hatte. Es war eine harte und entbehrungsreiche Männerwelt. Wir saßen in einem Fort mitten in der Wüste Marokkos und der Alltag war stumpf, langweilig und trist. Das Wasser roch nach Blech, war warm und brachte immer wieder den einen oder anderen von uns auf die Krankenstation.

    Dort lag man des Öfteren mit Malaria, Durchfall oder wenn man sich in einem der billigen Araber-Bordelle mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatte.

    Unter den Legionären war Gewalt an der Tagesordnung. Es wurde viel Alkohol getrunken und Homosexualität war, wohl auch aufgrund der Abgeschiedenheit des Kasernenlebens, weit verbreitet. Mitunter kam es untereinander zu Vergewaltigungen.

    Wer zu schwach war, zerbrach in der Legion. Wer in einer Gruppe mit falschen Kameraden landete, hatte nichts zu lachen. Die körperlich Starken regierten und die Schwachen fügten sich, außer sie waren eiskalt und schnell mit dem Messer. Dann fürchtete man sie.

    Die militärische Hierarchie wurde streng eingehalten und Disziplin großgeschrieben. Es gab bereits für allerkleinste Vergehen drakonische Strafen. Hierzu reichte es unter anderem schon aus, wenn man eine ungepflegte Ausrüstung oder Uniform trug oder beim Küchendienst, zu dem man regelmäßig eingeteilt wurde, schlampig Kartoffeln schälte.

    Auch wenn man im alltäglichen Kasernenleben zerstritten und verhasst miteinander umging, im Einsatz war alles anders. Kaum marschierte man aus dem Tor in die Wüste hinaus, hielten alle zusammen. Die Truppe stand wie ein Mann. Jeder gab für den anderen sein Leben. Nationalität oder Religion spielten hier keine Rolle. Der Deutsche stand neben dem Spanier, dem Italiener, dem Russen und dem Schweden. Die Muslime kämpften neben den Juden und diese neben den Christen.

    Ohne Ausnahme hielten wir uns an den sieben Punkte umfassenden Ehrenkodex der Fremdenlegion.

    1. Legionär, du bist ein Freiwilliger, der Frankreich mit Ehre und Treue dient.

    2. Jeder Legionär ist dein Waffenbruder, gleich welcher Nationalität, Rasse oder Religion. Du bezeugst ihm jederzeit engste Verbundenheit, so als wäre er dein leiblicher Bruder.

    3. Du respektierst deine Traditionen und bist deinen Vorgesetzten treu ergeben. Disziplin und Kameradschaft sind deine Stärke, Mut und Treue deine Tugenden.

    4. Deinen Status als Fremdenlegionär zeigst du durch tadelloses, immer elegantes Äußeres, dein Benehmen ist würdevoll und zurückhaltend. Deine Kaserne und deine Unterkunft sind immer sauber.

    5. Als Elitesoldat trainierst du unerbittlich, du behandelst deine Waffe, als wäre sie dein höchstes persönliches Gut, du bist ständig bestrebt, deine körperliche Verfassung zu verbessern.

    6. Der erteilte Befehl ist heilig, du führst ihn, unter Respektierung der Gesetze und international geltender Konventionen, bis zu seiner Erfüllung aus - sollte es nötig sein, unter Einsatz deines Lebens.

    7. Im Kampf agierst du umsichtig und mit kühlem Kopf sowie ohne Hass, du achtest deine besiegten Feinde. Deine gefallenen und verwundeten Kameraden, sowie deine Waffen lässt du niemals zurück.

    Wenn wir durch die Wüste marschierten und ein Lied sangen, zitterten die Bewohner der umliegenden Dörfer vor lauter Angst. Frankreich zeigte Macht durch Härte.

    Das Motto der Legionäre lautete damals, wie auch heute noch: Legio Patria Nostra (Die Legion ist unser Vaterland) und Honneur et Fidélité (Ehre und Treue)

    Ich hatte in zweifacher Hinsicht Glück. Erstens kam ich in einen Zug, dessen harter Kern aus elf Deutschen bestand, vor denen jeder Respekt hatte und ich deshalb nie Ziel von Attacken gleichgeschlechtlicher Liebe wurde. Zweitens landete ich aufgrund meiner guten Fremdsprachenkenntnisse ziemlich zügig in der Schreibstube, weshalb ich nur an wenigen Exkursionen gegen aufständische Berber teilnehmen musste.

    Mit dem Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich saßen die deutschen und österreichischen Legionäre zwischen zwei Stühlen. Für die Franzosen waren wir halbe Feinde, für die Deutschen galten wir als Vaterlandsverräter und das, obwohl wir unseren Eid auf die Fahne der Legion und nicht auf die Flagge Frankreichs abgelegt hatten. Entsprechend unserer Position zwischen zwei Stühlen verharrten wir stillschweigend und warteten ab, was passieren würde.

    Als das Deutsche Reich 1941 seinem italienischen Waffenbruder in Afrika beiseite stehen musste, erinnerte man sich an uns Legionäre. Man öffnete eine Tür zur Heimat, indem man uns eine Möglichkeit bot, in die Wehrmacht einzutreten.

    Die Beweggründe der rund 2000 Legionäre, die das Angebot annahmen, waren unterschiedlich. Manche wollten ihrem Vaterland dienen und für das Deutsche Reich kämpfen, andere wiederum identifizierten sich mit dem nationalistischen Gedankengut des Regimes. Die meisten Kameraden, die ich kannte, sahen darin jedoch, ebenso wie ich, eine schnelle Möglichkeit, die Fremdenlegion zu verlassen. Es war ein Ausweg aus dem Moloch der Einöde, in der wir tagein, tagaus für wenig Sold unseren harten Dienst verrichteten.

    Außer mir selbst meldeten sich weitere neun meiner engsten Kameraden freiwillig für den Übertritt von der Legion in die Wehrmacht. Wir durchliefen die damals üblichen Überprüfungen und als feststand, dass sich unter uns kein gesuchter Verbrecher oder politischer Gegner

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