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Das Massaker am Sternleitenhof: Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947
Das Massaker am Sternleitenhof: Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947
Das Massaker am Sternleitenhof: Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947
eBook582 Seiten6 Stunden

Das Massaker am Sternleitenhof: Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947

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Über dieses E-Book

Im Oktober des Nachkriegsjahres 1947, zur Zeit der russischen Besatzung, werden in einem einzeln liegenden Bauernhof im niederösterreichischen Mostviertel fünf Erwachsene und sechs Kinder ermordet aufgefunden. Zwei in ihren Betten schlafende Kinder überleben den Mordanschlag.
Eine russische Kommission untersucht den Mordfall zwei Tage lang, kommt aber zu dem Ergebnis, dass Angehörige der Roten Armee nichts mit dem Fall zu tun haben können, obwohl am Abend des Mordtages zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Uniformierte Ausweiskontrollen am Hof durchgeführt haben. Die österreichische Kriminalpolizei darf erst danach ermitteln. Die später aufgefundenen Projektile und Hülsen tragen eindeutig Verfeuerungsmerkmale russischer Maschinenpistolen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil ist als "Dokumentarischer Roman" angelegt, in dem Fakten mit der schriftstellerischen Fantasie des Autors vermengt werden. Der zweite Teil ist eine reine "Dokumentation", in der sich der Autor auf damalige Zeitungsberichte aus den Beständen der Nationalbibliothek, Gerichtsakten aus dem Staatsarchiv in Wien, dem Landesarchiv in St. Pölten und dessen Außenstelle in Bad Pirawarth, Vernehmungsprotokolle, Obduktionsbefunde,
Gemeinde-, Gendarmerie- und Pfarrchroniken sowie Zeitzeugeninterviews stützt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Apr. 2018
ISBN9783746900858
Das Massaker am Sternleitenhof: Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947

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    Buchvorschau

    Das Massaker am Sternleitenhof - Wolfgang Haidin

    Danksagung

    Herzlich möchte ich mich bei allen bedanken, die mich im Laufe der vielen Jahre während der Recherchearbeit zu diesem Buch unterstützt haben, von Archivmitarbeitern bis hin zu Zeitzeugen. Ohne sie wäre es mir nicht möglich gewesen, das Buch zu schreiben.

    Ganz besonders danke ich meiner Frau Heidemarie, mit der ich mich immer wieder über neue Informationen den Fall betreffend austauschen konnte. Sie hat sich Einzelheiten gemerkt, die ich bald wieder vergessen habe, und hat als Korrektorin und Lektorin fungiert.

    Weiters danke ich Kathrin Unterberger, seinerzeit meine Schülerin, heute selbst ausgebildete Lehrerin, für ihr engagiertes Korrekturlesen und die Erstbesprechung des Romans und der angeschlossenen Dokumentation. Sie war mir/uns damit eine ganz große, unersetzbare Hilfe.

    Zufällig hat es sich ergeben, dass mein ehemaliger Schulkamerad aus dem Gymnasium Johannes Friedrich das Manuskript gelesen und korrigiert hat. Viele seiner stilistischen Tipps und Empfehlungen habe ich umgesetzt. Ich danke dir sehr, Hannes.

    Last but not least gebührt Dank meiner Tochter Diana, die mich als Grafikdesignerin beraten, das Cover und Layout des Buches erstellt und das Self-Publishing bei www.tredition.de federführend und geduldig übernommen hat. Ohne ihre Hilfe wäre ich wohl noch immer auf Verlagssuche …

    Wolfgang Haidin

    Das Massaker

    am Sternleitenhof

    Elffacher Mord in der Nachkriegszeit 1947

    Dokumentarischer Roman und Dokumentation

    © 2018 Wolfgang Haidin

    Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

    ISBN Hardcover 978-3-7469-0084-1

    ISBN Paperback 978-3-7469-0165-7

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Vorwort

    Gleich nach dem Erscheinen meines ersten Buches „Stalingrad. Kampf und Gefangenschaft. Überlebt. Aus den Lebenserinnerungen des Josef Schönegger" suche ich nach einem (historischen) Stoff, für ein weiteres Buch.

    Ich ahne nicht, dass das mehr als 20 Jahre dauern sollte und mache mich unverzüglich ans Werk.

    Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts fange ich als junger Lehrer in Ertl, einem kleinen Ort im Bezirk Amstetten, an. Schon nach wenigen Wochen höre ich zum ersten Mal von dem furchtbaren Mordfall nur einige Kilometer von meinem damaligen Dienstort entfernt, dem elf Menschen, darunter sechs Kinder, an einem einzigen Abend zum Opfer gefallen sind.

    Das ist 1947 gewesen, etwas mehr als zwei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, als dieser Teil Österreichs von der Roten Armee besetzt ist.

    Ich erfahre auch, dass zwei Buben im Alter von etwa viereinhalb und fünfeinhalb Jahren dieses Morden überlebt haben und dass einer der beiden Überlebenden als Mittdreißiger in der Nachbarschaft meiner Schule lebt. Den zweiten Überlebenden besuche ich erst viele Jahre später.

    Der Fall rührt mich damals sehr, und im Laufe der folgenden Jahre höre ich immer wieder davon.

    Erst Mitte der 90er Jahre greife ich dann den Fall auf und beginne zu recherchieren.

    Mein erster Ansprechpartner ist ein ehemaliger Gendarm, der nach dem Mord zu den ersten gehört, die am Tatort, einem Bauernhof in Einzellage zwischen Ertl und St. Peter in der Au, erscheinen. Er erklärt mir wider Erwarten, dass es da nichts zu erzählen gebe.

    In den folgenden Monaten finde ich Zeitzeugen, interviewe sie, nehme die Gespräche teilweise auf, transkribiere die Erzählungen in Schriftform und berichte davon immer gleich meiner Frau.

    Allerdings stelle ich auch fest, dass sich viele nicht zu der Tat äußern wollen. Sätze wie: „Sie trauen sich was, haben Sie denn gar keine Angst? Oder auch: „Sie werden auf eine Mauer des Schweigens stoßen, bekomme ich zu hören.

    Ich besuche das damals noch existierende Bezirksgericht in St. Peter, das Niederösterreichische Landesarchiv in St. Pölten, die Außenstelle desselben in Bad Pirawarth im Weinviertel, das Staatsarchiv und die Nationalbibliothek in Wien. In den Archiven werde ich fündig, alle Archivare unterstützen mich Neuling in der Archivarbeit nach Kräften auf vorbildliche Art. In der Nationalbibliothek wird es mir ermöglicht, Zeitungsberichte, die über diesen Mordfall zu finden sind, zu kopieren. Auch sie bilden eine Basis für meine weitere Arbeit.

    Ich erfahre immer mehr, manches als Gerücht ausgewiesen, ziehe meine Schlüsse daraus und hoffe insgeheim, dass ich wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel dieses größten aller Mordfälle außerhalb von Kriegszeiten, seit man in Österreich Kriminalgeschichte schreibt (etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts), bringen kann. Die Hoffnung wird im Laufe der vielen Jahre allerdings immer geringer.

    Viele Details vom Leben am Bauernhof erfahre ich von Maria M., der in Deutschland lebenden ältesten Tochter der ermordeten Untermietfamilie M., in einem über vier Jahre dauernden Briefverkehr. Sie ist zwei Wochen vor dem vielfachen Mord von zuhause ausgezogen und so wohl dem sicheren Tod entronnen. Leider habe ich es verabsäumt, sie auch persönlich kennenzulernen. Das tut mir heute noch in der Seele weh, ist allerdings unumkehrbar, da sie 2006 81-jährig verstorben ist. Mit ihrem ebenfalls zum Tatzeitpunkt schon nicht mehr in der elterlichen Wohnung lebenden Bruder kann ich nie Kontakt aufnehmen, obwohl er in der Nähe von Linz gelebt hat.

    Weil ich aber nichts unversucht lassen möchte, besuche ich im November 1999 (ich befinde mich gerade in einem Sabbatical, einem Freijahr, das ich mir genommen habe, um die Geschichte zu schreiben) die renommierte Hellseherin Rosalinde H.. Sie zeigt sich an dem Fall sehr interessiert und versucht auf ihre Art des Kartenlesens und Auspendelns auch meinen Zugang zu dem Fall herauszufinden (laut ihrer esotherischen Theorie der Reinkarnation könnte ich in einem früheren Leben eine an dem Verbrechen beteiligte Person gewesen sein - entweder als Opfer oder sogar als Täter!). Trotz mancher Vorbehalte meinerseits ist diese Perspektive für mich unerwartet und beschäftigt mich in der Folgezeit immer wieder.

    Zwei Monate später beende ich die Recherchen und beginne mit der tatsächlichen Schreibarbeit. Mein Freijahr ist bereits zur Hälfte „verbraucht".

    Ende Mai 2000 schreibe ich an einer Stelle im dokumentarischen Roman, an der ein Mensch ums Leben kommt. Genau zu diesem Zeitpunkt kommt es durch einen Sportunfall zu einem Todesfall in der Familie meiner Frau. Dieser traurige Vorfall ist so belastend für mich, dass das in der Folge bei mir zu einer Schreibblockade führt, die ich anfänglich bald zu überwinden hoffe.

    Da ist allerdings eine Fehleinschätzung. Es dauert viele Jahre, bis ich meine Schreibarbeit wieder aufnehme und noch länger, bis ich zur nun vorliegenden Form des Buches, das aus zwei Teilen besteht, finde:

    Der erste Teil in Form eines dokumentarischen Romans stützt sich auf wahre Begebenheiten, die mit meiner schriftstellerischen Fantasie vermengt werden. Die im Roman verwendeten Namen sind frei erfunden, so auch der Name des Bauernhofs.

    Der zweite, kürzere Teil ist pure Dokumentation. Dargestellt werden Ausschnitte aus protokollierten Zeugenaussagen, Informationen aus Zeitungsberichten, Gemeinde- und Gendarmeriechroniken, transkribierte Interviews mit Zeitzeugen und Sammlungen historischer Fälle aus der Besatzungszeit nach dem 2. Weltkrieg. Die in diesem Teil eingesetzten Namen entsprechen der Namensdarstellung in journalistischen Veröffentlichungen: Vorname und der Anfangsbuchstabe des Familiennamens mit Punkt.

    Nachdem mein Manuskript von einem Verlag abgelehnt worden ist, nehme ich mir vor, das Buch im Selbstverlag – Self-Publishing – zu veröffentlichen. Im Internet werde ich fündig und entschließe mich zur Zusammenarbeit mit www.tredition.de

    Zum Schluss möchte ich anmerken, dass ich trotz der vielen vergangenen Jahre immer noch die Hoffnung habe, Informationen von Personen zu erhalten, die zur Aufklärung des Falles beitragen könnten.

    Jänner 2018

    Wolfgang Haidin (haidin@gmx.at)

    Erster Teil : Dokumentarischer Roman

    Flüchtlinge aus dem Banat - Herbst 1944

    Sepp Oberhuber betrat die Gaststube des Gasthauses Lugbauer mit einem brummigen „Heil Hitler! und „Grüß Gott miteinander! Seine Missstimmung bezog sich weder auf den Wirt Bert Lugbauer noch auf die drei an einem Tisch sitzenden Gäste. Einer saß allein an einem Tisch und registrierte den Eintretenden bloß mit einem kurzen Aufschauen.

    Das Wetter war schuld, wie der neue Gast auch gleich kundtat:

    „So ein Sauwetter, ein miserables!"

    Dabei klopfte er Wassertropfen und schmelzende Schneeflocken von seinem Mantel. Dann zog er ihn aus, schüttelte ihn kräftig und hängte ihn an einen Haken gleich neben der Tür. Den nassen Hut hängte er drüber.

    Als er an den Tisch der drei trat, rieb er sich die klammen Finger, bevor er jedem Einzelnen die Hand zum Gruß reichte, wie üblich ein schwacher, wenig herzlicher Händedruck. Einer deutete ihm Platz zu nehmen, ein anderer nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier.

    Der Sepp wandte sich an den Wirt mit einem „Ich krieg auch eines!", was nicht notwendig war, denn der Wirt zapfte längst ein Bier für seinen neuen Gast.

    Er wusste, was der zu bestellen pflegte. Bier, nur Bier. Zwar wäre ein Tee oder Glühmost an einem solchen Tag sicher besser gewesen, aber der Sepp trank immer nur Bier, egal welches Wetter draußen herrschte.

    Jetzt erst setzte er sich, mit einem Seitenblick auf den alleine sitzenden Mann. Es war völlig unüblich, dass im Gasthaus einer allein am Tisch saß. Selbst ein Fremder wurde herbeigewunken, wenn er Anstalten machte, einen eigenen Tisch anzusteuern.

    Der einzige Grund, an einem unbesetzten Tisch Platz zu nehmen war der, dass der andere schon voll besetzt war. Selbst dann rückte man auf der Bank zusammen oder zog einen Stuhl herbei, um sich dazuzusetzen.

    „Was willst du, Sepp, nächste Woche ist Allerheiligen und da schneit es halt manchmal schon, versuchte der Biertrinker, der Käferbauer, das Wetter in Schutz zu nehmen und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum aus seinem Schnauzbart,. „Das ist halt einmal so!

    „Jetzt muss ich euch was erzählen", versuchte der Sepp Obergruber die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn jeder der drei saß da und stierte in sein Bierglas.

    „Ich komm gerade mit meinem Fuhrwerk von Seitenstetten herüber und kurz vor der Ortstafel St. Peter stoße ich auf eine Kolonne von Flüchtlingen. Das werden sicher so 25 bis 30 Leute gewesen sein. Mit Pferde- und Ochsenwagen, ein alter Lastwagen und ein Auto. Sogar mit Fahrrädern sind einige unterwegs! Sie haben Halt gemacht, weil von einem Ochsenwagen ein Rad abgesprungen ist. Das haben sie repariert. Ich frage sie, woher sie kommen. Sagt einer: ,Aus dem Banat.‘ Die haben Deutsch gekonnt. Wo ist denn der Banat?"

    „Das ist da unten, zum Teil in Jugoslawien, zum Teil in Rumänien, glaube ich. Dort leben viele Deutschsprachige. Habt ihr noch nie von den Banatdeutschen gehört?", fragte der Wirt.

    „Ich kenne nur die Wolgadeutschen, aber das sind ja wohl andere", gab sich der Käferbauer wissend.

    „Habe ich schon gehört, aber nicht genau gewusst, wo das ist", griff der Xaver Luftenberger den Gesprächsfaden auf, ohne sein Glas Bier aus den Augen zu lassen.

    „Wieso flüchten die?"

    „Na weil die Russen kommen, was glaubst, wenn die ein deutsches Wort hören!", erklärte der Wirt und fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.

    „Die Russen dringen unaufhaltsam gegen Westen vor, niemand kann sie aufhalten, ergriff der Pfaffelmeyer das Wort. Bisher hatte er nur schweigsam das Gespräch verfolgt. „In ein paar Monaten sind sie da, ihr werdet sehen!

    „Wieso weißt du denn, dass sie niemand aufhalten kann? Hörst du leicht Feindsender? Feindliche Propaganda ist das! Feindbegünstigung, Wehrkraftzersetzung!", ereiferte sich der gegenüber sitzende Käferbauer, der als strammer Sympathisant der Nazis galt.

    „Ah so, interessiert es dich leicht, wenn ich Feindsender hören würde?, fragte der Angegriffene misstrauisch. „Rennst du dann zum Ortsgruppenleiter und verpfeifst mich?

    Dem war das jetzt doch ziemlich peinlich, dass er sich so ereifert und sein Gegenüber des streng verbotenen Hörens von Feindsendern verdächtigt hatte.

    Es gab im Ort einige, vor denen man seine Zunge hüten musste. Der Käferbauer gehörte dazu. Es gab manche Gerüchte, dass er schon den einen oder anderen ans Nazimesser geliefert, sprich an die Gestapo verpfiffen hatte. Beweise gab es nicht, noch nicht! Direkte Hinweise auf Vorteile, die er für solche Spitzeldienste gezogen haben könnte, gab es auch nicht.

    Dazu war er auch zu gerissen. Und dass die Leute der Gestapo auch nichts ausplauderten, ist wohl zu verständlich.

    Es gab sogenannte Hundertprozentige, die allseits bekannt waren. Zu diesen gehörte der Verdächtige aber nicht.

    Bedingungslos trauen konnte man in solchen Zeiten ohnehin keinem, manchmal nicht einmal dem eigenen Bruder oder den Söhnen, die bei der HJ auf Vordermann gebracht wurden.

    Diese Stimmung war bei Gesprächen am Wirtshaustisch spürbar und ließ viele sehr vorsichtig in ihren Äußerungen sein.

    Es war schon vorgekommen, dass einer von der Gestapo abgeholt worden war, weil er Witze über die Nazis am Wirtshaustisch zum Besten gegeben hatte. Das wurde als Defaitismus – Wehrkraftzersetzung – angesehen und fast immer sehr streng bestraft, bis hin zur Verschleppung nach Mauthausen. Ins KZ. Sogar einem Pfarrer war das schon passiert!

    „Geh, ich will dich doch nicht vernadern!", rechtfertigte sich der Käferbauer wegen der unbedachten Äußerung und hatte sich sehr beeilt damit.

    „Man braucht gar nicht Feindsender zu hören, man braucht nur die Zeitung zu lesen, zwischen den Zeilen, wenn da geschrieben wird von ‚Frontbegradigung‘ oder ‚Taktische Rücknahme von Truppenteilen‘ oder ähnliches Geschwafel. Da weiß man doch alles. In der Schule haben sie früher Fähnchen auf Landkarten gesteckt, hat mir mein Bub erzählt, als es noch einen Vormarsch gegeben und die Deutsche Wehrmacht überall gesiegt hat. Seit Stalingrad werden keine Fähnchen mehr gesteckt!", erklärte der Luftenberger, der immer schon ein erstaunliches Wissen hatte, sich aber nicht immer damit hervorwagte. Jetzt hatte er einmal ausgesprochen, was die meisten wussten oder zumindest ahnten, was aber viele nicht wahrhaben wollten. Der Krieg war verloren, aber das laut zu sagen traute sich niemand. Es war lebensgefährlich.

    Ein Raubtier ist am gefährlichsten, wenn es in die Enge getrieben ist.

    Alle spürten, dass sich die Zeiten zu ändern begannen, doch keiner wusste, was am Schluss stehen würde. …

    Nachdenklichkeit hatte sich ausgebreitet, hatte die Stimmung weiter gedrückt.

    Doch es blieb nicht viel Zeit zum Sinnieren, da es an der Eingangstür klopfte.

    Alle schauten zur Eingangstür und einander verwundert an.

    Wer klopft an der Eingangstür eines Gasthauses? Nach wenigen Augenblicken ging die Tür langsam auf und ein Kopf schob sich zwischen Türblatt und Türstock langsam herein.

    Der Kopf grüßte freundlich, aber es klang ein wenig ängstlich.

    Der Wirt, der hinter seinem Tresen hervorgekommen und zur Tür gegangen war, forderte den Mann in der Tür auf:

    „Na kommen Sie nur, wir beißen nicht!"

    Nun wurde die Tür ganz geöffnet und ein ärmlich gekleideter Mann betrat die Wirtsstube. Er nahm seinen nassen Hut ab, grüßte kaum hörbar: „Heil Hitler!" und drehte ihn verlegen zwischen seinen Händen. Seine dem Wetter so gar nicht entsprechende Kleidung triefte vor Nässe. Der Sepp Obergruber war aufgestanden, zeigte auf den Eintretenden und sagte:

    „Das ist er!"

    „Das ist wer?", fragte der Pfaffelmeyer.

    „Na, ich hab euch doch erzählt, dass ich am Ortsrand eine Kolonne von Flüchtlingen überholt habe. Das ist der Mann, mit dem ich gesprochen habe!"

    Der Flüchtling war nun vollends eingetreten, warf einen Blick in die Runde und schloss die Tür hinter sich, erfreut, dass er unter den Anwesenden – zumindest vom Sehen – wenigstens einen erkannt hatte.

    „Das ist so", erklärte der Fremde und warf einen hilfesuchenden Blick auf den Obergruber Sepp. Das war zwar eigenartig, weil es draußen beim Zusammentreffen der beiden schon ziemlich finster gewesen war, aber es war so.

    „Wir haben einen kaputten Wagen, den wir nicht alleine herrichten können und zwei Kinder sind auch krank. Da habe ich gedacht, dass wir vielleicht …"

    Er sprach den Satz nicht zu Ende. Das tat der Wirt:

    „ … hier übernachten können. Und er fügte gleich hinzu: „Das hier ist ein Gasthaus, da gibt es auch Betten! Außerdem gibt es auch noch andere Gasthäuser in St. Peter.

    Der Fremde schwieg und blickte betreten zu Boden, ehe er weitersprach:

    „Aber wir haben kaum Geld. Ich glaube nicht, dass es reichen wird, alles zu bezahlen!"

    „Jetzt hol erst einmal die anderen und wärmt euch auf. Es ist saukalt da draußen. Wir werden schon eine Lösung finden."

    Der alte Mann verneigte sich höflich, drehte sich um und verließ die Gaststube.

    „Mein Gott, sind das arme Leute, bedauerte der Pfaffelmeyer die Flüchtlinge und malte sich deren Schicksal gleich weiter aus: „Stellt euch vor, ihr müsst Haus und Hof verlassen und wegziehen und wisst nicht wohin. …

    „Ich würde nie von meinem Hof freiwillig weggehen, da lasse ich mich lieber erschießen!", sagte der Luftenberger im Brustton der Überzeugung.

    „Und deine Frau, deine Kinder, deine Eltern und den Knecht würdest du auch gleich mit erschießen lassen? Das schau ich mir an!", glaubte ihm der Käferbauer kein Wort und fügte noch hinzu: „Am

    Ende bist du froh, wenn du und die Deinen leben!"

    Die anderen am Tisch nickten zustimmend.

    Bevor der Disput weitergeführt werden konnte, ging die Tür abermals auf, alte und junge Leute und etliche Kinder strömten herein und stellten sich gleich um den Ofen, der mitten in der Gaststube stand und behagliche Wärme abstrahlte. Manche waren für das Wetter ziemlich unzureichend gekleidet. Keiner sprach ein Wort, nur der alte Mann von vorhin sagte:

    „Das sind alle."

    Der Wirt drehte sich um und verschwand in der Küche, von wo bald Töpfegeklapper zu hören war. Die Wirtin war herunter gekommen und verscheuchte ihren Mann aus der Küche, nachdem er ihr die Situation geschildert hatte. Sie machte sich gleich daran, etwas zum Essen zuzubereiten und Tee zu kochen.

    „Wir müssen euch aufteilen, alle könnt ihr nicht hier schlafen!", stellte der Wirt fest und warf einen Blick auf die in der Runde sitzenden Bauern.

    Der Käferbauer hatte es plötzlich sehr eilig, musste schnell nachhause. Stallarbeit und so …

    Gerade als er die Türschnalle hinunterdrückte, sagte der Wirt, der wohl wusste, was hinter dem plötzlichen Aufbruch steckte:

    „Käferbauer, willst nicht gleich ein paar Flüchtlinge mitnehmen oder willst noch warten, bis sie gegessen haben?" Dabei grinste er.

    Der Käferbauer fluchte still in sich hinein, weil er enttarnt worden war und alle Augen auf ihn gerichtet waren.

    „Na ja, sollen halt ein paar mitfahren. Aber sie können ja noch was essen, ich wart‘ schon."

    So konnte er sich wenigstens die Verköstigung seiner neuen Gäste ersparen. Der alte Mann bedankte sich und hatte bald einige gefunden, die beim Käferbauer Quartier erhalten sollten.

    „Wenn du es so eilig hast, kannst ja gleich fahren. Von deiner Frau kriegen die sicher etwas", bremste der Wirt den zuerst Unwilligen ein zweites Mal aus.

    „Also kommt mit …!" Der Käferbauer hatte sich in sein Schicksal gefügt.

    Jetzt grinsten auch die anderen Bauern.

    Fünf Leute verließen mit dem Käferbauer die Wirtsstube, nachdem ausgemacht worden war, dass am nächsten Tag alle wieder zusammentreffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

    Die Wirtin brachte heißen Tee und Glühmost herein, verteilte Häferl und Gläser auf einzelne Tische.

    So, als ob die Leute durch die Wärme auftauen würden, wurde es allmählich lebhafter in der Wirtsstube und die Fremden sprachen dem angebotenen Essen und dem heißen Tee eifrig zu. Für die meisten war es die erste Mahlzeit des Tages.

    Die Wirtin hatte sich zu ihren Gästen gesetzt und sich erzählen lassen. Auch die drei verbliebenen Bauern waren näher gerückt, um Neuigkeiten zu erfahren.

    Die Hauptsorge der Flüchtlinge galt wohl ihren zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten, die teilweise zu alt waren, um die Beschwernisse einer Flucht auf sich nehmen zu können. Der Grundtenor dieser Leute war:

    „Wir haben niemandem etwas getan, so wird uns auch niemand etwas tun."

    Viele mit dieser hoffnungsvollen Einstellung sollten noch bitter enttäuscht werden.

    Die zweite Sorge galt den verlassenen Häusern. Dabei war man weniger optimistisch. Jeder wusste, dass besonders leerstehende Häuser zum Plündern einladen. Die meisten hatten trotz der widrigen Umstände eine ganz starke Hoffnung, doch einmal wieder in ihre angestammte Heimat, in der sie und ihre Vorfahren seit beinahe 200 Jahren lebten, zurückkehren zu können.

    Einige Männer verließen die Gaststube, um sich zeigen zu lassen, wo sie ihre Pferde und Ochsen versorgen konnten.

    Auch die drei Bauern erhoben sich. Sie hatten genug erfahren und wollten sich auf den Heimweg machen. Alle drei nahmen jeweils einige Flüchtlinge mit, immer Familien, die zusammengehörten. Die Wirtin hatte inzwischen Nachtlager vorbereitet und bald waren sie, ihr Mann und ihr Vater, der in der Gaststube aushalf, die Laufkundschaft des Tages betreute, alleine in der Wirtsstube.

    „Was das noch werden wird. Das sind nicht die letzten Flüchtlinge, die wir hier sehen!, orakelte der alte Wirt, gab sich aber gleich wieder zuversichtlich. „Aber der Krieg kann sowieso nicht mehr lange dauern.

    Er sollte recht behalten.

    Schon in den darauffolgenden Tagen kamen noch mehr Flüchtlinge, die auf ganz St. Peter und die umliegenden Bauernhöfe verteilt wurden. Sogar in der Schule wurde ein Notquartier eingerichtet, um allen ein Dach über dem Kopf bieten zu können.

    Schließlich stand der Winter bevor, erste eisige Anzeichen waren längst zu spüren.

    Neben dem Platzproblem wurde es immer schwieriger, alle Flüchtlinge mit Lebensmitteln zu versorgen, da für sie anfänglich keine Lebensmittelkarten ausgestellt wurden. Dazu kamen die Ungewissheit und die Angst vor der Zukunft.

    Da sie ja deutschstämmig waren, gelang es schließlich, auch für sie Lebensmittelkarten zu kriegen.

    Anfang Dezember 1944 nahm sogar der Herr Pfarrer Sigmund einen aus Galizien geflohenen Pfarrer im Pfarrhof auf. Der Geistliche Wladimir Koval, der der Griechisch unierten Kirche angehörte, war mit seiner Frau und seinen drei Söhnen Lubomir, Stefan und Georg auf einem klapprigen Pferdewagen gekommen, der von einem spindeldürren alten Klepper mehr schlecht als recht gezogen wurde. Das Pferd war am Ende seiner Kräfte und hätte kaum mehr eine Woche in der Kälte geschafft. Ein pferdefreundlicher Bauer stellte es ein und päppelte es wieder auf.

    Das gelang sogar erstaunlich schnell.

    Der Priester, ein lieber und bescheidener Mensch, war voll Dankbarkeit und machte sich in St. Peter als Aushilfspriester nützlich, obwohl er nicht katholisch war. Er erwarb sich in kürzester Zeit das Vertrauen der Bevölkerung und half vor allem mit geistlichem Beistand, wo es möglich und nötig war. Er besuchte eifrig Familien, deren Männer oder Söhne im Krieg geblieben waren, und versuchte Trost zu spenden.

    Einrücken zum Volkssturm – Weihnachten 1944

    In diesen Tagen trafen sich kurz vor Weihnachten einige Bauern im Gasthaus Lugbauer am Marktplatz. Es gab wegen des herrschenden Winterwetters nicht viel zu tun, nicht einmal ins Holz wollte man gehen. Es wurde diskutiert, die Lage vorsichtig erörtert, jeder wusste etwas beizusteuern. Wenn einer eine Meinung kundtat, so wurde es so dargestellt, als sei dies nicht die eigene, sondern eine aufgeschnappte oder in der Zeitung gelesene.

    Der Luftenberger, der sich nicht an dem Gespräch beteiligt hatte, zog plötzlich ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche, knallte es – lauter als eigentlich beabsichtigt – mitten auf den Wirtshaustisch und sagte:

    „Da schauts her!",

    „Was ist denn das? Hast du leicht die Kündigung von deiner Alten gekriegt?", lachte einer und die anderen stimmten mit ein. Der Luftenberger hatte nämlich den Ruf eines Weiberhelden, vor dem keine Schürze sicher war, und alle wussten, dass er deswegen öfter Streit mit seiner Frau hatte.

    „Wo hast du denn deinen Koffer hingestellt?", witzelte ein zweiter, den Scherz des ersten aufgreifend.

    „Da drüben steht er!", sagte der Luftenberger in einem Ton, der das Gelächter sofort verstummen ließ. Dabei deutete er auf einen schäbigen Koffer, der mit einer Schnur umwickelt war und unter den hängenden Mänteln gleich neben der Tür stand.

    Alle schauten zum Koffer, dann auf den Luftenberger.

    „Da steht ja tatsächlich einer!"

    Der Luftenberger saß mit steinerner Miene da und deutete auf das am Tisch liegende Blatt Papier.

    Es war auf einmal totenstill im Raum.

    Ein Stempel und ein Hakenkreuz stachen ihnen ins Auge. Erst dann ergriff einer das Kuvert mit dem Absender „Wehrkreiskommando Melk", las er schweigend und schüttelte des öfteren den Kopf.

    Dann schaute er auf:

    „Der Heinrich muss einrücken! Zum Volkssturm. Heute. Wann hast du denn das bekommen?", winkte der Pfaffelmeyer mit dem Papier. Es war totenstill, keiner sagte ein Wort.

    Die um den Tisch sitzenden Bauern sahen einander an, dann den Heinrich Luftenberger. Der hatte feuchte Augen.

    „Gestern. Ich muss nach Amstetten. Dort ist Sammelstelle. Von dort gehts dann weiter nach Güns. Schanzarbeiten gegen die Russen heißt es. Ich hab mich erkundigt."

    In diesem Moment schlug seine eben noch ruhig wirkende Darstellung des Sachverhaltes um und mündete in einen fast hysterisch anmutenden Ausbruch. Er war aufgesprungen und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Biergläser schwankten.

    „Ich will da nicht hin! Ich hab zuhause genug zu tun. Ich scheiß auf den Krieg. Sollen meine Frau, meine Kinder und meine alte Mutter alleine den Hof führen? Jetzt kommt bald das Frühjahr. Eine Menge Arbeit. Am Ende holen‘s mir den Buben auch noch …!"

    „Geh beruhig‘ dich!, versuchte der Pfaffelmeyer seinen Nachbarn zu trösten. „Bis das Frühjahr kommt, bist du längst wieder zuhause …

    Und zum Käferbauer gewandt, mit verstärkter Stimme: „…und der Krieg ist längst aus!"

    Dieser senkte den Kopf und gab sich weit weniger kampflustig und Parolen schmetternd als sonst. Das wiederum steigerte die Kampflust des Pfaffelmeyer und irgendwie glaubte er, den Luftenberger so moralisch aufrüsten zu können, als er noch hinzufügte, so laut, dass es alle in der Gastube hören konnten:

    „Und du Käferbauer, wann rückst du ein und rettest deinen Adolf?"

    Der Angegriffene stand wortlos auf, griff nach Hut und Mantel und verließ grußlos die Wirtsstube.

    „Das war aber nicht ungefährlich, stellte einer der Bauern fest, „wahrscheinlich bist du der nächste Volkssturmmann, Pfaffelmeyer!

    „Wir werden alle noch drankommen …, tönte es da vom Nachbartisch. Alle hatten auf den Pfaffelmeyer geblickt, als der den Käferbauer angegangen war, „… und werden tot sein, wenn der Krieg aus ist. So werden wir nie wissen, wann er aus ist.

    „Bist du nicht ein ‘98er?", fragte der Pfaffelmeyer den Luftenberger, obwohl er es ohnehin wusste.

    „Sie holen zuerst die jüngeren und dann die älteren Jahrgänge. In der Zeitung habe ich gelesen, dass zur Entlastung der kämpfenden Truppe und das kurze Stück bis zum Endsieg sowohl die Jahrgänge 1884 bis ‘99, als auch die Jahrgänge 1926 bis ‘28, also die Sechzehn- bis Sechzigjährigen eingezogen werden. Du hast recht …, wandte er sich an den Sprecher von vorhin, „ …wir kommen alle noch dran. Alle von uns, die wir hier sitzen, gehören diesen Jahrgängen an. Außerdem gilt das „u.k. auch kaum mehr."

    Alle schauten betreten auf ihre Gläser und manch einer wusste auf einmal nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte.

    Dem Luftenberger wurde alles zu viel. Er stand auf, schob seinen Tischnachbarn zur Seite und ging zur Tür, wo er seinen Mantel anzog und den Hut aufsetzte, den Rücken zu den anderen gekehrt. Keiner sollte die aufsteigenden Tränen in seinen Augen sehen. Ob er das Nachgerufene „Es wird dir schon nichts passieren, wirst sehen", auch noch hörte, wusste keiner.

    Die Tür hinter ihm war schon ins Schloss gefallen, als der Satz zu Ende gesprochen war.

    Das war das Letzte, was man vom Heinrich Luftenberger je gesehen hatte. Aber das konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen.

    Täglich stellte der bedrückte Briefträger neue Einberufungsbefehle, eingeschrieben „W.K.M. Wehrkreiskommando Melk", zu.

    Die eine Gruppe der Einberufenen wurde immer älter, die andere immer jünger.

    Das neue Jahr 1945 hatte begonnen, ohne die Zuversicht und die Hoffnung, die früher ein Jahreswechsel mit sich gebracht hatte.

    Flüchtlinge aus Ungarn – Jänner 1945

    Im Jänner, eher gegen Ende des Monats, erschien ein großer Tross ungarisches Militär begleitet von Zivilisten und Flüchtlingen. Sie kamen mit Pferdewagen, aber auch mit Lastwagen und Autos.

    Alle Fahrzeuge waren so schwer beladen, dass es schien, sie müssten unter ihren Lasten zusammenbrechen. Da war alles aufgepackt, was man sich nur denken konnte. Sogar schöne Möbel waren zu sehen. Etliche von den Flüchtlingen machten nicht den ärmlichen Eindruck, der den meisten bisherigen schon anhaftete.

    Die Führer der Kolonne waren der ungarische General Ferenc Nilhazy und der Oberst Istvan Kelemen.

    Die Wagen hielten vor demselben Gasthaus, in dem schon Wochen zuvor Banatdeutsche erschienen waren. Der General und sein Adjutant stiegen aus, gingen die Stufen zur Eingangstür und verschwanden im Gasthaus.

    Unbemerkt von den anderen hatten die zwei Offiziere eine Vorhut, bestehend aus zwei Mann, Tage vorher vorausgeschickt. Diese beiden sollten die Lage erkunden und angemessene Quartiere beschaffen. In anderen Gemeinden hatten sie keine ausfindig machen können, die ihrem gehobenen Standard entsprachen. So waren sie bis nach St. Peter gekommen. Ein Cousin des Generals Nilhazy aus Wien, Leopold Rudolf, der den Wirt Bert Lugbauer von früher kannte, hatte ihnen dessen Gasthaus empfohlen. Der Wirt war also schon ein Mann des Vertrauens für Nilhazy, bevor er ihn überhaupt kannte.

    Und Vertrauen war in dieser Sache mehr als notwendig!

    Da sich die einquartierten Banater in den letzten Wochen gut erholt hatten, hatten sie ihre Habseligkeiten wieder zusammengepackt und waren Richtung Westen gezogen. So waren in St. Peter wieder Quartiere frei geworden.

    Das hatten die beiden Offiziere der Vorhut ihren Vorgesetzten mitgeteilt und so konnte der Gasthof Lugbauer zielstrebig aufgesucht werden.

    Einige Einheimische waren trotz des heftigen Schneefalls aus ihren Häusern gekommen, Kinder hinten nach, und beäugten die Neuankömmlinge. Es fiel sofort auf, dass diese anders waren als die Flüchtlinge der ersten Welle im Dezember. Einige Kinder wurden von den in den Autos sitzenden Frauen herangewunken. Sie folgten den Aufforderungen erst nach den zustimmenden Blicken der verantwortlichen Mütter oder Väter und näherten sich der Wagenkolonne neugierig, aber ein wenig zögerlich. Doch die Freundlichkeit der Frauen ließ die Kinder sofort Vertrauen gewinnen. Eine elegante Frau hielt den Kindern etwas hin, was diese jedoch nicht gleich erkennen konnten – Süßigkeiten!

    Ein seltenes Geschenk in jenen Zeiten!

    Im Nu war die Spenderin von zahlreichen Kindern umgeben, die alle ihre Hände aufhielten, um auch etwas so Kostbares zu ergattern. Durch diese Art der Kontaktaufnahme hatten sich die Neuankömmlinge gleich beliebt gemacht und skeptische Blicke waren dankbaren gewichen. In der Gaststube hatte der Lugbauer seine Gäste ins Hinterzimmer geführt, wo die Aufteilung der einzelnen Familien und der Soldaten besprochen wurde.

    Die Militärs bestanden aus einem 18-köpfigen Versorgungsstab und zahlreichen Soldaten aus verschiedenen Einheiten, die sich aufgelöst hatten.

    Zunächst wurden Höflichkeiten ausgetauscht, und der Wirt erkundigte sich nach dem Wohlergehen des Wiener Cousins des Generals:

    „Haben Sie Kontakt zu Ihrem Cousin Leopold Rudolf?"

    „Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Sie wissen ja – der Krieg! Wir schreiben einander gelegentlich. Im letzten Schreiben hat er Sie mir empfohlen und geschrieben, dass Sie absolut vertrauenswürdig sind und ich – wir – uns auf Sie verlassen können. Er scheint Sie gut zu kennen und eine hohe Meinung von Ihnen zu haben."

    Der Wirt dankte für diesen Vertrauensvorschuss und wunderte sich, dass der General so gut Deutsch konnte. Der Adjutant hatte bisher kein Wort gesprochen.

    Dann zeigte er ihnen noch eine Zeitung und wies auf die Schlagzeile.

    Alle drei sahen einander an …

    „Können wir also alle hier in St. Peter untergebracht werden?"

    „Na ja, wir werden sehen, die Banater sind schon weitergezogen. Wie viele Personen gehören zu Ihrem Tross?"

    General Nilhazy hatte natürlich mit dieser Frage gerechnet:

    „Es werden Quartiere für knapp 150 Zivilisten und 160 Soldaten benötigt."

    Es klopfte an der Tür.

    Nach dem „Herein!" des Wirts betrat ein mittelgroßer uniformierter Mann mit scharf geschnittenem Gesicht das Hinterzimmer.

    Der General stellte ihn gleich vor:

    „Das ist Oberst Kelemen, Istvan Kelemen."

    Dieser salutierte, reichte dem Wirt die Hand und setzte sich auf den dargebotenen Stuhl an den Tisch.

    Auch der Oberst sprach gut Deutsch, aber mit wesentlich stärkerem ungarischen Akzent als sein Vorgesetzter.

    Kurz darauf klopfte es ein weiteres Mal und der Bürgermeister Stefan Koflahner trat ein. Er hatte Listen bei sich, auf denen die Häuser vermerkt waren, wo noch Flüchtlinge untergebracht werden konnten.

    In der nächsten Stunde hatte man die Quartiere für die Zivilisten zugewiesen, für den Großteil der Soldaten blieb nur ein kleines Waldstück neben einem großen Vierkanter, wo sie ihr Feldlager aufschlagen sollten. Etliche konnten jedoch im Heustadel unterkommen.

    Der Bürgermeister Koflahner ließ einige Männer holen, die die Flüchtlinge zu den einzelnen Quartieren, sowohl im Markt, als auch in den umliegenden Bauernhäusern geleiten sollten.

    Der General wurde mit seiner 46-jährigen Frau und seinem 24-jährigen Sohn György, sowie der 21-jährigen Tochter Agnes im Gasthaus Lugbauer untergebracht.

    Der General kündigte noch an, dass sie sich für die Aufnahme so revanchieren wollten, dass keiner der Quartiergeber einen Nachteil haben sollte.

    Allerdings ging er nicht näher darauf ein, in welchem Umfang die Entschädigung sein sollte.

    Da der Wirt von Rudolf wusste, dass es sich um reiche Ungarn handelte, verzichtete er auf eine Kostenvorschreibung für Logis und Essen.

    Alle waren zufrieden.

    Zwei Lastwagen der Kolonne und ein Auto fuhren in den Hof, wurden dort abgestellt und der General teilte vier Mann Bewachung ein. An der Gestik seiner Hände und am eindringlichen Befehlston des Generals erkannten die Einheimischen, die die Flüchtlinge in ihre Quartiere bringen sollten und kein Wort Ungarisch verstanden, dass die Ladung der beiden LKWs eine sehr wertvolle sein musste. Als einer sagte: „Aber gar so brauchen die auf ihre alten Lastwagen nicht aufzupassen, so viel sind die auch nicht mehr wert, gab ein anderer zu bedenken: „Vielleicht nicht die Lastwagen, aber vielleicht die Ladung! Seht nur die tiefen Reifenspuren, obwohl der Boden doch ziemlich gefroren ist!

    Das war überzeugend!

    Der General verließ mit den Einheimischen den Hof in seinem Auto.

    Er und der Oberst führten, mit einem ortskundigen Mann an der Spitze, ihre Soldaten zum „Moosgrabenhof", dem Besitz Pfaffelmeyers. Der erwartete schon die Kompanie und zeigte ihnen den Heustadel, wo sie in der Nacht wohl alle zusammenrücken mussten. Da es dämmerte und im Wald schon finster war, verzichtete man an diesem Nachmittag auf das Aufstellen des Feldlagers. Außerdem war es sehr kalt und ein scharfer Wind brachte weitere Schneeschauer.

    Am nächsten Tag sollte dann ein Teil der Soldaten auch noch auf einem anderen Bauernhof einquartiert werden.

    Der General befahl die Offiziere für den Abend in sein Quartier im Gasthof Lugbauer.

    Zwei Stunden später trafen sie im Hinterzimmer des Gasthauses zusammen und beratschlagten die Vorgangsweise für die nächsten Tage. Der Wirt wurde als Vertrauter in die Gespräche miteinbezogen.

    Bevor sich der General in sein Quartier zurückzog, griff er in die Tasche und zog einen Smaragdring heraus, dessen Stein von glitzernden Brillanten umkränzt war. Den reichte er dem staunenden Wirt mit den Worten:

    „Für eure Gastfreundschaft!"

    Mit einem „Heil Hitler!" ließ er den verdatterten Wirt, der gar nicht wusste, was er sagen sollte, stehen.

    Der nächste Tag war ein klarer und sehr kalter Wintertag, der Schneefall hatte aufgehört. Schon bald nach der Morgendämmerung wurde der General abgeholt und per Auto zu seinen Soldaten gefahren, um eine endgültige Quartiereinteilung vorzunehmen.

    Der Wirt begleitete ihn. Am Moosgrabenhof kam man überein, dass die Soldaten auf drei weitere Höfe aufgeteilt werden.

    Der Pfaffelmeyer war noch am Abend zur Luftenbergerin auf den Hochfichtenhof und zum Obergruber Sepp, dem Besitzer des Kalkbruchhofes gefahren und hatte wegen der Einquartierung gefragt. Die Frau Luftenberger, Hochfichtnerin, deren Mann ja seit Wochen beim Volkssturm war, hatte er schnell überzeugen können, sie erhoffte sich von den Ungarn Hilfe auf dem Hof. Den Kalkbrucher überredete er. Der Hinweis, dass die Ungarn sehr reich seien und sich bei der Bezahlung sicher nicht lumpen ließen, gaben den Ausschlag für die Zustimmung.

    Probleme mit der Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge gab es keine, da diese so viel mit sich führten, dass sie wochenlang davon leben konnten.

    Die Ungarn hatten es sich bald bei ihren Quartiergebern bequem gemacht und Langeweile mit verschiedenen Arbeiten am Hof bekämpft, worüber die Besitzer sehr froh waren, da überall Arbeitskräftemangel herrschte, vor allem an Männern. Viele von ihnen waren eingerückt, verwundet oder rekonvaleszent. Außerdem förderte diese Hilfe die Beziehung zwischen Gastgebern und Gästen sehr.

    Gelegentlich kamen die im Markt einquartierten Offiziere vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

    An einem solchen Tag ließ sich der General von seinem Adjutanten Leutnant Bela Lucacs, der ebenfalls beim Lugbauer einquartiert worden war, zum Bahnhof fahren.

    Dort sprach er mit dem Bahnhofsvorstand, telefonierte lange und gab auch dem Vorstand den Hörer. An der Haltung des Beamten der Deutschen Reichsbahn konnte man erkennen, dass am anderen Ende der Leitung ein sehr hoher Vorgesetzter sein musste. Zackig und unterwürfig reichte er nach Beendigung des Gesprächs den Hörer an den General zurück, damit dieser das Gespräch beenden konnte. Damit verließ der General das Bahnhofsgebäude.

    Am Tag darauf wurden von einem in der Station außerplanmäßig angehaltenen Güterzug vier Waggons abgekoppelt und

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