KUNSTtherapie mit Menschen in Migration: Die therapeutische Relevanz künstlerischer Arbeit
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Über dieses E-Book
Aus einer (leib-)phänomenologischen Perspektive auf Migration und auf die konkrete kunsttherapeutische Praxis bezogen entwickelt der Autor ein Verständnis für das besondere therapeutische Potenzial von Kunsttherapie für Menschen in Migration. Anhand von Beispielen eröffnet er Grundlinien und gibt konkrete Hinweise für die kunsttherapeutische Praxis. Verortet in der begleiteten künstlerischen Arbeit und aufbauend auf einem Verständnis von Migration, das weder bagatellisierend noch viktimisierend ist, zeigt sich die spezifische Wirkungsweise der Methode, die immer auch politisch ist. Professionelle Praxis braucht in diesem Kontext immer auch ein theoretisch-konzeptionelles Verständnis von Migration.
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Buchvorschau
KUNSTtherapie mit Menschen in Migration - Christian Widdascheck
Geleitwort der Reihenherausgeberinnen
»Kunst gehört allen und niemandem. Kunst gehört jeder Zeit und keiner Zeit. Kunst gehört denen, die sie erschaffen, und denen, die sie genießen«, so schreibt es Julian Barnes (2017, S. 125) in seinem Künstlerroman »Lärm der Zeit« über den Komponisten Dimitrij Schostakowitsch. Christian Widdascheck, Professor für elementare ästhetische Bildung an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, versteht die in diesem Band beschriebene kunsttherapeutische Arbeit mit Menschen »in Migration« als einen intensiven künstlerischen Prozess. Dieser basiert wesentlich auf dem Konzept der Responsivität als existenzieller Dimension menschlichen Daseins. Vereinfacht bedeutet dies, dass Menschen den Wunsch haben, von der Welt beantwortet zu werden, dass diese Antwort im Kontext von Flucht und Migration oftmals verweigert wird und dass Kunsttherapie eine probate Methode sein kann, Responsivität zu erfahren. Christian Widdascheck verfügt über langjährige Erfahrung in kunsttherapeutischer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung und gibt in diesem Band eindrucksvolle Einblicke in seine praktische Arbeit und seine theoretische Konzeption von KUNSTtherapie mit Menschen in Migration. Zunächst begründet der Autor, warum er von Menschen »in Migration« spricht, bevor er gut verständlich allgemein in die Kunsttherapie einführt. Das Herzstück dieses Bandes bildet die reich illustrierte und anhand von Fallbeispielen konkret beschriebene kunsttherapeutische Arbeit mit Menschen in Migration. Der Autor schließt mit den Überlegungen, dass Migration nicht nur als geografisches Phänomen zu verstehen ist, sondern als ein innerer Transitionsprozess, der durch Kunsttherapie als transkulturelle Praxis gut begleitet werden kann. Wir finden, dass dies außerordentlich überzeugend dargestellt wird, und wünschen allen Lesern und Leserinnen eine interessante Lektüre!
Barbara Bräutigam
Silke Birgitta Gahleitner
Dorothea Zimmermann
Maximiliane Brandmaier
Vorwort
Warum es dieses Buch gibt und was es ermöglichen möchte
Ziel dieses Buchs ist zunächst ganz allgemein, zu einer theoretisch fundierten, wertschätzend-inklusiven und normalisierenden Perspektive auf das Phänomen Migration selbst beizutragen – und zu einer entsprechenden Haltung gegenüber Menschen in Migration. Daneben will es einer breiten Leserschaft grundsätzliche Wirkprinzipien einer künstlerisch orientierten Kunsttherapie nahebringen und verdeutlichen, wie diese in der Arbeit mit Menschen in Migration wirken kann. Insbesondere wendet sich das Buch an Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich im Gesundheits- und Sozialbereich tätig sind.
Für Kolleginnen¹ aus der Kunsttherapie ist dieses Buch im besten Fall ein professionalisierender Begleiter und Mutmacher in einem Arbeitsfeld, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das Buch ist eine Einladung, genau hinzuschauen und sich selbst und das Beobachtete theoriegeleitet zu reflektieren. Denn so lässt sich die eigene kunsttherapeutische Praxis und das dazu gewählte kunsttherapeutische Setting nicht nur kontinuierlich und konzeptionell weiterentwickeln, sondern auch im beruflichen Kontext professionell vertreten.
Zu einer solchen Entwicklung gehören intensive Phasen des Suchens, der Unschärfe und des Ausprobierens. Sicherlich wird dieses Buch in diesem Prozess nicht immer mit eindeutigen Antworten zur Stelle sein können – und es versteht sich auch nicht als ein Rezeptbuch. Mit seiner theoretischen Grundlage und konzeptionellen Ausrichtung kann es aber hoffentlich – neben seinen Anregungen zur konkreten Gestaltung des kunsttherapeutischer Settings – einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass entscheidende Fragen deutlich werden. Entsprechend können in der Folge Antworten entwickelt werden, mit denen die nicht vorauszusehende Diversität von Konstellationen in diesem Arbeitsfeld gestaltbar, darstellbar und vertretbar wird. Dabei ist die Grundhaltung dieses Buchs nicht, vor dem Hintergrund eines transkulturellen Paradigmas, das im nächsten Kapitel weiter ausgeführt wird, dass in der Arbeit mit Menschen in Migration alles anders ist. Vielmehr bietet gerade dieses Arbeitsfeld die Möglichkeit – und vielleicht liegt darin auch eine professionelle Notwendigkeit –, das Verhältnis von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und vermeintlich Neuem und Fremden immer wieder neu zu be- und zu hinterfragen. Um dies leisten zu können, sind Super- und Intervision nötig, die konkrete Ressourcen vorhalten. Insofern soll das Buch Kollegen, die in diesem Arbeitsfeld tätig sind, auch dazu ermutigen, für das eigene Arbeitssetting konkret einzutreten, damit dieses eine kontinuierliche professionelle Entwicklung ermöglicht. Argumente dafür liefert das Buch.
Kurz: Die Intention ist, sowohl neue und vertiefende Impulse zu liefern, die gesundheitliche Fragen im Feld der Migration in den Blick rücken, als auch die konkrete Praxis kunsttherapeutischer Arbeit in diesem Arbeitsfeld zu professionalisieren. Entsprechend zeigt das Buch auf theoretisch-konzeptioneller Ebene und anhand von Praxisbeispielen, was das spezifische Potenzial der Kunsttherapie ist, die Not von Menschen in Migration zu wenden. Insofern geht es, wenn man so will, um die Not-Wendigkeit der Kunsttherapie in der Arbeit mit Menschen in Migration.
Zum Hintergrund dieses Buchs
Dieses Buch gründet auf meiner jahrelangen eigenen kunsttherapeutischen Praxis mit Menschen in Migration in unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen. Am wichtigsten war dabei eine mehrjährige kunsttherapeutische Arbeit am ZIPP, dem Zentrum für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Campus Mitte, und die kunsttherapeutische Arbeit in einem eigenen Atelier in enger Kooperation mit der KUB, der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e. V. in Berlin-Kreuzberg. Die kunsttherapeutische Arbeit aus diesen beiden Kontexten lieferte schließlich auch das Material für eine qualitativ-empirische Forschungsarbeit, in der die kunsttherapeutische Praxis mit Menschen in Migration theoretisch reflektiert und konzeptionell fundiert wurde. Diese Forschungsarbeit führte unter anderem auch zu meiner Promotion (Widdascheck, 2014) und bildet im engeren Sinne die empirisch-praktische und zugleich konzeptionell-theoretische Grundlage dieses Buchs. So stammen auch alle Abbildungen von künstlerischen Werken und die wörtlichen Zitate von Menschen in Migration in diesem Buch aus diesem Forschungszusammenhang.
Einladung zum eigenständigen Lesen und Aufbau des Buchs
Schon der Titel des Buchs benennt zentrale Begriffe für unser Thema: »KUNSTtherapie« und »Menschen in Migration«. Die Einleitung (Kapitel 1) skizziert anhand dieser Begriffe die Grundhaltung, aus der heraus das Buch geschrieben ist, und begründet, warum diese so gewählt wurden. Damit entsteht gleichzeitig ein erstes Bild von den inhaltlichen Eckpfeilern und theoretischen Grundorientierungen des Buchs. Zentral ist dabei die Erklärung für die Schreibweise »KUNSTtherapie« und die Begründung der phänomenologisch-lebensweltlichen Perspektive, die für das Buch maßgeblich ist.
Kapitel 2 setzt die zentralen theoretischen Eckpunkte des Buchs, mit denen das thematische Feld der Migration aufgespannt wird, soweit es für den Kontext dieses Buchs relevant ist. Außerdem werden mögliche psychosoziale Problematiken für Menschen in Migration ausgelotet. Zentral ist dabei eine lebensweltliche Perspektive auf Migration, die sich in der Verwendung und Begründung des Ausdrucks »Menschen in Migration« anstelle von »Menschen mit Migrationshintergrund« ausdrückt (2.1), die Gegenüberstellung von einem inter- und einem transkulturellen Paradigma (2.2), das Konzept der Responsivitätserfahrung und seine existenzielle Bedeutung für das Leben und die Gesundheit eines Menschen (2.3) sowie eine differenzierte Perspektive auf die spezifische psychosoziale Belastung von Menschen in Migration (2.4) bzw. ihre akkumulative Belastung (2.5).
Kapitel 3 führt zunächst allgemein in die psychotherapeutische Methode der Kunsttherapie ein. Auf dieser Grundlage wird der spezifische Ansatz einer künstlerisch orientierten kunsttherapeutischen Arbeit begründet, der für den Kontext des Buchs besonders relevant. Insofern ist dieses Kapitel gerade für Leserinnen wichtig und interessant, die bisher