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Berge der Stille: Dunkle Seelen, #1
Berge der Stille: Dunkle Seelen, #1
Berge der Stille: Dunkle Seelen, #1
eBook389 Seiten5 Stunden

Berge der Stille: Dunkle Seelen, #1

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Über dieses E-Book

The Witcher trifft auf Schwarze Juwelen in dieser verdorbenen und doch verführerischen Dark-Fantasy-Geschichte.


Quinn Darkova, befreit von den Ketten der Sklaverei, will nichts mehr als Rache an denen, die sie verkauft haben. Aber da ihre dunklen Kräfte stark zunehmen und ihr Aufstieg kurz bevorsteht, muss Quinns Blutrache zugunsten ihres eigenen Überlebens warten.

Lazarus Fierté ist ein Adliger ohnegleichen. Er ist ebenso kontrollsüchtig wie stur und hat die letzten sechs Jahre auf eine Frau gewartet – aber nicht auf irgendeine Frau. Eine dunkle Maji mit großer Macht, die zu schrecklichen Dingen fähig ist.
Sie könnte der Schlüssel zu allem sein, was ihm lieb und teuer ist.

Seine Retterin … oder seine Zerstörerin.

Das Einzige, was er nicht vorhergesehen hat, ist, dass sie beides werden würde.


Buch 1 von 5 in einer kompletten Serie!

SpracheDeutsch
HerausgeberKel Carpenter
Erscheinungsdatum19. Sept. 2023
ISBN9781960167361
Berge der Stille: Dunkle Seelen, #1

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    Buchvorschau

    Berge der Stille - Kel Carpenter

    Kapitel 1

    Marktplatztreffen

    »Wenn das Glück dem Schicksal überlassen bliebe, dann wäre das in der Tat eine grausame Sache.«

    Quinn Darkova, ehemalige Sklavin

    Silberne Strähnen peitschten ihr durchs Gesicht, während ein Windstoß über ihre nackten Unterarme strich und ihr eine Gänsehaut bescherte.

    Quinn erschauerte, dann hielt sie inne.

    Der südliche Markt von Dumas war voller fröhlicher Gesichter und spielender Kinder. Die Sonne schien, und der Sand wehte mit der Brise. Es war so wie immer.

    Und doch war es das nicht.

    Der Geruch von geräuchertem Fleisch und Salzwasser erfüllte ihre Nasenlöcher, aber da war noch etwas anderes. Etwas Subtileres. Ein Schatten in einer ansonsten friedlichen Atmosphäre. Quinn blickte die Reihe der hell erleuchteten Zelte entlang und hielt nur einen kurzen Moment inne, bevor sie jemand anrempelte.

    »Tut mir leid«, hauchte sie, während ein Fremder mit einem gemurmelten Fluch vorbeihuschte.

    Sie wischte das merkwürdige Gefühl beiseite, drehte sich um und tauchte in das Zelt rechts von ihr ein.

    »Quinn«, sagte die Frau mittleren Alters zur Begrüßung. »Ist es schon wieder so weit?« Die Frau stand auf und die bunten Zipfel ihres Patchworkkleides fielen locker zu ihren Füßen. Quinn presste ihre Lippen zu einem schmalen Lächeln zusammen, während sie sich in den Nacken griff und die lederne Kordel anhob.

    »Sieht ganz danach aus, Jada«, antwortete Quinn. Ihre Finger strichen über den schwarzen Opalstein, der an seinem Ende baumelte. Er blitzte für eine kurze Sekunde auf und Jada runzelte die Stirn.

    »Ich habe die Barriere erst vor zwei Wochen erneuert …«, begann sie und ihre braunen Augen füllten sich mit Sorge und Angst. Quinns Finger umklammerten das Amulett, und ihr neutraler Gesichtsausdruck wurde kalt, als Ranken der Angst von der rostbraunen Haut der anderen Frau aufstiegen. Sie waren aufdringlich und sanken in Quinns Poren ein, als würden sie von ihrer eigenen Kraft angezogen.

    »Es funktioniert nicht.«

    Jada schluckte kurz und ihr Blick wanderte von dem pulsierenden Stein zu Quinns Gesicht.

    »Wenn es nicht funktioniert, dann liegt es nicht daran, dass der Zauber geschwächt ist«, sagte Jada mit Bedacht. »Die Erneuerung hätte noch mindestens zwei Wochen halten müssen …«

    Quinn biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, als sich die Schatten unter Jadas Haut noch stärker abzeichneten. Der Geruch von Mitternachtskraut und feuchten Blütenblättern wurde immer stärker und wühlte sie noch mehr auf. Warum fürchteten sie sich immer vor ihr?

    Waren es die Male auf ihrer Haut von all ihren früheren Mastern? Vielleicht war es der ruhige Ton, den sie anschlug, betonend, aber ohne Gefühl. Oder vielleicht, nur vielleicht … war es der Blick ihrer eisblauen Augen – die kristallklare Farbe mit dem Hauch von Dunkelheit.

    »Das Amulett funktioniert nicht und du bist die einzige Heilerin, die mich empfangen will.« Quinn machte einen Schritt nach vorn, gerade als Jada einen Schritt zurücktrat. Der weiße Vorhang hinter ihr bewegte sich, als ein Kind hereinsprang und um den klapprigen Holztisch herumlief.

    Sie hielt sofort inne, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Mutter sah. Jada zog sie zur Seite und ermahnte sie leise, sie nicht zu stören, wenn Kunden da waren. Quinn tat so, als würde sie nicht bemerken, wie sie das junge Mädchen mit ihrem Körper abschirmte oder wie sie das Kind in den hinteren Teil des Ladens, anstatt zurück auf die Straße schickte.

    »Es tut mir leid«, sagte Jada. »Aber wie ich schon sagte, ich möchte dir helfen, Quinn. Das will ich wirklich.« Sie öffnete den Mund, um fortzufahren, aber Quinn wandte den Blick ab und ein altbekanntes Kribbeln breitete sich in ihren Gliedern aus, während sie ihre Kiefer anspannte, um sich unter Kontrolle zu halten.

    »Willst du mir sagen, dass du nichts tun kannst, um es wieder richtig zum Laufen zu bringen?«, fragte sie, wickelte ihre Finger um die Lederschnur und hielt sie hoch. Die bunten Adern, die den schwarzen Opal durchzogen, schimmerten, als Lichtstrahlen durch die Ritzen des Zeltes schienen.

    »Magie ist nicht einfach, Quinn. Selbst für uns, die wir alte Schriftrollen und Tränke zur Hand haben, ist sie schwierig. Über deine Art ist nicht viel bekannt, und …«

    »Kannst du irgendetwas tun?«, fragte Quinn. Das war das letzte Mal, dass sie das tun würde. Sie war nicht gekommen, um Entschuldigungen zu hören. Sie war gekommen, um eine Lösung zu finden. Eine Lösung für ihr Problem, wenn auch nur vorübergehend. Eine Barriere.

    »Nein … ich … vielleicht«, sagte Jada und faltete ihre Hände zusammen. »Das Beste, was ich tun kann, ist, sie zu erneuern, aber wenn die jetzige nicht gehalten hat, weiß ich nicht, ob das überhaupt etwas bringen wird.«

    Quinn ließ den Stein mit einem dumpfen Aufschlag auf den Tisch fallen. »Tu es!«

    »Es werden trotzdem fünfzehn Silberstücke sein …«

    »Ich weiß«, fauchte Quinn. Es war teuer und würde das meiste von ihrem kleinen Ersparten aufbrauchen, aber sie war mit ihren Kräften am Ende. Wenn sie ihre Magie nicht unter Kontrolle halten konnte, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein weiterer Unfall passierte, und das konnte sie sich nicht leisten, denn sonst würde noch vor Ende der Woche eine Schlinge um ihren Hals hängen.

    Quinn zählte die fünfzehn geforderten Geldstücke und kein einziges Kupfer mehr ab. Jada schob sie vom Tisch in einen Lederbeutel und machte sich an die Arbeit. Ihre spindeldürren Finger griffen nach einigen Kräutern, die sie zu einem feinen Pulver mahlte. Quinn stand mit verschränkten Armen und einem krampfhaften Gesichtsausdruck an der Seite und lauschte dem lebhaften Treiben auf dem Markt.

    »Blut«, sagte Jada. Quinn zog das Messer, das sie unter ihrem übergroßen Jutehemd trug, und richtete sich über der onyxfarbenen Schüssel mit dem dunklen Schlamm auf. Der Schnitt der Messerkante, die sich in ihre Haut drückte, wurde nur kurz wahrgenommen, bevor rote Tröpfchen in die wartende Lösung fielen. In dem Moment, in dem sie mit der Mischung in Berührung kam, formte sie sich zu einer halbtransparenten Flüssigkeit, die von Sekunde zu Sekunde durchsichtiger wurde. Quinn entfernte sich und wischte ihr blutiges Messer an ihrem Hosenbein ab, bevor sie es verstaute, während Jada eine Beschwörungsformel in einer fremden Sprache vor sich hin murmelte und den schwarzen Opal dreimal eintauchte.

    Die Beschichtung härtete aus und platzte dann ab, sodass die farbigen Adern leuchteten.

    Sie hielt es ihr entgegen, und Quinn nahm das Amulett zurück. Sie runzelte leicht die Stirn, als die übliche selige Stille der Magie nicht sofort über sie hereinbrach.

    »Hast du es gemacht?«, fragte sie.

    »Das habe ich«, antwortete Jada etwas verhaltener als sonst. »Aber ich sehe an deinem Gesicht, dass es nicht das Ergebnis ist, das du dir erhofft hast.« Sie kippte das seltsame Gebräu in ein unbeschriftetes Gefäß und nahm wieder vor Quinn Platz. »Du erlangst langsam deine volle Kraft und bald wird auch dieser Zauber nichts mehr für dich bewirken.«

    »Wie lange noch?«, fragte Quinn leise. »Wie lange habe ich noch?«

    »Das ist schwer zu sagen«, murmelte Jada. »Aber wenn es so weitergeht, würde ich mir nicht mehr die Mühe machen, zu mir zurückzukommen. Du wirst lernen müssen, wie du deine Kräfte und die«, sie hielt inne, und ein Anflug von Mitleid lag in ihrem Gesichtsausdruck, »Nebenwirkungen kontrollieren kannst.«

    Quinn presste die Lippen zusammen und schaute weg, während sie sich die Schnur um den Hals legte und das Amulett in ihr Hemd stopfte. Der schwarze Opal schmiegte sich gemütlich zwischen ihre kleinen Brüste. Er fühlte sich kühl auf ihrer Haut an und war nicht annähernd so erdrückend, wie er hätte sein sollen.

    »Danke«, flüsterte Quinn. »Er wird mich vielleicht nicht vor dem Galgen bewahren …« Sie schluckte und schaute zum Dach des Zeltes. »Aber du hast mir in den letzten Monaten Zeit verschafft.« Sie schaute Jada nicht mehr an, als sie ging, weil sie das Mitleid in ihren Augen nicht sehen wollte. Quinn senkte einfach ihren Kopf, schwang ihren Arm und trat durch den Durchgang. Die Klappe fiel hinter ihr zu und sie war wieder einmal allein in einer Menschenmenge.

    Die Sonne stand hoch am Himmel und drückte mit ihrem Brennen auf den belebten Marktplatz. Frische Blumen verwelkten in der sengenden Hitze von Dumas, während am Horizont eine Fata Morgana tanzte. Quinn wandte ihren Blick von der verlockenden Illusion ab und bog in die nächstgelegene Gasse ein. Ihre abgenutzten Stiefel waren fast lautlos, während sie in den Schatten verharrte, aber nicht alles war ruhig.

    Das scharfe Geräusch einer Peitsche, die auf Fleisch traf, klang in ihren Ohren wie ein Echo aus der Vergangenheit.

    Quinn blieb auf der Stelle stehen. Ihre Hände hingen schlaff an ihren Seiten und sie starrte ausdruckslos geradeaus. Ein zweites Knallen zerriss die Luft, und Quinn erschauderte.

    Eine Frau schrie. Ein Baby fing an zu weinen. Unterdessen überfluteten das gedämpfte Grunzen eines Mannes und der harte Biss der Peitsche Quinns Sinne.

    Ihre Hände ballten sich an ihren Seiten, als sie versuchte, dem Drang zu widerstehen. Versuchte, sich dem Zwang zu widersetzen.

    Versuchte, etwas anderes – irgendetwas anderes – zu tun als das, von dem sie wusste, dass sie ihm nicht widerstehen konnte.

    Ohne zu merken, dass ihre Entscheidung bereits gefallen war, machte Quinn auf dem Absatz kehrt und rannte über den Marktplatz, um den Geräuschen des Ungleichgewichts zu folgen. Ein weiterer unberechenbarer Wind schlug ihr entgegen und wehte die langen Strähnen aus ihrem Gesicht. Ihre Zähne streiften ihre Unterlippe und als das Geräusch der Peitsche wieder ertönte, biss sie darauf. Der Geruch von Kupfer und der Geschmack von Metall in ihrem Mund ließen Quinn vor dem Hof innehalten. Sie hob die Hand und drückte einen Finger auf ihre Lippen.

    Er kam rot zurück.

    Peng.

    Sie blickte über den blutigen Finger hinaus zu dem Mann auf der Straße. Er trug ein zerfleddertes Jutehemd, das sich nicht allzu sehr von ihrem eigenen unterschied. Dunkelbraunes Haar hing in verschwitzten Strähnen an seinem Kopf, und auf seiner Wange war – verschmiert, aber sichtbar – das Brandzeichen eines Sklaven.

    Quinns Herz pochte so laut, dass sie nur noch das hören konnte, als die Peitsche des Sklavenmasters erneut auf sie niederschlug. Schwarze Ranken, die nur Quinn sehen konnte, schlängelten sich an den Armen der Sklavin, mit denen sie versuchte, ihr Gesicht vor dem brutalen Angriff zu schützen, hoch.

    »Dumm. Erbärmlich. Schwach.« Der Master spuckte mit jedem Schlag ein beleidigendes Wort aus, während eine Frau im Sklavengewand schreiend auf dem Boden lag und silbrige Tränen in Strömen über ihr Gesicht liefen. Das Baby in ihren Armen, in schmutzige Lumpen gewickelt, brüllte seine eigene Empörung heraus.

    Quinn dachte nicht nach, als ihre Füße sich auf den Mann zubewegten. Sie bemerkte nicht, was sie tat, als eine kalte, beruhigende Klarheit sich tief in ihren Knochen festsetzte. Sie hatte nicht bemerkt, wie sehr die Angst des Mannes – die Angst der Frau – die Angst des Babys – nach ihr riefen.

    Alles, was sie bemerkte, war eine Peitsche, Blut und Stille.

    Der Master schlug noch einmal zu, drehte den Kopf, um in die Menge zu schauen, und das Ende der dünnen ledernen Waffe fiel vor ihr auf die sandigen Straßen. Quinns Stiefel landete darauf und hielt es fest, während er wieder mit dem Arm ausholte. Er drehte sich um, als er merkte, dass es sich nicht rühren wollte. Schweiß überzog seine Haut, die Wangen waren rot von der Wut und der Anstrengung, die gebräunte Haut war rau und in ungleichmäßigen Flecken nachgedunkelt. Er hatte einen fein gestutzten Bart und schwarze Augen, aber all das war für Quinn nebensächlich, während sie den Weg der Peitsche, die sich unter ihrem Stiefel bewegte, bis zu dem Griff, den er fest umklammerte, verfolgte.

    »Ich verabscheue Peitschen«, sagte sie leise. Ihre Stimme war ungewöhnlich weit entfernt, das Rauschen in ihrem Kopf lauter als ihre Worte. Das Geräusch war so verzehrend, dass es sie daran hinderte, etwas anderes zu hören, zu fühlen oder zu denken. Es hinderte sie daran, die schattenhafte Gestalt in ihren Augenwinkeln zu sehen.

    »Was glaubst du, wer du …«, begann der Master der Sklavin.

    »Das spielt keine Rolle«, antwortete Quinn leise. Sie kniete sich hin, ihre Finger griffen nach dem glatten ledernen Werkzeug. Sie nahm das dünne Ende der Peitsche in die Hand und fuhr mit ihren Fingernägeln an der blutigen Oberfläche entlang.

    Ohne Vorwarnung schloss sich ihre linke Hand um die Peitsche.

    Ihre Rechte griff nach ihrem Dolch. Den Dolch, den sie immer bei sich trug und dessen Scheide über dem Brandzeichen eines längst vergangenen Masters ruhte. Einem Master, der den gleichen verabscheuungswürdigen Drang hatte wie dieser Mann – sie bis an den Rand des Todes zu schlagen. Seitdem ging sie unbewaffnet nirgendwo mehr hin. Selbst als sie genau so sehr zur Waffe wurde wie das geschliffene Stück Metall, das sie bei sich trug.

    Mit einer schnellen Handbewegung flog der Dolch durch die Luft. Ein Geräusch von reißenden Sehnen und zersplitternden Knochen. Ein gequälter Schrei, während er den Griff der Peitsche fallen ließ.

    Der Dolch ragte auf der anderen Seite aus seiner Hand heraus. Rot verschmierte die offene Wunde und tropfte von dem glänzenden Stahl auf die sandigen Straßen.

    Quinn blinzelte nicht einmal angesichts der Verwüstung, die sie angerichtet hatte. Gewalt steckte in ihren Knochen. Brutalität in ihrem Blut. Sie schwang die Peitsche und das dicke Ende flog direkt in das Gesicht des Mannes.

    Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, und Schatten zeichneten sich unter seiner Haut ab.

    Angst. Genau das, was nach ihr rief.

    Sie leckte sich den Kupfergeschmack von den Lippen und holte wieder und wieder und wieder aus.

    Das lederne Ende zermalmte sein Gesicht zu einem zerquetschten und zerbrochenen Brei. Die Blutgefäße in seinen Augen platzten und färbten sie in einem grotesken Rosa. Die Haut über seinen Wangenknochen riss auf, und als er spuckte, kam ein Schwall aus scharlachrotem Schleim heraus, bevor zwei seiner Zähne in der Blutlache landeten.

    Trotzdem hörte Quinn nicht auf.

    Auch nicht, als sein Atem flacher wurde oder als der Gestank von Pisse durch die Straßen strömte.

    Auch nicht, als sich das dicke Ende der Peitsche um seinen Hals wickelte und ihm das Leben abschnürte.

    Auch nicht, als sie ihm den Dolch aus der Hand riss, nur um ihn wieder anzuheben und …

    »Stopp!«

    Quinn blinzelte.

    Das Rauschen verstummte.

    Mit einem einzigen Wort zerplatzte die Blase der Stille um sie herum, und sie hörte es endlich: das Schreien, das Schluchzen, das Rufen, das Chaos. Das Knallen der Peitsche hatte sie in einen Zustand versetzt, in dem es nur Wut gab … nur Schmerz.

    Und der Klang einer Männerstimme – dunkel wie ein Schatten, tief wie der Ozean, kraftvoll genug, dass sie durch jeden Knochen in ihrem Körper hallte – war es, der sie aus diesem Zustand holte.

    Warme Finger beruhigten die Hand, mit der sie den Dolch umklammert hatte.

    Quinn hielt inne, hob den Blick und betrachtete den Mann, der sie gestoppt hatte.

    Im Gegenlicht der Sonne und des Himmels starrte ein Wesen voller Brutalität und Sinnlichkeit auf sie herab. Seine Augen waren anders als alles, was sie je gesehen hatte. Sie waren wie glühende Kohlen, die von innen heraus brannten, ohne einen Hauch von Farbe in Sicht. Ihre Lippen trennten sich und ihr Atem stockte, aber nur für einen Moment.

    Diese Augen waren so … unerschütterlich. Er hatte eine Wildheit an sich, die Quinn bei keinem anderen erlebt hatte. Noch nie. Sie trat einen Schritt zurück und er hielt inne, wartete, bevor er ihr Handgelenk losließ.

    Sie beruhigte sich und legte eine Maske der Gleichgültigkeit über sich, während sie ihren Augen erlaubte, ihn zu mustern. Langes dunkles Haar – die Farbe eines schwarzen Himmels – hing in dicken Strähnen um ein Gesicht, das schon mehr als genug Kämpfe miterlebt zu haben schien. Seine Haut war gebräunt, aber eine weiße Narbe zog sich von seiner linken Augenbraue bis zur Wange. Weitere kleinere Flecken alter, geheilter Wunden zierten sein Gesicht und machten es noch eindrucksvoller.

    Quinn fand ihn auf eine seltsame Art und Weise schön.

    Er trug die feinen Stoffe eines Adligen, der sein Gewicht in Gold wert war, und zwei Ringe schmückten seine linke Hand. Keiner zierte seine rechte Hand, stellte Quinn fest, als sie einen Schritt zurücktrat und langsam wieder zu Sinnen kam.

    »Wer bist du?«, fragte er. Die Rufe wurden lauter und eine Menschenmenge bildete sich um sie herum. Quinn warf dem Master keinen Blick zu. Sie hatte noch nie getötet, obwohl sie schon mal kurz davor war. Trotz ihrer Ausrutscher mit dem kalten, leidenschaftlichen Wahnsinn, der sie manchmal überkam, war die Ehre ihres ersten Mordes für jemanden reserviert, der ihr Wiedergutmachung schuldete, und deshalb wollte sie auch nicht wissen, ob er tot oder lebendig war.

    Quinn trat noch einen Schritt zurück und ließ den Dolch langsam an ihre Seite sinken. Sie steckte ihn nicht weg. Noch nicht.

    »Niemand«, lautete ihre Antwort, während sie sich rückwärts auf die Menge zubewegte. Auf dem Platz ertönte ein Glockenschlag, und die Menschen auf dem Markt zerstreuten sich verwirrt und verängstigt.

    Die Glocken konnten nur eines bedeuten.

    Soldaten. Stadtwachen, um genau zu sein. Sie erstarrte.

    »Nein«, sagte der Mann. Er bewegte sich nicht. Keiner von ihnen bewegte sich. Auch nicht, als sich die Menschen auf den Straßen wie Ratten um sie herum zerstreuten. »Du bist jemand.« Sie schüttelte den Kopf, und er hielt sie mit einem scharfsinnigen Blick auf. »Du bist jemand wie ich.«

    Das ließ sie innehalten.

    Meint er …

    Die Straßen lichteten sich, als das Stampfen von Hufen auf Mörtel durch die Stadt donnerte. Sie musste von hier verschwinden. Wenn man sie erwischte, während die Beweise für ihre Taten hinter ihr verbluteten, würde sie nicht einmal die Chance haben herauszufinden, ob Jadas neuester Versuch, ihre Magie unter Kontrolle zu halten, funktionieren würde. Sie würde noch vor Ende des Tages gehängt werden.

    Quinn wandte sich zum Gehen, als etwas sie aufhielt. Es war alarmierend; ein Luftzug wehte über ihr Gesicht. Die frostige Kälte des Winters, die hier nicht hingehörte.

    »Ich werde dich finden, wenn ich mich um das hier gekümmert habe«, sagte er. Sie musste nicht fragen, was das hier bedeutete. Und sie wollte auch nicht wissen, was er meinte. Sosehr er sie auch faszinierte, Quinn hatte sich gerade einmal zu oft zur gesuchten Frau gemacht.

    Trotzdem schaute sie über ihre Schulter. Mit einem Stirnrunzeln erwiderte sie: »Unwahrscheinlich.«

    Dann verschwand sie in den Schatten, wo Leute wie sie hingehörten.

    Wo sie hätte bleiben sollen.

    Kapitel 2

    Dunkle Maskerade

    »Spiegel reflektieren die Monster, die niemand sonst sehen kann.«

    Quinn Darkova, ehemalige Sklavin, eventuelle Mörderin

    Quinn starrte in die schimmernde, reflektierende Oberfläche ihres Garderobenspiegels. Von draußen hörte sie das hektische Treiben der anderen Akteure, die sich für den Abend fertigmachten. Quinn hob den Opalstein, der zwischen ihren Brüsten thronte, an und überprüfte die Risse in seiner Oberfläche. Wenn auch nicht viel, war die Magie, mit der Jada den Stein heute Morgen verzaubert hatte, bereits verblasst. Seufzend schob sie ihn zurück in den Kragen ihres Kleides.

    Ein Klopfen an der Tür hallte durch den kleinen Raum, kurz bevor sie einen Spalt nach innen schwang. »Bist du bereit?«, fragte eine vertraute Stimme. Der obere Teil eines sandfarbenen blonden Kopfes lugte um das Holz herum.

    »Fast«, sagte Quinn. »Ich bin gleich da.«

    »Gut«, antwortete Caine, der sie mit seinen glanzlosen braunen Augen musterte, bevor sein Blick zur Seite wanderte. »Hastings sucht nach dir.«

    Quinn warf dem jungen Mann einen scharfen Blick zu. Er sah ihr selten in die Augen, wenn er schlechte Nachrichten überbrachte, was bedeutete, dass das, was Hastings wollte, nichts Gutes war.

    »Von mir aus«, schnauzte sie. »Ich bin gleich da.«

    Er nickte, ging dann leise hinaus und ließ die Tür hinter sich zufallen. Quinn wandte sich wieder ihrem Spiegel zu und schnappte sich einen Behälter mit weißem Puder. Wenn das überhaupt möglich war, ließ die staubige Mischung sie noch blasser erscheinen. Das war genau das, was sie heute Abend brauchte. In den Nächten, in denen sie die Hauptdarstellerin der Show war, musste sie wie ein Geist aussehen – nicht, dass das schwierig wäre. Kühle, glasige Augen starrten ihr entgegen, während sie das Puder über ihre Wangen, ihre Stirn und ihre Nase verteilte. Kurz bevor sie fertig war, tupfte sie noch ein wenig über ihre Lippen, so dass sie auch dort keine Farbe mehr hatte.

    Sie stellte den Behälter wieder an seinen Platz, hob ihre weißen Röcke an und ging auf den Flur, der zur Hauptbühne führte. Mehrere Bühnenarbeiter sahen sie kommen und wichen ihr aus. Als sie hinter einem hohen, muffigen Vorhang hervorkam, hörte sie, wie Hastings jemanden im Hauptsaal anschrie.

    Das Theater fiel langsam in sich zusammen. Das Dach war undicht, die Wände waren dünn und boten kaum Abkühlung vom ewigen Sommer, der in Dumas zu herrschen schien, aber es hatte ihr Zuflucht geboten, als sie keine hatte. Es war zwar kein Zuhause für sie, aber für die nächste Zeit war es nützlich.

    »Du wolltest was von mir?«, fragte Quinn.

    Hastings, ein Mann mit rötlichem Gesicht und krausem Bart, drehte sich um und warf ihr einen irritierten Blick zu. »Ich habe gehört, dass es heute einen Zwischenfall auf dem Markt gab«, sagte er.

    »Ach ja?« Quinn starrte ihn an, ihr Gesicht war ausdruckslos.

    »Hmm hmm.« Er strich sich über den Bart. »Du weißt nicht zufällig etwas darüber, oder?«

    »Warum sollte ich?«, erwiderte Quinn.

    Hastings hielt inne, ließ seine fetten Wurstfinger von seinem Gesicht fallen und musterte sie mit einem finsteren Blick. »Wenn ich herausfinde, dass du etwas getan hast, was meine Geschäfte beeinträchtigt, werde ich …«

    »Du wirst mich rauswerfen«, mischte sich Quinn trocken ein. »Das hast du mir schon gesagt. Mehrmals, möchte ich hinzufügen.«

    Hastings brummte seine Antwort, bevor er an ihr vorbeiging. »Sieh zu, dass du für deinen Auftritt bereit bist. Die Türen öffnen in zwanzig Minuten.« Und schon machte er sich davon und brüllte den vorbeikommenden Bühnenarbeitern etwas zu, während Caine, sein stets präsenter Assistent, hinter dem Vorhang hervor schlich und ihm folgte.

    Quinn sah ihnen nach, bevor sie sich dem offenen Raum zuwandte, in dem Reihen über Reihen von Bänken in dem harten Boden verankert waren. In einer knappen halben Stunde würde der Raum von Wand zu Wand mit Menschen aller Formen, Größen und Farben gefüllt sein. Sie alle wollten etwas von sich sehen, das so selten ans Licht kam. Und sie war mehr als bereit, es ihnen zu zeigen.

    Zu einem Preis.

    Als die Lampen gedimmt wurden, entfernte sich Quinn von der Bühne. Das Echo von leisem Geflüster erfüllte die Luft, als Hastings in seinem zerlumpten Mantel auf die Mitte der Bühne trat. Seine dröhnende Stimme hallte an den Wänden wider und brachte die Menge zum Schweigen.

    »Willkommen, treue Bürger, zur Dunklen Maskerade. Wenn Sie schon einmal bei uns waren, dann haben Sie vielleicht schon einige unserer Darbietungen gesehen. Vielleicht hat Sie Ihre Neugier zurückgebracht. Wenn Sie neu sind und nicht wissen, was Sie erwartet, dann halten Sie sich jetzt lieber gut fest, meine Damen und Herren. Die Show, die Sie gleich erleben werden, ist wie keine andere …«

    Nachdem die Warnung in der Stille des Theaters nachgehallt und dann verklungen war, hob Hastings seine dicke Faust und warf ein kleines Fläschchen zu seinen Füßen auf den Boden. Es zerschellte auf dem Holz und eine große Rauchwolke stieg auf. Einen Moment später verschwand sein großer Körper hinter dem Vorhang und er hetzte den ersten Akt auf die Bühne – feuerspeiende Zwillinge, deren Gesichter von dunklen schwarzen Masken bedeckt waren.

    Quinn stand an der Seite, ihre eigene Maske, die sie eben aus der Garderobe geholt hatte, in den Händen haltend. Sie beobachtete, wie ein Künstler nach dem anderen die Bühne betrat und die Menge mit ihren seltsamen Talenten begeisterte. Kurz vor dem Ende trat Hastings neben sie.

    »Du bist gleich dran.«

    Sie nickte, hob die Hände und band sich die weichen Stoffstreifen um den Kopf. Die Maske sollte nicht ihre Gesichtszüge verbergen, sondern nur ihre Unheimlichkeit für die Zuschauer betonen, während sie ihre Rolle in Hastings’ Dunkler Maskerade spielte. Er blickte zu ihr hinunter, während sie zwischen den Vorhängen hindurch starrte und ihren Blick auf einen Punkt in der Ferne jenseits der Menge richtete.

    Mit einem Kopfschütteln trat er hinter dem Vorhang hervor, während sich die letzte Künstlerin hinter die Bühne begab und sich dann in Richtung des Flurs bewegte. Irgendetwas war heute Abend anders mit der Menge. Sie verstummten, als Hastings eine einzelne Kerze in der Mitte des Podiums anzündete. Seine Stimme hallte durch den Raum, während dunkle Gestalten mehrere große Spiegel vor die Vorhänge, die sich über die gesamte Länge der Bühne erstreckten, schoben. Die Spiegelbilder der Menschen starrten sie zurück an.

    »Heute Abend«, sagte Hastings, »haben wir etwas Besonderes für Sie.«

    Quinn schloss die Augen, während er sprach, und lauschte dem Wind, der durch die Risse in den Türen im hinteren Teil des Theaters pfiff, und der atemlosen Erregung, die aus der Menge dröhnte.

    »Aus einem fernen Land bringt die Dunkle Maskerade etwas«, Hastings hielt inne und seine Worte bekamen einen melodramatischen Klang. »Einzigartiges«, beendete er. »Ein Phantom aus der Zwischenwelt. Bitte heißt sie auf der Bühne willkommen – Mirior

    Der Vorhang öffnete sich einen Spalt, und den Zuschauern stockte fast der Atem, als Quinn um die Spiegelwand herumging. Absolute Stille empfing sie, während Hastings in den Hintergrund trat und sich vom Licht der Kerze entfernte.

    Mit anmutiger Schönheit glitt Quinn über die Bühne, ihre Schritte waren lautlos. In diesem Moment begann das Geflüster. Es begann als leises dunkles Knistern im Publikum. Doch als Quinn an die Kerze herantrat und den schwachen feurigen Schein über ihre Züge flackern ließ, wurde es immer lauter.

    Schwarze Ranken, die wie aufsteigender Rauch aussahen, stiegen von einzelnen Personen in der Menge auf. Je undurchsichtiger die Ranken waren, desto ängstlicher war die Person. Quinn schloss ihre Augen, streckte die Hand aus und löschte die Flamme mit ihrem Daumen und Zeigefinger. Die Strähnen der Angst verwandelten sich in Flüsse, die aus ihr heraus und um sie herum flossen, während die Dunkelheit über den Raum hereinbrach.

    Bühnenarbeiter zündeten eilig Kerzen an, die auf dem oberen Rand jedes Spiegels standen. Quinn drehte dem Publikum den Rücken zu und hob ihre blassen Hände. Sie wies mit den Ranken in Richtung der Spiegel, und diese folgten ihr.

    Die Spiegelbilder des Publikums waberten vor ihr und hinter ihrem Rücken hörte sie einige Menschen nach Luft schnappen. Quinns Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Sie ließ ihre Hände sinken und bewegte sich vorwärts, vorbei an einem Spiegel und dann an einem weiteren, bis sie am anderen Ende der Bühne war. Sie warf einen Blick ins Publikum und bemerkte, dass die Leute von dem, was sie sahen, gebannt waren. Dann bewegte sie sich über die Bühne und strich mit den Fingerspitzen über das Glas, während sie es passierte. Die Ranken, die sie kontrollierte, wurden in den Spiegeln zum Leben erweckt.

    Es erschienen Bilder. Die Menschen begannen zu wimmern und zu weinen. Einige schnappten nach Luft, fanden aber keine Erleichterung. Einige wendeten ihr Gesicht ab und verkrampften ihre Kiefer, während sie beteten, dass das, was sie sahen,

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