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Gefunden: In den Armen des Feindes
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eBook367 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Romulus ist ein junger Soldat des großen Römischen Reiches. Als er auf einem Feldzug ins wilde Germanien ein niedergebranntes Dorf des Feindes entdeckt, findet er einen kleinen Jungen. Romulus, fasziniert von dem wilden Geschöpf, rettet ihn und muss plötzlich lernen, neue Verantwortung zu tragen. Symbolisch für das Land, in dem er gefunden wurde, erhält das Kind den Namen: Germania. Als der Senat beschließt, Germania nach Rom zu schicken, um ihn dort ausbilden zu lassen, trennen sich ihre Wege.
Nach zehn Jahren wird Germania als römischer Soldat einem Feldzug nach Germanien zugeteilt, um ihn dort gegen sein ehemaliges Volk einzusetzen. Romulus, den seine Karriere inzwischen zum Senatoren gemacht hat, soll diesen Feldzug leiten und sieht sich nach all den Jahren einem vollkommen neuen Mann gegenüber. Er verfällt ihm (erneut auf ganz andere Art), doch er sieht sich einem Problem gegenüber: Germania will scheinbar nichts mehr von ihm wissen und ein großes Geheimnis umgibt den Germanen. Romulus muss sich überlegen, will er Germanien erobern oder Germania.
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum17. Jan. 2017
ISBN9783863616274
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    Buchvorschau

    Gefunden - Bergmann Alex

    GEHEILT

    WIR hatten unseren Auftrag ausgeführt und kehrten mit reichlich Versorgung zurück. Als wir im Lager ankamen, war der Kleine eingeschlafen. Das war mehr als verständlich, nach dem was er durchgemacht haben musste.

    Der Kommandant würdigte uns in seinem Stolz keines Blickes, doch ich konnte mich darauf verlassen, dass er Germania nicht vergessen würde. Das schürte besorgte Vorsicht in mir. Es sollte mir nicht so wichtig sein, aber ich würde meinen Findling mit allem beschützen, was ich aufbringen konnte.

    Meine Männer im Gegensatz waren hoch interessiert an dem Jungen. Wir hatten alle seit Monaten nichts anderes erfahren als Totschlag, Marschieren, Soldaten und das harte Leben in der Legion, so dass ein Kind im Lager eine Art Attraktion war.

    Jeder wollte ihn sehen oder seine goldenen Haare berühren. Nur mit Mühe konnte ich die Schar vertreiben, um dem Kleinen Ruhe zu geben. Ich legte ihn auf mein Schaflager und hielt den geschwächten Körper mit Decken warm. Da ich Gruppenführer war, hatte ich nicht nur ein Pferd, sondern genoss auch das Privileg eines eigenen Zeltes. So konnte ich beruhigt neben ihm sitzen und meinen Fund beim Schlafen betrachten.

    Trotz all dem Dreck, der zerschlissenen Kleidung und dem verfilzten Haar, sah er immer noch faszinierend aus, so fremd. Gerade wenn er so unschuldig und sorglos schlief. Was wohl so besonders an ihm war? Vielleicht, dass er anders als jedes römische Kind schien, was ich bis jetzt getroffen hatte. Oder schlicht sein Wesen, das man jetzt schon in ihm erkennen konnte. Mit diesen Gedanken und dem langen Ritt hinter mir, musste ich irgendwann eingedöst sein.

    Als ich erwachte, lag er immer noch unverändert neben mir. Doch nun starrten mich diese tiefblauen Augen an. Sie sahen mich einfach nur an, ohne Regung oder Emotionen. Gebannt erwiderte ich seinen Blick.

    Draußen war es nach wie vor Tag und schwaches Licht schien durch die Stoffzeltwand. Stimmengewirr und geschäftiges Treiben drangen, wie aus einer anderen Welt, zu uns. Weit weg und abstrakt. Dann kam ich mir einfältig und irr vor, am frühen Nachmittag mit einem Germanenkind in meinem Zelt zu sitzen. In der Legion konnte Schwäche aus vielen Dingen gelesen werden. Ein Bericht musste erstattet werden und der Legat wartete nicht gern.

    Ich rappelte mich auf und betrachtete den Jungen genauer. Was sollte ich jetzt mit ihm machen? Beschlossen war, dass er erst einmal bei mir bleiben würde. Doch war das so schlau? Wie sollte ich mich um ihn kümmern? Sollte ich ihn verstecken? Keine gute Taktik. Ich musste dem Legaten irgendwie klarmachen, dass es eine gute Idee war, einen Germanen im Lager zu haben. Wenn ich ihn überzeugen könnte, dass er eines Tages nützlich sein würde, könnte es klappen.

    Inzwischen hatte der Junge sich aufgesetzt. Seine Miene und sein Ausdruck unverändert. Ich hockte mich vor ihn und er wich nicht zurück. Vielleicht hatte er sich schon ein wenig an mich gewöhnt oder er war noch zu benommen vom Schock.

    „Hast du Hunger? Tut dir irgendwas weh?"

    Er blinzelte nur und ich bezweifelte, dass er überhaupt irgendetwas von dem verstand, was ich sagte. Ich seufzte.

    „Hunger? Essen?"

    Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Bauch. Die großen Augen sahen mich stumm von unten heran an.

    „Ich denke, das heißt ja", beschloss ich und griff um seinen hageren Körper, um ihn hochzunehmen.

    Noch immer in einer Decke und sicher in meinen Armen traten wir nach draußen. Dieses Mal versteckte er seinen Kopf nicht an meiner Schulter, sondern blickte aufmerksam umher.

    Das Lager mit all den Zelten, Pferden, Feuerstellen, Waffen und fremden Menschen musste vollkommen neu und erschreckend auf ihn wirken. Seine kleine Hand an meiner Brust krampfte sich fest in mein Hemd.

    Ich lief mit ihm zum Versorgungszelt und versuchte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf uns zu ziehen. Doch das wäre mir wohl besser gelungen, wenn ich nackt auf Hannibals Elefanten geritten wäre. Köpfe drehten sich zu uns um und Blicke folgten jedem meiner Schritte. Jedoch wagte es niemand, mich anzusprechen oder mir sogar zu folgen. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass ein Germanenkind im Lager war und hoffentlich auch, dass es unter meinem Schutz stand.

    Der verantwortliche Legionär im Versorgungszelt gab mir jedenfalls bereitwillig und ohne es zu hinterfragen, was ich verlangte. Einen Apfel, Brot mit ein wenig Fleisch und etwas Wasser hatte ich dem Kleinen besorgt, was er sogleich begann gierig zu essen.

    Ich saß mit ihm hinter den Zelten etwas abgelegen und nahe dem Wald. Auf einem Baumstumpf machte ich es mir bequem und beobachtete, wie er sich auf meinen Beinen alles in den Mund stopfte, was seine Finger zu greifen bekamen. Als hätte er Angst, man könnte es ihm wieder wegnehmen. Ich hatte mich zum Wald gedreht und ihn mir zugewandt, sodass ich ihn mit meinem Körper vom Rest des Lagers verdecken konnte.

    Die kleinen Hände umklammerten das Essen und seine Konzentration lag vollkommen auf dem Apfel vor ihm. Es war eine Freude, ihn so lebendig und aufgeregt zu beobachten. In diesen Augen Leben zu sehen und nicht den kalten Tod, gab mir die Bestätigung, das Richtige getan zu haben. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und strich sein verstrubbeltes Haar sanft aus seiner Stirn. Sofort hielt er inne und blickte auf. Musternd, fragend, verwirrt, unsicher und vielleicht sogar ein wenig dankbar.

    „Du willst leben, nicht?! Egal wie, du wirst leben."

    Als ob er den Sinn der fremden Worte spüren würde, nickte er leicht.

    „Rom!"

    Wir wurden von fünf meiner Männer entdeckt, die sich grinsend um uns stellten. Alles gute Soldaten, vertrauenswürdige Untergebene und gleichzeitig Freunde.

    „Hier hast du dich versteckt."

    „Wir haben nach dir gesehen."

    Die Blicke fielen auf den Blonden.

    „Oh, ist er schon wieder auf den Beinen? Geht es dem Kleinen besser?"

    Meine rechte Hand Aulus, ein hochgewachsener Mann mit freundlichen, braunen Augen, kniete sich vor das Kind.

    „Na du, wie heißt du denn?"

    Wie ich es nicht anders erwartet hatte, bekam er nur diesen kalten, uninteressierten Blick, den diese erstaunlich blauen Augen so gut vergeben konnten. Schnell drehte der Blonde den Kopf und wich zurück, bis er gegen meine Brust stieß.

    „Sein Name ist Germania", antwortete ich für ihn.

    „Hmm und was willst du jetzt mit ihm machen? Ich meine, er ist ja ganz niedlich, aber das wird den Legaten kaum überzeugen."

    Ernst betrachtete ich die Gesichter um mich.

    „Ich werde ihn schon dazu bringen, den Jungen am Leben zu lassen."

    „Zeig ihm doch den Knaben, vielleicht lässt er sich ja erweichen."

    „Aber wasch ihn vorher und gib ihm etwas Ordentliches zum Anziehen."

    Das war sicherlich keine schlechte Idee.

    „Wie steht es denn zurzeit mit dem Wasserkessel?"

    „Es ist noch ziemlich früh, da sollte er unbenutzt sein. Soll ich ihn erhitzen gehen?"

    Ich nickte und sah einen der Männer davoneilen.

    „Aber was soll er anziehen? Wir werden wohl kaum Kinderkleidung im Lager haben", warf einer der anderen ein.

    „Ich kann etwas nähen."

    Mein Blick huschte erstaunt zu Aulus. Er war schon einige Zeit mein Untergebener, aber das hätte ich ihm nicht zugetraut.

    „Meine große Schwester Erike hat sich den Scherz erlaubt, mir als Knabe die Handarbeit beizubringen. Ich könnte notdürftig etwas machen und solange trägt er eben Roms Hemden."

    Das war nicht die feine römische Art, aber ein Anfang.

    Mit einem Nicken entfernten sich die Männer und ich war wieder allein mit dem Blonden. Ich hatte das Gefühl, dass weit mehr hinter uns standen, als ich gedacht hatte. Das würde es einfacher machen, Germania hierzubehalten.

    Dieser hatte inzwischen alles Essen verspeist und mit klebrigen Fingern und verschmiertem Gesicht sah er mich mit diesem undurchschaubaren Blick an.

    „Na dann komm mal, lass uns dir ein Bad geben."

    Er wich nicht zurück, als ich ihn berührte und das erfüllte mich mit gewissem Stolz. Vielleicht war es Eitelkeit, dass ich allein es schaffte, einen Wilden zu zähmen. Aber vielleicht war es auch einfach nur die Genugtuung des Vertrauens, die er einzig mir entgegenbrachte.

    Wir benutzten einen hohen Pferdetrog, in dem der Kleine gerade so sitzen konnte. Das heiße, erhitzte Wasser mischten wir mit kaltem aus dem nahegelegenen Fluss und sogar ein wenig Seife ließ sich auftreiben. Da ich nicht wusste, wie er auf den Badeversuch reagieren würde, schickte ich alle außer Aulus weg.

    Dann entkleidete ich den zierlichen Kinderkörper. Vor Kälte zitternd stand er dann vor uns. Aulus sah mich vielsagend an und ich runzelte ernst die Stirn. Germanias blasse Haut war überzogen von Schrammen, blauen Flecken und Prellungen. Was hatte der Junge durchgemacht? Kam das alles von dem Überfall seines Dorfes? Es war wenig über das Leben der germanischen Völker bekannt, aber der geschundene Kinderkörper vor uns erzählte Bände.

    „Hartes Leben hier draußen. Kein Wunder, dass uns die Kerle schon seit Monaten auf Trab halten", bemerkte Aulus beiläufig und brach dadurch die unangenehme Stille.

    Schnell setzten wir Germania in den Kübel voller warmen Wassers und begannen mit Stofflappen seine Haut zu reinigen. Er war wirklich ziemlich blass und ausgezehrt. Nachdem der ganze Dreck verschwunden war und wir seine Haare gewaschen und geordnet hatten, betrachtete ich ihn, während ich meine Hände an meiner Hose trocknete.

    „Ohne den ganzen Schmutz sieht er richtig süß aus."

    „Ein bisschen wie ein Mädchen mit den langen Haaren."

    Aulus zog einen Dolch aus dem Gürtel.

    „Wir sollten es schneiden."

    Das Messer hatte gerade die erste goldene Strähne an der Klinge, als ich hastig dazwischen ging und Germania zu mir zog.

    „Warte, schneide es nicht!

    Aulus sah mich verwundert an. „Warum nicht?"

    „Es ist so schön. Schau nur, wie es im Licht schimmert."

    Bedächtig fuhr ich mit den Fingern durch das nasse Gold und begann dann ihn trockenzureiben.

    „Außerdem sind seine langen Haare wahrscheinlich das Letzte, was ihm von seinem Volk übriggeblieben ist."

    „Wenn du meinst."

    Als ich den Kleinen eines meiner Hemden überstülpte, musterte er mich aufmerksam und einmal bewegten sich seine Lippen, als wolle er etwas sagen. Aber er blieb stumm.

    „Es ist ein bisschen groß, aber es sollte erst einmal gehen."

    Grinsend schenkte ich ihm ein Lächeln und krempelte die Ärmel hoch, bis seine kleinen Hände zum Vorschein kamen.

    „Du solltest jetzt den Legaten aufsuchen", erinnerte mich Aulus.

    „Ja, wir gehen besser."

    Ich streckte Germania meine Hand entgegen und zum Erstaunen meines Untergebenen nahm dieser sie sofort an. Trotz des Wassers waren die zierlichen Finger warm. Zögerlich erwiderten sie den Druck. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich, als wäre ich Vater geworden. Nach all dem Schmerz und der Verwirrung in meiner Familie, war das ein Gefühl, was ich nicht erwartet hätte, aber dennoch genoss.

    GEORDNET

    DAS Hauptzelt war größer als alle anderen. Es gehörte dem Legaten und diente ihm als Privat- und Besprechungszelt. Schon oft war ich durch die Stoffklappe getreten, um Aufträge entgegenzunehmen oder einschläfernde Vorträge von den Taktikern und Präfekten zu ertragen.

    Legat Fabian war ein alter Mann und schon seit langen Jahren im Senat. Doch seine Vergangenheit als Legionär schien ihn nicht loslassen zu können und so zog er mit seiner Kohorte in die Felder. Zum Glück kannte ich Fabian schon seit meiner Kindheit und als Bekannter meines Vaters hatte er immer ein offenes Ohr für meine Karriere. Manchmal dachte ich sogar, er würde mich gut leiden können. So gut wie es bei diesem Mann eben ging.

    Germania hing noch immer an meiner Hand und sauber, mit dem viel zu großen Hemd, sah er hinreißend putzig aus. Er hatte alles, was man in unserem Land nicht finden konnte und in seinem jungen Alter konnte man ihm einfach die Sünden seines Landes nicht übelnehmen.

    Als die Dunkelheit des großen Zeltes uns verschlang, klammerte sich die kleine Hand ein wenig fester an mich. Fabian stand an einem Tisch über eine Karte gebeugt. Mehrere seiner Männer um ihn, diskutierend, ehrfürchtig nickend.

    „Legat Fabian", meldete ich mich mit fester Stimme und als mich die stechenden, grauen Augen fanden, straffte ich die Brust.

    Ich schlüpfte in meine Rolle, die ich gut beherrschte.

    „Romulus." Der Ältere nickte den anderen zu und sie ließen uns allein.

    „Du bist spät. Ich bin es nicht gewöhnt von dir, dass du deine Pflicht vernachlässigst. Präfekt Lagerkommandant Nevio hat den Bericht für dich abgegeben."

    Seine Stimme war kühl und bei dem Tadel biss ich die Zähne zusammen. Kein guter Anfang. Zudem war Nevio der Mann, der uns den Befehl zum Ausrotten der Überlebenden des germanischen Dorfes gegeben hatte.

    „Ich habe auch über dein Fehlverhalten und von dem kleinen Germanenjungen gehört."

    Sein Gesicht, kalt und ausdruckslos, sah herab auf Germania. Er kam etwas näher und seine Augen veränderten sich ein wenig. Ich wusste, jetzt sprach er zu mir und nicht dem Soldaten.

    „Du bist schon lange unter meiner Hand, Romulus. Ich weiß, dass du nichts Unüberlegtes tust. Was hast du dir dabei gedacht? Einem kleinen Wilden das Leben zu schenken und ihn in ein römisches Militärlager zu bringen!"

    Das war meine Gelegenheit.

    „Es mag zwar bizarr klingen, aber dieses Kind vom Feind könnte uns von großem Nutzen sein."

    „Nutzen?"

    Jetzt kamen wir zurück zum Geschäftlichen.

    „Wenn wir ihn als Römer erziehen, gibt es eine Menge Wege, ihn zu benutzen."

    „Ah."

    Skeptisch betrachtete Fabian Germania genauer. Der Druck der kleinen Hand wurde fester und ich erwiderte ihn beruhigend.

    Als der Legat sich wieder zu mir wandte, wusste ich, dass wir fürs Erste gewonnen hatten.

    „Das ist ein guter Gedanke. Es könnte sich lohnen. Aber er kann nicht hierbleiben. Er muss eine Schule in Rom besuchen und Kultur, Sprache und Wissenschaften lernen."

    Stumm nickte ich.

    „Das kann ich allerdings nicht allein entscheiden. Der Senat muss darüber nachdenken. Ich werde ein Schreiben in die Hauptstadt senden. Bis dahin bist du für den Knaben verantwortlich."

    Mein Herz wurde vor Erleichterung warm.

    „Jawohl!"

    „Dann darfst du dich jetzt entfernen."

    Mit einem zackigen Gruß verließen wir das Zelt. Die Sonne ging gleich unter und der Abend begann kalt und regnerisch.

    In der Nacht stürmte es. Harter Wind rüttelte an den Bäumen und das Wasser stürzte haltlos aus den Wolken. Blitze malten die wirren Schatten der Äste gegen die Zeltwand und Donner erschütterte den Himmel.

    Ich saß an einem schmalen Tisch und arbeitete unter flackerndem Kerzenlicht. Trotz allen Geschehnissen durfte ich nicht meine Zukunft vergessen. Leichte Kopfschmerzen machten es allerdings schwer, sich vollkommen auf die Dokumente vor mir zu konzentrieren. Und der Gedanke an ein fremdes Wesen in meinem Schlaflager war noch viel ablenkender. Die Frauen und Prostituierten zuvor waren etwas ganz anderes. Dieses Mal war es etwas Reines, Unschuldiges, für das ich Verantwortung übernommen hatte.

    Mit einem letzten Schwung der Feder beendete ich mein Tun. Die kleine Flamme der Kerze wurde ausgeblasen und das Zelt tauchte in Dunkelheit.

    Als ich mich umdrehte, erhellte ein Blitz die Luft und ich sah den Kleinen in seinem langen Hemd am Eingang des Zeltes stehen. Mit dem Rücken zu mir, Haare feucht vom Regen und Augen fest nach draußen gerichtet. Leise schritt ich zu ihm und zog ihn am Arm sacht herein. Er blickte sich um, beinah konnte ich die Regung im Blau seiner Augen lesen.

    „Magst du Gewitter?"

    Ich hob den Finger und wir lauschten dem Rauschen des Regens und dem Dröhnen des Donners. Germania faltete die Hände vor der Brust und senkte den Kopf. Erst dachte ich, dass er Angst hatte, doch er zitterte nicht und das Blau glänzte schimmernd. Dann begann er die Lippen zu bewegen. Sanft und langsam. Doch es kamen keine Töne. Er sang ohne Worte. Diese kleine Person, im Sturm, in eine fremde Welt gezogen und er sang.

    Ich hockte mich vor ihn und beobachtete seine stille Vorführung. Natürlich wusste ich, dass es nicht mir gewidmet war, sondern irgendwelchen Göttern oder vielleicht sogar seiner Familie. Aber welchen Ursprung es auch hatte, es berührte mich.

    Irgendwann stoppte er. Er hob den Kopf und sah mich an. Lächelnd lobte ich ihn. Ich strich über seinen Kopf, wie ich es an diesem Tag schon oft getan hatte. Seine Haare waren fein und weich. Sie nicht zu schneiden, war die richtige Entscheidung gewesen. Es ließ ihn besonders und anders erscheinen. Genauso wie er auch war.

    Mit einer Bewegung des Kopfes deutete ich an, sich wieder ins Bett zu legen. Doch er saß nur unter der Decke und starrte zum Ausgang. Beinah befürchtete ich, er würde weglaufen wollen. Eigentlich hatte ich geplant, im Sitzen irgendwo zu schlafen, doch jetzt entschied ich spontan mein Bett selbst in Anspruch zu nehmen. Ich entledigte mich meiner Schuhe und der überflüssigen Kleidung, bis ich nur noch in meiner wollenen Untertunika dastand und rutschte mit unter die Decke. Angst hatte er keine, das wusste ich. Nicht vor mir.

    Als ich mich legte und mich auf meinen Arm stützte, schien er zu verstehen und ließ sich schließlich auch nieder. Zögerlich rollte er sich zusammen und schloss die Augen.

    „Guter Junge", lächelte ich zufrieden.

    Ich wusste, dass hier in diesem Moment auf diesem Nachtlager Vertrauen wuchs, doch ich war mir nicht sicher, ob ich daran glauben durfte.

    Als ich erwachte, war das Erste, was ich sah, dieses eisige Blau. Er regte sich nicht, als warte er auf Erlaubnis.

    „Guten Morgen, Germania."

    Schnell wandte er den Blick ab. Langsam fragte ich mich, ob er überhaupt sprechen konnte. Bis jetzt hatte ich ihn noch kein Wort sagen hören. Aber unter den Umständen wusste ich, dass ich ihm Zeit lassen sollte.

    Der Regen hatte sich gelegt. Es war noch früh und fast keiner der Männer war schon wach. An solchen Tagen, ohne große Aufträge oder Ziele, streckte sich eine breite Trägheit im Lager aus. Normalerweise brachte ich meine Männer dann immer dazu, mindestens drei Stunden zu trainieren und die Einsatzbereitschaft und gestärkten Fähigkeiten, die dadurch entstanden waren, hatten sich schon oft ausgezahlt. Jedoch konnte ich heute einfach nicht an so etwas denken.

    Ich hatte gut geschlafen und der kleine Körper neben mir hatte die übliche Kälte der Nacht ferngehalten. Jetzt brauchte ich etwas Gutes zu essen und auch Germania musste endlich was auf die Rippen bekommen.

    Die Vorräte wurden normalerweise von einem Verantwortlichen verteilt, aber so früh am Morgen waren gerade erst die Wachposten und ein paar Beschäftigte auf den Beinen. Da ich Gruppenführer war, ging die Selbstbedienung aber in Ordnung. Ich nahm Brot und etwas von dem Obst, welches wir gestern reingebracht hatten. Erst als ich mich runter beugte, um dem Kleinen das Essen in die Hand zu drücken und zwei Stiefel auf dem Boden stehen sah, bemerkte ich, dass wir nicht allein waren.

    „Nevio."

    „Guten Morgen, Romulus."

    Der Kommandant lehnte an einem der hölzernen Stützpfeiler des Zeltes und musterte uns kalt.

    „Was willst du?", fragte ich gereizt.

    Dieser Mann regte mich auf. Sein Gehabe, seine Arroganz und Dummheit.

    „Ich will die Überlegenheit unseres Imperiums erhalten. Und dieser Wilde ist ein Dorn in unserem Fleisch. Er ist schlecht", sagte er verbissen und durchbohrte Germania mit seinem Blick.

    „Diese Kreatur gehört nicht hierher, aber ich schätze, wenn ich dich frage sie mir zu überreichen, bist du einfältig genug, abzulehnen."

    Beschützend zog ich Germania hinter mich.

    „Legat Fabian hat zugestimmt, ihn am Leben zu lassen. Er wird in Rom auf eine Schule gehen und als Römer aufwachsen."

    „Der Legat hat nur zugestimmt, eine Anfrage zu stellen. Noch ist nichts beschlossen."

    Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske aus Abscheu und Wut.

    „Ich hasse Germanen. Sie sind Wilde und unmenschlich. Unsere Aufgabe als Römer ist es, sie alle auszulöschen und unsere weiterentwickelte Lebensart zu verbreiten."

    „Du bist wahnsinnig! Willst du mir drohen?"

    Er war auf uns zugekommen und stand mir jetzt streitlustig gegenüber.

    „Nicht dir", zischte er.

    Meine Faust ballte sich und ich wog die Konsequenzen ab, ihm seine arrogante Nase zu brechen.

    „Rom, bist du hier? Ich habe Neuigkeiten!"

    Aulus kam zur Eingangsplane hereingestürzt.

    „Oh."

    Die Situation war einfach zu deuten. Doch bevor ich handeln konnte, hatte sich Nevio abgewandt und stolzierte aus dem Zelt. Natürlich nicht ohne Germania einen mörderischen Blick zuzuwerfen.

    „Was gibt es?", wand ich mich nach einigen Sekunden, in denen ich um Fassung rang, an den Freund. Die Augen des Legionärs funkelten.

    „Es sind Nachrichten aus der Hauptstadt gekommen. Es gibt Aufstände, eine schwere Krise. Wir gehen vielleicht zurück nach Rom."

    GESCHIEDEN

    WIR gingen nicht zurück nach Rom. Jedenfalls nicht sofort. Es dauerte Wochen, bis wir mehr erfuhren. Die Zeit verging zügig und mit meinem kleinen Schützling umso schneller. Ich verbrachte jeden Moment mit ihm. Allein aus der Gefahr heraus, ihn unbeschützt zu lassen.

    Er schien zu lernen und sich an die Umgebung zu gewöhnen. Sprechen tat er noch immer nicht, doch er verstand mehr und mehr. Es war eine seltsame Entwicklung. Während er mit mir wuchs, schien er den Rest seines Umfeldes komplett zu ignorieren. Er hörte nur auf mich, sah nur mich und ließ sich nur von mir berühren. Es machte mir ein wenig Sorgen, denn für seine Zukunft war es nicht gerade förderlich. Aber im Geheimen war ich stolz. Er war etwas, was nur mir gehörte. Er gehörte nur mir. An Kinder hatte ich in meinen jungen Jahren nie gedacht und bevor ich nicht einen gewissen Rang im Militär hatte, plante ich nicht mal, mir darüber Gedanken zu machen. Aber so ähnlich konnte man das Gefühl wohl erklären.

    Germania schlief weiterhin neben mir und wenn es nicht zu gefährlich war, nahm ich ihn mit auf die Streifzüge und Aufträge. Seit kurzem begann ich ihn auch zu unterrichten. Abends im Zelt unter dem schwachen Schein der Kerze las ich ihm aus Büchern vor oder zeigte ihm, wie man ein Schwert hielt. Mit leichten Waffen war er nicht mal untalentiert.

    Doch am meisten liebte er mein Rhetorikbuch und verlangte mit stummen, bittenden Augen immer wieder, etwas daraus zu hören. Doch er war immer noch ein Kind. Manchmal befürchtete ich, ihm nicht das geben zu können, was er verloren hatte. Eine Mutter, Sicherheit, gleichaltrige Spielgefährten, das Leben eines Kindes. Er schlug sich tapfer in der für ihn neuen Welt. Er ordnete sich so unauffällig und leise in meinen Alltag, dass er schnell Teil meines Lebens wurde und ich mich an ihn gewöhnte. Jedoch behielt ich im Sinn, dass das alles nur vorübergehend war.

    Ausnahmen, bei denen Germania nicht mitkommen konnte und im Lager zurückblieb, waren die Kämpfe. Wir waren ein Außenposten im nördlichen besetzten Germanien und fast schon so gefährdet, wie am Rhein selbst. Stämme, die römische Straßen und Transportzüge überfielen, mussten bestraft werden, von den rebellischen, wilden Kriegern erst gar nicht zu sprechen.

    So kam es, dass mich eines Morgens Aulus Stimme weit vor Sonnenaufgang weckte. Ich wickelte mich aus dem Fell, welches mich und meinen Mitschläfer in der Nacht warm hielt und zog mir eine weitere Wolltunika drunter. Ohne Germania zu wecken, verließ ich mein Zelt und warf Aulus grimmige Blicke zu.

    Der Nebel kroch noch zwischen den Stämmen der Bäume und zog sich mit kühlen Fingern über die gespannten Zeltplanen.

    „Es gab einen Vorfall in diesem kleinen Dorf sechzehn Kilometer östlich von hier. Einer der Soldaten, die dort einen Lebensmittelhandel betrieben haben, soll anscheinend mit der Tochter des Häuptlings eine Nacht zusammengelegen haben. Jetzt ist das ganze Dorf auf Rache aus und hat uns den Tod geschworen. Der Bote hat gesagt, die Horde sei in einer Stunde hier. Der Legat will, dass wir das übernehmen."

    Ich seufzte müde und rieb mir noch einmal über die Augen, um vollkommen wach zu werden. Das klang nach viel Arbeit.

    „Ich hasse es, wenn die das tun."

    Aulus grinste und sah mir erwartungsvoll entgegen. Es war nicht das erste Mal, dass wir aufständische Horden zerschlagen mussten.

    „Wecke den Rest. In zehn Minuten sind alle am Lagerausgang kampfbereit. Und bring mir mein Pferd."

    Aulus nickte und eilte schnell davon.

    Kurz wandte ich meinen Blick noch den grauen Wolken entgegen und wunderte mich, ob es in den nächsten Tagen vielleicht einmal nicht regnen würde. Wenn das Wetter besser ist und kein Auftrag ansteht, hatte ich mir vorgenommen, Germania das Reiten beizubringen. Wahrscheinlich konnte er es eh schon, aber die römische Reitkunst war ein ganz anderes Gebiet, als die der Wilden. Heute sah es jedenfalls nicht so aus, als würde daraus etwas werden. Ich rollte die Schultern, so dass die Gelenke knackten und duckte mich wieder ins Zelt.

    Auf meiner Schlafstelle sah mich ein tief blaues Augenpaar aufmerksam an.

    „Guten Morgen, Kleiner. Würdest du

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