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One for the Rock: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards erster Fall
One for the Rock: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards erster Fall
One for the Rock: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards erster Fall
eBook258 Seiten3 Stunden

One for the Rock: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards erster Fall

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Über dieses E-Book

Ermittler wider Willen – Synards erster Fall in Neufundland
Sebastian Synard hat drei große Leidenschaften: Whiskey, Bücher und seine Heimat Neufundland. Mit seinem kleinen Tourismus­unternehmen "On the Rock(s)" macht er die Hobbys zum Beruf. Die exklusiven Touren über die Insel kommen gut an und er plant bereits für die ­nächste Saison. Doch das kann ihn nicht darauf vorbereiten, was dann passiert: Gleich zu Beginn der ersten Wanderung stürzt ein Teilnehmer von den Klippen in den Tod. Sebastian wird von Inspektor Olson um Hilfe gebeten. Doch ­seine Ermittlungen bleiben nicht unbemerkt und schon bald muss er sich selbst vor einem Mordversuch retten. Und seine Verfolger lassen nicht locker … Dieses Ensemble aus skurrilen Figuren und einem Hund bietet allerbeste Unterhaltung! Der erste Fall für Sebastian Synard
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum2. Aug. 2023
ISBN9783865328533
One for the Rock: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards erster Fall
Autor

Kevin Major

Kevin Major wurde 1949 in Stephenville in Neufundland geboren. Einige seiner Werke wurden verfilmt, fürs Theater bearbeitet und übersetzt. 1992 wurde er mit dem Vicky Metcalf Award ausgezeichnet. Mit seiner Frau und seinem Hund lebt Major in St. John’s, im Osten von Kanada. Mit »One for the Rock« startete er seine Sebastian-Synard-Krimireihe. Nach »Two for the Tablelands« wird als 3. Band »Three for Trinity« erscheinen.

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    Buchvorschau

    One for the Rock - Kevin Major

    1

    SEBASTIAN. SYNARD.

    So ganz leicht geht es nicht von der Zunge. Der Vorname mit einem Hauch Sechzigerjahre, der Nachname … na ja, eine Ex-Freundin meinte, er klinge nach einem altnordischen Wort für Verstopfung. Sie wusste bestimmt mehr über die alten Isländersagas als ich.

    Okay, am Nachnamen lässt sich nichts machen, aber ein Vorname wie Sebastian ist wirklich ein Fehlgriff. Wie soll man den stolzen Besitzer nennen? Seb? Nein. Sebby? Nee, danke. Bastian? Klar doch. Wachs du mal mit einem Namen auf, der wie Bastard klingt.

    Meine Eltern haben mich – wahrscheinlich zur Erinnerung an ihre Hochzeit – nach dem Typen benannt, dessen Musik gespielt wurde, als sie zum Traualtar schritten. Nicht Bach.

    „Do You Believe in Magic?" The Lovin’ Spoonful. John Sebastian. Punkt nach Sebastian.

    Ich will mich nicht länger mit meinen Spitznamen aufhalten. Mit „Sergeant" hat der Name etwas besser geklungen. Sergeant Sebastian Synard. Kein Scheiß.

    Natürlich war ich nie beim Militär oder der Polizei. Aber bei den Air Cadets, einer Organisation, wo junge Leute ein paar nützliche Sachen lernen. Ich war fünfzehn.

    Damals hatte ich einen netten Spitznamen – Sarge – wenn auch nur für kurze Zeit. Er klingt fast nach einer Kurzform für Sebastian.

    Sie war sechzehn und als Warrant Officer zwei Ränge über mir. Auf der Weihnachtsfeier 1980 lernten wir uns näher kennen. Irgendwann im Laufe des Abends nannte ich sie WO (wie „Woah") und sie mich Sarge. Ihr Akzent war reizend. Sie stammte aus der Gegend der Bay. Als ich sie nach Hause begleitete und wir einen Umweg über einen verwahrlosten Baseballplatz machten, legten wir eine kleine Rast auf der Spielerbank ein, wo mir in der Uniform einer abging.

    Erklär den Fleck mal deiner Mutter.

    Von meiner WO habe ich einiges fürs Leben gelernt. Zum Beispiel: Nutze den Augenblick. Das Leben ist sowieso meistens ein Rätsel, was bringt’s also, immer auf Nummer sicher zu gehen? Wenn du auf die Schnauze fällst, ist es halt so. Es mag eine Weile dauern, wieder auf die Beine zu kommen, aber es macht dich zu einem besseren Kerl, Sarge.

    So viel zu mir und meiner Vergangenheit. Ich denke, das reicht erst mal, oder?

    „Dad! Mein zwölfjähriger Sohn Nicholas ist da. Er hat seinen eigenen Schlüssel. „Dad!, ruft er die Treppe hinauf.

    Ich klappe den Laptop zu und stelle ihn weg. Scheiße. Ist schon wieder Freitag?

    „Hey, Kumpel." Ich gehe zu ihm runter und nehme ihn in die Arme. Er ist ein adretter Kerl. Blitzgescheit und richtig witzig, wenn er will.

    Ich halte demonstrativ die Jacke in die Höhe, die er auf seinen Rucksack geworfen hat. Er legt sein iPad mini auf den Beistelltisch, nimmt die Jacke und hängt sie an einen Haken. Warum er das nicht gleich macht, wenn er die Turnschuhe auszieht, muss man nicht verstehen. Ich frage auch nicht mehr.

    „Wie läuft’s in der Schule?" Er ist im ersten Jahr an der Brother Rice, einer Junior Highschool in der Nähe.

    „Wie immer."

    „Stehen irgendwelche Prüfungen an?"

    Kein Kommentar. Er lümmelt schon auf der Couch, ganz in ein viel zu gewalttätiges Spiel vertieft.

    „Wär’s nicht schlauer, dir die Zeit ein bisschen einzuteilen?" Es gibt gewisse Regeln, auf die ich achte. Eine davon betrifft die Zeit für Videospiele. Zwei Stunden pro Tag, nicht mehr. Beide Geräte werden vor dem Schlafengehen bei mir abgegeben. Zu Hause bei seiner Mutter gibt es keine derartigen Vorschriften.

    Er zuckt nur mit den Schultern und zieht die Mundwinkel nach unten.

    „Was machen wir dieses Wochenende?"

    Achselzucken.

    Ich lege die Hand auf den Deckel seines iPads, um es zuzuklappen.

    „Daaad!", protestiert er.

    „Nicholaaas!" Ich nehme ihn in den Schwitzkasten und reibe seinen Kopf mit den Fingerknöcheln.

    Er versteht es als Kampfansage und hämmert mir die Faust in die Magengrube. Ziemlich hart. Mir bleibt die Luft weg, ich muss ihn loslassen. „Scheiße." Vornübergebeugt brauche ich einen Moment, um zu Atem zu kommen.

    „Geschieht dir recht."

    „Scheiße, stöhne ich noch einmal. „Gehst du pumpen? Es ist als Scherz gemeint.

    „Kann man so sagen."

    „Was?"

    „Ins Fitnessstudio gehe ich nicht, aber ich hab mir mit dem Geburtstagsgeld Hanteln und eine Bank gekauft. Beim Bankdrücken schaffe ich schon über dreißig Kilo. Dreimal hintereinander."

    „Dafür bist du noch viel zu jung. In deinem Alter sollte man keine schweren Gewichte heben. Das ist nicht gut, wenn man noch im Wachstum ist."

    Er lacht.

    „Im Ernst. Deine Knochen wachsen noch. Die könnten dadurch geschädigt werden."

    Achselzucken. Eine Geste, die mich extrem nervt.

    „Weiß es deine Mutter?"

    „Klar."

    „Was heißt klar? Weiß sie denn nicht, was das bedeutet?"

    „Was was bedeutet?"

    Ich schnappe mir sein iPad und google „Ab welchem Alter kann man mit Bankdrücken anfangen?" Livestrong.com liefert: Welches Gewicht ist für Dreizehnjährige beim Bankdrücken geeignet?

    „Siehst du?", sagt er triumphierend. „Das heißt, Dreizehnjährige dürfen Bankdrücken."

    Die Antwort auf die Frage erscheint auf dem Bildschirm. „Dann lies mal hier. Schön laut. Er schweigt. „Jetzt lies schon.

    „Beruhig dich, Mann."

    „Hör auf mit dem blöden Achselzucken!"

    Er grinst. „Der Junge sieht aber nicht aus wie dreizehn."

    „Nein, wie zwölf. Jetzt lies schon."

    „Mit dreizehn sollte man noch nicht mit Bankdrücken anfangen …"

    „Lies weiter. Den vierten Satz."

    „Bankdrücken kann das Wachstum schädigen und Knochen, Gelenke und Muskeln verletzen."

    „Würdest du das noch einmal lesen? Laut und deutlich."

    „Nein."

    „Dann tu ich’s." Er hört es noch einmal, Wort für Wort.

    „Livestrong … Hat das nicht Lance Armstrong gegründet?"

    „Was hat das damit zu tun?"

    „Hast du nicht gesagt, er wäre ein verdammter Lügner?"

    Als er im Bett ist, rufe ich seine Mutter an.

    „Samantha."

    „Gibt es ein Problem?"

    „Bist du beschäftigt?" Mit beschäftigt meine ich, mit Frederick beschäftigt. Er ist Cop und lässt es sich anmerken. Mehr will ich gar nicht sagen.

    „Nein."

    „Nicht?"

    „Sebastian, was ist los?", fragt sie ungeduldig.

    „Hast du Nick erlaubt, mit schweren Gewichten zu trainieren?"

    „Es macht ihm Spaß."

    „Darum geht es nicht. Hast du gewusst, dass Jungen erst mit fünfzehn mit Bankdrücken anfangen sollten?"

    „Er ist vorsichtig. Ich vertraue ihm."

    „Mit Vertrauen hat das einen Scheißdreck zu tun", sage ich hitzig.

    Sie legt auf. Wir haben eine Vereinbarung. Ich habe ihr versprochen, nicht zu fluchen, wenn wir telefonieren. Ich wähle ihre Nummer. Sie lässt es fünfmal klingeln.

    „Ja?"

    „Es tut mir leid."

    „Gut."

    Ich beginne erneut. „Was ich sagen wollte: Bankdrücken kann dem Jungen schaden. Durch die Belastung können sich Muskeln und Knochen nicht so gut entwickeln. Das sagen Ärzte, die es wissen müssen, nicht ich."

    „Ist das wahr?"

    Verdammt wahr. Sage ich nicht laut.

    „Ja."

    „Willst du mit ihm reden?"

    „Die Geräte sind in deinem Haus."

    „Er nimmt es wahrscheinlich besser auf, wenn du es ihm sagst. Du weißt schon, von Mann zu Mann."

    Höre ich da Sarkasmus heraus? Es klingt jedenfalls so.

    „Tu mir einen Gefallen, Samantha. Sag deinem Freund, er soll die Sachen einpacken und irgendwo hinbringen, wo der Junge sie nicht jeden Tag sieht."

    Frederick hat die Statur eines Ochsen. Er sollte es hinkriegen.

    „Sebastian."

    „Ja?"

    „Bleib cool, ja?"

    Idiotin.

    Nein, das stimmt jetzt nicht. Ganz im Gegenteil. Sie ist einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne. Nein, sie ist der intelligenteste Mensch, den ich kenne.

    Samantha, die Frau meines Lebens (bis vor drei Jahren), hat einen Doktor in Sekundarstufenpädagogik. Sie ist eine der ersten Frauen in unserer Stadt, die die Leitung einer Highschool übernommen hat. Für ihr Engagement hat sie den Prime Minister’s Award for Teaching Excellence bekommen.

    An der Universität war sie allseits begehrt; ich war der Glückspilz, der mit ihr die Ringe tauschen durfte. Ich musste mich nicht einmal besonders anstrengen. Wir haben uns sehr geliebt, so seltsam es klingen mag, wenn man bedenkt, wie die Ehe den Bach hinuntergegangen ist. Wir haben jahrelang an derselben Highschool unterrichtet. Haben uns ein hübsches Haus gebaut. Ich wurde Leiter der Abteilung für Sozialkunde, sie sogar stellvertretende Direktorin. Wir übersiedelten für zwei Jahre nach Toronto, damit sie am Ontario Institute for Studies in Education ihren Doktor machen konnte. Es dauerte nicht lange, bis Nicholas zur Welt kam. Wir zogen nach St. John’s, wo man ihr die Schulleitung übertrug. Aber dann begann es zu bröckeln.

    Es war ein langsamer, aber scheinbar unaufhaltsamer Niedergang. Als wir so ziemlich am Tiefpunkt angelangt waren, meinte sie einmal, ich könne es nicht ertragen, immer noch im Lehrerzimmer zu sitzen, während sie als Direktorin ihr eigenes Büro hatte. Wir versuchten, unsere Unstimmigkeiten nicht vor Nicholas auszutragen. Aber er hat bestimmt gespürt, was los war. Wie gesagt, er ist ein schlaues Kerlchen.

    Dann passierte es. Ich rastete aus, als ein Schüler sich wieder einmal wie das letzte Arschloch benahm. Ich packte ihn am Kragen, zog ihn vom Stuhl hoch und warf ihn aus dem Klassenzimmer. Er krachte gegen einen Spind. Früher konnte man so etwas noch machen und kam damit durch, doch die Zeiten waren lange vorbei. Für Samantha war es furchtbar peinlich, als ich mich vor einem Disziplinarausschuss des Schulamtes verantworten musste.

    Das war im April. Zum Ende des Schuljahres schmiss ich den Job. Ich hätte auch eine stressbedingte Auszeit nehmen können. Tat ich aber nicht. Ich ging für immer, zehn Jahre vor dem Pensionsanspruch. Nun werde ich im Ruhestand wohl deutlich kleinere Brötchen backen müssen. Meine Jobaussichten sind nicht überwältigend, schon gar nicht auf eine so gut bezahlte Stelle wie zuvor an der Schule.

    Samantha war, gelinde gesagt, nicht begeistert. In jenem Sommer vor zwei Jahren machte ich mir Gedanken über meine Möglichkeiten und Samantha über ihre. Am Himmel zogen immer dunklere Wolken auf. Während sie im September das neue Schuljahr in Angriff nahm, saß ich zu Hause, las, trank Scotch und ließ mich hängen.

    Dann starb mein Vater plötzlich an einem Herzinfarkt. Nach dem Tod meiner Mutter drei Jahre zuvor war Dad im Haus der Familie in Gander geblieben, was wahrscheinlich ein Fehler gewesen war.

    Das Haus wurde verkauft, Investments wurden zu Geld gemacht, Bankkonten aufgelöst und alles durch zwei geteilt. Der alte Herr hatte schon immer ein Händchen für Geld gehabt und ohne unser Wissen die Dienste eines schlauen Finanzberaters in Anspruch genommen. Alles in allem fielen mehrere Hunderttausend für mich ab. Genug, fand Samantha, dass ich auch ohne Job gut allein zurechtkommen würde.

    Und so verabschiedete ich mich mit einem gequälten Lächeln aus dem gemeinsamen Heim und kaufte ein nettes kleines Haus in der Military Road, wo ich allein lebe, wenn Nicholas nicht gerade bei mir ist.

    Ich arbeite wieder. Saisonal. Das heißt, in der Tourismussaison. Ich lebe von dem Wissen über Neufundland, das ich mir als Lehrer angeeignet habe. Mache Führungen für kleine Gruppen rund um die sehenswerte Hauptstadt der Insel. Ein bisschen Geschichte, Geografie und Kultur, dazu gutes einheimisches Essen und Trinken.

    Ich nenne das Projekt On the Rock(s). Trifft es doch recht gut, n’est-ce pas? Exotisch, aber rau und ungeschliffen. Männlich, aber nicht ohne verführerische Note. Man muss wissen, dass die Insel Neufundland ein raues Land ist und nicht umsonst den Beinamen The Rock trägt. Zusammen mit der hintergründigen Anspielung auf Spirituosen – obwohl ich selbst meinen Scotch ohne Eis bevorzuge – hat das Ganze, so hoffe ich, einen gewissen Reiz.

    Nächste Woche beginnt die neue Saison. Dreieinhalb intensive Tage. Sechs Personen haben sich angemeldet. Sechs ist mein Limit; so hat es den Charme des Exklusiven, finde ich. Fünfzehnhundert Dollar pro Person, alles inklusive bis auf die Reisekosten. Bevor ich Samantha anrief, war ich mit dem Planen der letzten Details beschäftigt gewesen. Und jetzt mache ich weiter, bis mir die Augen zufallen.

    Auf dem Weg zum Schlafzimmer und meinem Laptop spähe ich noch einmal in das Zimmer, das Nicholas bei seinen Besuchen in Beschlag nimmt. Die Nachttischlampe ist noch an. Nicholas schläft tief und fest, eine Zeitschrift auf der nackten Brust. Die bald muskelbepackt sein wird. Oder eben nicht, wenn es nach mir geht.

    Vorsichtig nehme ich ihm die Zeitschrift aus der Hand. Was ist das denn? Der Hundefreund. Ich bin froh, dass er überhaupt liest. Egal, was.

    Ich lege das Heft auf den Nachttisch und decke ihn zu.

    Dann betrachte ich ihn und spüre die väterliche Liebe bis tief ins Innere. Ich küsse ihn auf die Wange, er rührt sich nicht, ich stehe noch einen Augenblick da und sehe ihn an, dann schalte ich das Licht aus und schleiche mich aus dem Zimmer.

    2

    Ich hatte große Zweifel, ob On the Rock(s) funktionieren würde. Um meine Bedenken aus dem Weg zu schaffen, ging ich mit schweißnassen Händen zum zuständigen Amt für Innovation, Wirtschaft und ländliche Entwicklung. Dort versicherte man mir, ich sei geeignet und schickte mich zur Beratungsstelle für Kleinunternehmer, wo ich auf eine Dame traf, die großartig aussah in ihrer weißen Seidenbluse mit U-Ausschnitt und der weiten schwarzen Jacke. Meine Idee fand sie gut. Ein vielversprechender Anfang.

    Seien wir mal ehrlich. Ich hatte null Erfahrung als Unternehmer – aber das Wort klang verdammt gut. Ich war achtundvierzig, also ein bisschen spät dran, um etwas völlig Neues anzufangen. Mein Selbstvertrauen war ziemlich am Boden, nachdem meine berufliche Laufbahn und meine Ehe den Bach hinuntergegangen waren. Zudem war ich sexuell unterernährt. Und die für Kleinunternehmer zuständige Dame wickelte mich gehörig um den Finger, ohne sich von ihrem Ehering bremsen zu lassen.

    „Wären Sie interessiert an einem sechswöchigen Kurs?"

    „An was hätten Sie denn da gedacht?"

    „Da geht es um die Herausforderungen, vor denen man steht, wenn man sich selbstständig macht."

    „Klar. Leiten Sie den Kurs?"

    „Leider nicht. Das macht eine andere Abteilung."

    „Schade." Sicher keine plumpe Anmache, aber mein treuherziger Hundeblick dürfte mich verraten haben.

    „Soll ich Sie für den Kurs eintragen?"

    „Unbedingt."

    Ich stand auf und ging. Warum das Unvermeidliche hinauszögern, wo ich doch wusste, dass ich sie wahrscheinlich nie wiedersehen würde.

    Trotzdem hat sie mir sehr geholfen. Mein Selbstvertrauen aufgepäppelt. Nach den sechs Wochen, in denen ich einen Businessplan erarbeitete, das dafür nötige Geld veranschlagte und Inserate aufsetzte, war ich bereit, loszulegen.

    Meine erste Saison im letzten Herbst verlief ein bisschen holprig, aber ich konnte mit den Einnahmen immerhin alle Kosten decken. Ich sammelte wertvolle Erfahrung, passte meinen Businessplan hier und dort an (sprich, ich schraubte das Niveau beim Essen ein klein wenig herunter und strich den Geschenkkorb mit dem Fläschchen Scotch). Es war ein ermutigender Anfang und ich freue mich auf meine zweite Saison.

    Diesen Samstagmorgen bin ich mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt. Ich sitze im Bett, den Laptop auf einem Kissen vor mir. Café con leche auf dem Nachttisch neben mir. Eine Leckerei, in die ich mich während eines Aufenthalts in Barcelona vor einigen Jahren verliebt habe, genauso wie in Gaudí. Der Mann hatte vielleicht Mumm, eine solche Kirche zu bauen.

    Auf dem Bildschirm habe ich die Liste meiner sechs Teilnehmer. Vier Frauen und zwei Männer, darunter ein Ehepaar. In meiner Datei sind sie unter folgenden Angaben aufgelistet: Name, Wohnort, Alter, Lebensmittelallergien, eventuelle Mobilitätseinschränkungen.

    Aiden McVickers, London, Ontario, 67, „esse alles, „hatte vor sechs Monaten eine Hüftoperation, aber keine Probleme.

    Maude McVickers, London, Ontario, 69, „keine Allergien, bevorzuge einfache Küche, „marschiere täglich vier Kilometer.

    Lois Ann Miller, Red Deer, Alberta, 50+, „keine Allergien, soweit ich weiß, „habe kürzlich den Kilimandscharo bestiegen.

    Lula Jones, Jonesborough, Tennessee, 81, „wenn möglich salzreduzierte Kost, „habe einen Gehstock dabei, damit die Versicherung keine Probleme macht.

    Renée Sipp, Riquewihr, Frankreich, 46, „allergisch nur gegen schlechten Wein, „kein Mobiltelefon, brauche auch keins.

    Graham Lester, Toronto, Ontario, 75, „nichts, „nein.

    Fotos habe ich keine, die Namen gegoogelt aber schon und sie zusammen mit den Wohnorten eingegeben. Ohne Ergebnis, bis auf das Bild eines Kletterteams auf dem Gipfel des Kilimandscharo, dem eine Lois Miller angehört. Falls es Lois Ann sein sollte, sieht sie ziemlich fertig aus.

    Es scheint mir ein recht ambitioniertes Grüppchen zu sein, das sich da zusammengefunden hat. Motiviert und auch einigermaßen fit. Es ist schon das zweite Mal, dass ich jemanden aus London, Ontario, mit an Bord habe. Vielleicht Mundpropaganda. Oder die Londoner haben ein besonderes Faible für reizvolle Landschaften. Und dann diese Lula aus Tennessee. Ich kenne die Sorte nur zu gut: einundachtzig und wettergegerbt, aber unverwüstlich und von nichts unterzukriegen. Und Renée aus Riquewihr. Klingt deutsch für mich. Und vielversprechend. Ich mag Frauen ohne Handy. Zu guter Letzt Graham aus Toronto, ein völlig unbeschriebenes Blatt.

    Okay, das Abenteuer kann beginnen.

    „Dad, bist du wach?"

    „Hey, Kumpel, was gibt’s?"

    „Wie spät ist es?"

    „Haut vor Knochen."

    Er schaut mich verständnislos an.

    „Das hat mein Dad immer gesagt, als ich ein Junge war. Das scheint Nick auch nicht weiterzuhelfen. „Er hat nie eine Armbanduhr getragen, also hat er auf sein Handgelenk geschaut und gesagt …

    „Haut vor Knochen." Nick schüttelt den Kopf und grinst.

    „Es ist kurz vor neun." Ich klopfe auf die andere Seite des Bettes, um ihn einzuladen, mir Gesellschaft zu leisten.

    „Ich muss mal dringend pissen."

    „Ich mag es nicht, wenn du das sagst."

    „Wieso?"

    „Es klingt irgendwie … nicht so passend."

    „Was soll ich dann sagen?"

    „Wie wär’s mit ‚ich muss mal pieseln‘? Oder ‚ich muss mal für große Jungs‘? Weißt du, was mein Großvater gesagt hat?"

    „Was?"

    „Ein Wässerchen lassen. Junger Mann, hat er gesagt, vergiss nicht, ein Wässerchen zu lassen, bevor du ins Bett gehst."

    Nicholas lacht den ganzen Weg zur Toilette.

    Während er draußen ist, stelle ich ihm ein Glas Orangensaft auf den Nachttisch.

    „Danke, Dad", sagt

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