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Two for the Tablelands: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards zweiter Fall
Two for the Tablelands: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards zweiter Fall
Two for the Tablelands: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards zweiter Fall
eBook276 Seiten3 Stunden

Two for the Tablelands: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards zweiter Fall

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Über dieses E-Book

Crime in Canada - Synards zweiter Fall in Neufundland.
Vom puren Naturerlebnis in ein mörderisches Abenteuer stolpern – typisch für Synard, diesen lässigen, aber nie nachlässigen Ermittler.
In den neufundländischen Tablelands gibt es viel zu sehen: malerische Natur, jahrtausendealte Gesteinsschichten und – eine Leiche. Schnell wird klar, dass es sich bei dem toten Studenten um ein Mordopfer handelt. So stürzt Sebastian Synard, mittlerweile zugelassener Privatdetektiv, in seinen nächsten Fall. Doch er ist nicht der Einzige, der an der Aufklärung interessiert ist: Die Tante des Opfers kommt mitsamt heißer Spur aus Mexiko angereist. Sie besteht darauf, dass der Stiefvater der Täter sein muss. Mit Entschlossenheit und luftiger Kleidung im Gepäck nimmt Synard den nächsten Flieger vom windzerzausten Neufundland ins warme Mexiko. Doch was ihn dort erwartet, bringt ihn einmal mehr in große Gefahr.
»Major motiviert Leser*innen in seinem amüsanten Krimi zum Mitraten – und selbst wenn man dem Täter auf die Schliche gekommen ist, dann lassen einen die guten Dialoge und interessanten Charaktere mit Freuden weiterlesen.« Bookcase | Jean Craham
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum21. Feb. 2024
ISBN9783865328779
Two for the Tablelands: Neufundland-Krimi, Sebastian Synards zweiter Fall
Autor

Kevin Major

Kevin Major wurde 1949 in Stephenville  auf Neufundland geboren. Einige seiner Werke wurden verfilmt, fürs Theater ­bearbeitet und übersetzt. 1992 wurde er mit dem Vicky Metcalf Award ausgezeichnet. Mit seiner Frau und seinem Hund lebt Major in St. John’s, im Osten von Kanada. 2020 erschien bereits sein Roman „Caribou“ bei Pendragon.

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    Buchvorschau

    Two for the Tablelands - Kevin Major

    1

    Meine Höhenangst hat sich dramatisch verschlimmert.

    Das hat vor allem damit zu tun, dass ich letztes Jahr einen dreißig Meter tiefen, felsigen Abhang hinuntergestürzt bin. Seitdem spielen sich verrückte Dinge in meinem Kopf ab, wenn ich aus großer Höhe hinunterschaue. Im Kopf und in den Eingeweiden. Von hohen Felsklippen halte ich mich lieber fern. Was in Neufundland gar nicht so einfach ist.

    Nicholas, mein dreizehnjähriger Sohn, scheint dieses Gen nicht geerbt zu haben und kommt diesbezüglich mehr nach seiner Mutter. Als Samantha noch meine Frau war, hat sie mich ständig an irgendwelche Abgründe geführt. Aber ich schweife ab.

    Es hat seinen Grund, dass ich an diesem Thanksgiving-Wochenende den Gros Morne besteige, den zweithöchsten Berg Neufundlands. Obwohl Berg vielleicht ein bisschen übertrieben ist; es handelt sich eher um einen 800 Meter hohen, kahlen Hügel inmitten des Gros Morne Nationalparks. Trotzdem ist er auf seine Weise spektakulär.

    Nicholas ist beeindruckt, was bei einem Dreizehnjährigen erfahrungsgemäß nicht leicht ist. Es liegt gewissermaßen in den Hormonen, die Welt betont cool zu betrachten. Als ehemaliger Lehrer weiß ich, wovon ich rede. Die achte Klasse, die Nick erst kürzlich hinter sich gebracht hat – so weit unbeschadet, obwohl das endgültige Urteil noch aussteht –, gilt in der Lehrerschaft allgemein als „verlorenes Jahr". Die Pubertät setzt ein und sorgt dafür, dass bislang unauffällige Schüler ein höchst seltsames Verhalten an den Tag legen. Nach ein paar Monaten in der neunten Klasse sind die jungen Leute in der Regel wieder in der Lage, sich wie normale Menschen zu benehmen.

    „Macht Spaß, findet Nicholas, als wir den geröllbedeckten Hang emporsteigen, dessen Quarzitbrocken einst von Gletschern zurückgelassen wurden. „Spaß ist ein so allgemeiner Begriff, der alles und nichts bedeuten kann. Ich rede lieber von einem „interessanten Erlebnis". Anstrengend, aber interessant.

    Der fünfzigjährige Vater will sich nicht anmerken lassen, dass er der Aufgabe möglicherweise nicht ganz gewachsen ist. „Klar", presse ich schwer atmend hervor. Zum Glück ist der Sohnemann – leichtfüßig wie eine Gämse – ein paar Schritte voraus, sodass er mein Keuchen nicht mitbekommt.

    Wir sind bereits vier Kilometer durch Wälder und Wiesen gewandert, um zum Fuß des Hügels zu gelangen. Als wir den steinigen Aufstieg in Angriff nehmen, wird der Wind stärker, was uns wenigstens die Fliegen vom Leib hält und so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu meinem Wohlbefinden leistet. Wie schön wird es erst sein, wenn wir ganz oben sind.

    Die anderthalb Stunden bis dahin sind allerdings hart. Kaum glaubt man, das Ärgste hinter sich zu haben, ragt der nächste geröllbedeckte Hang vor einem auf. Der Wind ist nicht mehr nur für die Fliegen unangenehm; je höher wir steigen, umso beißender und kälter fühlt er sich an. Es ist überhaupt merklich kühler geworden. Die tief hängenden Wolken deuten auf Regen hin. Die letzten Meter bis zum Gipfel werden wir im Nebel zurücklegen müssen.

    Endlich erreichen wir unser Ziel, wie uns das Schild in zwei Sprachen bestätigt: Gros Morne Summit 806m/Sommet Gros-Morne 806 m. Die Tatsache, dass der Berg für Englisch- und Französischsprechende gleich hoch ist, freut den müden Wanderer.

    „Können Sie ein bisschen näher herankommen?", bitte ich den erstaunlich rüstigen Senior, der angeboten hat, die beiden Bergbezwinger mit meinem iPhone zu knipsen. Wir wollen ja, dass das Schild trotz des Nebels gut zu sehen ist.

    Es folgt das unvermeidliche Grinseselfie, und danach, ebenso unvermeidlich: „Okay, jetzt wird gegessen."

    Es ist bereits erstaunlich, was ein männlicher Teenager verdrücken kann, wenn er auf der Couch sitzt und fernsieht – aber das ist nichts im Vergleich zu jetzt. Bisher haben wir uns mit Wasser und Studentenfutter begnügt. Doch nun macht Nick ernst. „Ich brauch was zwischen die Zähne", macht er unmissverständlich klar.

    Zum Glück haben unsere beiden Rucksäcke zusammen das Fassungsvermögen eines mittleren Kühlschranks. Nick hat alles, was der Magen begehrt: Würstchen, Sandwiches, hart gekochte Eier, Obst, Käse, Kräcker, Hummus, Trockenfleisch, Sellerie (schlauerweise mit Erdnussbutter gefüllt), Muffins, Kekse, Gatorade.

    Das Leben ist wunderbar – umso mehr, wenn etwas Bemerkenswertes geschieht. Auch wenn es etwas sein mag, mit dem man in Neufundland immer rechnen muss. Die Rede ist vom Wetter, das sich hier auf unserer Insel erstaunlich schnell ändern kann. Der Nebel lichtet sich und die Sonne kämpft sich zwischen den Wolken hindurch. Ein prächtiges Bild entfaltet sich vor unseren Augen. Die wunderbare Aussicht auf den Gros Morne Nationalpark.

    Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, diesen Moment mit meinem Sohn teilen zu können. Wir sitzen da und genießen das großartige Panorama des Ten Mile Pond. Ein lang gezogener, in der Sonne glitzernder See, eingebettet in grüne Wälder und steile Felshänge.

    „Das sind die Long Range Mountains, die nordöstliche Fortsetzung der Appalachen. Diese Felsen, die du da siehst, das ist Granit und Gneis."

    „Echt cool."

    „Der Gneis?"

    „Der auch. Nein, ich meine, dass du den Reiseführer auswendig gelernt hast. Cool, weiter so."

    Immerhin vergehen zwei Minuten, ehe er dem Drang nachgibt, herauszufinden, ob er hier oben Handyempfang hat.

    „Tyler, rat mal, wo ich gerade bin. Pause. „Nee, nichts Schweinisches.

    Gut, dass ich nicht alles höre.

    „Nein, auf dem Gros Morne. Pause. Gelächter. „Ich rede von dem Berg, Mann.

    Wovon sonst?

    „Ja, wirklich. Mit meinem Dad. Ich weiß. Ganz nett."

    Ganz nett ist okay.

    „Das hättest du wohl gern. Okay, ich muss los. Pause. „Mach ich.

    Von nun an geht es nur noch bergab. Im wahrsten Sinn des Wortes. Der Abstieg auf der Rückseite des Berges und die Wanderung zurück zum Ausgangspunkt will kein Ende nehmen. Als wir nach über vier Stunden endlich den Parkplatz erreichen, ist unser Proviant aufgebraucht (als Letztes wurden die Selleriestangen vernichtet), aber Nick ist immer noch recht gut drauf. Hungrig, aber nicht quengelig. Ich nehme das als Zeichen, dass er kein Kind mehr ist, sondern auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

    „Yes! Geschafft!" High Five.

    „Wir haben das Ding gerockt! Noch mal Abklatschen. „Ich brauch was …

    Ich weiß. „… zwischen die Zähne."

    „Du sagst es."

    Das heißt, ich muss das Versprechen einlösen, das ich ihm auf halbem Weg den Berg hinunter gegeben habe. Wir werden uns heute nicht in der Küche betätigen, sondern zur Feier des Tages im Old Loft Restaurant in Woody Point essen.

    Ich habe Nick dazu animiert, sich über Brathähnchen, Tacos und Pizza hinauszuwagen und seinen kulinarischen Horizont zu erweitern, auch wenn man dafür ein bisschen tiefer in die Tasche greifen muss. Wir haben es uns angewöhnt, an den Wochenenden, die er bei mir verbringt, zusammen zu kochen – nach Anweisungen aus irgendeinem Kochbuch oder aus dem Internet. Gemeinsam kochen schweißt zusammen.

    Letzte Weihnacht habe ich ihm ein Kochbuch geschenkt. Im Ernst. Es war nicht das einzige Geschenk, aber ich dachte mir, das ist ein gutes Signal. Ein paar Tage später kommt er zu mir mit dem Buch in der Sporttasche, aus dem ein Stück Toilettenpapier ragt, mit dem er ein Rezept markiert hat, das er ausprobieren will. Ich bin begeistert, und statt am Silvesterabend eine Party zu besuchen und um Mitternacht vielleicht irgendeine Frau zu küssen, die meine Fantasie befeuert, bleibe ich zu Hause und koche mit Nick etwas, das sich „Double Whammy Toad in the Hole" nennt – ein traditionelles britisches Gericht aus Würstchen, die in Pfannkuchenteig gebacken werden. Das Rezept ist von Jamie Oliver, dessen Kochbücher ich mag. Weniger begeistert bin ich von seinen Küchenmessern, vor allem, seit man mich mit einem solchen Messer bedroht hat. Ich vermute, dass Nick das Rezept ausgesucht hat, weil es ein bisschen vulgär klingt und sich unter den Zutaten auch eine Dose Bier befindet.

    Aber für mich ist wichtig, dass er mit Begeisterung bei der Sache ist, und tatsächlich schmeckt unsere „Kröte im Loch" ganz ordentlich. Während des Essens sehen wir uns im Fernsehen an, wie auf dem New York Times Square die bunte Kristallkugel an einem Fahnenmast herabgesenkt wird.

    Unser Gericht schmeckt auch meinem Hund Gaffer, der immer schon eine Vorliebe für Würstchen hatte. Außerdem schätzt er Eier aus Freilandhaltung und einen gelegentlichen Schluck Bier. Da er das übliche Trockenfutter verschmäht hat, seit Nick und ich ihn aus dem Tierheim geholt haben, muss er sich an dem Abend wie im siebten Hundehimmel gefühlt haben. Es war bestimmt einer seiner denkwürdigsten Jahreswechsel.

    Im Old Loft Restaurant gibt es traditionelle neufundländische Küche. Ich entscheide mich für Elchfleisch-Pastete mit Salat, mein junger Reisebegleiter wählt Fischfrikadellen, gebratene Bohnen und frisch gebackenes Brot. Das Ganze runden wir mit Eiscreme und einem ordentlichen Stück Rebhuhnbeerenkuchen ab, der sich in Kanada großer Beliebtheit erfreut. Gutes Essen ist uns beiden wichtig.

    „Das wäre was für Gaffer", meint Nick wehmütig zwischen zwei Bissen.

    Er vermisst seinen vierbeinigen Freund genauso wie ich. Aber dem Hund geht es gut; mein Freund Jeremy hat ihn zu sich genommen, bis wir zurück sind.

    Nick knipst ein Foto von seinem Teller und schickt es Jeremy, mit einer kurzen Nachricht für Gaffer. „Ich würde dir gern eine Portion abgeben."

    Er lässt das Foto auch seinem Freund Tyler zukommen. Zehn Sekunden später kommt die Antwort. „Tyler findet es ekelig, sagt Nick. „Typisch Tyler. Für ihn gibt es nur Burger und Pommes. Schlimm.

    Ich bin stolz auf den Jungen. Zur Belohnung nehmen wir beim Hinausgehen noch einen Leib von dem selbst gebackenen Brot und der hauseigenen Moltebeerenmarmelade mit, für unser Frühstück morgen.

    Wir fahren weiter zu der Hütte, die wir für drei Tage gemietet haben. Bislang ist es ein denkwürdiger Vater-Sohn-Ausflug.

    Für den nächsten Tag haben wir uns eine Wanderung zu den Green Gardens vorgenommen, einem weiteren Juwel des Nationalparks. Es gibt zwei mögliche Wege. Da wir heute einen extrem warmen Herbsttag haben – in Neufundland bedeutet extrem, dass es auf 20 Grad zugeht – entscheiden wir uns für die kürzere Route: neun Kilometer hin und zurück. Ich habe mich immer noch nicht ganz von unserer Wanderung auf den Gros Morne erholt und letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. Im Traum bin ich endlos geklettert, ohne den Gipfel zu erreichen.

    Die Broschüre verspricht uns eine Wanderung durch „eine kahle, von orangebraunem Peridodit-Gestein geprägte Landschaft".

    „Lesen kann ich selber. Er lacht. „Der war gut, Nicholas. Er klopft sich selbst auf die Schulter, wie Teenager es gern machen. Vielleicht, um sein Ego zu streicheln, wahrscheinlich aber eher, weil der Junge einfach Humor hat. Ganz der Papa eben.

    Ja, wir haben Spaß. Auch nach einer Stunde wandern wir noch. Der Weg verläuft fast nur bergab durch dichten Nadelwald – Schwarzfichte, Balsamtanne und Lärche, dazwischen aber auch Birke und Erle und jede Menge Farn und Moos. Ein guter Boden für Wildtiere. Wir hoffen, einen Elch oder ein Rentier zu treffen, wären aber auch mit einem Fuchs oder einem Nerz zufrieden. Eichhörnchen und Spitzmäuse zählen nicht.

    Und tatsächlich läuft uns ein prächtiger Rotfuchs über den Weg. Als er uns sieht, ergreift er zu meiner Überraschung nicht direkt die Flucht, sondern lässt sich ein paar Sekunden bewundern. Nick holt sein Handy hervor, um ein Foto zu schießen, aber ich signalisiere ihm, es nicht zu tun. Er zuckt mit den Schultern. Ganz still stehen wir da und beobachten den Fuchs, der uns neugierig betrachtet, ehe er im Unterholz verschwindet.

    „Das wäre ein tolles Foto geworden."

    „Aber so war es noch besser. Nur Mensch und Fuchs. Auge in Auge."

    „Wenn du es sagst."

    „Das Leben ist nicht dazu da, es durch eine Kamera zu beobachten. Das ist wie eine Barriere zwischen dir und der Welt. Nimm den Augenblick, wie er sich bietet." Meine Weisheit des Tages.

    „Ookay." Er klingt nicht überzeugt. Aber er ist ja auch in einem Alter, wo einen kaum etwas überzeugt. Er widerspricht mir zumindest nicht. Das ist immerhin etwas.

    Wir lassen den Wald hinter uns und gelangen zu einer saftig grünen Wiese auf dem Hügel. Hier und dort grasen Schafe, die wahrscheinlich aus der umliegenden Gegend stammen und seit Sommerbeginn hier oben sind. Ein Tier ganz in der Nähe blickt kurz auf, beäugt die beiden Wanderer, dann senkt es den Kopf zurück ins Gras und kaut friedlich weiter.

    „Er war eh nicht besonders fotogen", meint Nick und verbeißt sich das Grinsen.

    Klugscheißer. Ich knuffe ihn mit der Faust in den Arm.

    Nick streift seinen Rucksack ab und geht in Kung-Fu-Position wie ein erfahrener Kampfsportler, dabei hat er höchstens ein paar Filme gesehen.

    „Na los, komm her, wenn du dich traust. Dann werden wir sehen, was du draufhast!" Er lässt ein paar Kampflaute und Karategesten folgen.

    Mit einem breiten Grinsen nehme ich meinerseits den Rucksack ab und hebe ganz ruhig die Hände.

    „Dann wollen wir mal sehen, ob hinter der Wampe auch ein paar Muckis sind!"

    „Dünnes Eis, Nicky-Boy. Sehr dünnes Eis."

    Mit einem Blitzmanöver liegt er im Gras. Er ist extrem kitzlig; jetzt lasse ich ihn für seine respektlose Bemerkung bezahlen.

    „Na, wie war das noch mal mit der Wampe?"

    „Hey, ich hab nix gesagt über … deinen Wanst."

    Noch einmal bohre ich ihm die Finger zwischen die Rippen und er prustet vor Lachen, bevor wir weitergehen.

    Über ein paar Stufen gelangen wir zum Strand hinunter. Direkt davor ragen mehrere Brandungspfeiler in die Höhe – bizarre Felsentürme, wie er sie noch nie gesehen hat.

    „Jetzt wirst du mir sicher gleich von den alten Zeiten erzählen, in denen du auf diesen Felsen rumgeturnt bist, oder?"

    „Okay, Torfnase …"

    „Du nennst deinen eigenen Sohn ‚Torfnase‘? Was bist du für ein Vater?"

    „Einer, der gleich ins Wasser springt – im Gegensatz zu dir, Torfnase."

    Ich streife den Rucksack ab und ziehe die Wanderschuhe aus.

    „Das Wasser ist arschkalt. Du bist verrückt."

    „Und du bist ein feiges Huhn."

    Der Wettlauf beginnt. Am Ende planschen wir beide im eisigen Atlantik.

    „Da frierst du dir glatt den Arsch ab", stöhne ich.

    „Obwohl … es ist ja wissenschaftlich erwiesen, dass eine Wampe ein guter Kälteschutz ist."

    Nicholas ist ein guter Junge. Manchmal ein bisschen vorlaut, aber damit kann ich leben. Hauptsache, er wächst mit dem Wissen auf, dass sein Vater immer für ihn da ist, trotz der Differenzen, die ich mit seiner Mutter hatte. Die Ehe ist in die Brüche gegangen und jeder Versuch, sie unserem Sohn zuliebe am Leben zu erhalten, hätte endlosen Streit zur Folge gehabt. Wer will seinem Kind das antun? Wir teilen uns das Sorgerecht. Es ist kein idealer Zustand, aber eine brauchbare Basis. Das Leben geht weiter. Wir machen das Beste daraus. Und im Moment friere ich mir den Arsch ab, um ihm irgendwie klarzumachen, dass ich für ihn bis ans Ende der Welt gehen würde.

    Genau dort befinden wir uns an unserem letzten Tag im Gros Morne Nationalpark. In diesem Fall muss man gar nicht so weit gehen, aber wenn man durch die Tablelands wandert, ist man zwangsläufig mit dem Ende der Welt konfrontiert.

    Wir sind hier an einem der wenigen Orte auf dem Planeten, wo das tiefer liegende Gestein des Erdmantels die Oberfläche durchbrochen hat. Eine 500 Millionen Jahre alte geologische Sensation. Heute präsentieren sich die Tablelands als karge, ockergelbe Landschaft aus Hochflächen, Hügeln und Tälern, in denen nur wenig wächst. Ein wüstenähnliches Bild, doch in höheren Lagen kann man selbst nach dem Sommer noch vereinzelte schneebedeckte Flecken finden.

    „Ziemlich tote Hose hier."

    Ich erwarte ein bisschen mehr von meinem Sohn. Er lebt in Neufundland und findet Steine und Felsen langweilig? Wenn man hier geboren wird, sollte man die Besonderheiten der Gegend zu schätzen wissen. „Was du ‚tote Hose‘ nennst, ist für Geologen ein einzigartiges Naturphänomen."

    „Hör mal, Tyler, gibt er sofort weiter, „wir sind hier in einer Gegend, die heißt Tablelands … einzigartig, sag ich dir.

    Schon wieder das verdammte Handy. Ich atme tief durch. Cool bleiben, Sebastian.

    „Hier liegt sogar Schnee. Ja, wir klettern da hoch."

    Wird jetzt jeder Schritt kommentiert, während wir den Berg hochsteigen? Ich verstehe das nicht. Warum muss man alles in Echtzeit mit anderen teilen?

    „Nick, Kumpel, steck doch mal das Handy weg. Gönn ihm auch mal eine Pause."

    Ich sehe, dass es ihm widerstrebt, aber schließlich steckt er es doch weg. Auch das nehme ich als gutes Zeichen.

    Die Broschüre von Parks Canada ist zwar Steinzeit-Technologie, dafür aber federleicht und sehr informativ. Sie verrät uns, dass die beste Route zum höchsten Punkt der Tablelands am linken Ufer des Wallace Brook beginnt, an der Stelle, wo der Bach den Weg kreuzt. Der Weg ist nicht beschildert und sieht ziemlich unbetreten aus. Jedenfalls sind wir in diesem Moment die Einzigen, die hier losmarschieren. Die Wanderung führt uns über bräunlich verwittertes Peridotitgestein – äußerlich unscheinbar, und doch ein geologisches Wunderwerk.

    Der Erdmantel wurde einst durch den Zusammenstoß von zwei Kontinentalplatten an die Oberfläche gehoben. Die Tablelands sind somit der lebende Beweis für die Richtigkeit der Theorie der Plattentektonik. Wobei „lebend" vielleicht übertrieben ist, da das Einzige, was hier lebt, vereinzelte Pflanzen und Büsche in tieferen Lagen sind, die den unwirtlichen Wetterbedingungen trotzen.

    „Zähe kleine Kämpfer" nenne ich diese Pflanzen. Nick pflichtet mir bei. Ich überlege kurz, ein paar der seltenen Blümchen zu knipsen, doch es wäre keine gute Idee, jetzt das Handy zu zücken.

    Nick kann meine Gedanken lesen; er weiß genau, wie interessant ich Pflanzen finde, und grinst süffisant.

    Den Triumph gönne ich ihm nicht. „Im Augenblick leben", sage ich mit einem noch breiteren Grinsen.

    Einen Kilometer weiter gelangen wir zu einem Punkt namens Lower Bowl, wo der Weg durch dichtes Geröll führt, das Nick wie ein junger Ziegenbock überspringt. Diesmal ist der Anstieg jedoch etwas seniorenfreundlicher, sodass ich einigermaßen mit ihm Schritt halten kann. Einigermaßen.

    Nahe dem Rand der Bowl wartet er auf mich am Ufer des Bachs, dessen Lauf wir gefolgt sind. Er nutzt die Pause für einen Snack, ohne zum Handy zu greifen. Ich gebe mich keinen Illusionen hin; vielleicht hat er noch ein paar Nachrichten abgeschickt, als ich es nicht sehen konnte.

    Hier oben herrscht Pulloverwetter; man sieht noch vereinzelte Schneeflecken in der Landschaft. Trotzdem hat der Bach etwas Verlockendes an sich, vor allem an einer Stelle, wo er einen kleinen Teich bildet. Vielleicht auf dem Rückweg.

    Jetzt wird erst einmal gegessen. Immerhin sind seit dem Frühstück zwei Stunden vergangen. Es gibt Cashews und proteinreiches Trockenfleisch.

    Nick schnappt sich die Packung und liest die Informationen auf der Rückseite, wie ich es ihm beigebracht habe. „Dir ist schon klar, dass da jede Menge Salz, Fett und Nitrat drin ist? Alles Zutaten für einen Herzinfarkt."

    Ich glaube, ich war ein etwas zu guter Lehrer. Argumente habe ich keine. Wir prosten uns mit zwei Streifen Trockenfleisch zu, als wären es Weingläser. Als Buße verspreche ich, rohen Brokkoli zu essen.

    Das Schneefeld in der Bowl ist nicht weit entfernt. Wir überqueren den Bach und Nick nutzt die Gelegenheit für eine kleine Schneeballschlacht. Das Kerlchen hat mehr Wumms im Arm, als ich ihm zugetraut hätte. Die kleinen Eisbälle fühlen sich verdammt kalt an, obwohl die Lufttemperatur recht annehmbar ist.

    So verlockend es sein mag, das Schneefeld zu durchqueren, wäre es keine so schlaue Idee. Die schmelzende Schneedecke könnte einbrechen. Ich habe wenig Lust, in einem

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