Finale Lebensfragen: Kurzgeschichten
Von Karin Braun und Viktor Braun
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Über dieses E-Book
Karin Braun
Karin Braun, Jahrgang 1957, geboren in Pinneberg. Floh die Kleinstadt schnell. Es folgten kurze Ausflüge in verschiedene Berufe, um schließlich beim Schreiben zu landen. Karin Braun lebt in Kiel und arbeitet als Autorin, Literaturbloggerin, Herausgeberin, Übersetzerin – kurz: sie macht was mit Büchern … und mit Fotos ... und mit Tarot. https://kabras-crossroads.de
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Buchvorschau
Finale Lebensfragen - Karin Braun
Die Literamorphin
„Nanu, ich dachte Sie bleiben bis Dezember? fragte meine Besucherin mit Blick auf die verschiedenen Gepäckstücke im Flur. Ich lächelte unverbindlich. „Mir stehen noch einige Tage Urlaub zu und da dachte ich, ich könnte schon mal ein paar meiner Sachen nach Hause bringen. Bis Dezember ist es ja nicht mehr lange hin.
Meine Besucherin ging an mir vorbei ins Wohnzimmer. „Vielleicht können wir uns einen Augenblick setzen, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen."
‚Fühl dich wie zu Hause,‘ dachte ich. Lächelte aber freundlich und sagte: „Natürlich. Möchten Sie einen Kaffee?"
Sie saß bereits auf meinem Lieblingsplatz an dem kleinen Esstisch vor der Terrassentür und schob den Stapel Papier, der dort lag, achtlos zur Seite. Als ich sah wie sie ihn berührte, stockte mir der Atem. Aber sie versuchte nicht einmal zu erkennen, was dort geschrieben stand. Ich nahm das Bündel, legte es wie beiläufig auf den Schreibtisch und wiederholte meine Frage. Sie lehnte ab, wie ich erwartet hatte. Ihr sah man schon auf hundert Metern Entfernung die passionierte Teetrinkerin an. Eine der Art, die auch im billigsten Teebeuteltee einen Hauch Jasmin entdeckte. Ich setzte mich ihr gegenüber.
„Nun, was kann ich für Sie tun?"
Es freute mich zu sehen, wie sie sich vor Verlegenheit wand, ich konnte diese arrogante Ziege nicht leiden und im Grunde wusste ich ja was sie mir zu sagen hatte. Die Neuigkeiten hatten sich rasend schnell herumgesprochen und waren in der Nachbarschaft nicht ohne Sympathie aufgenommen worden. Doch warum sollte ich es ihr einfach machen? Schließlich rang sie sich zum Reden durch.
„Sie wissen ja, dass das Haus meiner Tochter gehört und dass sie diese Wohnung bewohnt hat. Meine Tochter ist sehr krank und hat lange jede Behandlung verweigert. Sie leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung und ist nach einem hässlichen Vorfall in die Klinik gekommen."
Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch: „Multiple Persönlichkeit? Gibt es das wirklich? Ich habe es immer für eine Verlegenheitsdiagnose gehalten."
„Doch doch, das gibt es, wenn ich auch einräumen muss, dass Eleonora an einer sehr speziellen Form leidet. Sicher haben Sie das eine oder andere gehört … von den Nachbarn. Sie verzog angewidert die schmalen, rotgeschminkten Lippen. „Die Leute klatschen nun mal gerne und Eleonora hat ihnen weiß Gott genügend Anlass gegeben.
Ich räumte ein, dass ich einige Geschichten gehört hätte, konnte es mir aber nicht verkneifen, hinzufügen, dass aus den Berichten durchaus Zuneigung für meine Vermieterin herausklang.
Sie schnaubte förmlich: „Oh ja, bis zu dem Tag, in dem sie Herrn Hansen aus der Nummer 7 angegriffen hat."
„Wie ich gehört habe, hatte sie durchaus einen Grund dafür. Er hat seine Frau verprügelt und sie ist dazu gekommen", warf ich ein.
„Frau Hansen hat das nicht bestätigt."
Stimmt, dachte ich, die wollte sicher nicht noch eine Abreibung kassieren. Frau Hansen trug sehr oft bei Regen Sonnenbrille und auch im Hochsommer lange Ärmel. „Wie auch immer, Eleonora wurde von der Polizei festgenommen und bestritt auch gar nicht, dass sie Herrn Hansen bewusstlos geschlagen hat … in Batgirlkostümierung. Sehen sie, Eleonora hat eine besondere Persönlichkeits-störung. Sie bildet sich ein, die Person, über die sie gerade liest, zu sein. Ihr Mann, nannte es Literamorphismus und sah es nicht als Krankheit, sondern als Erweiterung der Persönlichkeit an."
„War ihre Tochter mit Prof. Harro Schabowski verheiratet? Ich habe über seine Forschung gelesen. Sehr viele halten ihn für ein Genie und bedauern seinen frühen Tod."
Sie schüttelte den Kopf. „Er war eindeutig eines, ein Beweis dafür, dass Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen. Eleonora war seine Studentin und ich bin sicher, dass seine Versuche sie zu dem gemacht haben, was sie ist. Sie hatte schon als Kind die Fähigkeit sich ganz und gar in ein Buch zu versenken, es wurde zu ihrer zweiten Welt und sie wechselte hin und her. Damit war ihr, wenn sie sich von Büchern fernhielt, ein nahezu normales Leben möglich. Dann lernte sie Harro kennen, sie heirateten und Eleonora wurde zu seinem Versuchskaninchen. Sie versank nicht mehr in den Büchern, sie wurde zu der Figur, die sie am meisten ansprach. Nach Harros Tod führte sie die Experimente weiter, allerdings unkontrolliert und immer intensiver. Wenn wir uns trafen, wusste ich nie, in welcher Gestalt sie auftauchen würde. Es konnte von einer Georgette Heyer Figur bis Batgirl alles sein, nur eine