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Enno
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eBook201 Seiten2 Stunden

Enno

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Über dieses E-Book

Im Grunde genommen weiß Enno nicht, warum er sich auf diese Reise eingelassen hat. Er sitzt im Zug nach München, um seine geschiedene Frau zu besuchen. Es ist der erste persönliche Kontakt nach zehn Jahren. Die Trennung hatte ihn aus er Bahn geworfen und dazu geführt, dass er sein Leben völlig neu ausgerichtet hat. Doch viele dieser schweren Erinnerungen tauchen plötzlich wieder auf. Entgegen seiner Gewohnheit, auf Zugreisen zu arbeiten, lässt er sich an diesem Tag von den anderen Reisenden ablenken. Und er trifft sehr unterschiedliche und interessante Menschen. Bis zuletzt sitzt Angelo in seinem Abteil, mit dem er sich auf unerklärliche Weise verbunden fühlt. Er schenkt ihm nicht nur sehr inspirierende Impulse, sondern auch eine Leichtigkeit, die Enno ausgesprochen guttut. Und Enno hat Glück. Angelo bleibt bis zum Ende seiner Reise bei ihm.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Apr. 2023
ISBN9783347930568
Enno
Autor

Karin Hildebrandt

Karin Hildebrandt lebt und arbeitet in Aachen. Ihre schriftstellerische Arbeit umfasst Gedichtbände und Romane unterschiedlicher Genres. Immer wieder gelingt es der Autorin in feinsinniger und humorvoller Weise, das Augenmerk des Lesers auf sich selbst und das Leben im Besonderen zu richten.

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    Buchvorschau

    Enno - Karin Hildebrandt

    CAMELUS FERUS

    DAS TRAMPELTIER

    Ich nehm die Dinge wie sie sind,

    sprach es und schaute heiter,

    den Sand, die Sonne wie den Wind,

    ich kaue einfach weiter.

    Ich nehm die Menschen wie sie sind,

    sprach es und schaute nieder,

    der eine wütet wie ein Kind,

    der andre kennt nur Jammerlieder.

    Ich lass die Sorgen, wo sie sind,

    sprach es im lockren Lauf,

    nehm alle Freude, die ich find

    und füll mich damit auf.

    So trag ich alles wie es ist,

    das Schwere und das Leichte.

    Die Dinge sind, wie man sie misst,

    das Ziel und das Erreichte.

    Und wenn die Welt zusammenfällt,

    bleib ich gelassen wie ein Gör.

    Schau träge hoch zum Himmelszelt

    und schreite dann durchs Nadelöhr.

    KAPITEL 1

    Die Menschenmenge unter ihm erinnert ihn an einen Ameisenhaufen, der sich zwar nicht so unermüdlich emsig und zielstrebig wie ein solcher bewegt, jedoch irgendwo und irgendwie immer in Unruhe ist. Er empfindet sie allerdings nicht als eine homogene Masse, in der jeder seine feste Aufgabe hat, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Oder vielleicht doch, wenn man die Reise als solche als gemeinsames Ziel betrachtet. Auf jeden Fall ist die Menge bunter als jedes Geschwader von Ameisen. Und lauter. Viel lauter, denn um das Geräusch einer Ameisenbrigade zu vernehmen – und er ist sich sicher, dass diese winzigen Insekten eine Menge Lärm machen, den sie nur selbst oder auch andere kleine Krabbeltiere wahrnehmen können – reicht das menschliche Gehör nicht aus und er bedauert im Stillen, dass die menschlichen Sinne so eingeschränkt sind. Im Augenblick jedoch wünscht er sich, die Geräuschkulisse um ihn herum einfach abschalten zu können. Einige Dezibel niedriger würden schon helfen. Er atmet tief durch und ehrlicherweise muss er einräumen, dass nicht die Menschen den Hauptlärm um ihn herum verursachen. Vielmehr müssen sie sich gegen den Geräuschpegel dieses Ortes durchsetzen. Was um Himmels Willen hat den Erdenbürger nur dazu bewogen, seine Welt so gnadenlos laut zu gestalten? Eine Frage, die er sich schon allzu oft gestellt hat, ohne eine gute Antwort zu finden.

    Eine Familie mit drei Kindern stellt sich neben ihn an die Brüstung. Alle kämpfen mit einem Hotdog, um nichts von der üppigen Schicht Senf oder Tomatenketchup zu verlieren. Er selbst kennt das Problem nur zu gut und weicht einen Schritt zur Seite, als das jüngste Familienmitglied, ein etwa zehnjähriger blonder Junge mit hochgestellten Haaren, ihm gefährlich nahekommt. Ein gewisser Sicherheitsabstand scheint ihm bei diesem Menü mehr als angebracht. Als er seinen Blick wieder in die Tiefe gleiten lässt, fährt ein Zug ein. Er schleppt sich über die Gleise wie ein tonnenschweres Relikt aus einer vergangenen Zeit. Das Rattern ist ohrenbetäubend und macht, vermischt mit dem Geschepper der Lautsprecheransage, jegliche Kommunikation unmöglich. Ihm tut eine alte Frau leid, die ratsuchend über den Bahnsteig irrt und völlig überfordert wirkt. Sie versucht immer wieder, jemanden anzusprechen, doch alle drängen in den Zug oder zucken mit den Schultern. Endlich findet sie einen Angestellten der Bahn, der sich die Zeit nimmt und die Frau freundlich zu einem Waggon der ersten Klasse begleitet.

    Welch eine Hektik und Rastlosigkeit. Ist das schon immer so gewesen? Seit er selbst lange Strecken nur noch mit der Bahn zurücklegt, auf jeden Fall. Jetzt trifft der nächste Zug ein. Diesmal auf Gleis 10. Es ist ein weißes Ungetüm mit breiten roten Längsstreifen, das einen wesentlich moderneren Eindruck macht und deutlich leiser fährt. Es geht also auch anders. Dennoch wurde seiner Meinung nach in den letzten Jahrzehnten bei allen technischen Antrieben viel zu wenig Rücksicht auf menschliche Sensibilitäten genommen. Im öffentlichen Raum ohnehin. Aber ihn stören auch laute Wasch- oder Spülmaschinen, Staubsauger oder Kaffeeautomaten und bei seinen Versuchen, leise Haushalts- oder Gartengeräte zu kaufen, hat er oft genug die bittere Erfahrung machen müssen, dass es auf diesem Gebiet sehr unterschiedliche Einschätzungen oder Empfindlichkeiten gibt. Apropos Kaffeemaschine. Er wirft einen schnellen Blick über die Bahnsteighalle zu der altvertrauten Bahnhofsuhr. Es bleibt ihm noch genug Zeit. Sein Zug kommt erst in einer Stunde. Von dessen 90minütiger Verspätung hat er leider erst erfahren, als er schon zum Bahnhof unterwegs war. Ein Ärgernis, gewiss, doch er ist froh, wenn die Bahn überhaupt fährt.

    Die erhöhte Brücke über den Gleisen ist seiner Meinung nach eine geniale Erfindung der Architektur gewesen. Zwei hohe Türme an den Seiten des Hamburger Bahnhofs tragen diese Verbindung und bieten den Fahrgästen einen wunderbaren und auch hilfreichen Überblick über das Geschehen auf den Bahnsteigen und sorgt gleichzeitig für ein wenig Ablenkung während der heute immer länger werdenden Wartezeiten. Ohne nach weiteren interessanten Begebenheiten Ausschau zu halten, dreht er sich um. Die Hotdog-Familie ist gerade dabei, sich zu säubern. Die Mutter versucht schimpfend, den entstandenen Schaden zu begrenzen, doch der riesige rote Fleck auf dem gelben T-Shirt ihres Jüngsten wird wohl die Fahrt überdauern müssen. Genervt nimmt sie den Jungen an die Hand und läuft dem Rest der Familie hinterher.

    Schmunzelnd verlässt er seinen Aussichtspunkt und schlendert über die Brücke, vorbei an diversen kleinen Shops und Imbissständen. Sein Blick bleibt bei einem türkischen Anbieter hängen. In seiner Auslage liegen Brezeln aus türkischem Brotteig, bestreut mit Kürbiskernen. Eine ausgefallene Kombination, findet er und da er Fladenbrote aus allen Ländern und in allen Variationen liebt, gelingt es ihm wie immer nicht, achtlos an den Köstlichkeiten vorüberzugehen. Außerdem wird er lange unterwegs sein und sein Plan, sich im Bistro des ICEs zu stärken, steht auf äußerst wackligen Füßen, wie er nach einigen schmerzlichen Erfahrungen einräumen muss, bei denen dieser Service komplett ausgefallen war. So lässt er sich zwei Brezeln einpacken und zieht weiter. Schon nach wenigen Metern stößt er auf eine kleine italienische Kaffeebar, die einen gemütlichen und ruhigen Eindruck macht. Er bestellt einen Espresso, setzt sich an einen freien Tisch und plötzlich scheint er in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Leise italienische Opernklänge hüllen ihn ein und halten den größten Teil des Bahnhoflärms vor der Tür und das sogar, wo gar keine vorhanden ist. Bei diesem Gedanken muss er ein wenig lächeln und er fragt sich, ob das Bistro vielleicht rund um die Uhr geöffnet ist. Vielleicht hat er aber auch nur die Konstruktion einer Schiebetür übersehen.

    Er schnuppert an seinem Espresso. Er trägt ein angenehmes und intensives Kaffeearoma und der erste Schluck umhüllt seine Zunge mit einer ausgewogenen, runden und leicht bitteren Note. Eigentlich ist er Teetrinker. Ist es geworden, nachdem er vor 10 Jahren seinen Magen mit zu viel Kaffee fast ruiniert hätte. Der Umstieg ist ihm nicht leichtgefallen, hat sich jedoch gelohnt, denn es gibt unglaublich viele interessante Teesorten und inzwischen möchte er auf diesen Genuss nicht mehr verzichten. Doch der betörende Geruch frisch aufgebrühten Kaffees oder gemahlener Kaffeebohnen betört ihn immer noch und ab und zu erliegt er gerne auch diesem kulinarischen Vergnügen.

    Vielleicht hätte er sich eine Zeitung kaufen sollen. Aber er hat beim Frühstück die heutige Ausgabe bereits ausgiebig gelesen, so dass er die Idee schnell wieder verwirft. Stattdessen schaut er sich suchend im Café um in der Hoffnung, ein paar ausliegende Zeitschriften zu finden, in denen er ein wenig herumblättern könnte. Leider vergebens, doch er bedauert diese Tatsache nicht wirklich, da ihn die meisten Hefte ohnehin nur langweilen. Stattdessen lächelt ihn die Kellnerin nett an, eine heute immer seltener werdende Freundlichkeit, wie ihm oft scheint, und ein weiteres kleines Zeichen für die Unzufriedenheit vieler Menschen in der heutigen ruhelosen Zeit. Er lächelt zurück und bedeutet ihr mit einer kleinen Geste, wie gut ihm der Espresso schmeckt.

    In diese zarte zwischenmenschliche Interaktion hinein, die ohne jedes Wort eine sympathische Atmosphäre schafft, erscheint ein älteres Ehepaar in der nicht vorhandenen Eingangstür und schaut sich grüßend nach einem geeigneten freien Platz um. Sie entscheiden sich für den Tisch rechts von ihm. Während die Frau ihren Blazer und ihre Handtasche neben sich auf die Sitzbank legt, positioniert der Mann den kleinen Trolley an eine Stelle, wo er niemanden stört. Auch die beiden entscheiden sich für Kaffee.

    Da der Abstand zwischen ihren Tischen nicht sehr groß ist, wird es ihm wohl schwerfallen, nicht ihrem Gespräch zu folgen, falls sie eines führen sollten. Doch seine Bedenken sind unbegründet. Der Mann, er schätzt ihn auf Ende sechzig, ist vollkommen damit ausgelastet, seinen Kaffee mit Milch und Zucker zu versorgen und dann laut knisternd seinen Keks auszupacken. Seine etwa gleichaltrige Frau genießt einen Schluck ihres unverfälschten Kaffees und beginnt dann, in ihrer Handtasche zu wühlen. Nach einiger Zeit scheint sie den gesuchten Gegenstand gefunden zu haben und legt ein großes Smartphone, umhüllt von einer hellen lindgrünen Lederhülle auf den Tisch.

    »Geht das jetzt schon wieder los?«, beschwert sich der Mann.

    Ungerührt vollzieht die Frau einige Tippbewegungen und ein buntes Bild mit mehreren winkenden Kindern erscheint auf der Oberfläche des Gerätes.

    »Was meinst du bitte?«

    »Ob du jetzt schon wieder anfängst zu …«

    »… zu daddeln?«

    »Zu daddeln! Fängst du jetzt auch noch an, dich wie eine Jugendliche auszudrücken? Reicht es nicht, wenn du dich wie eine benimmst?«

    »Daddeln ist ein völlig gängiger Begriff, mein lieber Horst,« erklärt die Frau gleichmütig, »und den Umgang mit einem Smartphone pflegt heute jeder, nicht nur die Jugend, sondern auch alle anderen.«

    »Ich nicht!«

    »Das ist leider wahr.«

    »Was heißt hier leider? Muss man etwa mit jeder Mode mitgehen?«, empört sich der Mann.

    Die Frau wartet einen Augenblick, bevor sie antwortet.

    »Wenn du mir damit sagen willst, dass du resistent gegenüber allen modischen Neuerungen bist, dann erklär mir doch mal, warum du dir in deinem Leben ständig neue Autos kaufen musstest?«

    »Das hatte rein ökonomische Gründe.«

    »Ach, interessant. Aber wenn ich mich recht erinnere, hast du dabei nie einen Gewinn gemacht oder ist mir da etwas entgangen?«

    »Es gibt nicht nur monetäre Gewinne«, verteidigt sich der Mann. »da spielen auch Faktoren wie, wie … äh, das bringt doch nichts. Von Autos hast du noch nie etwas verstanden.«

    Die Frau schmunzelt ungerührt.

    »Das stimmt allerdings«, bestätigt sie, will aber noch nicht klein beigeben. »Dann erklär mir doch mal bitte, warum du immer die neusten Angelruten kaufen musstest und anschließend immer weniger Fische nach Hause gebracht hast, obwohl du mir vorher immer den gegenteiligen Effekt angepriesen hattest?«

    Begeistert wischt sie mit einem Finger rhythmisch über den kleinen Bildschirm, auf dem etliche Fotos fließbandmäßig voranziehen.

    Der Mann schnaubt leise vor sich hin. »Deine Beispiele sind weder stichhaltig noch vergleichbar.«

    »Ach so«, gibt die Frau nur kurz zur Antwort. Sie scheint diese Diskussion zu kennen. Entspannt lehnt sie sich zurück und beginnt lächelnd, eine Nachricht zu beantworten. Zwischendurch nimmt sie immer wieder einen Schluck Kaffee, denn das Schreiben auf dem elektronischen Gerät dauert bei ihr recht lange. Sie hält ihr Smartphone in der linken Hand, um mit dem rechten Zeigefinger die Buchstaben zu tippen. An den leichten Bewegungen ihrer Lippen kann er erkennen, wie sie leise mitliest, und jedes gelungene Wort oder vielleicht sogar jeder gefundene Buchstabe scheint ihr ein diebisches Vergnügen zu bereiten. Offensichtlich bewegt sie sich noch im Übungsmodus.

    »Was schreibst du denn da die ganze Zeit?«

    »Ich beantworte nur eine WhatsApp.«

    »Und von wem ist die?«

    »Von Julchen.«, antwortet die Frau freundlich und schreibt weiter, während sich ihre linke Augenbraue leicht hebt, als habe sie eine hochinteressante Nachricht erhalten, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf.

    Plötzlich schaut sie auf und dreht sich zu seinem Tisch herum. Er erschrickt. Hat er die beiden etwa zu deutlich beobachtet? Peinlich berührt senkt er den Kopf und nimmt den letzten Schluck seines Espressos. Nein, das kann nicht sein. Er hat dem Nachbargespräch hauptsächlich seine Ohren geschenkt und nur ab und zu einen Blick in die Richtung der Alten gewagt. Außerdem kann er doch wohl schauen, wohin er möchte, ermahnt er sich selbst. Schließlich sitzen sie in einem öffentlichen Café. Als er sich noch einmal der Frau kurz zuwendet, ist sie bereits wieder in ihre Nachricht vertieft und scheint ihn gar nicht bewusst wahrgenommen zu haben. So wagt er einen zweiten Blick zu ihrem Ehemann. Dieser wirkt hin- und hergerissen zwischen Neugier auf die ihm entgehenden Informationen und Unmut über seine Frau, die ihn so wenig beachtet.

    »Was schreibt Julchen denn? Ihr habt doch erst gestern telefoniert? Ist etwas passiert?«

    »Nein, nein, alles okay, Horst,« antwortet sie. »Ich bin gleich fertig, dann kannst du ihre Message lesen.«

    »Message! Kannst du dich mit mir nicht auf Deutsch unterhalten? Außerdem habe meine Brille im Koffer.«

    Die alte Frau atmet tief durch, bleibt jedoch weiter gelassen. »Ich habe dir schon zu Hause gesagt, dass das keine gute Idee ist. Unterwegs gibt es immer Situationen, wo man sie braucht.«

    »Dafür habe ich ja dich«, antwortet der Mann provokativ und verzieht seine Lippen zu einem grinsenden Schmollmund.

    »Interessant«, erwidert seine Frau ungerührt und ohne aufzublicken. »Verstehe ich dich richtig, dass jetzt auch schon deine Brille zu dem neumodischen Krempel gehört, mit dem zu dich zu beschäftigen weigerst? Wenn das nämlich so ist, dann wird es bald schwierig in deinem Alltag.«

    Und mit einigen letzten Tippbewegungen auf dem Bildschirm beendet sie ihre Nachricht, klappt den Lederdeckel zu und verstaut das Smartphone wieder in ihrer Handtasche, dieses Mal praktischerweise in ein Außenfach. Dann schaut sie ihrem Mann direkt ins Gesicht.

    »Mir scheint, du nimmst mich nicht ernst, Horst. Wie oft soll ich es dir denn noch sagen: Ich habe nicht vor, deine Alltagsbetreuerin zu werden.«

    Oha! Das hat gesessen. Er hat genug gehört und muss der alten Frau im Stillen leider Recht geben. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen sich die Welt nicht so rasend schnell gedreht hat, ist es heute nötig, sich rechtzeitig zu entscheiden, ob oder besser ausgedrückt, wie intensiv man mit der Zeit gehen möchte oder muss, um nicht völlig von der Bewältigung seiner Alltagsgeschäfte abgehängt zu werden. Er schaut auf seine Uhr. Eine unauffällige silberne Armbanduhr mit blauem Ziffernblatt und einem festen braunen Lederband. Ein Geschenk seiner Frau, das ihm nach zwanzig Jahren immer noch gut gefällt. In dieser Hinsicht ist er wohl selbst schon aus der Zeit gefallen. Schmunzelnd und sich freundlich verabschiedend verlässt er das Café, genießt auf der Empore einen letzten Blick über

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