Marta
Von Dirk War
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Über dieses E-Book
Drei Blickwinkel, und keiner scheint der richtige zu sein.
Die Lüge von drei Seiten betrachtet? Oder doch: das Leben?
Melancholie und Verliebtheit, oder Depression und Klischee?
Eine Reise nach Zandvoort, aus der mehrere Reisen werden, und auch: ein Ende.
Drei Männer auf der Suche. (Drei Streifzüge durch die Ratlosigkeit.)
Zwei fürchten, auf der Strecke zu bleiben.
Einer zumindest hofft. Bis zuletzt.
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Buchvorschau
Marta - Dirk War
Düsseldorf
Ich erreichte Düsseldorf an einem milden Abend im Mai. Um acht Uhr wollte Marta mich am Busbahnhof abholen. Gegen einen Zigarettenautomaten gelehnt stand ich müde in der milden Abendluft, umgeben von hektischen Menschen und hässlichen Stadttauben. Ich konnte mich nicht entscheiden, wen ich abstoßender finden sollte. Versunken in diesen reizlosen Gedanken bemerkte ich gar nicht, dass Marta plötzlich vor mir stand, freudestrahlend. Sie umarmte mich und küsste meinen Hals.
So ging es also los.
Gemeinsam schlenderten wir die kurze Strecke zu ihrer kleinen Wohnung.
Nie zuvor war ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Urlaub gefahren. Marta hingegen verschmähte im Grunde genommen jede andere Art und Weise, die Ferienreisen zu verbringen. Mit dem Bus, mit der Bahn, und, ganz wichtig: ohne Ziel. So sollte, so musste man unterwegs sein.
Im Vorfeld unserer Tour hatte mir Marta immer wieder E-Mails gesendet, die konkrete Anweisungen zur Gestaltung meines Gepäckes beinhalteten. So war ich nun ratloser Besitzer eines riesigen Rucksackes, der zahlreiche Kleidungsstücke und Gegenstände in sich barg, die ich ohne Martas Empfehlungen niemals erworben hätte.
Rote und braune Straßenbahnen ruckelten langsam durch den lauen Abend. Taxifahrer rauchten neben ihren Autos und warteten geduldig auf Kunden. Dönerbuden aromatisierten die Luft. Auf dem Bürgersteig saß ein Obdachloser und spielte Mundharmonika. Marta warf eine Münze in seinen Hut, als wir an ihm vorbeigingen.
Bald schon kamen wir an.
Im Treppenhaus roch es nach Bier. Hinter einer Wohnungstüre im ersten Stock dröhnte laute Musik. Im dritten Stock, direkt unter dem Dach, lag Martas kleines Zuhause. Es war eine Einzimmerwohnung mit winziger Küchenzeile in der Ecke.
Die beiden Fenster waren zwar gekippt, doch die Luft war stickig. Volle Aschenbecher standen auf den Fensterbänken. In der Spüle lag dreckiges Geschirr.
Wir setzten uns auf die bereits ausgezogene Schlafcouch. Auf einem kleinen Holztisch neben der Couch standen zwei Gläser und eine Flasche Rum.
Marta ließ die kostbare Flüssigkeit andächtig in die Gläser laufen.
Warm war er, der kubanische Rum, und stark. Wir tranken ihn gemächlich.
Langsam verabschiedete sich das Licht aus der Stadt. Marta zündete eine dicke, rote Kerze an, die mit einem Dessertteller verwachsen war. Die Farbe des Rums wurde daraufhin noch lieblicher.
Doch die befreiende Wirkung des kubanischen Getränkes blieb aus, und wir saßen meist schweigend und vielleicht ein wenig ratlos nebeneinander.
(Sie schwieg; ich war ratlos.)
Erleichterung brachte die Idee, früh schlafen zu gehen. Sanft drückte Marta ihren zarten, kleinen Körper an meine müden Knochen, und die Ratlosigkeit wich ohne Gegenwehr der Lust. Martas Atem roch nach Erdbeeren und ihre weiche, braune Haut duftete nach Urlaub am Meer.
(Sie hatte einen Erdbeerkaugummi im Mund, und sie hatte sich am Nachmittag ihren Nacken mit Sonnencreme eingeschmiert.)
Es war überraschend für mich, mit welcher Selbstverständlichkeit Marta mich auszog.
Ihre Selbstsicherheit schien mit schwindender Helligkeit rasch zuzunehmen.
Sie blies die Kerze aus.
Die Nacht war lang und schwarz und schmeckte köstlich.
Am nächsten Morgen fuhr unser Zug Richtung Amsterdam. Schnell erwiesen sich all meine Vorurteile gegenüber dem Bahnfahren als vollkommen berechtigt. Mit Mühe, mit Glück und nur dank Martas unwiderstehlichem Lächeln ergatterten wir die beiden letzten Sitzplätze in einem stickigen Wagenabteil. Mit unseren riesigen Rucksäcken quetschten wir uns auf das kunstlederne Bänkchen. Die Ablagefächer waren alle schon mit diversen Reisetaschen vollgestopft.
Die anderen Menschen in unserem Waggon gehörten scheinbar zu einer merkwürdigen Gemeinschaft. Sie rauchten Zigaretten und schauten dabei ganz traurig.
Ein sehr dickes Kind wurde auf dem Gang von einem nur unwesentlich weniger fettleibigen Kind gehänselt. Zum Glück stiegen die beiden am nächsten Bahnhof aus. Vermutlich um Schokolade und Chips zu kaufen.
Marta lächelte; und sie küsste mich von Zeit zu Zeit. Ihre braunen Augen funkelten mich an.
Ihr Gesicht war halb verdeckt von ihren dunkelbraunen, langen und leicht lockigen Haaren.
Der Bahnhof von Amsterdam war unser erstes Etappenziel. Die Zugfahrt dorthin dauerte etwas mehr als drei Stunden. Wir schliefen die meiste Zeit, oder taten so.
Als wir ankamen, stand die Sonne weit oben, inmitten eines tiefblauen Sommerhimmels. Es war ein heißer Tag, der bisher wärmste in diesem Jahr.
Klassisches Burger-Wetter, sagte Marta, und steuerte auf ein amerikanisches Fastfood-Restaurant zu.
Sie hatte keine Probleme mit dem schweren Rucksack, während ich nur mit Mühe meinen Weg durch die vielen hastenden Menschen fand. Die Ausmaße des Rucksackes machten mir dabei noch mehr zu schaffen, als das enorme Gewicht, das auch unserem großen Zelt geschuldet war.
Wir aßen unser Mittagsmahl tief in den Eingeweiden des Bahnhofes. Vollklimatisiert. Kalt war es dort, und überall roch es nach Essen. Die Menschen rannten herum und fraßen dabei.
Wir saßen auf roten Plastikstühlen an einem roten