Über dieses E-Book
Facettenreich werden die Gefühle, und der eiserne Wille im Kampf zurück ins Leben, den jeder auf seine eigene Art, gegen die Widrigkeiten des Alltags und die Gespenster der Vergangenheit führt, beschrieben.
Als Gerüst im Hintergrund dient die Leidenschaft für Motorräder, eine Reise zum Nordkap und der Glaube, dass man mit dem puren Willen Berge versetzten kann.
Und es ist die Geschichte einer großen Liebe, um die lange gekämpft werden musste, und die hin und wieder auf tönernen Füßen stand, jedoch durch ihre Intensität und Leidenschaft alles zusammenhielt.
Die Geschichte wird erzählt aus Sicht einer jungen Frau, die ihre Erinnerungen mit einer seltenen Leichtigkeit in Worte fasst, präzise formuliert, manchmal amüsant, manchmal zum mitweinen, aber immer so, dass Kino im Kopf des Lesers entsteht - sie ihn durch ihre Sprache in ihre magische Welt entführt.
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Buchvorschau
Poet auf zwei Rädern - Lisa Schoeps
Kapitel 1
Das erste Geräusch des Tages, das ich wahrnahm, war das unerbittliche Rasseln des Weckers. Es bohrte sich wie aus weiter Ferne in mein Unterbewusstsein. War es schon wieder Zeit zum Aufstehen? Wer hatte dieses Folterinstrument nur erfunden?
Es war groß, rot, mechanisch, eines der Modelle die ein rundes Gehäuse mit großen Zahlen auf dem Zifferblatt und obendrauf zwei glockenartige Metallhütchen haben. Zwischen denen bewegte sich ein Messingschlägel wie wild hin und her und erzeugte das laute, schrille, durch alle Fasern dringende, unerbittliche Signal, das es Zeit zum Aufstehen war. Eigentlich hatte ich keine Lust, ich war noch müde, wollte die wohlige Wärme des Betts nicht verlassen. Das Klingeln bohrte sich hartnäckig in mein Bewusstsein.
Ich war ganz nah an Michael geschmiegt, lag wie fast immer in seiner Armbeuge. Seine andere Hand lag auf meiner Hüfte. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter, atmete seinen vertrauten Geruch ein, fühlte die von der Nacht noch erwärmte, glatte Haut an meiner Wange. Ich blinzelte. War es hell, wirklich schon Tag? Am liebsten wollte ich gar nicht aufwachen, zurück gleiten in die süße Welt der Träume. Immerhin war es Freitag, zumindest das war gut, der letzte Arbeitstag vor dem Wochenende. Ein zweiter Blick auf den Wecker bestätigte, dass es bereits morgens fünf Uhr dreißig war. Mein Zug fuhr um zehn nach sechs.
„Guten Morgen, Kleines", flüsterte mir Micha mit noch schlaftrunkener, samtener Stimme ins Ohr. Er war disziplinierter als ich, er löste die Umarmung, zog seinen Arm unter meinem Kopf hervor und war im nächsten Moment auch schon aufgestanden und in Richtung Badezimmer verschwunden. Ich gönnte mir noch einen Moment in der Geborgenheit unseres Betts, schloss die Augen, zog mir die Decke über den Kopf.
Kurze Zeit später schallte es ermahnend „Aufstehen Kleines!" aus dem Bad. Der Mann war gemein. Langsam räkelte ich mich aus den Kissen und Decken. Warum war in unserem Bett morgens immer alles durcheinander?
Ich streckte mich, schlurfte in die Küche und setzte Wasser für Tee auf. Ganz automatisch schaltete ich das Radio ein, es lief „Ebony & Ivory", das Paul McCartney und Stevie Wonder im Duett sangen. Ich summte mit. Durch das Küchenfenster schien die Sonne, es versprach ein angenehmer Tag zu werden. In diesem Jahr hatten wir bislang einen eher durchwachsenden Frühsommer gehabt.
Ich träumte vor mich hin während ich darauf wartete, dass das Wasser zu Kochen anfing. Wir frühstückten Wochentags nicht. Ich wollte meine Ruhe. Am liebsten wäre ich zurück in unser Bett geschlichen, aber die Vernunft siegte. Schlaftrunken nahm ich die blaue Blechdose aus dem Regal, öffnete sie und gab einige Löffel Früchtetee in die naturbraune Filtertüte und steckte sie in die Glaskanne mit dem roten Plastikdeckel. Der Tee roch himmlisch nach Gummibärchen und als das Wasser kochte, schüttete ich es darüber. Sofort verfärbte es sich rot. Ich betrachtete fasziniert das Spiel der Farben wie jeden Morgen. Es bildeten sich dünne Steifen im Wasser, die sich mehr und mehr ausbreiteten, es erinnerte mich an Flugzeuge die am blauen Himmel ihre Kondensstreifen ziehen.
Nachdem der Tee gezogen hatte, goss ich jedem von uns eine große Tasse ein. Es waren große Kaffeebecher mit Micky Mouse Motiven. Wir hatten sie auf einem Markt gekauft, bei einem unserer Ausflüge mit dem Motorrad. Auf meiner Tasse war Minnie Mouse, rosa mit großen Kulleraugen. Ich saß gedankenverloren mit meiner Teetasse, die ich in beiden Händen hielt, auf der Fensterbank und sah nach draußen.
Unser Haus war sehr alt, mit dicken, soliden Wänden. Die Mauer war ungefähr einen halben Meter dick. Die Küche lag im zweiten Stock, eigentlich war es nur eine provisorische Küche, nichts passte zusammen, wir waren Mitten in der Renovierung des Hauses. Da wir alles in Eigenarbeit machten, ging es nur in kleinen Schritten voran. Macht nichts, dachte ich. Ich hatte ein blaugestreiftes Kissen auf die tiefe Fensterbank gelegt und somit einen gemütlichen, sonnigen Sitzplatz geschaffen.
Micha war morgens viel besser drauf als ich, ich fragte mich oft, wie jemand zu dieser Zeit schon so aktiv sein könnte.
Zweimal die Woche stand er bereits um fünf Uhr morgens auf, um noch vor Dienstbeginn zum Schwimmtraining zu gehen. Mir war das unverständlich, aber jeder hat seinen eigenen Splen.
Schon fertig angezogen und geduscht fragte er mich, „Was wollen wir am Wochenende machen?" während er seine Teetasse nahm und sich gegen den Küchentisch lehnte. Seine Haare waren noch feucht und er roch nach Rasierwasser.
Ich antwortete nicht gleich, ich konnte noch nicht schnell denken, in meinen Gedanken befand ich mich noch in der wohligen Wärme des Betts. Ich beobachtete geistesabwesend die Straße. In der kleinen Bäckerei auf der anderen Straßenseite wurden die letzten Vorbereitungen getroffen. Sie öffneten jeden Tag um sechs Uhr morgens. Jeden Tag von Montag bis Samstag, jahrein, jahraus. Der vertraute Anblick verströmte Sicherheit. Die Stadt war auch noch nicht richtig erwacht, genauso wie ich. Die Sonne stand noch tief, es lagen lange Schatten zwischen den Häusern. Vereinzelt liefen ein paar Leute auf der Straße herum.
Ich drehte mich zu ihm und antwortete, „Weiß ich noch nicht. Ich habe Schicht im Glamour. Lass uns heute Nachmittag darüber sprechen. Spätestens um vier bei Oma Helene."
Die Zeit drängte, ich musste mich noch duschen und anziehen. Der Zug fuhr pünktlich. Irgendwie lief die Zeit frühmorgens viel schneller, zumindest empfand ich es so. An der Tür der obligatorische Abschiedskuss und schon war ich verschwunden.
„Ja - ich liebe dich auch. Einen schönen Tag, pass auf dich auf, bis heute Nachmittag…"
Michas Dienst, er war Zeitsoldat, fing um sechs Uhr dreißig an und er hatte nur zehn Minuten zur Kaserne. Er stand trotzdem mit mir auf, auch dafür liebte ich ihn. Den Tag miteinander zu beginnen und gemeinsam wach werden.
Gehetzt fuhr ich zum Bahnhof, fand natürlich nicht gleich einen Parkplatz. Das war Murphys Law, wenn man spät dran war, gab es auch keinen Parkplatz nahe dem Bahnsteig. Ich ergatterte einen am anderen Ende und rannte so schnell ich konnte zum Bahnsteig zurück.
Den Zug erreichte ich atemlos in der letzten Minute. Als ich eingestiegen war ließ ich mich auf den ersten freien Sitz fallen. Geschafft. Auf der Fahrt träumte ich vor mich hin, die schnell vorbei ziehende Landschaft verwob sich mit meinen Gedanken. Ich hatte sie schon tausendmal gesehen. Der Zug stoppte hin und wieder und vierzig Minuten später war ich am Münchener Hauptbahnhof. Auf dem Bahnsteig das übliche Gedränge. Menschen mit Koffern, die vereisen wollten, Berufstätige, die zur Arbeit eilten. Menschen die nur herumstanden. Ich bahnte mir meinen Weg zur U-Bahn durch das Getümmel, vorbei an den immer selben Geschäftsauslagen und Werbeschildern.
Bahnhöfe haben einen seltsamen Geruch, es fällt mir schwer ihn zu beschreiben, aber jedes Mal wenn ich durch die Gänge lief, nahm ich ihn unbewusst wahr. Es war eine Mischung aus Staub, dem Geruch nach Menschen, Urin und Bratfett. Ich sehnte mich danach tief durchatmen zu können und aus dem Untergrund zurück an die frische Luft zu gelangen.
Zur U-Bahn führten Rolltreppen weiter nach unten. Die ganz eiligen Passagiere rannten die Rolltreppen hinunter. Noch dreißig Sekunden gewinnen. Der Ort strahlte Rastlosigkeit und stetige Betriebsamkeit aus. Der Bahnsteig war übervoll mit Menschen die auf die nächste U-Bahn warteten. Wie ein Heer Ameisen. Das Zischen der herannahenden U-Bahn war zu hören. Die Luft vibrierte kurz bevor der Zug einfuhr. Ich stieg ein wie eine der vielen anderen Ameisen.
Weitere zwanzig Minuten vergingen, dann war ich endlich angekommen. Im Büro, holte ich mir Kaffee. Inzwischen war ich wach und in der Stimmung mit anderen zu reden. Zurzeit war ich in einer Kanzlei beschäftigt. Das bedeutete ich koordinierte Kundentermine, führte Listen über entnommene Akten, sortierte Belege und servierte Kaffee.
Es war bestimmt nicht der Job fürs Leben, aber es gab Geld dafür und ich hatte nette Menschen um mich herum. Der Tag verging wie im Flug. Freitags hatte ich bereits um fünfzehn Uhr Schluss. Da die Züge zu dieser Tageszeit aber nur in wesentlich größeren Abständen als zu den Stoßverkehrszeiten fuhren, konnte ich entweder bereits um vierzehn Uhr dreißig fahren oder musste bis um fünf auf meinen Anschlusszug warten. Offiziell gab es keine Gleitzeit für Praktikanten.
So saß ich in meinem Regionalzug und sah dieselbe Landschaft wie am Morgen erneut an mir vorbei ziehen. Nur in umgekehrter Richtung und in einem anderen Licht. Den Kopf ans Fenster gelehnt verschwamm das Bild. Als ob ein Film rückwärts laufen würde. Ich hing meinen Gedanken nach.
Dachte an unsere Hochzeit, Micha und ich wollten im Juli heiraten. Es war noch soviel zu organisieren, unsere Eltern nervten. Jeder wollte mitreden. Trotzdem freute ich mich, dachte an Michael und lächelte still vor mich hin.
Er war bei mir, auch wenn wir nicht zusammen waren, ich vermisste ihn. Bei dem Gedanken an ihn spürte ich Wärme und Licht. Endlich hörte ich das Quietschen der Bremsen und die Ansage des Bahnbediensteten zum nächsten Halt. Wir waren überpünktlich. Ich stieg aus, lief beschwingt zu meinem Auto. Als ich die Tür aufschloss, schlug mir die aufgestaute Hitze entgegen. Die Sonne hatte bereits viel Kraft, wenn sie schien.
Kurz nach vier war ich bei Oma Helene. Sie wohnte in einem Ort zwanzig Kilometer nördlich vom Bahnhof. Wir, Tom, Ramona, Michael und ich, trafen uns regelmäßig bei ihr, immer freitags. Manchmal war auch Ricky, der jüngste Bruder, dabei. Es war eine liebgewonnene Gewohnheit und symbolisierte sozusagen den Beginn des Wochenendes.
Der Wetterbericht hatte Recht behalten, es war ein wunderschöner Frühsommertag, endlich warm genug um draußen zu sitzen. Endlich lag ein Hauch des Sommers in der Luft.
Oma Helene wohnte in einem kleinen, weißen Haus aus den fünfziger Jahren, mit grünen Fensterrahmen und passenden Fensterläden. Es war ebenerdig, hatte ein rotes, spitzes Ziegeldach, der Kamin befand sich in der Mitte des Dachs. Vor dem Haus parkten zwei Motorräder. Toms schwarze Kawa und Michas blaue Honda Bol’Or. Die Sonne erzeugte Reflexe auf dem Lack und an den Chromteilen. Beide Mopeds standen hintereinander geparkt auf dem Seitenständer. Die Helme hingen am Lenker. Ich parkte meinen roten Golf dahinter.
Ohne zu klingeln öffnete ich das etwas altersschwache, schmiedeeiserne Gartentor. Es knarrte. Der Weg zum Haus war mit großen, hellen Steinplatten ausgelegt, die inzwischen von der Patina vieler Jahre überzogen waren und eher grau und grünlich schimmerten. Der Weg führte weiter um das Haus herum. Ihr Garten war liebevoll gepflegt, sie hatte viele Blumen gepflanzt. Im Sonnenlicht schillerten die rosa, violetten, roten und weißen Schleifenblumen. Die Margeriten und Glockenblumen bildeten einen schönen Kontrast vor den grünen Sträuchern auf der anderen Seite des Weges. Ein Bogen mit der schon sehr alten Kletterrose überspannte den Eingang zum Garten. Die Rose blühte noch nicht, vielleicht in ein paar Tagen. Die Knospen waren bereits groß und prall und sahen aus, als würden sie jeden Moment platzen. In einem anderen Teil des Gartens zog sie Gemüse, Salat, Karotten, Radieschen, Zwiebeln, Erbsen. Die Bohnen schlängelten sich an dem eigens hierfür von Tom gezimmerten Gestell nach oben. An den ordentlich in mehreren Reihen gepflanzten Erdbeerpflanzen hingen bereits große Früchte, aber die meisten waren noch ganz grün. Ein paar Tage Sonne und dann könnte man sie bestimmt ernten. Im hinteren Teil des Gartens standen viele alte Obstbäume. Das Gras dazwischen war von Gänseblümchen und Ehrenpreis durchzogen. Oma Helene ließ die Wildpflanzen im Rasen.
Aus diesem Teil des Gartens hörte ich Stimmen. Die beiden Jungs saßen zusammen mit Oma Helene um den großen, massiven Holztisch. Auf dem Tisch lag eine bunte Gartentischdecke mit Sonnenblumenmuster, ein Tablett mit Tassen, Tellern, Besteck, Gläsern und ein Krug mit Wasser standen ebenfalls darauf.
Beide Männer waren noch in ihrer Arbeitsuniform. Ein sehr vertrauter Anblick, der olivfarbene feste Baumwollstoff. Tom, Michaels jüngerer Bruder, war ebenfalls Zeitsoldat, jedoch bei einer anderen Einheit.
Ich war ganz leise, sie bemerkten mich zuerst nicht. Micha saß mit dem Rücken zu mir. Tom sah mich, ich legte den Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. Ich wollte Micha überraschen. In der nächsten Sekunde stand ich hinter ihm und hatte meine Arme um ihn geschlungen. Er zog mich zu sich, er hatte gefühlt dass ich da war. Wir küssten uns zärtlich.
Oma Helene hatte Erdbeerkuchen gebacken, mit den ersten reifen Erdbeeren aus ihrem Garten, wie sie stolz verkündete. Deshalb waren nur noch grüne an den Stauden, schoss es mir durch den Kopf.
Sie freute sich auf den Plausch mit uns, es war ihr Wochenhighlight. Sie liebte es, Kuchen für uns zu backen und uns zu verwöhnen. Sie erzählte uns vom Klatsch und Tratsch mit den Nachbarn oder von Dingen, die sie in der Zeitung gelesen hatte.
Und sie war ganz begeistert von den Hochzeitsvorbereitungen. Seit Wochen war es ihr Lieblingsthema.
Die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Spanien war das andere Topthema, zumindest bei den Männern. Wie würde sich die deutsche Mannschaft schlagen? Die Vorrunde hatte gerade angefangen.
Und natürlich unsere Reise zum Nordkap, die beiden Jungs planten seit Wochen an einer optimalen Route und hatten so ziemlich jeden Reiseführer gelesen, dessen sie habhaft werden konnten. Es würde Michas und meine Hochzeitsreise sein.
Tom war aufgestanden und deckte den Tisch und ich holte den Kaffee aus der Küche. Ramona, die jüngere Schwester der beiden, war immer noch nicht da. Wir verteilten schon mal den Kuchen mit reichlich Sahne, gossen Kaffee ein und unterhielten uns. Mit der Zeit wandte sich das Gespräch auch praktischeren Dingen, wie dem Was-machen-wir-am-Wochenende, zu.
„Ich werde, während Miri sich ausschläft, im ersten Stock die Türstöcke streichen, das macht keinen Krach, sagte Michael, „und dann endlich das Material für die Küche besorgen. Wir haben uns vorgestellt, sie aus Y-Tong Steinen zu mauern. Kommst du morgen Früh mit das Material besorgen?
„Klar, dann aber gleich ganz früh, bevor ich schlafen geh. Ab morgen Früh um sechs bis Sonntagabend habe ich frei, ich komme, gleich nach Dienstschluss. Ich muss heute auch früher los, ich habe heute Nachtwache", erzählte Tom mit wenig Begeisterung.
„Ich besorge Brötchen für uns drei, dann können wir noch gemeinsam frühstücken, bevor ich schlafen gehe", bot ich an.
Ich arbeitete an drei Wochenenden im Monat in der Disco Glamour als Bedienung, und kam meist gegen fünf Uhr morgens nach Hause. Ich hätte genug Zeit zum Duschen und ein wenig die Beine hochzulegen und würde dann beim Bäcker auf der anderen Seite der Straße frische Brötchen holen.
Ramona war in der Zwischenzeit mit dem Zug eingetroffen. Sie fragte mich, ob ich sie hinterher nach Hause fahren könnte. Selbstverständlich, kein Problem.
Der selbst gebackene Erdbeerkuchen schmeckte köstlich. Oma Helene hatte sogar den Biskuitboden selbst gemacht. Wenn ich Obstkuchen mache, nehme ich immer fertigen Boden aus dem Supermarkt. Ehrlich gesagt konnte ich es auch nicht. Die Sahne war mit Vanille verfeinert.
Ramona hatte eine große Tüte dabei, sie hatte sich einen neuen Fotoapparat gekauft. Ich war ebenfalls ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Wir fachsimpelten über ihre neue Errungenschaft. Es war eine Yashica F3 mit Wechselobjektiven. Nachdem wir unseren Kuchen aufgegessen hatten, wanderten wir durch den Garten, spielten mit der Tiefenschärfe und den Bildausschnitten. Wir fotografierten Blumen, die Motorräder, Details. Dann meinte Ramona sie wolle auch noch Menschen fotografieren. Die Jungs hatten erst keine Lust, aber ihre kleine Schwester konnte sehr überzeugend sein.
„Jetzt stellt euch nicht so an, kommandierte sie herum, „ich möchte ein paar schöne Bilder von euch haben, nicht nur Herumblödeln
.
Es entstanden etliche Schnappschüsse. Mal jeder allein, dann alle zusammen, dann Micha und ich, dann ich und Oma Helene.
Oma Helene und ihre Enkelkinder, wobei das Bild etwas Groteskes in sich barg. Micha und Tom waren beide um die zwei Meter groß und Oma Helene vielleicht einen Meter fünfzig. Es sah aus als hätte sich ein Zwerg zwischen zwei Riesen verirrt. Nicht, dass man Oma Helene hätte übersehen können.
Sie war zwar klein, aber die Energie, die sie trotz ihres hohen Alters ausstrahlte, übertraf so machen anderen Menschen. Sie hatte schneeweißes Haar, das sie auf altmodische Weise zu einem Knoten geschlungen trug. Ihre Haut war faltig, die kleinen blauen Augen blitzten vor Scharfsinn und Lebensweisheit. Sie hielt sich erstaunlich gerade. War eher der Typ klein, zierlich, drahtig. Ihr Gang war immer noch sehr elastisch. Und sie war einer der herzlichsten Menschen die ich kannte. Wir liebten sie.
Auch ich kam mir winzig vor zwischen den beiden Jungs, sie wirkten wie Leuchttürme neben mir.
„Stellt euch unter den Apfelbaum, Miri du in die Mitte und Tom und Micha jeder an eine Seite. Näher zusammen," scheuchte sie uns herum.
Sie überragten mich um mehr als einen Kopf. Wir lachten und blödelten herum, bald hatte sie einen weiteren Film verschossen.
Sie würde auch die Bilder bei unserer Hochzeit machen. Nachdem die Fotosession beendet war, lenkte Oma Helene geschickt das Gespräch auf ihr Lieblingsthema zurück. Unsere Familien waren aufgeregter als wir zwei, und es waren nur noch sieben Wochen bis zum Termin. Für Oma Helene war es das ganz große Ereignis: ihr Lieblingsenkel würde Heiraten. Sie freute sich sehr für uns.
Sie erzählte Ramona und mir, dass sie diese Woche in die Stadt gefahren war und einen neuen Hut gekauft hatte. Extra für den großen Anlass. Sie ging zurück ins Haus und kam mit einer großen cremefarbenen, runden Schachtel zurück. Behutsam öffnete sie die Schachtel und nahm den Hut aus dem Seidenpapier. Sie strahlte über das ganz Gesicht als sie uns ihren neuen Hut vorführte. Er war ein wenig altmodisch, aus feinem geflochtenem Stroh, elfenbeinfarben, mit einer Seidenschärpe und Stoffblumen aus demselben filigranen Material. Die breite Krempe umrahmte ihr Gesicht. Der kleine Schleier, der an der Krempe angebracht war, war nach oben in die Krempe gerollt.
„Du siehst phantastisch aus mit dem neuen Hut, er umrahmt dein Gesicht ganz schmeichelhaft", bestätigte Ramona anerkennend.
„Danke, es ist auch ein besonders schöner Hut, die Verkäuferin war auch ganz angetan davon."
Ramona und ich sahen uns an und mussten grinsen, nur dieses Mal war die Verkäuferin ehrlich gewesen.
„Hast du nun endlich ein Kleid gekauft?", bohrte Ramona nach.
„Ja, ich habe es in der „Kurz und Fündig gefunden
, antwortete ich ganz beiläufig um sie zu necken.
„Los erzähl!" kam es fast wie aus einer einzigen Kehle der beiden Frauen. Sie waren sehr neugierig.
Das Hochzeitskleid hatte sich irgendwie zu einem Problemfall entwickelt, entweder sah ich in ihm wie ein rüschenüberflutetes Etwas aus - bieder, altbacken, oder wie ein Lady-Di-Verschnitt. Kleider in diesem Stil waren zurzeit groß in Mode, nur passte ich nicht zur Mode.
Es hatte einige Zeit gedauert das richtige Kleid zu finden, zuerst war ich mit Ramona endlos durch die Geschäfte gezogen. Ohne jeden Erfolg, wenn mir ein Kleid dann doch gefiel, war es so sündhaft teuer, dass es meine Möglichkeiten überstieg.
Letztendlich hatte ich nach langem Suchen mein Traumkleid im Secondhand gefunden. Die Frau, die es verkauft hatte, war mir auf Anhieb sympathisch und das Kleid passte, als wäre es für mich gemacht worden.
„Jetzt mach schon, los beschreibe es", drängelte Ramona. Ich ließ sie noch einen Moment zappeln, dachte daran, wie ich mich selber im Spiegel betrachtet hatte und fing an, es zu beschreiben.
„Es ist weiß, bodenlang, schmal geschnitten, ganz schlicht, ohne jegliche Rüschen und aus Rohseide. Vorne eher hochgeschlossen und am Rücken tief ausgeschnitten. Es hat seitlich im Rock einen langen Schlitz. Dazu gehört ein langer Schleier mit kleinen Rosen."
Oma Helene strahlte über das ganze Gesicht. Die Jungs interessierten sich plötzlich auch für unser Frauengespräch. Sie hatten sich vorher in ihrer Unterhaltung wieder der Fußballweltmeisterschaft zugewandt. Jetzt hörten sie gespannt zu, Micha hatte das Kleid noch nicht gesehen. Ich würde es ihm auch nicht zeigen, das brachte angeblich Unglück. Für ihn war das „Was-ziehe-ich-an" kein Problem, er würde in Uniform heiraten.
„Du wirst bestimmt eine besonders schöne Braut", sagte Oma Helene ganz überzeugt.
Sie stand auf und ging ins Haus. Als Sie zurückkam, brachte sie eine kleine Schatulle mit. In ihr war eine Perlenkette, sie legte sie mir um. Es war eine ganz schlichte Perlenkette, deren Schönheit und Reiz in ihrer Einfachheit lag.
„Die hat mir meine Mutter geschenkt, als ich geheiratet habe. Ich würde mich freuen wenn du sie trägst."
Ich nahm sie in den Arm und war ganz gerührt. Sie strahlte noch mehr über das faltige Gesicht. An diesem Freitag verabschiedeten wir uns früher als sonst, weil Toms Dienst bereits um 18 Uhr anfing. Bis nächsten Freitag….
Wir gingen gemeinsam zur Gartentür.
Kapitel 2
Ramona und ich stiegen ins Auto, kurbelten die Fenster nach unten, um die Wärme entweichen zu lassen. Die Jungs waren noch mit Anziehen beschäftigt. Micha schloss den Kinngurt seines Helms und setzte sich auf sein Motorrad, startete die Maschine und wendete.
Tom zog den Reisverschluss seiner dünnen Jacke über der Arbeitsuniform zu. Ein Handschuh war herunter gefallen, er ging um sein Motorrad herum und hob ihn auf.
Die vertraute Ruhe in der kleinen Straße wurde durch das kernige Röhren der Motoren unterbrochen. Für uns klang es wie Musik. Ich drehte am Ende der Sackstraße um. Wir winkten noch mal zum Abschied und bogen in Richtung Hauptstraße ab. Am Marktplatz mit der Kirche und dem Wirtshaus vorbei, bogen wir auf die B17 Richtung Süden. In der Gegenrichtung war viel Verkehr. Typisch Freitagnachmittag und Berufsverkehrszeit.
In unsere Richtung war es ruhiger, es waren immer wieder größere Lücken im Verkehr. Mit Tempo 90 schwammen wir im Verkehr mit. Ramona und ich fuhren mit meinem Golf ein Stück hinter den Motorrädern. Nebenbei liefen im Radio die Nachrichten, es wurde wieder über Reagans Besuch in Berlin und die daran geknüpften Erwartungen gesprochen, aber auch über die Ausschreitungen. „…Es war ein Tag, den viele Berliner im Gedächtnis behalten haben: West-Berlin stand gleichsam vor dem Bürgerkrieg. Es war der Höhepunkt schwerer Auseinandersetzungen mit der Hausbesetzer-Szene, die beim Reagan-Besuch ihren Antiamerikanismus brutal austobte…. Das Ganze sollte als die
Schlacht am Nollendorfplatz" in die linke Geschichtsschreibung eingehen. Dann kam die Meldung, dass Curd Jürgens gestorben sei. Schade ich mochte ihn als Schauspieler. Der Wetterbericht versprach, dass das Hochdruckwetter anhalten sollte. Hoffentlich!
Bei den ersten Klängen von „Bohemien Rhapsodie dachte ich, „Endlich mal etwas Vernünftiges und nicht nur dieses Neue Deutsche Welle Gedudel!
Oder noch schlimmer Nicole, sie hatte vor kurzem mit „Ein bisschen Frieden" den Grand Prix de Eurovision gewonnen, und der Song wurde im Radio rauf und runter gespielt. Ich dachte an das Mädchen mit den langen, blonden Haaren, dem altmodischen schwarzen Kleid mit weißen Tupfen und dem großem Kragen und der weißen Gitarre - ich konnte den Song nicht mehr hören.
„Ich hätte nie gedacht, dass wir alle zusammen feiern würden. Ich freue mich, dass wir als eine große Familie wieder zusammen sein können, sagte Ramona mehr zu sich selbst, aus dem Fenster blickend. Die Landschaft zog an ihr vorbei. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Nach einiger Zeit sprach sie weiter, „Mama probiert immer wieder neue Menüs aus, sie will, dass an diesem Tag alles perfekt ist. Hättest du mich vor zwei Jahren gefragt, ob das so sein würde, hätte ich gesagt du spinnst.
„Es hat sich viel getan, antwortete ich nachdenklich, „jetzt haben wir ein Happy End, wie in einem billigen Groschenroman.
Es entstand eine neuerliche Pause. Bei dem Gedanken, was sich die letzten zwei Jahre abgespielt hatte, mussten wir beide lachen. Lachen war besser als weinen. Zeitweise hatte, das was sich zwischen uns und unseren Familien abspielt hatte, die Qualität eines billigen Groschenromans. Im Nachhinein mussten wir uns alle die Frage stellen, warum wir uns das nur gegenseitig angetan hatten.
Wir kamen zügig voran, die halbe Strecke lag bereits hinter uns. Wir steuerten auf eine lang gezogene Rechtskurve zu. Harmlos könnte man denken, aber der Schein trügt. Sie will nicht enden und man wird viel weiter hinausgetragen, als man eigentlich geplant hatte.
Woher ich das wusste? Wir waren sie jeder schon mal am Limit mit dem Motorrad gefahren. Ein ganzes Stück vor uns nahm ich im Gegenverkehr einen roten Kadett wahr, vor ihm hatte sich eine größere Lücke gebildet. Er fuhr langsamer, schnitt die Kurve. Er fuhr weit über der Mittellinie. Aus heiterem Himmel bekam ich Gänsehaut. Michael und Tom fuhren zügig und sicher, hatten einige Autos überholt, waren aber noch in Sichtweite. Kannten die Strecke. Genossen das Fahren bei dem schönen Wetter.
Nachdem es ein eher nasses und kaltes Frühjahr war, freuten wir uns über jeden trockenen und sonnigen Tag, an dem wir Gelegenheit zum Motorradfahren hatten. Warum lenkte der Kadett nicht auf seine Spur zurück, er musste die Motorräder doch schon längst bemerkt haben?
Micha fuhr ein Stück vor Tom. Die beiden hielten einen Abstand von ungefähr dreißig Metern zueinander, fuhren leicht versetzt. Sie waren schon bedrohlich nahe an dem Kadett. Sahen die beiden das Auto nicht?
Wie in Zeitlupe ereignete sich die Katastrophe. Im Bruchteil von Sekunden, und doch kam es mir vor, als ob die Zeit stillstand, beziehungsweise sich wie in Superzeitlupe in unsäglicher Langsamkeit dehnte.
Das rote Auto fuhr stur weiter auf der falschen Fahrbahnseite, erfasste die Bol d’Or frontal. Ein lauter Knall, metallische Geräusche. Das Quietschen von Reifen. Tom versuchte dem Hindernis auszuweichen. Sein Bremslicht leuchtete auf, erlosch. Er riss sein Moped herum. Kämpfte, versuchte, der über die Straße schlitternden Bol’Or auszuweichen.
Michael wirkte wie eine Puppe, erst schlug er auf dem Auto auf, um dann hoch in die Luft gewirbelt zu werden. Wie eine Feder oder ein Blatt im Herbst. Ich war gefangen in der Regungslosigkeit des Entsetzens.
Wie in Trance erlebte ich die Szene, die sich vor mir abspielte. Tief in meiner Erinnerung spüre ich den Rhythmus pulsierender Donnerschläge, mein Herz raste. Intuitiv wusste ich, es war etwas Schreckliches passiert.
Mein Auto stand. Ich war wie gelähmt, mein Geist hatte sich von meinem Körper abgekoppelt. Mechanisch stieg ich aus dem Auto und rannte in die Richtung in die ich Michael fliegen gesehen hatte. Dort angekommen kehrte Stille um mich herum ein.
Ich starrte auf seinen regungslosen Körper. Erstickendes, kaltes, unbeschreibliches Grauen umfing mich. Er lag da, als wenn er schlafen würde. Durch das Visier sah ich, dass die Augen fest geschlossen waren. Tom und Ramona waren neben mir.
Bald standen viele Leute um uns herum. Stimmengewirr umgab uns, sie hörten sich wie ein byzanthistischer Chor an. Klangen schrill. Zu laut, zu verworren. Wo kamen all die Leute her?
Das Unheil und die Dramatik des Geschehenen, lies uns vier wie in einem Bühnenbild erscheinen. Jegliches Zeitgefühl hatte mich verlassen. Um uns herum herrschte hektische Betriebsamkeit.
Trotzdem wirkte das alles weit weg, wie durch eine Nebelwand. Tom, Ramona und ich waren ganz still, wie innerlich erstarrt. Tom nahm Micha den Helm ab, ich hielt seinen Nacken. Ramona war zurück zum Auto gelaufen und holte eine Decke. Wir funktionierten, kümmerten uns um ihn. Die Handgriffe geschahen mehr aus Instinkt als aus rationaler Handlung. Der Horror des Geschehenen hielt uns fest in seinem Bann. Wir hatten ihn auf die Seite gelegt und zugedeckt.
Tom hielt mich an sich gepresst. Der Schmerz der Verzweiflung breitete sich aus. In meiner Erinnerung höre ich einen unwirklichen Schrei, der Gedanke daran lässt mich noch heute erschaudern. Ich hatte das Gefühl mittendrin und doch nicht wirklich dabei zu sein. Mein Herz raste, bebte, mit jedem Schlag zog es mich tiefer in die Gewissheit, dass ich ihn verlieren würde.
Nach einiger Zeit war ein Martinshorn zu hören. Ob nur ein paar Minuten oder bereits Stunden vergangen waren bis der Notarzt eintraf, konnte ich nicht beurteilen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Jemand zog an mir.
„Bitte lass ihn los", befahl die Stimme. Sie wollte, dass ich ihn loslasse, ihn gehen lies.
Nein, niemals! Ich fühlte, wie mich jemand festhielt, jemand auf mich einredete. Es klang weit weg. Es war als wenn die Erde stillstehen würde, grenzenlose Ohnmacht. Ich war zu keinem Wort, zu keiner Bewegung fähig, meine Knie waren weich. Wir lebten, aber der Tod war ganz nah.
Jemand legte eine Decke um meine Schultern. Zog, trug mich von ihm weg. Völlig teilnahmslos saß ich einige Momente später, mit dem Rücken an ein Fahrzeug gelehnt, im Gras.
Aus der Entfernung beobachtete ich wie das Notarztteam in seiner trainierten, professionellen Weise Micha versorgte. In den Gesichtern konnte man nicht lesen. Einer der Männer war zum Wagen zurückgelaufen, hantierte mit dem Funkgerät. Ein anderer Mann betrachtete den Helm eingehend, drehte, wendete und befühlte ihn. Seine Mine war ernst, er legte den Helm in den Krankenwagen.
Wie aus dem nichts tauchte ein neues Geräusch auf, wie ein großer Schwarm Bienen. Neben uns auf dem Feld fing die Luft an zu vibrieren. Ein Hubschrauber landete. Zwei weitere Männer in orangen Overalls entstiegen ihm, sie liefen in Michas Richtung. Die Männer redeten miteinander. Kurz darauf sah ich, wie er auf einer Bahre in den Hubschrauber verladen wurde. Einer der Männer hielt eine Infusion hoch. Sie nahmen den Helm mit. Micha konnte ich nicht sehen.
Ich wollte aufstehen, bei ihm sein, doch meine Beine weigerten sich das Gewicht meines Körpers zu tragen. Der Sanitäter sagte, „Bleiben sie hier, sie können jetzt nichts tun." Er legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. Die Luft wirbelte wieder, tosend hob der Hubschrauber ab, dann war nur noch ein Punkt am Himmel sichtbar. Und Stille.
Zwei Polizisten kamen in unsere Richtung, trotz der Decke zitterte ich am ganzen Körper und war starr vor Entsetzen. Einer der Polizisten sprach mit dem Sanitäter, der sich um uns kümmerte. Sie wollten wissen ob wir auch in den Unfall verwickelt waren.
Tom saß jetzt neben mir. Ich sah zu ihm auf, sein Gesicht spiegelte etwas Unbestimmtes, ein Aufgewühlt sein, das nur ihn alleine betraf. Etwas stecke tief in ihm, das keiner nachempfinden konnte. Die Frage warum Micha, warum nicht ich. Normalerweise fuhr immer Tom vor.
Ramona saß neben mir mit tränenüberströmtem Gesicht. Sie hatte mit ihren Armen ihre Knie umschlossen. Die Wimperntusche hatte ihr Gesicht zu einer grotesken Maske verschmiert. Verwirrung, Schrecken, Fassungslosigkeit wechselten sich in ihrem Blick ab.
Die Polizisten stellten Fragen, Tom war als einziger im Stande einen vernünftigen Gedanken zu fassen, er beantwortete ihre Fragen zum Unfallhergang. Äußerlich war er unversehrt, doch der Schock saß ihm genauso tief in den Knochen. Er war aufgestanden und unterhielt sich ganz ruhig mit den Polizisten. Ich hörte nicht richtig hin. Mein Blick schweifte ziellos umher.
Der Mann mit dem roten Kadett hatte eine Wunde am Kopf, er saß ganz benommen in der Nähe, er konnte das gerade Erlebte auch noch nicht begreifen. Er war etwa Mitte vierzig, trug eine helle Stoffhose, die jetzt Flecken vom Blut hatte und ein weißes Hemd. Er hatte dunkle Haare, er sah in diesem Moment unendlich alt aus. Ich empfand eine grenzenlose Wut auf ihn, er hatte mir das Liebste im Leben genommen. Eine Weile lang fixierte ich ihn mit meinem Blick. Er schien mich nicht zu bemerken oder ignorierte er mich? Er schüttelte immer wieder den Kopf. Sprach aber mit keinem.
Einer der Polizisten fragte wer ich sei, Tom antwortete die Freundin des Motorradfahrers. Er sah mich mitfühlend an.
Um uns herum herrschte immer noch geschäftiges Treiben. Ich tauchte in eine Parallelwelt ein, versank wie ein Stein im undurchdringlichen See meiner Gefühle. Das Bild des gerade Erlebten hatte sich
