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Die vom Glück Verdorbenen
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eBook186 Seiten2 Stunden

Die vom Glück Verdorbenen

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Über dieses E-Book

Im Jahre 2041 versorgen die Vertical Farming Units die Bürger Basingstokes, einer südenglischen Stadt, mit Nahrungsmitteln. Plötzlich wird ihnen Wasser abgegraben. Bald stellt sich heraus, dass die Guerilla Gardeners dafür verantwortlich sind. Doch wer verbirgt sich hinter diesen Wildgärtnern? Wer sind die Guerilla Gardeners, die im Volksmund "Die vom Glück Verdorbenen" genannt werden?
Rufus Orer macht sich daran, das Geheimnis zu lüften, wodurch er zwischen zwei Fronten gerät. Am Ende trifft er eine Entscheidung, für die er ein großes Opfer bringen muss.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum29. März 2023
ISBN9783957657763
Die vom Glück Verdorbenen

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    Buchvorschau

    Die vom Glück Verdorbenen - Gabriele Behrend

    Ein Anfang

    Da war schon wieder die von denen. Eine, die lächelte, einfach so, grundlos, aus dem Nichts heraus. Sie saß ihm schräg gegenüber, die In-Ear-Kopfhörer halb von einer Lockensträhne verdeckt, die sich aus einem farbenfrohen Turban herausgestohlen hatte. Ein Turban, der bei den Arbeitsameisen so fehl am Platz schien. Die waren auf dem Weg vom Büro nach Hause, um dort ihren glanzlosen Arbeitsalltag gegen einen ebenso gleichförmigen Familienalltag einzutauschen. Aber da saß sie also. Sie war schon da gewesen, als er eingestiegen war, vor fünf Stationen.

    Er sah sie nun schon seit drei Wochen, jeden Dienstag und Donnerstag. Sie trug immer Turban, Haarband, Fascinator oder Ähnliches im Haar. Sie schien Federn zu lieben, Farben sowieso. Selbst wenn ihre Kleidung manchmal zurückhaltend war, was selten genug vorkam – irgendetwas Besonderes war ihr immer zu eigen. Und das, was am meisten an ihr herausstach, war der Zauber ihres Lächelns. Sie war eigentlich nicht übermäßig schön oder hübsch, aber wenn sich ihre Mundwinkel hoben und die Lippen sich zu einem Lächeln formten, dann verwandelte sich dieses Gesicht in eine Quelle der Heiterkeit und Wärme. Und sie lächelte viel, oft und aus tiefstem Herzen. Er sah an ihren Augen, dass dieses Lächeln echt war.

    Er kannte schon andere Grimassen, aus der Arbeitswelt, aus der Familie. Da wurden die Lefzen hochgezogen, Zähne entblößt und unwillkürlich musste er daran denken, dass das Lächeln ursprünglich eine Unterwerfungsgeste gewesen war, eine Grimasse, die der Angst entsprang. Die Turbanfrau schien aber vor nichts Angst zu haben. Im Gegenteil.

    Ihm war aufgefallen, dass sie häufig Fremden den Platz neben sich anbot. Wann immer sie ein Gespräch mit ihrem Nachbarn anfing, schien sie zu spüren, dass er dazu bereit war.

    Er fragte sich in solchen Situationen immer wieder einmal, was wohl passieren würde, wenn er dort Platz nähme? Würde sie das Wort an ihn richten? Würde er darauf eingehen? Oder würde er die Chance ungenutzt davonziehen lassen? So viele Fragen. Er seufzte und rieb sich die Stirn mit der rechten Hand. Außerdem mochte er doch gar nicht, was sie da so trieb. Einfach so lächeln. Einfach so den Waggon mit Licht fluten. Ohne Rücksicht auf die anderen. Wer weiß, wie viele sich noch an ihrer Art stießen? Oder an dem Lebenskonzept, das sie verkörperte. Es waren die vom Glück Verdorbenen, eine Handvoll Existenzen, die keiner geregelten Arbeit nachgingen und ständig grenzdebil vor sich hin grinsten, als ob sie dauernd stoned waren. Man wusste gar nicht mehr, wann man sie so zum ersten Mal betitelt hatte. Während einer langen Pub-Nacht vielleicht oder morgens in der überfüllten U-Bahn, wo es jeder hören konnte. Er grunzte leise in seiner selbstgeschaffenen Ablehnung, sah dann wieder zu der Turbanfrau hinüber und stutzte. Der Platz war leer. Dabei stieg sie doch stets nach ihm aus. Das Muster war immer gleich: Er stieg ein, sie war schon da. Er beobachtete sie siebzehn Stationen lang, stieg dann aus und ließ sie in der Bahn zurück. Und nun war sie weg? Er reckte den Hals, drehte den Kopf und erschrak. Sie stand neben ihm und blickte mit einem verschmitzten Lächeln auf ihn herunter.

    »Darf ich mich setzen?« Sie deutete mit dem Kinn auf den freien Platz neben ihm.

    »Wie kommst du darauf?«

    »Nun, ich kann auch hier stehen bleiben, aber irgendwas sagt mir, dass so eine Unterhaltung schnell beendet ist, wenn sie nicht auf Augenhöhe geführt wird.«

    Er rückte auf den Fensterplatz und fragte: »Warum denkst du, dass ich eine Unterhaltung will?«

    »Weil du mich seit Wochen schon ins Visier genommen hast? Ich bin nicht blind, weißt du? Und heute dachte ich mir, ich verrate dir den Namen zu dem Gesicht.« Wieder dieses verschmitzte Lächeln. Dann hielt sie ihm ihre Hand entgegen. »Stella. Stella Wayfare. Und du bist?«

    Er ergriff überrumpelt ihre Hand und schüttelte sie kurz. »Rufus Orer.«

    »Fein, Rufus. So lange, wie du mich schon beobachtet hast, kann man ja glatt schon von einer gewissen Vertrautheit ausgehen.«

    »Aber wir kennen uns doch noch gar nicht.« Er konnte sich gerade noch vor einem Stottern retten, indem er sich in seinen eintönigen und irgendwie maschinell anmutenden Arbeitsjargon flüchtete.

    Stella sah ihn forschend an, ihr Lächeln war geschrumpft, glomm aber noch in den Mundwinkeln.

    »Dann lass uns das ändern. Jetzt. Wir haben noch zehn Stationen Zeit dazu. Dann musst du aussteigen.« Sie lächelte zufrieden.

    »Woher kennst du meine Station?«

    »Vielleicht weil ich dich ebenso im Auge hatte, wie du mich? Weil du mir aufgefallen bist?« Sie lehnte sich in den Sitz, sah ihn an und schmunzelte. »Ich wollte dich kennenlernen.«

    »Warum?«, fragte er verblüfft.

    »Weil du den Funken in dir trägst.«

    Er runzelte die Stirn. »Du spinnst«, wiegelte er ab.

    »Ich glaube nicht. Aber ich stelle fest, dass ich mal wieder vorpresche, ohne Rücksicht auf Verluste. Vielleicht sollte ich dir erst mal etwas von mir erzählen, damit du weißt, auf wen du dich einlässt.«

    »Ich weiß doch schon alles Nötige. Du gehörst zu denen, nicht wahr?«

    »Zu welchen?« Sie krauste die Nase.

    »Na, die Guerilla Gardeners, oder nicht?«

    »Wächst mir Hanf aus den Taschen?« Jetzt kicherte sie. »Schwebt ein Leuchtschild über mir?«

    »Nein, aber du bist so bunt und lächelst die ganze Zeit. Du scheinst immer glücklich zu sein. So sehen nur die Guerilla Gardeners aus.«

    Sie hob ihre Hände, die Handflächen nach außen gedreht und lachte. »Du hast mich erwischt. Ja, wenn das so ist, dann bin ich wirklich eine von denen.« Dann ließ sie die Hände sinken und schob etwas leiser hinterher: »Aber lass uns jetzt nicht weiter darüber reden. Nicht hier.« Dann sah sie auf die Stationsanzeige an der Waggondecke. »Du musst gleich aussteigen. Oder du begleitest mich. Dann kann ich dir mehr über uns erzählen.« Sie drehte den Kopf zu ihm und fasste ihn ins Auge. »Willst du? Deinen Horizont erweitern und ein bisschen Farbe in dein Leben lassen?«

    »Lass mich noch überlegen.« Noch drei Stationen.

    Stella hatte sich so in ihren Sitz gekuschelt, dass sie Rufus milde beobachten konnte. Sanftmut hatte sich auf ihr Gesicht gesetzt und Rufus konnte sich diesem Zauber kaum entziehen. Noch zwei Stationen.

    »Ich weiß nicht«, brach es aus ihm heraus. »Was passiert denn mit meinem Leben, wenn sich der Horizont erweitert? Bleibt alles, wie es war?«

    »Das wäre aber sehr schade, nicht wahr?« Noch eine Station.

    Er lehnte sich in den Sitz zurück und betrachtete die vorbeiziehende Dunkelheit des U-Bahn-Tunnels. »Und wenn ich keine Änderungen wünsche?«

    »Dann solltest du jetzt aussteigen.«

    Rufus sah aus dem Fenster, seine Station war in funzeliges Licht getaucht, noch standen die Türen offen. Dann sah er zu Stella hinüber und blieb sitzen. »Dann soll es so sein. Zeig mir deinen Horizont.«

    Stella lächelte, beugte sich vor und küsste ihn unvermutet auf die Stirn. Dann zog sie sich zurück, strahlte ihn an und griff nach seiner Rechten. Ihre Finger verflochten sich mit seinen und mit ihrem Daumen strich sie über seine Hand. Während der Fahrt schwieg sie, zog die Knie an und schaukelte auf dem Sitz im Rhythmus des ratternden Zuges.

    Rufus genoss die Fahrt, auch wenn er sich bisweilen fragte, was ihn erwartete, wo er landen würde und ob er sein Zuhause lebend wiedersehen könnte. Ob er vielleicht gerade den größten Fehler seines Lebens machte. Wer wusste schon, wie friedlich die Guerillas wirklich waren? Und ob sie einfach jeden Dahergelaufenen akzeptierten? Aber nichts von all dem ließ er verlauten. So sehr wie Stella schwieg, so tat er dies auch.

    Nach weiteren elf Stationen zog Stella ihn aus der U-Bahn, die in den Randbezirken oberirdisch fuhr. Als sie aus dem Waggon gestolpert waren, wandte sich Stella einem Trampelpfad zu, der von der Station zu einer Brache führte, auf der man von Weitem kleine Gewächshäuser sehen konnte sowie dunkle, frisch aufgeworfene Krumen von zahllosen Hochbeeten. Dazu Rankhilfen, einen kleinen Verschlag. Auf der Fläche konnte Rufus vier Menschen erkennen, die sich um die Beete und den Garten kümmerten.

    Stella gab seine Hand frei und sprintete los. Die letzten Meter lief sie wie ein Hase im Zickzack über den unebenen Boden, stoppte plötzlich und warf die Arme um eine brünette Frau. Als Rufus näherkam, sah er, dass die Frau wohl schon in ihren Vierzigern war. Nachdem sie Stellas Überraschungsangriff herzlich erwidert hatte, sah sie über Stellas Schulter und bemerkte Rufus, der inzwischen gänzlich aufgeschlossen hatte.

    »Wer ist das, Süße?« Sie löste sich von Stella und trat einen Schritt zurück.

    »Ein Funke.« Stella drehte sich zu Rufus um. »Er weiß es nur noch nicht.«

    »Du bist dir sicher?«

    Stella nickte heftig. Dann streckte sie ihre Hand nach Rufus aus. »Ich möchte dir Janet vorstellen. Sie ist unsere Gaja. Das heißt, sie weiß alles über den Anbau von Obst, Gemüse und Wildblumen. Und sie kann bei ganz anderen Fragen auch weiterhelfen.«

    Rufus sah zu Janet. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

    Die nickte leicht. »Und wer bist du?«

    »Rufus.«

    Janet lächelte. Und es war ein ebenso umwerfendes überwältigendes Lächeln, wie Rufus es schon an Stella gesehen hatte. »Willkommen, Rufus. Willst du dich mal umsehen?«

    Als er seine Wohnung erreichte, war es schon spät. Der Besuch auf der Parzelle von Sektion D hatte sich bis in den frühen Abend hingezogen. Rufus hatte alle Mitglieder kennengelernt. Einige persönlich, die anderen vom Hörensagen. Da war zunächst die Gaja, Janet Wilkins. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Trust Rudd bildete sie den Mittelpunkt der Sektion. Sie war der Hort und Quell von Gartenkunst und Philosophie – und sie schien einen feinen Sinn für Humor zu haben.

    Jules und Mia Coltrane gehörten zu den jüngsten Mitgliedern, Mia, ein Mädchen aus der privilegierten Oberschicht, war vor zwei Jahren von der Schule abgegangen, hatte sich gegen ein Studium entschieden und von ihrer Familie abgesetzt. Statt ein Leben in Saus und Braus zu führen, hatte sie sich für Jules Coltrane entschieden, einen Mann in seinen frühen Zwanzigern, der den Kopf voll mit Visionen, Utopien und Philosophien hatte und mit seinen langen Locken und dem Bart wie ein Messias aussah.

    Den Gegenpol bildeten Ben Riley und Bono Brower, ein schwules Pärchen, das seit dreißig Jahren eine On-Off-Beziehung führte, die sich erst stabilisiert hatte, als sie die Guerilla Gardeners entdeckt und sich der Gruppierung angeschlossen hatten. Sie feierten ihre Ernten, liebten die Pflanzen und wühlten sich mit Feuereifer durch die Erde und den Kompost.

    Louisa Standford stand dem Erdreich nicht ganz so enthusiastisch gegenüber. Dafür liebte sie es, das Wasser für die Parzelle zu organisieren. Neben der Beschaffung und Überwachung der Regentonnen krochen sie und ihr Ehemann Sam am liebsten durch den Untergrund, in die Versorgungsschächte, wo sie die Ableitungen des Brauchwassers anzapften und über Schläuche zu den Beeten transportierten. Janet erwähnte, dass jede Sektion so ein Spezialistenpärchen habe. Ohne die sei die Parzelle aufgeschmissen, denn wo es kein Wasser gebe, da könne man auch keine Ernte einfahren.

    Schließlich stellten sich auch die beiden Frauen vor, die bislang schweigsam in der Runde gesessen hatten. Nur ihre Hände waren die ganze Zeit in Bewegung – sie strickten. Sissy Landon und Liz Hover hatten sich bereits in ihrer Kindheit kennengelernt und waren irgendwie aneinander kleben geblieben. Aus Freundschaft war Liebe geworden. Aus Liebe eine liebevolle Routine. Sie waren sich selbst genug. Sie strickten übrigens auch die Stulpen, die sie über einzelne Straßenschilder zogen, die so als Wegweiser zu den einzelnen Parzellen dienten. Ihre Kunst brachte den Guerilla Gardeners Geld ein, um das Saatgut zu erwerben, und wenn sie einmal nicht strickten, kümmerten sie sich um die Verteilung der Ernte an die Bedürftigen, die sie zum Selbstkostenpreis kauften.

    Stella war quasi das Mädchen für alles. Sie half mit, wo eine Hand oder zwei gebraucht wurden, sie grub die Erde um, pflanzte, wässerte, hegte und pflegte und erntete. Sie verbrachte viel Zeit mit Janet und philosophierte mit ihr über Gott und die Welt sowie über die Hege und Pflege von wilden Bienen.

    Er wunderte sich selbst, wie offen ihn die Gruppe empfangen hatte und wie viel sie von sich preisgaben. Stella hatte ihn des Öfteren taxiert, so als fragte sie sich, ob sie das Richtige getan hatte, als sie ihn in die Gruppe einlud. Er hatte ihr beruhigend zugelächelt und aufmerksam den Geschichten gelauscht und die Mitglieder der Gruppe beobachtet. Er hatte mit ihnen gelacht und geschmunzelt. Etwas, das ihm anfangs schwerfiel, mit der Zeit aber immer leichter wurde.

    Als er sich schließlich verabschiedete, murmelte Stella noch einmal den Satz, der ihn schon einmal an diesem Tag

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