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Knochensäger: Ein Patrick Flint Roman
Knochensäger: Ein Patrick Flint Roman
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eBook385 Seiten4 Stunden

Knochensäger: Ein Patrick Flint Roman

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Über dieses E-Book

Als ein Mörder seine Familie vor deren Zeugenaussage vor einem Prozess zu einem Mord, auf den die Todesstrafe steht, bedroht, wird Patrick Flint alles tun, um sie in Sicherheit zu halten.
Ein friedlicher Tag mit Skifahren für die Familie. Der Mord an der Ehefrau eines prominenten Richters. Ein Zeuge wird zum nächsten Ziel: der 13-jährige Perry Flint.
Patrick, seine Frau Susanne und ihre Kinder machen sich für einen Tag Skifahren in die Berge auf. An der Hütte ist der 13-jährige Perry Flint der einzige Augenzeuge einer Ermordung der Ehefrau eines prominenten Richters, nur Tage vor dem ersten Mordprozess mit Todesstrafe im Staate Wyoming seit deren Wiedereinsetzung durch den US Supreme Court. In der Zwischenzeit rüsten sich Susanne und Trish dafür, gegen den skrupellosen Mörder Billy Kemecke beim Prozess auszusagen, sofern seine kriminelle Familie sie nicht zuerst aufhalten kann. Da seine Familie von allen Seiten bedroht wird, wird Patrick Flint alles tun, um sie in Sicherheit zu halten.
SpracheDeutsch
HerausgeberTektime
Erscheinungsdatum2. Juli 2023
ISBN9788835448976

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    Buchvorschau

    Knochensäger - Pamela Fagan Hutchins

    EINS

    UNGLÜCK

    Bighorn Mountains, Buffalo, Wyoming

    Zehn Tage zuvor: Samstag, 5. März 1977, 11:00 Uhr

    Patrick

    »Form mit deinen Ski einen Keil, Susanne. Wie ein Stück Kuchen.« Mit Schlagsahne obendrauf, dachte Patrick Flint, während er auf den fluffigen Frühlingsschnee herunterschaute. Er verlor seine Ehefrau einen Moment lang aus dem Blick, als er darum kämpfte, die Dämonenlatten am Ende seiner eigenen Beine zu kontrollieren. Er hatte sich gerade von einem Gesichtsklatscher nach einem frühzeitigen und unüberlegten Ausstieg aus dem POMA-Lift erholt.

    Der Schlepplift. Es war 1977, um Himmels willen, und Skiorte auf der ganzen Welt rückten in Richtung Sessellifte, sogar geschlossene Gondellifte, zumindest hatte er das gelesen. Der POMA-Lift war ein Rückschritt, wie Wyoming selbst. Alles an der verdammten Vorrichtung war für Patrick unnatürlich. Der Geruch von Diesel in seinen trockenen Nasenlöchern inmitten einer ansonsten unverdorbenen Winterwildnis. In Position zu kraxeln, als wäre er ein Reh auf Rollschuhen. Die Stange, ähnlich der, die Stripperinnen in Filmen benutzten, zu packen, nur dass seine Version frei von einem Förderkabel oberhalb schwang und in einer harten Gummischeibe auf Kniehöhe endete. Die Scheibe zwischen seine Beine zu stopfen. Zu lernen, sich nicht dagegenzulehnen oder, Gott bewahre, darauf zu sitzen und mit dem Hintern voraus im Schnee zu landen. Darauf zu vertrauen, dass sie ihn am Steiß langsam den Berg hinauf zog. Gegen die entgegengesetzte Kraft der Schwerkraft zu kämpfen, wenn der Lift sich gegen die steilsten Abschnitte anstrengte, als würde er von einer Mannschaft betagter und gebrechlicher Mäuse angetrieben.

    Bei seiner ersten Fahrt mit dem Lift hatte der Motor mit einem zitternden Ächzen abgeschaltet, während er noch mitten auf dem Hang war. Irgendein armer Depp hat wahrscheinlich beim Be- oder Aussteigen dran glauben müssen. Er dankte dem gütigen Gott, dass es nicht er war, und bewunderte die Aussicht. Die schneebedeckten Gipfel der Bighorn Mountains um ihn herum. Der gefrorene Meadowlark Lake unter ihm auf knapp 2600 Meter. Die Erhebung so weit nördlich war wettermäßig analog zu etwas 300 Meter höher in Colorado und 600 Meter höher in New Mexico. Die Flüsse flossen nach Norden. Die Rocky Mountains selbst – von denen die Bighorns ein Teil waren – erstreckten sich fünf Kilometer vom nördlichen Alberta hinab nach New Mexico. Die Größe und der Umfang raubten ihm den Atem. Aber sogar in den kleinsten Details lag eine Erhabenheit. Eine Elster, die in der Ferne schnatterte. Schnee, der von Ästen fiel. Ein Schneeschuhhase, der antäuschte und Haken schlug. Es verlieh ihm Energie. Ließ ihn sich vollkommen lebendig fühlen und auf eine Weise mit seinen Sinnen in Verbindung sein, wie er es in der Stadt nicht empfand.

    Nach zehn Minuten des Wartens wurde er allerdings ungeduldig. Er beschloss, dass der Lift kaputt sein musste. Er begutachtete seine Umgebung. Der Schnee zu seiner Linken sah absolut mit Ski befahrbar aus. Es gab keinen Grund, dazubleiben, außer er wollte sich den Po abfrieren. Er ließ die Stange los und fuhr mit den Ski dorthin hinüber, was wie ein leichter Buckel schien.

    Was es nicht war.

    Fünf verschwitzte Minuten später hatte er sich endlich aus einer tiefen Verwehung schweren Schnees befreit. Sehr demütigende fünf Minuten, während derer der neu gestartete Lift ein unfreiwilliges Publikum den Berg hinauf an ihm vorbei zog, seine amüsierte Frau eingeschlossen, die von ihrem sicheren Sitz auf ihrer eigenen Scheibe sehr lautstark dabei gewesen war, seine Entscheidung in Frage zu stellen.

    Wie er also jetzt hier neben seiner Frau stand und sich bemühte, aufrecht zu bleiben, war er entschlossen. Er würde so bald nicht wieder hinfallen.

    »Wir hätten Unterricht nehmen sollen.« Sie klang unwirsch, und als sie zu ihm aufschaute, blitzten ihre rehgleichen Augen vor Hitze. Aber sogar verärgert war sie so bezaubernd, dass er dem Drang, hinüberzueilen, sich herunterzubeugen und sie zu küssen, nachgegeben hätte, wenn er nur sicher gewesen wäre, dass er danach auch wieder hätte hochkommen können. Er liebte seine temperamentvolle Südstaatenschönheit mit ihren knallroten Wangen und Strähnen langen braunen Haars, die in ihren Mund geweht waren. Sie schob mit ihren klobigen Handschuhen gegen die Haare, nicht dass es etwas genutzt hätte. »Die blöden Ski wollen nicht tun, was sie sollen.«

    Sich und seiner Frau beizubringen, wie man Ski fuhr, ging nicht so einfach, wie Patrick geplant hatte. Ihm war die Gelegenheit angeboten worden, dass sie heute unentgeltlich Ski fahren konnten, dank des »Arzt des Tages«-Programms der Meadowlark Ski Lodge, und er hatte sie am Schopf gepackt. Der Skiort war 45 Meilen auf winterlichen Bergstraßen vom nächsten Krankenhaus in Buffalo entfernt, also boten sie Ärzten, die den Tag vor Ort und mit Rufbereitschaft verbrachten, Familien-Liftkarten an. Patrick war darauf bedacht gewesen, nicht zu erwähnen, dass sie Anfänger waren, als er ihre Liftpässe und Ausrüstung abgeholt hatte, ohne unverblümt über ihren Stand zu lügen, obwohl es für alle Flints das erste Mal war, dass sie Ski fuhren – Patrick, Susanne, ihre 16 Jahre alte Tochter Trish und ihr neuerdings 13-jähriger Sohn Perry. Patrick hatte die Woche zuvor ein Buch über Ski Alpin gelesen und die Informationen an seine Familie weitergegeben, mit der Theorie, dass sie zum Bruchteil des Preises, was teure Unterrichtsstunden am Hang kosten würden, Ski fahren lernen konnten. Sein Verstand kehrte zu seinem weniger als meisterhaften Ausstieg aus dem Lift zurück. Als Arzt hatte er sich daran gewöhnt, in seinem Beruf bewandert zu sein. Mehr als irgendjemand anders im Raum über dieses Feld zu wissen. Diese Erfahrung – da er ein blutiger Anfänger war – war krass, aber es war ein vorübergehender Zustand. War der Großteil seiner Zeit in Wyoming nicht ein Studium in dem exakt gleichen Phänomen gewesen? Alles, was er brauchte, war Übung und Willenskraft.

    Er wollte gerade mit ermutigender Stimme Geist über Materie zu Susanne sagen, als sich die Spitzen von Susannes Ski überkreuzten. Da ging sie zu Boden, ihr Heulen von einem uumpf abgeschnitten. Sie landete ungeschickt, wie eine Brezel in ihrer braun-gelben Jacke und der passenden Schneehose. Er lachte fast, aber es erstarb auf seinen Lippen, als sie sich nicht bewegte oder ein Geräusch von sich gab.

    »Bist du okay?«, rief er.

    Sie antwortete nicht.

    Er ging eine geistige Prüfliste möglicher Verletzungen durch. Der Kopf – eine Gehirnerschütterung oder eine intrakranielle Blutung. Ein gebrochener Knochen. Eine Verstauchung. Sogar ein Einstich oder ein anderer Schaden an der Milz.

    »Susanne, falls du mir antworten kannst, bist du in Ordnung?« Er bewegte sich so schnell er konnte auf sie zu, sein Puls beschleunigte sich.

    Dann hob Susanne einen ihrer Skistöcke und schüttelte ihn wie eine Faust. Oder einen Mittelfinger.

    Sie war immerhin bei Bewusstsein. Das war gut. Bisher, in der Annahme, dass Susanne okay war, hatte Patrick noch keine Patienten gehabt. Er hoffte, er bekam keine. Nicht nur im Wohlwollen gegenüber seinen Mitskifahrern, sondern weil seine eigene Familie etwas friedliche Zeit miteinander verbringen und Spaß haben musste. Trish und Susanne waren die Schlüsselzeugen in einem Todesstrafenprozess, der bald beginnen würde, wobei er und Perry mit ihrer eigenen Zeugenaussage unterstützende Rollen spielen würden. Es war für sie alle eine lange, harte Rückblende zu ihrem Martyrium mit Billy Kemecke, einem verurteilten Mörder, der während einem Transport zum Staatsgefängnis ausgebrochen war. Nach seiner Flucht hatte er Susanne als Geisel gehalten, während er ihr Familienheim durchwühlte und Informationen über Patricks Verbleib aus ihr herausgepresst hat. Er hatte Trish vom Lagerplatz in den Bergen entführt und sie in die zerklüftete und entlegene Cloud Peak Wilderness hochgezerrt. Er hatte sogar direkt vor Trish die Kehle seines eigenen Cousins aufgeschlitzt und er hatte ihre Freundin Deputy Ronnie Harcourt angegriffen. Er hatte seine Schreckensherrschaft erst gestoppt, als Susanne ihn mit einer Kugel durch seine Schulter niedergestreckt hat. Und das alles, weil Kemecke Patrick bestrafen wollte. Er glaubte, dass Patrick den Tod seiner Mutter verursacht hatte, obwohl es ihr wegen einer Sepsis schon zu schlecht ging, als dass Patrick sie hätte retten können, als sie ein paar Wochen davor in der Notaufnahme in Buffalo angekommen war. Kemecke hatte auf seinem Amoklauf nicht allein gehandelt, und Patrick war während der entscheidenden Kraftprobe gezwungen gewesen, Chester umzubringen, Kemeckes Bruder und Komplize. Kemeckes Neffe im Teenageralter, Ben, residierte momentan im Jugendgefängnis für seine Rolle – obgleich genötigt – in Trishs Entführung. Seither hatte Kemeckes Familie, besonders seine Schwester Donna Lewis, die Dinge für die Flints in Buffalo unangenehm gemacht. Donna machte Patrick nicht nur verantwortlich für den Tod ihrer Mutter, wie Kemecke es tat. Sie gab außerdem der ganzen Familie Flint die Schuld am Schicksal ihrer Brüder und ihres Neffen.

    Patrick erwartete, dass die Verfahren sie alle unter eine Menge Stress und Druck setzen würden.

    »Was tut weh?« Er hielt an, um Susannes anderen Skistock ein paar Meter von ihr den Hügel aufwärts zu holen.

    Etwas sauste so nah an ihm vorbei, dass er nach Luft schnappte und beinahe sein Gleichgewicht verlor. Es war nahe am Boden – klein und pummelig – und barhäuptig, wobei blondes Haar unter einem Brillenriemen hoch- und herausstand.

    Es schrie: »Hey Dad.«

    Sein Sohn Perry, der Ski fuhr, als hätte er das bereits sein ganzes Leben lang gemacht.

    »Wo ist deine Schwester?«, schrie Patrick hinter ihm her.

    Sein Sohn verschwand hinter einem Hahnenschwanz aus Schnee. Es war schwierig ihn zu hören, aber Patrick dachte, er hörte ihn sagen: »Weiß nich’«, bevor sich der Schweif um eine Biegung auf der Piste verlor.

    Sie hatten Trish seit fünf Minuten, nachdem sie die Skipisten erreicht haben, nicht mehr gesehen. Patrick versuchte, Gedanken an die momentane Trish zugunsten des süßen kleinen Mädchens, das sie einst war, aus seinem Geist zu verdrängen. Das, welches sich auf seinem Schoß einrollte und ihm zuhörte, wie er seine Texte der medizinischen Hochschule laut vorlas – seine persönliche Verschmelzung von Erziehung und Studium. Sie war jetzt sprunghaft. Hormone hauptsächlich, aber auch das Resultat davon, was sie durchgemacht hatte, und noch immer durchmachte, dank Kemecke. Selbstverständlich machte sie die Dinge für sich oder den restlichen Flint-Haushalt nicht einfacher, indem sie mit Donna Lewis’ Sohn Brandon ausging. Donna hatte Brandon verboten, Trish zu sehen, und Patrick und Susanne taten ihr Bestes, um die Turteltauben auseinanderzuhalten, aber die beiden taten ihr Bestes nach Romeo und Julia-Manier, um zusammenzubleiben.

    Was bedeutete, dass, da Trish nicht bei ihren Eltern oder Perry war, die Chancen gut standen, dass sie bei Brandon war. Nun ja, Patrick konnte hier oben auf dem Berg nichts dagegen tun. Er und Susanne konnten sich beim Mittagessen um Trish kümmern.

    Patrick kroch näher zu seiner Frau. Sein Talski verlor die Bodenhaftung und schickte ihn in einen stehenden Spagat, aber er kniff seinen Gluteus Maximus zusammen und blieb aufrecht. Es war nicht okay, sich an die Teile zu greifen, die wehtaten, also trug er es mit Fassung. Als er Susanne erreichte, pflanzte er seine Stockspitzen tief in das Puder, in die komprimierte Ansammlung darunter, und lehnte sich darauf. Er zog seine Handschuhe aus und stopfte sie in seine Taschen. Sein Ehering schimmerte leuchtend goldfarben gegen das Reinweiß des Schnees. Er hatte erst vor ein paar Monaten angefangen, ihn zu tragen – nach 17 Jahren Ehe ohne einen – und er hatte sich noch nicht daran gewöhnt. Er erwartete noch immer, jede Minute irgendwo damit hängenzubleiben und seinen Finger abzureißen.

    Wind peitschte Schnee vom Boden auf und um sie herum, als Susanne ihr tränenüberströmtes Gesicht nach oben neigte.

    Der Anblick davon machte ihm beinahe den Garaus. »Was tut weh?« Er legte seine Fingerrücken an ihre Wange.

    »Skifahren bereitet mir Kopfschmerzen.« Ihre Zähne klapperten. »Diese Klamotten sind nicht wasserfest. Ich erfriere, und ich kann nicht aufstehen.«

    Er machte ein Schauspiel daraus, ihr Gesicht und ihre Ohren zu überprüfen. »Ich sehe keine Anzeichen von Erfrierungen.« Sie wussten beide, dass sie nicht lange genug draußen war, und dass es genau genommen zu warm dafür war. Aber wenn man bedachte, dass er keine Skikleidung für irgendjemand von ihnen spendiert hatte, erwähnte er es nicht. Seine eigene imprägnierte Blue Jeans fühlte sich ein wenig klamm an. »Bist du verletzt?«

    »Ich weiß nicht. Ich denke nicht. Nur unwohl. Und frustriert.«

    »Okay.« Er haschte nach einem ihrer Ski, bereit ihn zu drehen, verlor aber die Haftung und ging mit dem anderen Bein in einen Spagat. Er handhabte diesen Spagat nicht so gut wie den auf seiner anderen Seite, und er fiel wie ein von einem Gewehr erschossener Bär um. Er rollte sich auf seinen Rücken. Er brauchte definitiv eine Menge mehr Übung. 20 Jahre jünger zu sein würde vielleicht auch helfen.

    Herumwehender Schnee bestäubte sein Gesicht. Er starrte in den blauen Himmel, der in seiner Intensität erstaunlich war, dank der niedrigen Temperaturen des Winters und der Feuchtigkeit, die den Wasserdampf in der Luft senkte. Er rastete, dachte nach und blies warmen Atem auf seine eiskalten Finger. Susanne zu helfen würde schneller gehen und wäre sicherer, wenn er nicht seine Ski anhatte. Er setzte sich auf, öffnete seine Stiefelbindungen und löste die Riemen um seine Fußknöchel, die seine Ski davon abhielten, davonzufahren. Als er fertig war, steckte er den hinteren Teil der Ski in den Schnee, damit sie nicht weggleiten würden. Er kniete sich neben Susanne, hob einen ihrer Ski, an dem ihr Fuß noch immer festgemacht war, und drehte ihn um 180 Grad, in eine Richtung mit dem anderen.

    »Ist das besser?«

    Sie seufzte. »Viel besser.«

    »Warum setzt du dich nicht auf und schwingst deine Beine herum, damit sie im rechten Winkel zur Steigung sind. Wenn sie bergab zeigen, werden sie unter dir hervorschießen, wenn du aufzustehen versuchst.«

    Susanne versuchte es, aber es sah nicht hübsch aus.

    Vielleicht hätte er das Geld für Skiunterricht berappen sollen. Er könnte sie anmelden, wenn sie vom Berg herunterkamen. Er schaute sich um, hoffte, dass sie nahe waren. Die Hütte war nirgendwo in Sicht.

    Mach falls sie jemals den Berg runterkamen draus.

    Susanne legte ihren Kopf schief. »Worüber murmelst du?«

    Patrick klemmte seine Lippen zusammen. Er hatte die unverbesserliche Angewohnheit leise mit sich zu reden. Eine Männerstimme über ihnen ersparte es ihm zuzugeben, dass er kurz davor war, wegen dem Unterricht klein beizugeben.

    »Brauchen Sie Hilfe?«

    Patrick erkannte die Stimme und drehte sich in Richtung seines Freundes Henry Sibley. »Hey Sibley. Hab’ dich eine Weile nicht gesehen.« Henry fuhr in Levi’s, einem Cowboyhut aus Filz, einer Sonnenbrille und einer Wachsjacke Ski. Er sah sogar auf Ski wie ein Farmer aus.

    Henry musste zweimal hinsehen. »Patrick? Ich habe dich mit diesem abhaarenden Murmeltier, das an deinem Gesicht hängt, kaum erkannt.«

    Patrick rieb über seinen schütteren Backenbart, schüttelte dabei Eisklumpen ab. Sein Bart war eine Art murmeltierorange. Henry hatte im Gegensatz dazu einen dichten schwarzen Bart, ordentlich getrimmt. Patricks war noch nicht lang genug für eine Schere, obwohl er ihn seit Neujahr wie ein Baby gehegt und gepflegt hat. Er ist nur in seiner Trainingsphase. Er zwinkerte. »Der Winter ist lang. Man muss etwas tun, um sich warm zu halten.«

    Susanne klinkte sich ein. »Er würde ihn sich auf dem Rücken wachsen lassen, wenn er könnte.«

    »Hey, es funktioniert bei Bären.«

    »Die halten Winterschlaf in Höhlen in den Bergen, wo du vielleicht endest, wenn du mich ihn nicht bald abrasieren lässt.«

    Patrick grinste. Bisher hatte sie seinen Bart noch nicht mitten in der Nacht mit einem Rasierer angegriffen, aber er wusste, dass der Tag kam. »Hey, wo ist Vangie?« Vangie war Henrys sehr schwangere Ehefrau und Susannes gute Freundin.

    »Sie ist unten an der Hütte, trinkt eine heiße Schokolade und hat mir gesagt, ich soll ohne sie weiter. Wir sind auf der Ranch unterbesetzt, also bin ich in letzter Zeit nicht viel raus auf die Skipisten gekommen.« Henry positionierte sich fachmännisch bergab von Susanne und ergriff ihre Hand. »Bitte sehr.« Er zog sie auf die Füße.

    Sie lehnte sich an ihn, während sie sich stabilisierte. »Danke, Henry. Du lehrst nicht zufällig Ski fahren, oder?«

    Lautsprecher knisterten von einem der Masten, die die Kabel des POMA-Lifts stützten. Nach einem durchdringenden Störgeräusch dröhnte eine Frauenstimme: »Arzt des Tages, Sie werden unten an der Hauptpiste gebraucht. Arzt des Tages, melden Sie sich unten an der Hauptpiste.«

    Patrick hob seine Hand. »Die Pflicht ruft.« Er blickte den Hügel hinab. Die Piste war beängstigend. Er hoffte, dass, wer auch immer verletzt war, keine sofortige Hilfe benötigte. Es würde eine Weile brauchen, Susanne dorthin zu bringen.

    Henry nickte. »Mich auch. Ich gebe Susanne Unterricht. Wir sehen dich unten.«

    Susanne und Patrick sagten gleichzeitig: »Gott sei Dank.«

    »Du bist ein guter Mann, Sibley.« Patrick grüßte mit zwei Fingern an seiner Stirn. Dann legte er seine Ski wieder an und richtete sie quer zum Berg aus.

    Geh es langsam an, coachte er sich. Quere den Berg. Fall nicht – es ist einfacher, aufrecht zu bleiben als hochzukommen. Glücklicherweise war nicht viel Verkehr auf der Piste, also konnte er seine Geschwindigkeit kontrollieren, indem er die weiten Bögen machte, welche das Buch für Anfänger empfohlen hatte. Ich bekomme den Bogen raus. Vielleicht wäre der teure Unterricht doch nicht nötig.

    Er glitt wackelig in eine Kurve. Eine Bewegung in den Bäumen zu seiner Rechten zog seine Augen auf sich. Er sah etwas Gelbbraunes und Tiefliegendes mit einem zuckenden Schwanz mit schwarzer Spitze. Berglöwe – hier und am helllichten Tag? Er wusste, dass sie oben in diesen Bergen lebten, hatte seine eigene persönliche Erfahrung aus nächster Nähe mit einem. So rasch wie es erschien, war das Tier jedoch verschwunden, und er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt gesehen hatte.

    Er wandte seine Konzentration darauf zurück, seinen Bogen zu beenden. Die imposante Hütte und ihre breite Terrasse kamen in Sicht. Erleichterung überflutete ihn. Er konnte das Getöse glücklicher Stimmen so klar hören, als stünde er inmitten der Menge. Mittagessenszeit? Er fühlte sich selbstsicherer und er hasste es, wie ein Verlierer auszusehen, also verengte er seine Bögen und kämpfte seine Ski aus der Schneepflugposition heraus und in etwas Respektableres. Seine Geschwindigkeit nahm zu. Trotz seiner Sonnenbrille neckte der Wind Tränen aus seinen Augen und brannte auf seinen Wangen. Seine Selbstsicherheit wuchs. Er fuhr Ski. Er fuhr wirklich Ski. Als er sich dem unteren Ende der Piste näherte, sah er eine Gruppe von zehn Leuten zusammengeschart, ihre Rücken ihm zugewandt und ihre Augen auf einer Person, die im Schnee lag. Das musste sein Patient sein.

    Er plante seine Annäherung und, noch wichtiger, sein Anhalten. Das Skilehrbuch empfahl für Anfänger einen tiefen Schneepflug, aber er fuhr nicht länger Ski wie ein Anfänger. Seine Bögen waren ziemlich gut geworden, wenn er das so sagen durfte. Fortgeschrittene Anfänger hielten beim Skifahren an, indem sie ihre Ski gegen den Hügel drehten und ihre Kanten eingruben. Das war, was er tun würde.

    Er fing an, nach einem Platz zu suchen, um seinen Bogen einzuleiten, einen, der ihn gut entfernt von der Gruppe sein ließ. Die Skipiste war durch den Wind und einer Vielzahl von Ski blank vom Puder gefegt worden, und er konnte keinen Fleck finden, der ihm gefiel. Die Piste war hier unten breiter, und je länger er ohne einen Bogen oder einen Keil querte, desto mehr Geschwindigkeit baute er auf. Er sah, dass er zu nahe an den Lift zog. Er musste sofort drehen oder er würde über das Schlepptau schlittern. Sein Magen flatterte, aber er ignorierte seine Nerven und warf sich in seinen Bogen. Seine Ski glitten seitwärts unter ihm heraus. Er hörte das abscheuliche Geräusch ihrer Metallkanten, die gegen Eis kratzten, spürte die Empfindung bis hoch durch seine Beine. Er fiel jedoch nicht und er ruderte nur ein wenig mit seinen Armen.

    Aber jetzt hatte er ein langes Stück Immobilie vor sich, bevor er seinen Patienten erreichte, und auf seiner Talseite keinen Platz mehr für einen weiteren Bogen. Zu seinem Missfallen nahm er auf dem gepressten Schnee viel rascher Geschwindigkeit auf. Während er auf die Gruppe zubretterte, verlagerte er sein Gewicht bergauf, um seine Kanten einzugraben, aber das schien ihn nur schneller zu machen.

    Er war außer Kontrolle, hatte nur noch 15 Meter vor sich.

    In schierer Verzweiflung wechselte er tief in die Schneepflugposition, hatte dabei seine Beine gebeugt und seine vorderen Spitzen zusammen und hinteren Spitzen weit auseinander. Seine Ski schlugen gegeneinander, und innerhalb von Sekunden brannten seine Oberschenkel. Er sank tiefer, betete. Lieber Gott, bitte hilf mir dabei, vor all diesen Leuten keinen Hanswurst aus mir zu machen.

    Sein Gebet blieb unbeantwortet. Er fuhr über die Enden des Satzes Ski der ersten Person, was ihn zu einem schleifenden Halt brachte, und er umgrätschte die Beine des nächsten Skifahrers. Einer nach dem anderen purzelten die Leute um wie Dominos, bis er jeden in der Gruppe neben seinem Patienten umgehauen hatte, außer einer Frau. Einen Moment lang gab es vollkommene Regungslosigkeit und Stille. Sein Gehirn wurde albern und er dachte: Vielleicht ist das Spiel Bowling statt Domino. Mir fehlt nur ein Pin zum Strike.

    Er räusperte sich. »Entschuldigung. Sind alle okay?«

    Ein Mann unter ihm schrie: »Was zur Hölle? Sie sind mit Ihren Ski über mein Handgelenk gefahren. Hätten es abhacken können. Diese Dinger wachsen nicht nach, wissen Sie?«

    »Gehört in die Skischule«, murrte jemand anders. »Eine Gefahr für sich und andere.«

    »Mein Sohn ist verletzt und Sie sind beinahe geradewegs mit Ihren Ski über ihn gefahren«, sagte eine Frau neben ihm vom Boden aus. Sie hob ihr Gesicht an. Ihre Augenbrauen waren mit Schneekristallen überzogen. »Sie sollten nicht hier draußen sein, wenn Sie sich nicht kontrollieren können.«

    Patrick schloss seine Augen. Falls es ihm irgendwo wehtat, lenkte ihn der Stich der Demütigung davon ab. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut. Aber er musste ihnen sagen, wer er war, damit er seinem Patienten helfen konnte.

    Er öffnete seine Augen, lächelte grimmig und sagte: »Hat jemand nach dem Arzt des Tages gerufen?«

    ZWEI

    UMLENKEN

    Bighorn Mountains, Buffalo, Wyoming

    Samstag, 5. März 1977, 11:15 Uhr

    Perry

    Perry richtete seinen Keil bergab aus und ließ den Wind in seine Jacke rütteln und seine Nase kitzeln. Die Bäume waren auf jeder Seite von ihm verschwommen. Er war noch nie so schnell gewesen, außer in einem Auto, und es war unglaublich. Er mochte diese Ski-Sache. Er war nur froh, dass sein Dad sie nicht dazu gezwungen hatte, sich für die Skischule anzumelden, wo er den ganzen Tag lang mit einer Gruppe Babys hätte abhängen müssen. Ski fahren war einfach. Warum waren sie vorher nicht hergekommen? Sie lebten seit zwei Jahren in Wyoming und er hätte diese ganze Zeit lang im Winter Ski fahren können. Er hätte sogar seine Geburtstagsfeier im Januar hier oben haben können. Nächstes Jahr würde er das bestimmt.

    Er dachte eine Sekunde lang über seinen Sportplan nach. Die Football-Saison wäre bis zu dem Zeitpunkt vorbei, wenn die Skisaison anfing, also konnte der Coach ihm nicht sagen, dass er nicht Ski fahren soll. Hatte die Buffalo High ein Skiteam? Er hoffte, er fing nicht zu spät damit an, aber er konnte schnell lernen, wie er es beim Football getan hatte. Ein kleiner Kitzel durchlief ihn. Er konnte ein Rennfahrer sein. Ein Abfahrtsläufer wie Andy Mill. Er hatte ihn während der Olympiade heftig angefeuert. Obwohl Andy verletzt gewesen war, hatte er so sehr fahren wollen, dass er sein Bein vor seinem Wertungslauf in den Schnee gesteckt hatte, bis es taub war, und dennoch mit dem sechsten Platz beendet. Er war taff, wie Perrys Dad. Wie Perry sein wollte.

    Wenn du nicht groß bist, musst du taff sein, und Perry war definitiv klein. Seine Schwester wurde dem nie müde, ihn daran zu erinnern, was für ein Wicht er war. »Es geht nicht um die Größe des Hundes im Kampf, es geht um die Größe des Kampfes im Hund«, sagte sein Dad immer zu ihm. Sein Dad hatte irgendwie Recht, aber ein großer Hund mit großem Kampf in sich war immer noch das Beste, nach Perrys Denkweise. Deshalb hatte er zu seinem Geburtstag um Hanteln und Knöchelgewichte gebeten. Er hatte sie auch benutzt. Es war nicht fair. All seine Freunde schossen hoch wie Unkraut. Perry maß jeden Tag seine Größe an einer Zielmarkierung, die er innen in den Türpfosten seines Schranks gemacht hatte – die Größe seines besten Freundes John am Ende der Football-Saison – und, zu seiner großen Enttäuschung, schien er nicht aufzuholen. Oder dass ihm auch nicht irgendwelche Bart- oder Brusthaare wuchsen. Er würde es wissen, wenn es so wäre, weil er eine Lupe benutzte, um jeden Abend nachzusehen.

    Er hielt im Schneepflug an. Sein Knöchel zitterte und er schmerzte. Er hatte ihn sich letzten Herbst beim Football gebrochen, ihn dann im Dezember wieder verletzt, und er hatte den Gips erst zwei Wochen zuvor wegbekommen. Ski fahren mit einem kaum verheilten gebrochenen Knöchel? Gut dass er seine Knöchelgewichte benutzt hatte. Er grinste. Vielleicht war er also ein wenig taff.

    Er schaute sich um. Er konnte die große, blockartige Hütte am Fuß des Bergs sehen. Er war auf der letzten Steigung vor der weitoffenen Skipiste herunter zu ihrer Holzterrasse. Hatte er die Zeit, um mit dem Lift einmal mehr vor dem Mittagessen hochzufahren? Sein Magen knurrte. . Er würde definitiv das Sandwich in seiner Tasche essen, wenn er unten ankam. Aber er musste es nicht eilig haben, um dort anzukommen.

    Seine Lippen stachen und er fuhr mit seiner Zunge darüber. Rissig, trocken und blutig. Er legte seine Handschuhe in den Schnee zu seinen

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