Kräuter-Biotika: Antibiotisch wirkende Inhaltsstoffe essbarer Wildpflanzen
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Buchvorschau
Kräuter-Biotika - Felicia Molenkamp
Zum Geleit – Aperitif
»Antibiotika« sind in aller Munde. Es handelt sich um antibakterielle Substanzen, die verschiedene Bakterienstämme in ihrer Ausbreitung hemmen. In Form von Arzneien werden sie gegen allerlei Wehwehchen geschluckt. Für die Mundschleimhaut werden sie ständig von uns selbst produziert. Darüber hinaus sind sie Bestandteil unserer Nahrungsmittel – sowohl für Vegetarier als auch für Omnivoren. In aller Munde sind sie aber auch im übertragenen Sinne, bieten sie doch immer wieder Anlass zu Diskussionen im privaten wie im öffentlichen Leben.
Es gibt einige bakterielle Krankheitserreger, aber auch viele für uns nützliche oder uns überhaupt nicht beeinflussende Mikroorganismen. Das Reich der Bakterien ist groß, und dazu gehören auch zahlreiche lebensnotwendige kleine Helfer. Zu der mit uns in enger Symbiose zusammenlebenden Gemeinschaft aller Mikroben, dem Mikrobiom, zählen die Darm- und die Hautflora ebenso wie die Kolonisten anderer Organe und Gewebe. Nur in Blut, Lymphe, Herz und Hirn konnten bisher noch keine dieser Miniaturaktivisten nachgewiesen werden.
Da die Mikroben weltweit nahezu überall leben, haben auch Tiere und Pflanzen ihr jeweils persönliches, einzigartiges Mikrobiom. Es besteht neben wenigen Pilzen und anderen mikroskopisch kleinen Lebewesen hauptsächlich aus vielen tausend verschiedenen Bakterienarten. Für die Bakterien ist ein mehrzelliger Organismus ein Kontinent mit unterschiedlichen Landschaften und Klimazonen, auf dem sie sich heimisch niedergelassen haben und den sie bewirtschaften.
Mit jedem Bissen und jedem Schluck Flüssigkeit, den wir uns einverleiben, ernähren wir auch unsere Mitbewohner. Für diese Unterhaltsleistungen bedanken sich die Winzlinge durch ihre Mitarbeit bei der Verdauung oder die Produktion von Vitaminen, Hormonen sowie anderen nützlichen und lebenserhaltenden Substanzen. Ähnlich wie im Märchen von den Heinzelmännchen nehmen wir ihre Wohltaten wahr, ohne auch nur jemals eine Bakterie mit bloßem Auge gesehen zu haben.
Bakterien lachen nicht, sie weinen nicht – und doch beeinflussen sie unsere Emotionen. Sie haben keinen Sex – und doch beeinflussen sie unsere Partnerwahl. Sie können per Definition nicht auf natürliche Weise sterben – und doch beeinflussen sie die Länge unseres Lebensfadens. Sie sind winzig und nahezu unsichtbar – und doch bewirken sie Großartiges wie Tragisches.
Manchmal tauchen in der eingespielten Allianz unserer körperlichen Wohngemeinschaft unerwünschte Eindringlinge auf. Störenfriede, die das Milieu verpesten, rumstänkern oder anderweitig Zwietracht säen. Es kann zu regelrechten Territorialschlachten kommen. Größere Gemetzel lösen bei uns sowie in allen tierischen Organismen Entzündungen aus. Diese sind Warnzeichen unseres Körpers, die unser Immunsystem anheizen.
Werden wir von solchen bakteriellen Krankheitserregern überfallen, so haben wir seit ungefähr achtzig Jahren die Möglichkeit, pharmazeutisch synthetisierte Antibiotika in konzentrierter Form zu uns zu nehmen. Das sind viele Millionen natürliche, künstlich oder halbsynthetisch kreierte Moleküle, die in Tablettenform gepresst und oft zuckersüß maskiert werden. Neben den Vorteilen, die mit der Gabe von Antibiotika verbunden sind, hat die Medaille aber auch eine Kehrseite. Wir sollten zum Beispiel immer bedenken, dass der geradezu inflationäre Einsatz von chemischen Antibiotika auch ein Trainingsprogramm für Bakterienresistenzen darstellt. Das heißt, die Bakterien passen sich an die neuen Herausforderungen an, und die vermeintlichen Wunderwaffen werden schnell wirkungslos.
Schon Alexander Fleming, einer der Entdecker dieser Abwehrstrategien, warnte während seiner Nobelpreis-Laudatio 1945 vor der exzessiven Verwendung dieser neuen Medizin. Zunächst euphorisch gefeiert, zählten die »Antibiotika« genannten Defensivmaßnahmen der Mikroorganismen – auch der industriell synthetisierten – bald zu den berühmtesten Neuerungen der humanen Medizingeschichte. Die menschliche Gier nach stets noch mehr Erfolg, noch mehr Gewinn und noch mehr Heilung sorgte schnell für einen regelrechten Boom auf dem Antibiotikamarkt. Jährlich werden mittlerweile allein in Deutschland mindestens 600 000 Kilogramm der Mittel in der Humanmedizin verschrieben. Etwa die doppelte Menge wird nochmals in der Tiermast verschwendet, wobei seit 2006 die vorsorgliche Gabe bei gesunden Tieren zur Ertragsoptimierung verboten ist. Doch der Boom kehrte sich zum »Boomerang«, der mit vielen Nebenwirkungen im Gepäck zurück auf uns zurast und mittlerweile bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Seit einigen Jahren offenbaren die Chemo-Biotika bedenkliche Nebenwirkungen. Die Erforschung adäquater Alternativen setzte die Wissenschaft zunehmend unter Druck, und die Bannung der negativen Auswirkungen steht inzwischen mehr im Fokus als ihre positiven Effekte. Ihr lebensverlängernder Erfolg kehrt sich infolge des flächendeckenden Einsatzes um in eine lebensbeschränkende Bedrohung.
Eine Alternative dazu sind Kräuter-Biotika (mehr dazu auf Seite 31). Unsere wilden Pflanzen, auch die mitteleuropäischen, müssen sich ebenfalls vor feindlichen Invasionen der Mikroben und Pilze schützen. Hauptsächlich präventiv. Zu diesem Zweck bauen sie verschiedene Inhaltsstoffe auf, die den unangenehmen Quälgeistern ihren Aufenthalt vergällen. Und genau diese Elemente schenken uns die essbaren Kräuter, Gemüse, Gewürze, Baumblätter, Erdknollen, Früchte oder Schoten, wenn wir sie regelmäßig als Nahrung genießen. Wildwachsende Pflanzen sind sozusagen auf sich allein gestellt bei ihrer Verteidigung gegen die Unbilden des Lebens. Sie produzieren daher recht viele dieser Substanzen und bewahren sie vorsorglich in besonderen Abschnitten ihrer Körper auf. Dort sind sie unter anderem auch als Energiereserve für sich selbst und für uns von Nutzen. (Im Gegensatz dazu werden gezüchtete Früchte und Gemüse von uns gehegt und gepflegt. Sie brauchen wenig oder keine Energie in die Ausbildung ihrer Selbstverteidigung zu stecken.) Die natürlichen, von Pflanzen produzierten Antibiotika unserer Nahrung sind das zentrale Thema dieses Buches.
Pflanzen sind aber viel mehr als reine Wirkstoffbehälter gegen spezielle Wehwehchen – wie jeder Organismus mehr ist als die Summe seiner Inhaltsstoffe und Teile. Pflanzen sind tragende Säulen unserer unglaublich vielfältigen Lebensnetzwerke. Sie existieren bereits seit vielen Millionen Jahren und bilden die Basis für unsere Existenz. Wir atmen den von ihnen erzeugten Sauerstoff, wir kleiden uns in ihre Materialien, wir bauen unsere Behausungen mit ihren Stützelementen und vieles mehr. Vor allem sind sie uns Vorbild für die meisten unserer Erfindungen, die unser Leben seit Beginn der Menschwerdung ungemein erleichtern. Nahezu alle menschlichen Schöpfungen, zuvorderst die im naturwissenschaftlichen Bereich, fußen auf pflanzlichen Vorbildern. Diese Tatsache wird oft vernachlässigt, wenn wir florale Objekte, besser gesagt Subjekte, erforschen. Mittlerweile haben wir sogar Geräte erfunden, die uns befähigen, den pflanzlichen und mikrobiellen Nachrichtenaustausch zu erahnen – dabei können wir aber erst vage die Spitze des Eisbergs erblicken.
Dieses Buch möchte Ihnen zeigen, wie Sie sich die natürlichen biotischen Kräfte der Pflanzen zunutze machen können, um Krankheiten vorzubeugen und die ganzheitliche Heilung zu unterstützen.
Beim Sammeln müssen Sie die einzelnen Wildkräuter natürlich genau kennen, um sie nicht mit ungenießbaren oder gar giftigen Doppelgängern zu verwechseln. Ich pflücke mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen meiner Kräuterführungen immer wieder wilde Kost vom Wegesrand zum Probieren. Dabei betone ich auch stets, dass die Würze einer einzelnen Pflanze immer anders empfunden wird als im Potpourri. Das wäre so, als würden Sie während Ihres Einkaufsbummels an der Gemüsetheke erst zwei Blätter Endivie und ein Stück Gurke probieren, in eine Zwiebel beißen, dann am Lauch knabbern, sich etwas Pfeffer und Salz auf die Zunge streuen und abschließend einen Stängel Petersilie kauen …
Zum Kennenlernen der Kräuter werden in Ihrer Nähe sicher verschiedene botanische Exkursionen angeboten. Sie sind selbstverständlich herzlich eingeladen, auch an einem meiner Angebote in Nordhessen teilzunehmen.
Grundsätzlich gilt für jede Wildsammlung von Pflanzen:
Ernten Sie nie den gesamten lokalen Bestand der Kräuter.
Achten und vermeiden Sie Kot von Tieren in der Nähe der Sammelobjekte.
Meiden Sie gedüngte Felder und verkehrsreiche Gebiete.
Sammeln Sie ausschließlich Pflanzen, die Sie genau kennen.
In den ersten Kapiteln dieses Buches erfahren Sie einige Hintergründe über die gemeinsame Entwicklung, die Koevolution von Mikroorganismen, Pflanzenwelt, Tierwelt und Menschheit, um die Zusammenhänge der Heilwirkungen besser zu verstehen. Danach werden wir die spezielleren Heilkräfte einzelner Pflanzenbestandteile beziehungsweise -wirkstoffe besprechen, ohne sie jedoch dem Gesamtzusammenhang zu entreißen. Die einfachen Rezepte in diesem Buch sollen Ihnen als Anregung dienen, die gesammelten Wildkräuter individuell und einfach in Ihre Kochkunst zu integrieren. Sie können, wenn Sie möchten, so zunächst mit wenigen wilden Kräutern Ihre eigenen Rezepte aufwerten und sie allmählich um die gesunde und schmackhafte Kräuterkost bereichern. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, kenntnisreiche Stunden und viele neue kulinarische Genüsse!
Felicia Molenkamp
Bakterien:
Unsere Urahnen als geniale Lebenskünstler
Bakterien, Bazillen, Bösewichter – diese Gedankenverbindung ist uns bestens bekannt. Doch um es gleich vorwegzusagen: Das ist eine Assoziation, die auf falschen Annahmen beruht. Bakterien gehören nämlich untrennbar zu unserem Dasein wie Wasser, Feuer, Luft und Erde. Es gibt sie seit undenklichen Zeiten, und sie sind unentbehrlich, ja, sie schaffen sogar erst die Voraussetzungen für das Leben.
Bakterien sind vielfältig und allgegenwärtig. Die einzige Gemeinsamkeit ist ihre Einzelligkeit. Es gibt für uns nützliche und schädigende – doch die allermeisten Bakterien leben völlig unbemerkt in uns, an uns und fast überall in unserem Umfeld.
Woher Bakterien kommen und wie sie unser Leben ermöglichen und bereichern
Zunächst möchte ich Sie jedoch zu einer kurzen Rückschau auf die Entwicklung unserer Natur einladen – unsere Vergangenheit, die die Voraussetzungen für uns wunderbare Wesen geschaffen und uns nachhaltig geprägt hat. Mit dem folgenden vereinfacht dargestellten »Schnelldurchlauf« zur Entwicklung der Erdgeschichte aus biologischer Sicht will ich Informationen zusammenfassen, die das Verständnis dieses Buches erleichtern sollen oder vielleicht sogar erst ermöglichen. Begleiten Sie mich deshalb jetzt auf der Reise zu den irdischen Anfängen des Lebens.
Vor mehr als vier Milliarden Jahren gab es eine Landmasse, Wasser und atmosphärische Gase, hauptsächlich Kohlendioxid (CO2), Wasserdampf (H2O) und Ammoniak (NH3). Vulkanausbrüche unter Wasser und Gestein, Blitze und UV-Strahlung – es gab noch keine schützende Ozonschicht – erzeugten eine Menge Energie und Chaos. Alle Materie wurde immer wieder durcheinandergewirbelt, und auch die Atome und Moleküle formierten sich immer wieder neu. Zusätzlich wiesen die meisten Atome in den damaligen chaotischen Verhältnissen eine minimale elektrische Ladung auf. Das führte dazu, dass sich einige der sich zusammenfindenden Bausteine aus den Elementen C, O, H und N, Bestandteile obengenannter Gase, immer wieder auf eine bestimmte Art zusammenrotteten. Es entstanden die ersten Kohlenhydrat- und Eiweißmoleküle. Aufgrund ihrer Anziehungskräfte zogen diese Moleküle auch immer wieder die gleichen kleinen Moleküle an und bildeten Pärchen.
Sei es zufällig, aufgrund »göttlichen Funkens« oder außerirdischen Inputs – einige dieser Formationen waren besonders eifrig dabei, sich zu paaren und Verbindungen auszuprobieren. Fünf dieser sogenannten Basen kennen wir heute noch als Grundbausteine des Lebens: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G), Cytosin (C) und Uracil (U). Sie lagern sich immer zu folgenden Pärchen zusammen:
C + G sowie A + T beziehungsweise A + U.
Ihre Reihenfolge auf einem Chromosom (das ist ein Erbgutsegment oder -teilstück) sowie die Länge und die Faltung des gesamten Informationsträgers bestimmen den Vererbungscode. A, C, G, T und U sind sozusagen die Buchstaben zu den Sätzen, die das Buch des Lebens füllen. Bücher sollten aber nicht nur geschrieben, sondern auch vervielfältigt werden, um ihre Information zu verbreiten. Diese Metapher lässt sich ebenfalls auf die Pärchenmoleküle übertragen, denn auch sie stellten zuerst inverse Abzüge und mit diesen als Vorlage originalgetreue Kopien von sich her. Und sie tun dies bis heute!
Da Partys mit vielen Freunden nun mal fröhlicher sind als einsame Abende, fanden sich im Urozean immer mehr Bausteine zusammen und formten längere Ketten. Auch diese Anordnungen konnten (und können) über eben genannte zwei Schritte jeweils dupliziert werden.
Irgendwann gestalteten einige Molekülformationen auch eine Hülle – und der Prototyp einer lebendigen Zelle war entstanden. In seinem Inneren herrschten andere Bedingungen als außen. Fehlendes konnte von außerhalb eingeladen, Überschüssiges abgegeben werden.
Selbstverständlich bin auch ich nicht in der Lage, Ihnen detailliert die Entstehung oder Entwicklung des irdischen Lebens zu erklären. Doch unter den gegenwärtigen Theorien zum Thema scheint mir dieses vereinfacht dargestellte Szenario am wahrscheinlichsten. Wichtig ist, was »hinten rauskommt« –