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Als Frau unterwegs: Reisegeschichten aus aller Welt
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eBook321 Seiten4 Stunden

Als Frau unterwegs: Reisegeschichten aus aller Welt

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Über dieses E-Book

Reisen mit Lust und offenen Augen, Reisen mit Blick auf das Neue und Unerwartete, Reisen mit Überraschungen und Abenteuern. Astrid Kaiser ist bekennende Reisejunkie.
In ihrem Buch erzählt sie in spannenden, bewegenden oder nachdenklichen Geschichten von Freuden und Gefahren, von Missgeschicken und Überraschungen, aber vor allem von vielfältigen menschlichen Begegnungen in aller Welt.
Sämtliche hier geschilderten Erlebnisse sind authentisch und können dazu beitragen, Reisesehnsucht zu stillen oder Reiselust zu wecken.
Die unterhaltsam aufgeschriebenen Reiseskizzen spielen in allen Kontinenten – einschließlich Antarktis.
Die Reiseziele sind oft exotisch und bunt gemischt, wie z.B. Bhutan, Indonesien, Malediven, Mongolei, Nordkorea, Pakistan, Saudi-Arabien, Tibet, Usbekistan, Vietnam, Belize, Chile, Grönland, Guatemala, Kolumbien, Panama, Peru, Nicaragua, Benin, Botswana, Gabun, Uganda, Madagaskar, Namibia, Vanuatu, Tahiti, Palau.

Dieses ungewöhnliche Reisebuch bietet Einblick in die Erlebnisse einer couragierten, reiseerfahrenen Frau und öffnet für alle Leserinnen und Leser den Blick auf den besonderen Reiz des Reisens als Lebensform.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum23. Nov. 2022
ISBN9783987624995
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    Buchvorschau

    Als Frau unterwegs - Astrid Kaiser

    A Abenteuer

    A 1 Nordkorea: Vergessen in Pjöngjang (2015)

    Ich hatte schon viele Länder der Erde bereist, aber Nordkorea war für mich immer noch ein unbekannter Fleck auf der Landkarte. Deshalb war ich besonders neugierig, mit eigenen Augen dieses Land zu sehen, von dem mir immer nur ein bestimmter Eindruck vermittelt wurde.

    Um nach Nordkorea zu reisen, braucht man aber eine Gruppe und zwei staatlich geprüfte Reiseleiter, die auf diese Gruppe aufpassen. Das dachte ich jedenfalls vorher und buchte bei einer zertifizierten Organisation, die zu besonderen nordkoreanischen Feieranlässen touristische Reisen anbietet. Wir waren schließlich 21 Leute aus Deutschland, die anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung des Landes von den Japanern eine Rundreisegruppe bildeten. 

    Die eigentliche Reise begann in Peking, dort begegnete sich die Gruppe erstmals am Flughafen. Der Höhepunkt sollte am Folgetag, dem 15.08., abends das Massentanzen auf dem Kim-Il-Sung-Platz sein. Wir hatten schon mittags unser Hotel verlassen und die Koffer in den Bus gepackt, weil wir nach dem großen Fest am Abend direkt in den Süden des Landes, nach Kaesŏng, fahren wollten.

    Die Stadt war überfüllt, wir fanden nur außerhalb vom Zentrum einen Parkplatz für den Bus - nicht weit vom Theater und Parlamentsgebäude. Von dort mussten wir zu Fuß durch die abendliche Dunkelheit etwa 20 Minuten zum zentralen Platz von Pjöngjang gelangen. Wir gingen mehrere hell erleuchtete Straßen entlang, unterquerten zweimal eine Straßenkreuzung durch Fußgängertunnel. Ich achtete nicht besonders auf den Weg, denn Frau Kim und Herr Kim führten uns - wie gewohnt - sicher zum Ziel. Jedenfalls glaubte ich das noch auf dem Hinweg. 

    Nach einer kurzen Strecke am Taejŏn-Fluss entlang mit Blick auf den Chuche-Turm und das Feuerwerk kamen wir auch tatsächlich am Festgelände an. Frau Kim begleitete uns bis zu einem Hügel in der Nähe des Flussufers, von dem aus wir die tausenden von tanzenden Frauen mit den langen grellbunten, glänzenden Festkleidern und die in schwarze Hosen mit weißen Hemden samt farbiger Krawatte gekleideten Männer gut überblicken konnten.  

    Sie sagte uns, dass wir Punkt 5 Minuten vor 21 Uhr losgehen müssen, um noch vor Mitternacht im neuen Hotel im Süden in Kaesŏng anzukommen. Vorher dürften wir uns umschauen, ob wir gute Stellen zum Fotografieren finden. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und ging etwas näher in Richtung der Tänzer, da ich nur eine einfache Kompaktkamera hatte, mit der sie aus der Ferne nicht gut zu fotografieren waren. Ein Uniformierter winkte mir mit den Händen, ich dürfte durch die Absperrung gehen, um näher bei den Tanzenden zu sein. 

    Diese unerwartete Möglichkeit ließ ich mir nicht nehmen. Ich ging bis direkt neben die tanzenden Paare und machte interessante Fotos. 

    In diesem Augenblick erkannten mich einige der tanzenden Frauen wohl als Ausländerin und winkten mir zu, mit ihnen zu tanzen. So ein Erlebnis wollte ich mir nicht entgehen lassen, auch wenn ich mit kurzem engen, schwarzen Rock und pinkfarbenem T-Shirt nicht zu den prächtig gekleideten Frauen passte. Ich ging zu ihnen, eine Frau reichte mir die Hand, und ich tanzte nun in einer Vierreihe als Fünfte mit. Aber ich fühlte mich dazugehörig und nicht wie ein fünftes Rad am Wagen. Die Musik dröhnte laut über den Platz, aber wir lächelten uns beim Tanz in der Reihe selig an. Zwischendurch schaute ich aber öfter auf meine Uhr, um rechtzeitig loszugehen, damit meine Reisegruppe nicht auf mich warten musste. 

    12 Minuten vor 9 verneigte ich mich vor den Mittänzerinnen, verabschiedete mich mit freundlichem Lächeln und ging Richtung Hügel, auf dem das Gruppentreffen stattfinden sollte. 

    Der Weg dauerte höchstens 4 Minuten. Das dachte ich jedenfalls. Doch kaum war ich losgegangen hörte nach etwa 2 Minuten die Musik urplötzlich auf. Das Massentanzen schien zu Ende zu sein. Zehntausende von Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern machten sich auf den Weg nach Hause, zur U-Bahn oder zum Bus. Es gab kein Durchkommen mehr. Ich war abgesperrt vom Hügel, den ich zwar von Weitem sah, aber der Zugang war für mich von drängelnden Menschenmassen blockiert. 

    Als ich schließlich dort angekommen war, sah ich weit und breit niemanden von der Gruppe und weder Frau Kim noch Herrn Kim. Ich bekam einen Riesenschrecken. Sollte mich die Reiseleitung einfach vergessen haben? So etwas ist eigentlich in Nordkorea undenkbar. 

    Ich überlegte, wie ich allein zum Bus kommen konnte und rannte los, zuerst die Strecke entlang des Flussufers, das war sehr einfach, auch wenn es nicht mehr so hell erleuchtet vom Feuerwerk war. Daran konnte ich mich noch vom Hinweg gut erinnern. Nach längerer Strecke geradeaus erreichte ich die erste Fußgängerunterführung. Zunächst stieg ich die Treppe abwärts. Unten angekommen war ich ziemlich verwirrt, es gab viele Treppen, die zu irgendwelchen Straßen hochführten, aber alle waren mit koreanischer Schrift beschildert. 

    Ich entschied mich für einen Aufgang direkt gegenüber von der Treppe, die ich heruntergestiegen war und war erleichtert, dass ich bei Hochhäusern mit modernem blauen Led-Licht als Innenbeleuchtung hochkam. Diese Lichter hatte ich beim Hinweg auch gesehen und dabei überlegt, warum Pjöngjang eigentlich den Ruf hat, die dunkelste Stadt der Welt zu sein, wenn hier verschwenderisch farbiges Licht erstrahlte. Für mich waren die Lichter ein wichtiger Wegweiser. Ich dachte: „Ich sehe die Lichter vom Hinweg. Also bin ich auf dem richtigen Weg". 

    Jedenfalls glaubte ich es und rannte in Eiltempo bei feuchtheißer Luft die Straße mit den modern beleuchteten Hochhäusern weiter. Wieder kam ich an eine Unterführung und wusste nicht, wo es weitergeht. 

    Ich hetzte in gerader Richtung die Treppe erneut hinauf. Mittlerweile war ich schon völlig verschwitzt. Die nächste Straße schien mir auch vertraut zu sein, aber es dauerte und dauerte, bis ich endlich etwas Bekanntes zu sehen bekam. 

    Nach längerer Wegstrecke in der feucht-heißen Abendluft von Pjöngjang erblickte ich vor mir auf der Anhöhe die monumentalen Mansudae-Statuen von Kim Il Sung und Kim Jong Il. Mir wurde klar, dass ich zu sehr nach Osten gelaufen war. Kim Il Sung zeigte mit seinem ausgestreckten Arm schon, wohin ich laufen musste, nämlich von mir aus gesehen nach links. 

    Verzweifelt sprach ich Leute auf den vollen Straßen auf Englisch an: Where is the Parliament? Einige verstanden mich. Manche zeigten nach links und rannten mit mir begleitend zur linken Seite, um mich zu mehr Geschwindigkeit zu bewegen und den Weg konkret zu weisen. 

    Immer wieder dachte ich voll Schrecken daran, was passiert, wenn ich nicht rechtzeitig den Bus finde. Aus dem Hotel war ich schon ausgecheckt. Allein als Touristin in Pjöngjang unterwegs zu sein, schien mir unvorstellbar. So etwas ist in diesem Land nicht vorgesehen. Schließlich erblickte ich auf dieser Straße das Theater und wusste, dass ich kurz vor dem Parkplatz war. Ich versuchte eine Abkürzung seitlich vom Theater zu nehmen, aber hier waren die Wege gesperrt, ich musste auch noch das letzte Stück die Straße entlang weiterlaufen und dachte immer wieder: „Hoffentlich steht der Bus noch auf dem Parkplatz und ist noch nicht abgefahren!". 

    Schließlich kam ich 18 Minuten nach 21.00 Uhr mit klatschnasser Kleidung am Parkplatz an und sah gerade, wie einige der Gruppe zur unterirdischen Toilette auf diesem Platz gingen und hörte Frau Kim dringend raten, dass man hier noch eine gute Toilette habe und sie nutzen solle, bevor wir auf den Weg nach Süden starten würden. 

    Ich tat so, als sei ich schon immer bei der Gruppe gewesen, nickte ihr zu und ging in Richtung der unterirdischen sanitären Anlagen. 

    Niemand hatte meine Abwesenheit bemerkt, niemand wunderte sich, dass ich anwesend war. Nur ich war überglücklich, doch noch den Anschluss an die Gruppe geschafft zu haben. 

    Niemandem schilderte ich mein Erlebnis – auch nicht meiner Reiseleiterin. Ich wollte es Frau Kim nicht antun, sie darüber aufzuklären, dass sie mich vergessen hatte. 

    Jedes Mal, wenn Leute über Nordkoreareisen sprechen und prophezeien, dass dort alles bis aufs I-Tüpfelchen kontrolliert wird, lächele ich leise vor mich hin. Ich habe schließlich eine andere Erfahrung gemacht... 

    In dieser Situation wäre ich allerdings froh gewesen, wenn genauer gezählt worden wäre, ob wirklich alle 21 der Gruppe dabei waren. 

    Als unfreiwillige Joggerin auf Gruppensuche in der Dunkelheit durch Pjöngjang zu hetzen, ist nicht die Reiseerfahrung, die ich suche. Aber rückblickend kann ich mittlerweile darüber lachen. So ein Erlebnis in Nordkorea hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Ich war eigentlich überzeugt, dass man dort niemals allein unterwegs sein könnte...

    A 2 Arizona: Im Schneetreiben gefangen (1994)

    Ich war während der Osterferien mit meinen Söhnen in einem Wohnmobil im Westen der USA unterwegs. Diese Reise hatte ich ihnen als Belohnung für die vielen Umstellungen versprochen, die sie beim Schulwechsel von unserer bisherigen Stadt Bielefeld nach Oldenburg ertragen mussten. 

    Wir freuten uns vorher sehr auf diese Reise. Doch wir dachten nur an wunderschöne Nationalparks und für uns unvorstellbar große Städte.  Wir konnten nicht ahnen, welche Unbilden des Wetters uns erwarteten. 

    Ein wichtiges Ziel war natürlich der Grand Canyon. Wir verließen uns damals noch auf Autoatlanten, von Navigationssystemen war im Alltag nichts bekannt. Aber wir kamen auch so gut zu unseren Zielen – jedenfalls bis zu diesem Augenblick kurz vor Erreichen der Gegend um den Grand Canyon. Wir tankten in einer Ortschaft – ich glaube, sie hieß William. Ich fror, als ich zum Tanken das Fahrzeug verlassen musste, ein nasskalter Schneeregen fiel auf den Boden. Ich dachte in dem Moment nicht daran, dass wir uns bereits auf über 2000 Metern Höhe befanden und klimatisch nicht mehr im Wüstenklima Nevadas herumfuhren. 

    Ich steuerte zu der Ausfallstraße in Richtung North Rim des Grand Canyons. Es war eine schmale Straße, die ohne Querstraßen immer weiter geradeaus führte. Aber mit der Führung war es nicht sehr weit gediehen. Die Schneeflocken an der Windschutzscheibe fielen immer dichter, die Sicht wurde deutlich eingeschränkt, ich fuhr immer langsamer. Dabei behinderte ich niemanden, denn selten war ein Fahrzeug auf dieser Strecke unterwegs. Schließlich war die ganze Fahrbahn von einer dichten Schneeschicht bedeckt, an den Seiten häuften sich die Schneehügel. 

    Wir hatten keine Chance mehr umzukehren, nirgendwo gab es Querstraßen, um seitlich abzubiegen. Wir mussten einfach weiterfahren, vorsichtig und immer langsamer auf dem spiegelglatten Untergrund. 

    Zwischendrin dachte ich an schreckliche Zeitungsmeldungen über deutsche Touristen, die irgendwo in den USA erfroren aufgefunden worden waren, und hoffte inständig, dass wir nicht einem solch schrecklichen Schicksal entgegenfuhren. Immerhin war der Tank noch fast voll und bei der langsamen Kurverei konnten wir auch nicht viel Sprit verbrauchen.

    Mein älterer Sohn saß neben mir und las die Karten, der jüngere vergnügte sich im Wohnbereich des Wohnmobils mit seinen Spielsachen. Mein Beifahrer fand heraus, dass in 36 Meilen ein Campingplatz zu finden sei. Wir waren froh, dass die elende Fahrerei in absehbarer Zeit ein Ende haben würde. Aber 36 Meilen bei Schneckentempo über eine schneeglatte Fahrbahn zu fahren, ist kein Zuckerschlecken. 

    Es dauerte und dauerte, bis die nächste Meile als vollendet am Tacho angezeigt wurde. Ich dachte immer nur noch: „Bloß nicht ins Schlingern geraten!" Denn so ein schweres großes Fahrzeug wie ein US-Motorhome ist nicht leicht zu manövrieren. 

    Ich hatte zwar das kleinste Modell aus der Angebotspalette des Autovermieters gebucht, aber es war damals immer noch für deutsche Verhältnisse ein opulentes Fahrzeug. Also konzentrierte ich mich hundertprozentig auf den vor mir liegenden Straßenabschnitt, um keinen Manövrierfehler zu begehen. Doch die Entfernungsanzeige bewegte sich kaum. 

    Wir fuhren und fuhren, bis wir nur noch 30 Meilen vor uns hatten. Immerhin, das war schon ein Glücksgefühl, einen nennenswerten Abschnitt sicher hinter sich gebracht zu haben. Aber eine schier endlose Strecke lag noch vor uns. 

    Das Schneetreiben wurde dichter, die Sicht immer schlechter. Doch wir hatten keine Wahl, nur vorwärts zu schleichen war die Option. 

    Ich weiß nicht, wie lange die ganze Fahrt bis zum Campingplatz dauerte. Auf die Uhr zu schauen, erschien mir zu riskant, weil ich dann meinen Blick von der Straße abwenden musste. Also fuhr ich stoisch weiter. 

    Glücklicherweise war mein Zehnjähriger hinten im Wagen gut beschäftigt und verlangte nicht meine Aufmerksamkeit, das wäre zu viel für mich gewesen, ihn auch noch zu beruhigen. Also fuhr ich immer weiter, bis ich endlich in einen Wald gelangte und ein Hinweisschild las, dass in zwei Meilen ein Campingplatz zu erwarten sei. Diese letzten drei Kilometer fielen mir etwas leichter. Es gab Hoffnung! 

    Doch sie wurde jäh zerschlagen. Als wir an der Einfahrt zum Campingplatz angelangt waren, sahen wir einen hölzernen Schlagbaum quergelegt und unbeleuchtete Holzhütten. Bei näherem Hinsehen erkannten wir ein Schild, dass der Campingplatz geschlossen sei. Verzweifelt fuhren wir langsam weiter, bis wir an eine T-Kreuzung kamen. 

    Dort stand – oh Wunder! – ein Sherriff. Ich kurbelte das Seitenfenster herunter und fragte, in welche Richtung wir aus dem Schneetreiben am ehesten herauskommen könnten. 

    Er zeigte wortlos nach links. 

    Dankbar folgte ich ihm, die Straße hatte ein deutliches Gefälle. Als wir etwa 300 Meter tiefer angelangt waren, ließ der Schneefall nach, bald wurde die Straße trocken, die Sonne schien, und wir blickten in die Tiefe auf ein grünes Tal. 

    Wir hatten es geschafft, von der bedrohlichen Höhenlage mit heftigem Schneetreiben sicher in angenehme Wetterzonen zu gelangen. 

    Nun fuhren wir sehr weit um den Grand Canyon herum, um am nächsten Tag vom tiefer gelegenen South Rim die herrliche Landschaft zu genießen. Hier sah die Welt ganz anders aus, grün mit Frühlingsblumen und einem warmen sanften Windhauch. Der vergangene Tag erschien mir fast unwirklich in dieser lauen Frühlingsluft. Ich hätte nicht gedacht, dass derartig krasse Klimazonenwelten zwischen dem nördlichen und südlichen Ufer des Grand Canyon liegen. 

    Wir waren so glücklich, endlich in milden Gefilden angekommen zu sein, dass uns diese Gegend besonders schön und beeindruckend vorkam.

    A 3 Peruanischer Hexenmarkt in Chiclayo (2005)

    Ich war mit meinem Freund im Norden Perus unterwegs, um in Trujillo und Lambayece die unglaublich kostbaren Kulturschätze, Grabpyramiden und Stadtruinen der Prä-Inka-Kulturen zu sehen. Unser erster Stopp war Chiclayo. 

    Von hier aus waren die wunderbar präsentierten Museen über die Moche-Kultur-Gräber gut zu erreichen. Die Ausstellungen gaben einen hervorragenden Einblick in das Leben der Herrscher, die sich mit prunkvollem Schmuck hervorhoben und die sich nach ihrem Ende samt Frau und Nebenfrau mit allen Wächtern bestatten ließen. 

    Einerseits war es nicht einfach, die für unser Empfinden Grausamkeiten historisch und kulturell einzuordnen. Aber wir waren begeistert, welch kostbaren Goldschmuck mit Türkiseinlagen wir sahen, wie klug die metallurgischen Handwerker zu jener Zeit arbeiteten und welche wunderschönen Keramikkrüge damals geschaffen wurden mit Gesichtern aus Ton, die sehr klar verschiedene Gefühle ausdrückten.

    Ich wollte aber auch die Gegenwart dieser geschichtsträchtigen Region näher kennenlernen und drängte darauf, den Hexenmarkt der Stadt zu besichtigen. Guillermo, mein Freund, fand das weniger gut, weil ihm als Naturwissenschaftler solch ein magisch-mythischer „Hokuspokus" in Lateinamerika eher peinlich erscheint. 

    Aber er ging mir zuliebe mit. Wir sahen allerhand eigenartige Tinkturen, irgendwelche Fischteile, Vogelfedern, Kräuter und Klanghölzer. Es gab hier eine schier unerschöpfliche Vielfalt an Fetischen. Zwischendurch fotografierte ich Kinder, weil ich damals gerade ein anthropologisches Projekt durchführte, alle Kinder, die ich in der Öffentlichkeit erblickte, fotografisch festzuhalten. Ich wusste, dass dies nicht gerade der sicherste Ort für meinen Fotoapparat war, deshalb legte ich das Halteband um meinen Unterarm und hielt die Kamera gut mit der rechten Hand fest.

    Manchmal mussten wir uns auf engen Fußwegen voll von Besuchern voranschieben. Mehrfach konnten wir nicht nebeneinander gehen, sondern nur hintereinander. 

    In diesem Moment merkte ich, wie Guillermo mit der Hand hinten auf seine Hose schlug, als wollte er eine Fliege erschlagen. Ich fragte ihn, was los sei. Er antwortete, es habe eine Frau in seine rechte Hosentasche gegriffen. Aber als er es sofort bemerkte, rechtfertigte sie sich: „Oh Verzeihung, ich dachte, das sei mein Mann. Ich wollte in seine Hosentasche greifen." 

    Doch kurz danach folgte der zweite Griff in Guillermos Hosentasche, die er mit wieder einem gezielten Schlag abwehrte. Das war also gerade noch glimpflich ausgegangen! 

    Leichtsinnigerweise hatte er seine dicke Geldbörse mit den vielen Peso-Scheinen in der Hosentasche bei sich getragen. 

    Ich warf ihm vor, dass man sein Geld samt Kreditkarte an so einem Ort sorgsamer verbergen muss und nicht in der Hosentasche für Diebe verlockend präsentieren darf. Ich erklärte ihm, dass gerade solche Märkte bekannt dafür seien, dass sich etliche Taschendiebe herumtreiben, besonders wenn das Menschengetümmel sehr dicht ist. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie viele Warnungen vor möglichem Diebstahl ich ausgesprochen hatte. Dabei ahnte ich noch nicht, was mir selbst bald widerfahren würde.

    Nach diesem Erlebnis hatten wir beide keine Lust mehr, auf dem Hexenmarkt herumzuschauen. Dieser Ort erschien uns nun suspekt. Deshalb verließen den Markt in Richtung der Hauptstraße. 

    Hier gab es nicht mehr so ein Gedränge von Menschen, und wir fühlten uns sicherer. Aber gerade in diesem Augenblick, als ich sagen wollte, dass ich mich jetzt auch wohler fühlte, spürte ich einen Schlag gegen meinen rechten Ellenbogen, reflexartig streckte ich meinen Arm nach vorn aus. In diesem Augenblick ergriff ein Mann hinter mir meinen Unterarm, streifte den mit Band gesicherten Fotoapparat ab von meinem Arm, stieß gegen meine Hand, dass sie sich öffnete und zog den Fotoapparat weg. Das dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, und schon raste er an uns vorbei. Ich nahm sofort die Verfolgung auf und rannte hinter ihm her. 

    Vor lauter Aufregung schrie ich aber nur noch auf Deutsch: „Haltet ihn! Haltet ihn!" 

    Ich wusste, dass ich hier in Peru natürlich Spanisch sprechen musste, aber ich setzte völlig aufgeregt mein Rufen auf Deutsch fort. 

    Ich konnte vor lauter Schrecken einfach nicht mehr Spanisch sprechen. Doch niemand auf der Straße hielt den eilig laufenden Mann mit dem karminroten T-Shirt auf. 

    Wir rannten beide hinter ihm her, aber der Abstand wurde größer und größer. Noch sah ich meinen silbernen Fotoapparat in seiner Hand, und immer wieder rief ich töricht dieselben Worte auf Deutsch „Haltet ihn! Aber niemand stoppte ihn in seinem Lauf. An der Hauptstraße mit dichtem Autoverkehr angekommen, rannte er quer über die Fahrbahn zur anderen Seite, übersprang den schmalen Bewässerungskanal am Mittelstreifen und eilte zur gegenüberliegenden Straßenseite. Ich wollte nun nicht wegen des Fotoapparats leichtsinnig einen Unfall herbeiführen und wartete ungeduldig ab, bis kein Auto mehr kam. Am Mittelstreifen mit dem Bewässerungskanal angekommen, schrie ich weiter: „Haltet ihn! Doch der Abstand war mittlerweile immer größer geworden, und ich musste den vorbeirasenden Verkehr der Gegenfahrbahn erst wieder passieren lassen. 

    In diesem Augenblick aber sah ich gegenüber auf dem Bürgersteig drei Polizisten gehen. Sie blickten aus der Ferne zu mir, die ich weiterhin lauthals in der falschen Sprache: „Haltet ihn!" schrie. Die drei Ordnungshüter sahen den flüchtenden Mann im roten T-Shirt und vielleicht auch die blinkende Kamera und hielten ihn geistesgegenwärtig fest. Jedenfalls glaubte ich in diesem Augenblick noch, dass die Uniformierten Recht und Ordnung aufrecht hielten. Nun konnten wir mit genug Sicherheitsabstand vor den vorbeirasenden Autos die Straße überqueren und eilten zu den Polizisten. Der Dieb wand sich in den Armen des kräftigen jüngeren Polizisten, während die Polizistin ihn verhörte. Der andere, etwas kleinere, ältere Polizist hatte ihm schon den Fotoapparat abgenommen. 

    Ich verstand, wie der Mann sich damit entschuldigen wollte, dass er eine Armverletzung habe und deshalb nicht arbeiten könne. Aber der starke junge Polizist ließ sich nicht erweichen, sondern klickte die Handschellen um die Handgelenke des Täters und zog ihn am Arm zu sich heran. Der Polizist mit meinem Fotoapparat in der Hand sprach mich an, ob ich Touristin sei. Ich bestätigte, dass ich Touristin aus Deutschland sei, (was er unschwer an meinem deutschen Rufen hätte erkennen können.)

    Daraufhin sagte er, dass er meinen Pass sehen möchte. Ich griff schon in meine Gürteltasche, die ich unter dem Hemd trug, und wollte den Pass hervorholen. Doch in diesem Moment warnte mich mein Freund auf Englisch: „Gib ihm nicht den Pass, den bekommst du sonst heute nicht wieder. Die geben ihn erst raus, wenn du deren ganze Verwandtschaft mit Schmiergeld bezahlt hast". 

    In diesem Moment ging mir erst ein Licht auf, in welche Situation wir geraten waren. Da in Peru Touristendiebstahl besonders hart bestraft wird, weil die vielen Taschendiebstahlsfälle sich mittlerweile bei Touristen herumgesprochen hatten und rückläufige Touristenzahlen bewirkten, konnten auch diese drei Polizisten das Geschäft des Jahres wittern, als sie mich auf Deutsch schreien hörten. Sie verstanden zwar nicht, was ich rief, sahen aber, dass ich dem Mann hinterherlief und dass dieser wegrannte. Und sie erkannten, dass hier ein großer Einkommenszuwachs winkte.

    Denn bei Touristendiebstahl steht auch für die aufklärenden Polizisten eine besondere Prämie bereit. Und diese wollten sie sich bei mir persönlich wundersam erhöhen. Wenn sie den Pass als Pfand behielten, fielen für mich zusätzlich Bearbeitungsgebühren an, ich müsste im Präsidium lange warten und könnte durch Geldzahlungen die Wartezeit verkürzen. Außerdem müsste ich wohl die Gebühren für die Aufbewahrung meines Fotoapparates abdrücken, ehe ich ihn schließlich zurückerhielt. 

    Mir war auf einmal klar, in welche Falle ich geraten war. Mein Freund fing dann an, auf Spanisch zu verhandeln und sagte, dass bei ihm in Chile die Polizisten nicht korrupt seien und in Deutschland auch nicht. Wenn sie von uns Geld verlangten, dann würde das ein schlechtes Licht auf Peru werfen, und die Touristenzahlen würden noch niedriger und die Touristenpolizeileitung

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