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Geliebtes Griechenland: Eine kritisch-humorvolle Liebeserklärung an das Land der Träume
Geliebtes Griechenland: Eine kritisch-humorvolle Liebeserklärung an das Land der Träume
Geliebtes Griechenland: Eine kritisch-humorvolle Liebeserklärung an das Land der Träume
eBook316 Seiten3 Stunden

Geliebtes Griechenland: Eine kritisch-humorvolle Liebeserklärung an das Land der Träume

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Über dieses E-Book

Griechenland ist einfach einzigartig: Die unzähligen Inseln, Felsküsten und Sandstrände. Der immer strahlend blaue Himmel. Die Klänge der Bouzouki. Die orthodoxen Kirchweihfeste. Die Schriftzeichen. Das „nä“, wenn der Grieche „ja“ meint. Die Labyrinthe der verschachtelt stehenden, weiß getünchten Kubushäuser.
Auf seinen Rucksackreisen hat der passionierte Reisebuchautor Kurt Schreiner das Land und seine Menschen kennen und lieben gelernt. In "Geliebtes Griechenland" lässt er uns an seiner Liebe zu diesem Inselreich teilhaben. Dabei gibt er nicht nur Einblicke in die griechische Geschichte und Mentalität, sondern versucht auch das Verhalten der Griechen angesichts der aktuellen Krise in ihrem Land verständlich zu machen.
"Geliebtes Griechenland" ist eine unterhaltsame und informative Einstimmung auf die nächste Griechenlandreise, die in keiner Tasche fehlen darf.
SpracheDeutsch
HerausgeberMANA-Verlag
Erscheinungsdatum24. Feb. 2016
ISBN9783955030551
Geliebtes Griechenland: Eine kritisch-humorvolle Liebeserklärung an das Land der Träume
Autor

Kurt Schreiner

Kurt Schreiner bereiste Griechenland und die Ägäis viele Male als Individualtourist mit Rucksack und Wanderschuhen. Der ehemalige Lehrer schrieb Reisebücher über sein Traumland und blieb seiner Liebe zu Hellas bis heute treu.

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    Buchvorschau

    Geliebtes Griechenland - Kurt Schreiner

    Kapitel I

    Griechenlands Suche nach Auswegen

    Athen – eine zweifelhafte Liebe

    Athen, 20. Juli. Beim Landeanflug versuchte ich einen Blick auf die Stadt zu erhaschen. Hohe Bergketten umschlossen ein dichtes Häusergewirr wie ein antikes Amphitheater. Dazu die weite Bucht des Saronischen Golfes mit zahllosen Schiffen, großen wie kleinen. Ich hatte Glück, ich bekam auch noch den Tempelberg der Akrópolis ins Visier der Fensterluke.

    Später dann die Fahrt mit dem Express-Bus vom Flughafen in die Athener City zum Syntágma-Platz. Das sich anschließende Stück Wegs von hier bis zum Omónia bewältigte ich selbst mit Rucksack locker zu Fuß. Wie schon bei früheren Athen-Aufenthalten beabsichtigte ich, mich in meinem Stammquartier, einem kleinen Hotel in einer ruhigen Seitenstraße hinter dem Omónia-Platz einzuquartieren, wo der nie endende Verkehrslärm des Nachts wie ein fernes Meeresrauschen zu vernehmen ist.

    Eine Stunde später saß ich bereits in meiner Taverne gegenüber dem Hotel, die Tische und Stühle bis auf den Bürgersteig gestellt. Erst als ich an einem der frisch mit Papier eingedeckten Tische saß, vor mir eine Flasche gekühlten Retsína, fühlte ich: Ich war in Athen angekommen. In dieser Taverne hatte ich vor einigen Jahren E. kennengelernt. Die junge Frau hatte mutterseelenallein an einem Nachbartisch gesessen. Nanu, dachte ich, eine Frau so ganz alleine in einem Restaurant! Das kann doch unmöglich eine Griechin sein. Eher eine Deutsche auf Ego-Trip. Sie entpuppte sich tatsächlich als eine allein reisende Deutsche, sie kam aus dem Frankenland, und ihr Freund hatte sie erst vor kurzem verlassen.

    Mit dem „Ego-Trip" lag ich nicht so ganz falsch. Der Retsína, ihre und meine Flasche, führte uns an jenem Abend zusammen, und wir vereinbarten, leicht beschwipst, gemeinsam am nächsten Tage mit der Metro nach Piräus zu fahren und Schiffstickets nach Kárpathos zu buchen.

    Dass ich heute wieder an gleicher Stelle saß, allerdings ohne dass mir eine bis dahin Unbekannte am Nachbartisch zulächelte, verdankte ich den Recherchen für ein Reisebuch, die mich wieder einmal nach Griechenland führten.

    Athen, 21. Juli. Ich hatte das Zimmer nur für zwei Tage gebucht. Athen, so fand ich, ist eine faszinierende Metropole. Trotzdem würde es mir nicht einfallen, hier länger als zwei bis drei Tage zu verweilen. Der Reisebuch-Autor Klaus Bötig meinte einmal zu Recht: „In Athen schlägt der Puls des griechischen Lebens, wenn der Körper auch marode ist." Damit hatte er in knapper Form das Wesentliche der Stadt angesprochen.

    Es strengt an, sich in der Tageshitze im Straßenchaos zu Fuß fortzubewegen, selbst in dem tagsüber ruhigen, dafür aber hügeligen Stadtteil Pláka. Ich erlebte Tage, an denen der Néfos (der Smog) als Glocke über der Stadt hing. Dann flüchtete ich, so schnell es die Umstände zuließen, von Piräus in die Ägäis. Die Smogwolke über der Stadt wirkt sich besonders schlimm im Sommer aus, wenn Temperaturen um die 40 Grad herrschen und alte Menschen zu Hunderten in Krankenhäuser eingeliefert werden.

    Man führt den Smog auf die Talkessel-Lage der Stadt, auf die vielen Industriekomplexe im Großraum Athen und auf das wilde Bauen in den Vorstädten zurück, das die Stadt zusätzlich von der Frischluft abschneidet. Hinzu kommt die rapide gewachsene Anzahl an Autos. In den 80er Jahren versuchte man das Verkehrsaufkommen zu reduzieren, indem die Verwaltung Fahrerlaubnisse im Wechsel von geraden und ungeraden Endziffern der Nummernschilder erteilte. Dabei hatte man aber nicht mit der Schlitzohrigkeit der Griechen gerechnet. Sie schafften sich Zweitwagen mit jeweils „richtigen" Nummernschildern an. Das Smog-Problem wurde ignoriert: Eigeninteresse ging vor Gemeinschaftsinteresse.

    Ein anderer Grund, der Stadt bald wieder den Rücken zuzukehren, bestand darin, dass ich die klassischen Sehenswürdigkeiten bei meinen ersten Aufenthalten schon abgeklappert hatte. Mein Aktionsradius hielt sich später in überschaubaren Grenzen. Ich bewegte mich nur noch selten aus einem Bezirk des Athener Stadtzentrums hinaus, einem „magischen Dreieck", das man erhält, wenn man sich die drei wichtigsten Plätze Athens mit Linien verbunden vorstellt. Einer davon ist der äußerst quirlige Omónia-Platz, die beiden anderen: Syntágma und Monastiráki.

    Vom Omónia verlaufen sechs breite Straßen in alle Himmelsrichtungen in die Stadt. Es ist nicht einfach, den Platz zu umrunden. Beim Überqueren der Straßen fühlte ich mich dort stets als lästiges Hindernis der Autofahrer, die sich hier hupend und gestikulierend durch den Pulk der Fußgänger schoben, auch wenn meine Ampel Grün anzeigte.

    Der erste Gang an diesem Morgen führte mich die paar Schritte vom Hotel zu einem Periptéro am Omónia, wo ich mir zum Frühstück eine deutsche Tageszeitung kaufen wollte.

    Der griechische Kiosk, der Periptéro, ist eine Besonderheit im Stadtbild, entfernt vergleichbar mit unserer Würstchen-, Fritten-, Souvenir- oder Zeitungsbude. Den Begriff haben die Griechen der Antike entlehnt: Der Kiosk ähnelt in seiner äußeren Form dem klassischen Peripteral-Tempel (Ringhalle), was sinngemäß mit „rings beflügelt übersetzt werden kann. Der griechische Holzkiosk ist ebenfalls rund, und er weist ringsherum Glasfenster (wie „Flügeltüren) auf, durch die hindurch der Betreiber seine Kunden bedient.

    Der Periptéro ist mehr als nur ein Kiosk. Er ist ein Warenhaus auf wenigen Quadratmetern, spezialisiert auf vielerlei Artikel für den täglichen Verbrauch, die man im Vorbeigehen eben mal mitnimmt, und für die es sich nicht lohnt, extra ein großes Warenhaus aufzusuchen: die tägliche Zeitung, der Zigarettennachschub, das beliebte Knabber-Zeug, Rasierutensilien, kleinere Haushaltsartikel, Telefonkarten und so fort. Das alles findet man auf kleinstem Raum zusammengestopft, denn der Gehweg schränkt den Platz für einen größeren Grundriss ein. Dafür türmen sich draußen umso mehr Regale und Kühltruhen. In der Hinsicht lässt sich der Betreiber keine Vorschriften machen. Auch darin nicht, dass der Periptéro (fast) rund um die Uhr geöffnet hat. Denn wenn etwas dem Griechen sehr am Herzen liegt, dann ist es sein persönlicher Freiheitsspielraum. Als Kleinunternehmer ist er mit seinem Periptéro sein eigener Herr und von keiner ihm übergeordneten Hierarchie abhängig. Der Kiosk spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle als Treff, wo Klatsch und Informationen ausgetauscht werden. Auch die Athener haben das, was wir Kölner unser „Veedel" (Viertel) nennen, eine gut funktionierende Nachbarschaft (Gitoniá), die man hinter den anonymen Athener Hausfassaden nicht vermutet. Sie ist auch dringend notwendig, denn die Landflucht bescherte Athen eine Bevölkerungs-Explosion in großem Ausmaß. Waren es um 1950 noch 1,5 Millionen, sind es heute bereits rund 4 Millionen Menschen, die Groß-Athen bevölkern. Gewohnt an die Geborgenheit ihrer Großfamilie und ihres Dorfes auf dem Lande oder auf den Inseln, wurden die Zugezogenen mit der Anonymität der Großstadt konfrontiert. Der Architekt und Stadtplaner Jan Gehl, der Großstädte auf der ganzen Welt berät, wie sie menschenfreundlicher werden können, meint dazu: Es wäre wichtig, solche gigantisch großen Metropolen in kleinere Stadtteile zu unterteilen und diese dann wiederum in fast dörfliche, überschaubare Nachbarschaften, damit die Menschen, die dort leben, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln können, statt im Niemandsland einer großen, diffusen Stadt zu treiben.

    Ganz in diesem Sinne Gehls gibt die Gitoniá den Zugezogenen die verloren gegangene Vertrautheit zurück. Und als Dreh- und Angelpunkt des „Dorfersatzes" fungieren die Periptéros, von denen allein in Athen Tausende existieren.

    Es gibt wahrlich schönere Hauptstädte in Europa. Ich kenne jedoch keine, in der das Leben so heftig pulsiert wie in Griechenlands Hauptstadt. Das war nicht immer so. Als Otto von Wittelsbach 1832 zum griechischen König gekürt wurde und Athen zwei Jahre später zur Hauptstadt der neuen griechischen Nation machte, lebten gerade einmal 4000 Menschen in der Stadt. Ein Zeitzeuge berichtete: „Ein schäbiger Marktfleck mit brüchigen Kaufmannsbuden und rund um einen bröckelnden Burg-Berg verstreute Hütten von Schweinehirten. Erst bayrische Architekten verhalfen der Stadt durch die Errichtung neoklassizistischer Bauten zu einem „standesgemäßen Umfeld für den Regierungssitz: die eindrucksvollsten sind die Akademie der Künste, die Universität und die Nationalbibliothek.

    Doch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung stark an, vor allem durch die Flüchtlinge aus Kleinasien, die der Krieg zwischen Griechenland und der Türkei vertrieben hatte. Rechnet man die Vorstädte und den Hafen Piräus mit ein, so hat sich das ehemalige Provinzstädtchen König Ottos in weniger als 200 Jahren zu einer ausufernden Metropole entwickelt. Sie zieht sich heute bis hinauf in die umgebenden Berghänge. Wer es sich leisten kann, zieht es vor, in den Smog-freien Höhen zu wohnen, statt in der stickigen, lauten Innenstadt.

    Ich bummelte an diesem Vormittag vom Omónia aus die breite Odós Athinás hinunter zum Monastiráki-Platz, ein fast ein Kilometer langer, doch äußerst kurzweiliger Spaziergang über eine Art Straßenmarkt. Es fühlte sich für mich an wie das Schlendern durch einen orientalischen Bazar. Kleinhändler mit Knabber-Kram, angeblich blinde Losverkäufer, viele kleine Läden längs der Straße lockten mit ihren Warenauslagen bis auf dem Bürgersteig: Hausrat, Textilien, Modeschmuck, farbige Gewürze. Kellner querten die Straße, das Tablett mit den Kafedákis über dem Kopf balancierend, mit dem sie die Ladenbesitzer von gegenüber bedienten. Im dichten Verkehrsgewühl und dem Hupkonzert der Autos dominierten die zahllosen gelben Taxis. Viele davon machten Sammelfahrten, auf Winken hielt das schon vollgepfropfte Auto und man nannte sein Fahrtziel.

    In dem dichten Gewimmel der Odós Athínas war ich nahezu ausnahmslos unter Griechen, auf die Massen der Athen-Touristen würde ich noch früh genug in der Altstadt Pláka und bei den antiken Stätten stoßen. Auf halber Höhe der Athínas stattete ich den Markthallen einen Besuch ab, wo es jetzt in den Tagen der Wirtschaftskrise etwas weniger geschäftig und laut zugehen dürfte.

    Am Monastiráki-Platz unterhalb der Pláka beginnt das Flohmarkt-Viertel. Wenn des Sonntags die Markthallen geschlossen sind, drängen sich hier vorzugsweise die Touristen zwischen den Flohmarktständen. Im Gegensatz zu dem Nippes, der auf unseren heimischen Märkten dominiert, findet man noch echte Schnäppchen. An Ständen mit Antik-Möbeln schaute ich zu, wie alte, beschädigte Holzmöbel im Freien wieder hergerichtet und aufpoliert wurden.

    Von der U-Bahnstation Monastiráki sind es nur wenige Schritte hinauf zur Pláka mit ihren aus türkischer Zeit stammenden Häusern und mit ihren zahlreichen Tavernen und Restaurants am Straßenrand. Es beginnt das eigentliche touristische Athen. Die zahlreichen Händler, die hier einen Laden betreiben, hoffen, dass den Touristen kurz vor ihrem Heimflug das Geld etwas lockerer in den Taschen liegt.

    Die Preise sind gemessen an der Ramsch-Qualität oft überhöht. Wer es dennoch nicht lassen kann: Athens Souvenir-Meile ist die Odós Adrianoú. Hier findet man alles, was das Touristenherz begehrt. Gipsbüsten antiker Philosophen stehen neben knalligen Pin-up-girls.

    Am Rand der Sträßchen, die sich zur Pláka hoch schlängeln, haben Kleinhändler ihren selbstgebastelten Schmuck auf dem Bürgersteig ausgebreitet: Ketten, Ringe und Armbänder aus Naturmaterialien wie Steinen und Muscheln. Zigeunerinnen bieten „Handarbeiten an, Stolen und Tischdecken „made in Taiwan. Über Seitenmauern erhascht man hier und dort einen Blick auf die Ausgrabungsstätten. Und von oben herab grüßt das Wahrzeichen Athens, das Párthenon auf dem Akrópolis-Fels. Man muss schon etwas Zeit mitbringen, um die antiken Stätten alle aufzusuchen.

    Mein erster Gang führte mich oft zu dem Café Ithaki ganz in der Nähe der beiden orthodoxen Kirchen, der Großen Mitrópolis (Kathedrale), ein im neobyzantinischen Stil im 19. Jahrhundert errichterter Monsterbau und der Kleinen Mitropolis, ein Kunstwerk aus antiken Bruchstücken und Reliefplatten. Ich zog es vor, mich vor einer der zahlreichen Straßen-Tavernen in der Nachbarschaft der Agora mit Blick auf die ehrwürdige Akrópolis und den gut erhaltenen Tempel Theseíon niederzulassen und mich mit einem „Greek salat" und einem Glas Retsína zu verwöhnen.

    Athen, 22. Juli. Heute begab ich mich wieder vom Omónia hinunter zum Monastiráki, aber dieses Mal mit dem Ziel, über die Odós Ermoú in nördliche Richtung zu dem dritten bedeutenden Platz von Athen zu schlendern, dem Syntágma. Weltweit bekannt wurde er durch die jüngsten Berichterstattungen über Demos und Krawalle im Zusammenhang mit der griechischen Finanzkrise. Der Grund, warum die Protestaktionen häufig am Syntagma stattfanden: An seinem Kopfende befindet sich das Gebäude des ehemaligen Stadtschlosses, in dem das griechische Parlament tagt.

    Am 10. Mai 1974 ging die Nachricht um die Welt, dass der deutsche Schriftsteller Günter Wallraff in einer Protestaktion gegen die regierende Militär-Junta auf dem Syntágma sich an einen Lichtmast angekettet und Flugblätter gegen das Regime an Passanten verteilt habe. Die Reaktion der Staatsmacht erfolgte umgehend: Geheimpolizisten misshandelten ihn, nahmen ihn in Gewahrsam und folterten ihn, um seine Identität in Erfahrung zu bringen. Da er anfänglich schwieg, hielt man ihn für einen aufsässigen einheimischen Griechen.

    Er wurde zu 14 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Wenige Monate später, als das Regime entmachtet war, kam Wallraf wieder auf freien Fuß (Günter Wallraff/Eckart Spoo: Unser Faschismus nebenan. Griechenland gestern – ein Lehrstück für morgen,1975).

    Den meisten Athen-Touristen scheint allerdings ein anderes Ereignis wichtiger. Vor dem Regierungsgebäude marschieren täglich sogenannte Evzonen, die einer Wachmannschaft angehören und an die ehemalige königliche Garde erinnern sollen, vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten auf und ab. Für die Griechen ein nationales Bekenntnis zu ihrer Unabhängigkeit, für die Touristen ein willkommenes Spektakel. Denn die malerischen Trachten stammen noch aus der Zeit der Befreiungskriege gegen die Türken. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass die griechischen Kämpfer bekleidet mit Faltenröckchen und langer Wollunterhose gegen die Türken in die Schlacht zogen. Jeden Sonntag um 11 Uhr findet die Zeremonie der „großen Wachablösung" statt.

    Ich hatte von hier aus zwei Möglichkeiten, meinen Spaziergang fortzusetzen. In nördliche Richtung konnte ich über die Odós Stadioú zum Nationalhistorischen Museum gelangen und mich von den muskulösen griechischen Jünglingen beeindrucken lassen. Oder in die entgegengesetzte Richtung ein Stück über die Odós Amália zu schlendern bis zum Eingang des Nationalgartens. Ihn „Park" zu nennen, wäre auch die schiere Übertreibung, die Athener sind aber stolz auf diesen kleinen Grünflecken inmitten ihrer sonst nahezu Grünflächen-freien Stadt. In dem Garten promenierte ich zur Abkühlung unter Laubengängen und tat es den Griechen nach: Ich legte auf einer Bank eine kleine Ruhepause mit Zeitungslektüre ein.

    Ich hatte noch zwei weitere interessante Spaziergänge in meinem Athener Kurz-Programm. Beide führten über die Dächer der Stadt.

    Der erste: Ich stieg vom Monastiráki ein kleines Sträßchen hoch und bewegte mich weiter oben über Treppenstufenwege in Richtung Akropolis. Hier hatte die Stadt ihren Charme und ihren dörflichen Charakter bewahrt. Man mag kaum glauben, sich im Zentrum einer europäischen Millionen-Metropole zu befinden. Dieser Eindruck veränderte sich schlagartig, wenn ich zu Stellen gelangte, von denen der Blick weit über die Dächer der Millionenstadt bis hinüber zu dem Berg Lykabéttos reichte, der höchsten Erhebung Athens.

    Dorthin gelangte ich, und das war mein zweiter Spaziergang, wenn ich vom Omónia aus das „magische Dreieck" verlassend, in östliche Richtung strebte. Über einen Treppenweg bestieg ich den Gipfel des 277 Meter hohen Berges, auf dem ich hoch über dem Dächer-Meer der Stadt anlangte und mich in dem Restaurant mit einem erfrischenden Getränk für meinen schweißtreibenden Aufstieg belohnte. Ich hätte auch die Seilbahn benutzen können. Aber man hat ja seinen sportlichen Stolz!

    Der Lykabéttos liegt mitten im Stadtgebiet, von hier oben hatte ich einen weiten Rundblick über das Häusermeer bis hinauf in die umgebende Bergregion. Ich konnte mir gut das Lichtermeer bei Dunkelheitvorstellen, grandios wahrscheinlich. Aber das beim nächsten Mal!

    Athen ist eine faszinierende Stadt, trotz Smog, brütender Hitze und Verkehrschaos. Mit Glück kann man sogar Tage erwischen, an denen der Meltémi durch die Straßen fegt und die Luft völlig vom Smog befreit. Wenn da nicht die Verlockungen wären: die vielfältigen Inseln der Ägäis, die zahlreichen Sandstrände der Küsten, die Peleponnés mit ihren klassischen Stätten ... Dann hieß es: Adíos, Athénai! Bis zum nächsten Mal!

    Dass ich ausgerechnet diesem Griechenland verfiel …

    Jetzt bin ich also wieder einmal in Griechenland. Manche behaupten: Athen, das ist Griechenland. Für die Griechen trifft das sicher zu. Nicht aber für den Touristen, der gerade erst in die Metropole eingeflogen ist.

    Für ihn beginnt das spannende Abenteuer Griechenland meist erst in Piräus. Hier im Hafen, wo die Schiffe in alle Himmelsrichtungen auslaufen, habe ich in der Vergangenheit häufig meine erste Entscheidung getroffen: Wohin soll die Schiffsreise gehen? So viele Wünsche, so vielfältige Ziele. Ungewissheit, wie die Reise verlaufen wird. Hoch gesteckte Erwartungen. Bedenken, worauf lasse ich mich da ein?

    Das trifft auch heute noch zu, wenn man eine individuelle Griechenland-Reise antritt, bei der die Organisation nicht einem Reiseveranstalter überlassen wurde.

    Griechenland ist uns Deutschen ja schon seit längerem näher gerückt durch die EU, die Billigflüge, die griechische Taverne um die Ecke und die wieder wachsende Zahl griechischer Migranten. Es ist aber auch das Griechenland, das seit der Wirtschaftskrise in die Negativschlagzeilen der Medien gerückt ist, mit ihren reißerischen Berichten über Fälle von Korruption oder Steuerbetrug. Berichte, die bei uns kräftig und nachhaltig die Vorbehalte schürten und ein übertrieben negatives Bild von den Griechen zeichneten.

    Davon war in den 8oer Jahren noch nichts zu spüren, als mich Griechenland über Jahre hinweg immer wieder in seinen Bann zog. Mein Interesse fokussierte sich stets aufs Neue vor allem auf die Inseln im Ägäischen Meer. Bedeuteten für die einen Mallorca und „Ballermann" den Zenit ihrer Urlaubsgestaltung, verfielen andere wie ich der Leidenschaft und dem Abenteuer des Insel-Sammelns. Das Inselmeer der Griechen ist bekanntlich reich gesegnet mit ihnen, wenigen großen und vielen kleinen. Es sollen rund 3000 sein, die Zahlen schwanken, je nachdem, welche Größen man zugrunde legt. Ungefähr 100 davon sind dauerhaft bewohnt, ich habe 63 Inseln zum Teil auch mehrfach besucht. Um zu erklären, wie es dazu kam, bedarf es eines kleinen Abstechers in meine persönliche Biografie.

    Als Germanistik- und Kunststudent jobbte ich in den Semesterferien zeitweise im

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