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Sonnenaufgangs-Geschichten: vom Glauben und Denken II
Sonnenaufgangs-Geschichten: vom Glauben und Denken II
Sonnenaufgangs-Geschichten: vom Glauben und Denken II
eBook297 Seiten4 Stunden

Sonnenaufgangs-Geschichten: vom Glauben und Denken II

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Über dieses E-Book

Die Sonnengeschichten spielen im zehnten bis sechsten vorchristlichen Jahrtausend. Sie führen zurück in eine Zeit, die für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft vergleichbar atemberaubend war wie der Übergang eines Kindes vom Baby- ins Kleinkindalter. Die Sonnengeschichten definieren Gesellschaft als ein Wesen, das wie jedes Wesen einmal geboren wurde, wuchs und in seiner Kindheit Erfahrungen sammelte, ohne die es nicht hätte werden können, was unsere Gesellschaft heute ist. In der Kindheit unserer Gesellschaft besaß die Frau den Löwenanteil an der Gestaltung der Gesellschaft. Die Sonnengeschichten beschreiben eine matriarchalische Gesellschaftsform, in der es zauberhafte Aspekte, aber auch Gefahren gab, von denen die berühmtesten archäologischen Ausgrabungsorte wie Göbekli Tepe, Jericho, Çatal Hüyük, Lepenski Vir und andere zeugen. Die Sonnengeschichten wurden mit dem Anliegen eines Vaters geschrieben, seiner Tochter Informationen zu geben, die ihr heute mehr denn je dienen werden, mit der Gegenwart zurechtzukommen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Mai 2019
ISBN9783748541431
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    Buchvorschau

    Sonnenaufgangs-Geschichten - G. P. Franck

    1. Zurück ins Abenteuer

    1. Zurück ins Abenteuer

    Im Sommer 1977 flog ich zurück ins Abenteuer. Aber etwas Grundsätzliches hatte sich in the land of the free verändert. Ich war nun in meinem 37. Lebensjahr und wusste lange nicht, ob ich oder ob die USA es waren, die sich so sehr verändert hatten. Die USA nach Watergate und vor Watergate waren nicht die gleichen. Eine Schattenlinie war überschritten worden, ein Wendepunkt geschehen. Während ich außer Landes gewesen war, hatten die Vereinigten Staaten ihren 200. Geburtstag gefeiert, und ich hatte auf Grund meiner zu langen Abwesenheit meinen Einwandererstatus verloren. Wie ich seine Gültigkeit zurückgewann, um zurück in das Land der gestern noch unbegrenzten Möglichkeiten zu gelangen, und wie der besagte Wendepunkt mir die Augen öffnen und mir in den folgenden Jahren den Kompass in die Hände geben sollte, um aus den Fesseln der (jüngsten deutschen) Vergangenheit in die Gegenwart zu finden (und damit meinem Schreiben Orientierung zu geben), braucht folgenden Vorspann.

    Wie Du weißt, war ich in Amerika schon einmal verheiratet gewesen. Obwohl die Ehe mit Barbara nur drei Jahre gehalten hatte und wir uns schon vor meinen Jahren in Mendocino getrennt hatten, war ich auf dem Papier noch immer mit ihr verheiratet, und da sie Amerikanerin war und unsere Freundschaft nie gebrochen war, war meine Chance groß, dass sie mir helfen würde, meinen Einwandererstatus zurückzuerhalten. Das war meinerseits zwar nicht koscher, aber was macht man nicht alles, um seinen Willen zu haben. Barbara war nach Spanien gezogen, hatte einen spanischen Mann und ein Kind (Du hast Carmelinda in San Francisco kennengelernt). In den siebziger Jahren waren viele junge Amerikaner in Europa unterwegs, Woodstock war gerade erst gestern gewesen, und auch unter der Jugend Europas herrschte Aufbruchsstimmung.

    Mein damals noch irisch-grüner, deutscher Pass, den ich vor Jahren in San Francisco hatte erneuern lassen, gab als meinen Wohnsitz Kalifornien an, was mich für den Eurail-Pass qualifizierte. Der Eurail-Pass war eine Fahrkarte erster Klasse, die europaweit und für drei Monate galt, sehr günstig war und mir obendrein noch von meiner Mutter zu meinem 36. Geburtstag geschenkt worden war. Ich fuhr nach Spanien. Mit den notwendigen Formularen und Barbaras Unterschrift reichte ich noch vor Jahresende 1976 in der US-Botschaft in Madrid meinen Antrag auf Erneuerung meiner Blue-Card ein, die ich in der Botschaft abgab. Im neuen Jahr sollte ich wiederkommen. Dann reiste ich mit dem Zug noch eine Weile in Europa herum.

    Werde ich Dir beschreiben können, wie es war, eine europaweit gültige Fahrkarte erster Klasse in der Tasche zu haben? Du stehst in Paris, hast kein Hotel und besteigst einen Zug, um schlafen zu gehen, denn in fast jedem D-Zug ließ sich ein leeres Abteil erster Klasse finden. Ich fuhr nach Sizilien. In Syrakus machte ich die Freundschaft mit einem Straßenkind am Hafen aus griechischen Zeiten. Von ihm und von den Gedanken, die er in mir auslöste, möchte ich Dir erzählen. Ich möchte erzählen von einem tieferen Europa, das ich, gerade als ich Europa endgültig zu verlassen gedachte, wiederentdeckte. Der Junge war zehn oder elf Jahre alt und kannte die Stadt, wie nur ein Straßenkind sie kennen kann. Er hatte einen warmen Mantel an und trug gute, feste Schuhe. Der Mantel war ihm zwar etwas zu groß, und keine Mutter hätte ihn angezogen, wie er angezogen war, aber er machte dennoch einen behüteten Eindruck. In seinem etwas zu großen Mantel geborgen war alles an ihm Licht und Wärme und ein Strahlen von innen. Wie seine Augen müssen die Augen von Franz von Assisi gewesen sein. Und wie Franz von Assisi liebte er Maria, die Mutter Jesu. Maria war ihm die Mutter geworden, die ihm fehlte. Mein bisschen Spanisch genügte gerade, um mich mit dem jungen Sizilianer unterhalten zu können. Er erzählte mir fast nur von Maria. Er zeige mehrmals auf das Meer, denn dort, über dem Meer, war sie ihm dreimal erschienen. Er sprach schüchtern und gleichzeitig von inniger Freude, und wenn ich in seine Augen schaute, wusste ich, dass er die Wahrheit sprach. Er hatte sie gesehen. Sie hatte mit ihm geredet. Er lehrte mich, mir die Stirn mit dem Weihwasser am Eingang der Kathedrale von Syrakus zu benetzen. Ich tue es heute noch, wenn ich eine katholische Kirche betrete. Eine kühle Stirn in einer Kathedrale ist jedes Mal ein neues Erlebnis.

    Er gewann mich sofort und total. Ähnlich wie ich von ihm, müssen 800 Jahre zuvor die Menschen von Franz von Assisi eingenommen worden sein. Aus seinen Augen schaute eine wunderschöne Seele, und seine Worte waren wie Perlen, die die schönste aller Frauen schmückten. Es sprudelte wie Quellwasser aus ihm heraus. Hätte ich 800 Jahre früher gelebt, ich wäre katholisch oder vielleicht sogar ein Franziskanermönch geworden. Mit ein paar Gedanken über Franz von Assisi und seiner Zeit will ich die Sonnengeschichten einleiten, und lass Dich nicht verwirren, wenn ich vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen scheine, denn die vielen einzelnen Fäden werden gemeinsam den roten Faden der Sonnengeschichten flechten. Die Zeit, in der Franz lebte, die Zeit der Gotik, enthielt ein letztes Echo des alten, vorgeschichtlichen Europas.

    Franz von Assisi (1182 bis 1226 A.D.) lebte in der Epoche der Frühgotik und war par excellence ein Mann der Gotik. Die Gotik war ein Wegabschnitt auf dem Weg der abendländischen Zivilisation. Quelle und Zentrum der Gotik lagen in Frankreich (sie hatte um 1150 in Burgund begonnen), aber sie verbreitete sich sehr schnell in all die Regionen Europas, in denen sich im Zuge der Völkerwanderung germanische Völker niedergelassen hatten. Die Gotik war eine Geisteshaltung, ein geistlicher Raum, der wie das Kirchenschiff von Notre Dame in Paris den Blick nach oben zog, ja sog, als würde das Kirchenschiff von oben getragen und von Licht und Raum gehalten. Eine meisterhaft erzielte Illusion. Aber wer im Kirchenschiff einer gotischen Kathedrale steht, sieht die Streben/Krücken nicht, die das Schiff von außen halten. Menschenwerk. Menschenwerk im Dienst eines Zweiges des Christentums, der die Mutter Jesu in die Mitte rückte.

    Zur Gotik gehörte eine gehörige Portion an make-believe: eine scheinbar heile Welt, wie eine verspätete Kindheit. Der Gotik wohnte ein letzter Rest des Kindheitszaubers der Vorgeschichte inne, selbst wenn hinter den Kulissen der Gotik die Eltern (die Mächtigen der Welt) gewaltig stritten, und zwar schon eine ganze Weile, nämlich seit das Staatswesen ein paar hundert Jahre zuvor auch zu uns in das germanische/keltische Europa gekommen war, wo es eine uralte gesellschaftliche Ordnung umgestoßen hatte.

    Bei Anbruch der Gotik war es gerade mal erst 400 Jahre her, dass Karl der Große den germanischen Stämmen zwischen der Nordsee und dem Po, zwischen den Pyrenäen und der Elbe das Staatswesen übergeworfen hatte, womit er den Schlussstrich unter die Völkerwanderung, also unter die Zeit des Aufbruchs der germanischen Völker aus ihrer Vorgeschichte in die Geschichte gezogen hatte. Das Staatswesen sollte sich als ein Schleppnetz entpuppen, das uns in die Zukunft zog, und diese Zukunft sollte sehr anders als die Vergangenheit werden. Vor der Völkerwanderung hatte es ein ganz anderes Netz bei uns im Norden der Alpen gegeben, ein Netz in unserer Psychologie, ein Stellnetz sozusagen, das uns in der Vorgeschichte für viele Tausend Jahre festgehalten hatte. Wir können uns nicht mehr wirklich in die Zeit vor der Völkerwanderung zurückversetzen, weil wir uns nicht mehr wirklich vorstellen können, wie nicht der Staat, sondern die Großfamilie, der Klan, die Sippe und der Stamm alles geordnet hatten, was es gesellschaftlich zu ordnen gab. Es waren nicht Worte, nicht die in Worte gefassten Gesetze, sondern es waren die Verhaltensmuster und der Verhaltensdruck des Kollektivs gewesen, die uns bei der Stange gehalten hatten. Die vorgeschichtliche Ordnung war eine psychologisch fundierte Ordnung gewesen, eine Ordnung im Reich der menschlichen, kultivierten Psyche.

    Der Staat mit den Gesetzen des Staates durchtrennte das alte Gewebe. Die Ankertaue der Psyche in Heimat und Scholle wurden gekappt (was übrigens nur sehr unvollkommen mit solchen germanischen Stämmen gelang, die nicht gewandert, sondern zu Hause geblieben waren). Nach Karl dem Großen waren nun auch die Völker im Norden oder aus dem Norden der Alpen gefangen im staatlichen Netz. Und das Netz lag in den Händen von Fürsten, von denen wir bis heute nicht wirklich wissen, woher sie kamen und wieso sie das Know-how besaßen, das Staatsschiff auf Kiel zu legen, vom Stapel zu lassen und zu navigieren: ein Know-how, dessen Ursprünge zurückreichen bis zurück in die ersten Stadt-Staaten (wie Uruk und Ur, wo Abraham aufwuchs) in Mesopotamien: Das Staatswesen als das Werkzeug par excellence der Zivilisation.

    Mit dem Staatswesen traten wir im gesellschaftlichen Sinne in unser Erwachsenenalter ein. Die Zivilisation machte uns erwachsen. Prozesse begannen, für die wir heute eine perfekte Vokabel haben: die Prozesse der Individuation . Laut Duden sind dies die Prozesse, in dessen Verlauf sich unser Bewusstsein von der eigenen Individualität bzw. von dem Unterschied zu anderen zunehmend verfestigt. Im soziologischen Zusammenhang sind dies schlicht und einfach die Prozesse, die uns aus den kollektiven, mehr oder weniger einheitlichen Verhaltensmustern unserer Vorfahren herausholen und unser Verhalten zusehends individuell differenzieren. Prozesse der Individuation (übrigens auch von Nationen) sind das Markenzeichen schlechthin der Zivilisation. Sie sind das Markenzeichen der Geschichte

    Was war das Markenzeichen der Vorgeschichte? Das Markenzeichen der Vorgeschichte war das von uns heute nicht mehr nachvollziehbare Phänomen der nahezu identischen Verhaltensmuster vorgeschichtlicher Menschen. Wir waren alle über einen Kamm geschoren. Bevor es das Staatswesen gab, setzten die Familie, die Großfamilie, der Klan und die Sippe weltweit das Maß und die Muster.

    Kultur ist wesentlich älter als die Zivilisation. Zivilisation und Kultur sind mitnichten dasselbe. Im Gegenteil, die Prozesse der Zivilisation sind immer und notwendigerweise begleitet von Auflösungserscheinungen der Verhaltenskulturen, die von der Großfamilie, dem Klan und der Sippe herabgereicht wurden. Kultur ist kultivierte Psychologie. Zivilisation ist ihre Öffnung. Kultur ist matriarchalischen Ursprungs, Zivilisation ist ein patriarchalisches Werk. Der Kultur liegen die Mütterbilder zugrunde, die Goethe fand. Die Zivilisation hat Vater Staat zum Hintergrund. In dieser Aussage liegt ein Konflikt, der schon von der griechischen Tragödie aufgegriffen wurde, und der zum Wesen der Dialektik gehört, die mit der Zivilisation begann. Die Dialektik zwischen Familie und Staat, denn die Familie ist ein psychologisches, der Staat ein geistiges Gebäude, und obwohl die ungeschriebenen Gesetze der Familie und die geschriebenen Gesetze des Staates miteinander verwandt sind und vergleichbare Ziele haben, ist die Zivilisation eine dialektische Situation, in der Yin und Yang eher im Clinch als im Tanz sich bewegen.

    Denn obwohl es keine einzige Zivilisation geben kann, die ohne Kultur (ohne die Erziehung in der Kultur der Familie) auskommen kann, so war es die Zivilisation, die die Türen unserer alten Kulturen öffnete und deinem und meinem Ich erlaubte, aus dem Wir (der Großfamilie, des Klans, der Sippe) herauszutreten. Ein langer Prozess, der zeitlich gesehen von den oberen sozialen Schichten zu den unteren verlief und in unseren Tagen alle Schichten des Volkes erreicht hat. Aber im Laufe der Prozesse, die alten Zöpfe und Verhaltensmuster unserer Vorfahren von uns zu werfen, gab es immer ein Zu-schnell und ein Zu-viel. Die Prozesse waren immer in Gefahr zu überhitzen. Und so war es auch in der Epoche gewesen, die der Gotik voranging. Der Gotik voran ging die Epoche der Romanik.

    Als Franz von Assisi im Jahre 1226 starb, hatte es schon fünf Kreuzzüge plus den Kinderkreuzzug gegeben, und im Süden Frankreichs war noch immer der europa-interne Vernichtungskreuzzug gegen ein Gemisch aus Proto-Protestanten und Ketzern in Gange. Im 4. Kreuzzug (1204) hatten die Kreuzritter unter der Führung Venedigs das christliche Konstantinopel niedergemetzelt. Der Kinderkreuzzug (1212) war dann das ultimative Zeichen dafür gewesen, dass Tieferes in Europa im Argen lag. Dreißigtausend Kinder aus dem Europa nördlich der Alpen hatten sich aufgemacht, um das „wahre" Kreuz und Jerusalem von den Moslems zu befreien. Obwohl der Kinderkreuzzug in 50 Chroniken aus dem 13. Jahrhundert Erwähnung findet, bleiben die Einzelheiten bis heute unklar (Wikipedia). Die Kinder verliefen sich irgendwie und -wo in Italien, aber egal, was Dichtung und was Wahrheit sei, der Aufbruch von Kindern und Jugendlichen war nur die Spitze eines Eisbergs, die ahnen ließ, dass unter der Oberfläche der diversen, noch jungen europäischen Staatswesen das kulturelle Gewebe der europäischen Gesellschaft in der Auflösung begriffen war. Gegen diese Auflösung trat die Gotik an.

    Gegen die Auflösung des gesellschaftlichen Grundgewebes trat die Gotik an, und in diesem Zusammenhang wurde die Mutter Jesu wichtiger als Jesu Vater. Politische Notwendigkeiten. Es galt, ein Stückchen weit die Kultur der Vorgeschichte zurückzuholen. Maria wurde auf den Platz erhoben/geschoben, den die Mütterbilder in der unsichtbaren Welt unserer vorgeschichtlichen Psychologie gehabt hatten. Jesus, Garant der Freiheit von Sünde und Tod, der noch in der Kunst der Romanik der thronende König gewesen war, wurde in der Kunst der Gotik der Schmerzensmann, der die Schuld der Menschen trug. Die Schuld. Die gotische Priesterschaft re-aktivierte die Schuldstrukturen unserer vorgeschichtlichen Psychologie. Die Uhr wurde in der Gotik zurückgedreht. Sie musste zurückgedreht werden. Die Kirche rieb sie uns ein: die Schuld. Aber diese Schuld ist viel, viel älter als die Lehren des Christentums. Schuldprogramme verbergen sich in unserer Psychologie, die zurückreichen in die Entstehung der Tabus in der Jüngeren Altsteinzeit. Unter den Tabus verbergen sich Werkzeuge, die uns kultivierten.

    Diese Werkzeuge griffen nicht mehr. Europa stand im Begriff zu verwildern. Der Bogen, den die Patriarchen mit der Einfuhr des Staatswesens in das germanisch/keltische Europa gebracht hatten, war überspannt worden. Patriarchalische Autorität war mit der Hilfe eines patriarchalischen Glaubensgebäudes (das Christentum) für Macht, Profit und Bereicherung missbraucht worden. Die letzten freien Bauern waren im Laufe der Romanik enteignet worden (zuletzt in Schleswig-Holstein). Die Frau und ihre vorgeschichtliche Rolle/Aufgabe in der Gesellschaft war überrannt worden. 800 Jahre vor heute war der Kinderkreuzzug der sichtbare Ausdruck des unsichtbaren europaweiten soziologischen Phänomens eines zu frühen, zu schnellen, zu kompletten Verlustes mütterlicher Einflussnahme auf die Kinder, dessen Brisanz wir rückschauend nicht mehr erkennen, weil sich in der Rückschau die Soziologie der Gotik davor schob. Die Gotik setzte einem brodelnden Topf einen Deckel auf. Und sie tat es mit Mitteln, die auf vorgeschichtliche Mittel zurückgriff. Von diesen Mitteln werden die Sonnengeschichten berichten.

    Zu Weihnachten 1976 war ich wieder in Hamburg. Als ich dann im Januar oder Februar 1977 mit meinem immer noch gültigen Eurail-Ticket zurück in Madrid war, hatte sich die vorher freistehende Botschaft der USA mit einer mächtigen Schutzanlage umgeben. Ich war zwar erstaunt, verstand aber damals noch nicht, dass dies ein erstes Zeichen der grundsätzlichen Veränderung war, die mich nach Watergate in den USA erwarten würde.

    Es wurde Sommer, bevor ich den Flieger in die Staaten nahm. Ich flog mit der Viking Line, die auf Island zwischenlandete, und wie ich am Ende der Geschichten vom Mond schon erzählte, hatte ich auf Island eine Tante. Tante Mausi war eine Cousine meines Vaters, Deines Großvaters. Sie hatte nach Island geheiratet. Ich erinnere mich, dass ihr das Hemd, das ich trug, nicht gefiel. Es war khakifarben, von der Art der Soldatenhemden, aber als sie es für mich wusch und bügelte und die verspielten, dekorativen Nähte auf dem Hemd entdeckte, siehe da, nun gefiel ihr das Hemd. Das war die Französin in ihr (ihr Mädchenname war Flörke, von französisch fleur ), die in ihren Vorfahren mit den Hugenotten nach Preußen gekommen war und von der auch Du, meine Sarah, einiges in Dir hast.

    Dann New York. Watergate lag nun schon in der Vergangenheit, und die schwarze Frau, die meine Blue-Card bei der Passkontrolle entgegennahm, sah mich freundlich an und sagte ‘welcome back’ und fügte hinzu: ‘the children are crying’. Ich begriff ihre Worte so wenig, wie ich den hohen Zaun um die US-Botschaft in Madrid begriffen hatte. Die Wahrheit war, dass dieses große, schöne, freie, mutige Land eine Schattenlinie überquert hatte, die, denke ich, eine jüngere Ausgabe der Schattenlinie war, die zwischen der Romanik und der Gotik gelegen hatte. Die Patriarchen hatten den Bogen überspannt. Die Frau nahm die Macht, die sie zu Beginn des Experimentes USA aus den Händen gegeben hatte, zurück in ihre Hände.

    Ich hatte geplant, Carly in New York zu treffen (eine Freundin von Barbara), der ich mein Manuskript zu lesen hatte geben wollen, obwohl ich mir voll bewusst war, wie unfertig es immer noch war. Ich selbst war noch viel zu unfertig. Noch im Flughafen erhielt ich die Nachricht, dass sie nicht in New York sei, aber dass ihr Apartment mir zur Verfügung stehe, wo ich ein paar Nächte blieb. Dann nahm ich die U-Bahn an den Rand der City, streckte den Daumen raus und war auf dem Weg an die Westküste.

    2. Çatal Hüyük

    2. Çatal Hüyük

    Çatal Hüyük ist ein Ausgrabungsort in Anatolien (heute Türkei), der zurück in die Mittlere Steinzeit reicht. Und so werde ich zunächst noch einmal den roten Faden nachziehen, der die Geschichten vom Mond durchzog und der aus der Altsteinzeit in die Mittlere Steinzeit führte. Ich fasse mich kurz.

    Ich wählte zu denken, dass die Namen Eva und Adam für die ersten Exemplare unserer Spezies stehen. Die ersten Exemplare unsere Spezies Homo sapiens sapiens tauchten vor ungefähr 40.000 Jahren auf, oder so jedenfalls sagt es die wissenschaftliche Welt. Mit unserer Spezies begann ein neuer Wind zu wehen, was in dem Begriff Jung-Paläolithikum seinen Niederschlag fand. Das Jung-Paläolithikum war die letzte Phase der Altsteinzeit, die begann, als unsere Spezies begann. Unsere Spezies hat ein Erbproblem. Um dieses Erbproblem unter Kontrolle zu bekommen, schufen die Urmütter ein Werk, gespickt mit Tabus und uns auf identische Weise verborgen, wie uns unser Unterbewusstsein nicht zugänglich ist.

    Die Institution Familie tradiert ein Autoritätssystem, das in den Strukturen unserer uns unterbewussten Psychologie angesiedelt ist und das uns zu verbergen seit frühester Vorzeit eine absolute Notwendigkeit war, weil wir eine Spezies sind, die keine Autorität über sich haben will. Keine Autorität über uns haben zu wollen, ist das Erbproblem. Unsere Kultur überlagert das Erbproblem, das darin besteht, niemandem gehorchen zu wollen. Oder anders gesagt, Kultur war und ist eine Notwendigkeit, weil wir dieses Erbproblem haben.

    Die Institution Familie ist das älteste von den Menschen entwickelte Werkzeug, um des Menschen Selbstwillen zu beschneiden und in Grenzen zu halten. Es ist diesem Werkzeug der Selbstbeschneidung zu verdanken, dass die menschliche Gesellschaft der Weinberg wurde, den in eigener Regie zu verwalten, Gott der Menschheit in die Hände gab. Die Institution Familie war und ist die älteste gesellschaftliche Behörde, um den Weinberg zu pflegen und zu gestalten, und es ist auf der Grundlage dieser Behörde, dass ein Vertrag auf Zeit zustande kam, der die Verpachtung des Weinbergs an uns regelte. Dieser Vertrag trägt den Namen „Bund des Regenbogens". Er ist immer noch in Kraft. Er setzt auf Seiten der Menschen die Institution Familie als Vertragsgrundlage voraus.

    Das Jung-Paläolithikum endete vor 12.700 Jahren. Es endete mit einer Klima-Katastrophe von unglaublichen Ausmaßen, die über Nacht (innerhalb eines Jahres (2)) über die Erde kam und unserer Mutter Erde tiefe Wunden schlug. Diese Katastrophe - das ist meine Arbeits-Hypothese - war mit der biblischen Sintflut identisch. Die tausend Jahre, die Mutter Erde danach brauchte, um sich von der Katastrophe zu erholen, wird von den Experten die Dryas-Zeit genannt. Aus der Dryas-Zeit ging die Mittlere Steinzeit hervor. Die Mittlere Steinzeit war das Babyalter der modernen Gesellschaft. Die moderne Gesellschaft in ihrer Babygestalt war die Familie, die Noah aus der Altsteinzeit in die Mittlere Steinzeit brachte. Die Institution Familie, wie Noah sie aus einer versunkenen Zeit in unsere Zeit herüber brachte, war die Geburt der modernen Gesellschaft.

    Der Bund des Regenbogens impliziert auf Seiten der Menschen den Bund, die bindende Übereinkunft der Geschlechter, unsere Kinder gemeinsam zu erziehen.

    Biblisch gesehen gab es auf dem langem Weg von den Anfängen bis heute vier Frauen, die auf archetypische Weise für vier Etappen des Weges stehen: Adams Frau Eva, Noahs Frau (leider ohne Namen), Abrahams Frau Sarah und die Frau aus der Offenbarung, die mit Sonne und Mond und den zwölf Sternen bekleidet den Sohn erzieht, mit dem alles vollendet wird.

    Das Thema aller dieser Frauen war die Erziehung der Kinder. Zwischen diesen vier Frauen lagen große Zeiträume. Zwischen Eva und Noahs Frau lag die embryonale Phase der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Und wie es mit den embryonalen Phasen nun einmal so ist, hatte die Frau nicht nur die Hauptrolle, sie hatte die einzige Rolle, um die Gesellschaft zu weben, auch wenn die altsteinzeitlichen Mammutjäger gemeint haben sollten, sie seien das Gelbe vom Ei. Was immer es an Gesellschaftsformen unserer Spezies schon im Jung-Paläolithikum gegeben haben mag, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren solche frühen Versuche mit Gesellschaft ein Werk aus weiblichen Händen. Denn Beziehungen und das Knüpfen von Beziehungen waren/sind schon immer ihr Ding.

    Egal ob oder ob nicht die Menschheit willig sei, die Story der Sintflut für bare Münze zu nehmen, Noahs Frau steht für eine Urmutter, die vollendete, was lange vor ihr schon von den ersten Müttern unserer Spezies begonnen worden war: nämlich eine Erziehung auf die Beine zu stellen, die uns hemmt zu sein, wie wir sind. Wir sind eine gefallene Spezies. (Die Zivilisation sollte uns schrittweise enthemmen, um mündig und für eigene Entscheidungen verantwortlich werden zu können. Aber das ist eine spätere Geschichte, nämlich die Geschichte der zweiten Halbzeit der vergangenen 12.000 Jahre seit dem Ende der Dryas-Zeit. Hier aber sind wir noch früh in der ersten Halbzeit.)

    Unter den Tabus der Familie verbergen sich psychologische Mittel, mit Hilfe derer wir beziehungsfähig/gesellschaftsfähig wurden. Denn Kain war nicht gesellschaftsfähig gewesen. Die Tabus und die Hemmschwellen, die zum Wesen der Institution Familie gehören und von ihr tradiert werden, fielen uns nicht vom Himmel. Sie sind auch nicht das Produkt von Evolution. Mütter schufen sie. In Noahs

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